Zukunftshoffnungen für den interreligiösen Dialog

Wilfried Oertel: Wie einen wärmenden Mantel. Zukunftsfähiger Dialog statt Abgrenzung in der interreligiösen Begegnung.
Veröffentlichungen des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts, Band 11.
Nordhausen: Bautz 2011, 172 S., Abb. —
ISBN 978-3-88309-100-6

Wilfried Oertel, evangelischer Pfarrer und seit Jahren im interreligiösen Dialog engagiert, hat hier eine Art Zwischenbilanz gezogen. Seine Vision ist die Einheit der Religionen in Vielfalt. Das Zusammenleben zwischen Menschen verschiedener Religionen ist dafür der Prüfstein. Aus diesem Grunde hatte er im Rahmen des deutschlandweiten Projekts der katholischen, evangelischen, orthodoxen Kirchen sowie jüdischer und muslimischer Organisationen “Weißt du, wer ich bin?”1 mitgearbeitet. Er entwickelte interreligiöse Begegnungsprojekte an zwei Schulen der sauerländischen Kleinstadt Meschede. Diese wurden von der islamischen und christlichen Seite getragen. Das erste Modell „Offene Türen machen reich“stand unter dem Stichwort der Gastfreundschaft und Entdeckungen in Synagoge, Kirche und Moschee, verbunden mit grundlegenden Fragen des Glaubens. Das zweite Modell nahm bei den Begegnungen die Gotteshäuser des Andern in Augenschein „Mein Gotteshaus – Dein Gotteshaus“,wiederum verbunden mit konkreten Besichtigungen und Gesprächen vor Ort. Immer gab es abschließend Reflexionen im Sinne einer „Integration durch Begegnung.“


Die vorlaufende Praxis interreligiöser Begegnung besonders aus dem Schulalltag heraus hat Wilfried Oertel bewogen, die theologische Basis seines Handelns zu prüfen und diese an den offiziellen Äußerungen kirchlicher Gremien zu spiegeln. Die Bibel selbst gibt genügend multireligiöse Anregungen. Das zeigen Geschichten wie die Flucht des Mose nach Midian, die Flucht des Propheten Jona und seine Predigt gegen die Stadt Ninive, Jesajas Botschaft von der Erkenntnis für alle, Jesu Heilung der Tochter einer Kanaaniterin, die Begegnung von Petrus mit dem römischen Hauptmann Kornelius und schließlich in der Theologie des Paulus ein Gottesverständnis, das Unterschiede aufhebt.
Was biblisch ermutigend ist, schien kirchlich auch neue Begegnungsmöglichkeiten zu eröffnen. In diese Hoffnungszeichen fließen bei Oertel Erfahrungen aus der westfälischen und rheinischen Kirche ein. Der Titel des Buches, ein Zitat aus den Tagebüchern von Max Frisch, wurde in der Hauptvorlage der Evangelischen Kirche von Westfalen 1992 „In einem Boot“ gewissermaßen als Dialogempfehlung ausgegeben. Gerade auf der mittleren Ebene zwischen Gemeinde und Kirchenleitung hat sich über die Jahre hinweg ein Netz von dialogoffenen Beauftragten des christlich-islamischen Dialogs entwickelt, das zu einer Reihe von Grenzen überschreitenden Äußerungen und Stellungnahmen führte. Auf der „höheren“ Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (wirkte sich die Dialogarbeit in den Landeskirchen allerdings nur bedingt aus. Hervorzuheben sind immerhin die Handreichungen: „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland“ (2000), allerdings bereits weniger ermutigend „Klarheit und gute Nachbarschaft“ (2006). Auffällig ist, dass es auf den Brief der 138 international bekannten muslimischen Theologen mit „A Common Word“ (2007) bis heute keine offizielle Stellungnahme der EKD gibt.2
Den vorgestellten Handreichungen wird je länger je mehr eine beunruhigende Rückwärtstendenz bescheinigt: „Es lässt sich also festhalten, dass den erstarkenden islamistischen Tendenzen … eine Tendenz des Rückzugs auf traditionelle theologische Positionen auf der Leitungsebene der EKD entspricht und die konservativen Stimmen die theologische Konzeption im Dialog bestimmen. Aus anfänglichen Grenzgängern sind Grenzwächter geworden“ (S. 89). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das, was für den christlich-islamischen Dialog gilt, auch die jüdische Seite besonders in der Christologie und in der Mission mit betrifft. In manchen – auch offiziell-kirchlich-theologischen Äußerungen bis in die Gegenwart – zeigt sich jedoch noch immer der eher verklausulierte Vorwurf der Ablehnung Jesu als Messias und des kompliziert anzusehenden Christuszeugnisses gegenüber den Juden. Allein die Evangelische Kirche im Rheinland hat den Gedanken der Judenmission konsequent ad acta gelegt. Oertel bezieht sich dazu auf den rheinischen Synodalbeschluss von 1980 und das daraus abgeleitete Weiterdenken im Verhältnis von Christen und Juden im Jahre 2009.
Dialog ja, aber bitte nicht auf der Ebene der Gleich-Wertigkeit der Religionen. Die kirchlichen Abgrenzungsmechanismen führt Oertel letztlich an der Trinitätslehre vor. In den neutestamentlichen Aussagen lassen sich zwar triadische Aussagen entdecken, aber keine Trinität. Vielmehr spielt die heilsgeschichtliche Bedeutung Jesu die zentrale Rolle. Die Verbindung der Christologie mit der Trinität und deren Dogmatisierungen sind das Ergebnis eines kirchlichen Rezeptionsprozesses, für die die Synoden von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) als Orientierungsmarken stehen.

Wilfried Oertel „rahmt“ seine hoffnungsvollen praktischen und seine dogmatisch kritischen Überlegungen mit künstlerischen Impulsen ein – im Sinne von Visionen. Sie stammen von der israelischen Künstlerin Tova Heilprin mit der Skulptur „One“ und dem zukunftsträchtigen Ausblick auf Kirche und Minarett in Chania (Kreta). Das im Bild erkennbare Baugerüst am Minarett wird zum Symbol und zur Hoffnung für Baufortschritte im christlich-islamischen Dialog trotz aller Störmanöver aus dogmatisch abgesicherten Trutzburgen beider Religionen. Oertels Buch schlägt dazu eine klärende Schneise. 
                                                                                                  Reinhard Kirste
 Anmerkungen
1)  Das von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) koordinierte Projekt ist inzwischen ausgelaufen.  Die meisten Materialien sind jedoch weiter erhältlich: http://www.oekumene-ack.de/Meldung.49.0.html?&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=418&tx_ttnews[backPid]=7

2)   Vgl. dazu die Zusammenstellung der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW)
      – eine Dokumentationsstelle der EKD – in: EZW-Texte 202 (2009):
http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_1935.php

Interkulturelle Theologie im Horizont vielfältigen Glaubens

Thomas Schreijäck / Knut Wenzel (Hg.): Kontextualität und Universalität. Die Vielfalt der Glaubenskontexte und der Universalitätsanspruch des Evangeliums.
25 Jahre „Theologie interkulturell“.

Stuttgart: Kohlhammer 2012, 176 S
.  ISBN 978-3-17-022293-9
Seit 25 Jahren gibt es an der Goethe-Universität Frankfurt das Projekt „Theologie interkulturell“. Jeweils im Wintersemester wird ein/e deutschsprachige Gastprofessor/in aus Afrika, Asien oder Lateinamerika an die Katholisch-Theologische Fakultät eingeladen, um Gesichtspunkte aus der weltweiten (katholischen) Kirche in einem umfassend interreligiös und interkulturell gewordenen Zusammenhang herauszuarbeiten. Thomas Schreijäck, der Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Kerygmatik lehrt, ist erster Vorsitzender von ”Theologie interkulturell” und der Fundamentaltheologe und Dogmatiker Knut Wenzel stellvertretender Vorsitzender. Die beiden nehmen diesen Zeitraum der 25 Jahre, um Bilanz zu ziehen:
 „Theologie interkulturell möchte bewusst machen und vermitteln, dass religiöser Glaube, theologisches Denken und solidarisches Handeln aus einer religiösen Grundüberzeugung heraus nicht auf ein Christentum westlich-europäischen Zuschnitts begrenzt sind. Die Kirche macht es sich so zur Aufgabe, über den eigenen eng begrenzten Rahmen des religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen oder nationalen Eigeninteresses hinauszugehen“ (S. 9).

Man kann die Welt umfassende katholische Kirche heute mit fast einer Milliarde Mitgliedern nun gewissermaßen als einen Spiegel nehmen, in dem sich die religiöse und gesellschaftliche Vielfalt der Moderne auf unterschiedliche Weise bricht. Dabei ist auffällig, welch innovative Ideen und Projekte an anderen Orten gerade dort umgesetzt werden, wo das Christentum nicht die Mehrheit bildet oder dramatischen Veränderungen unterworfen ist. In diesem Zusammenhang wurde und wird es spannend, wie kompetente Vertreter aus den jeweiligen Kulturkreisen die Spannung von Kontextualität und Universalität zur Sprache bringen und der Kirche Mut machen, sich gerade in der Begegnung mit anderen Religionen und Kulturen immer wieder zu erneuern. „Theologie interkulturell“ bietet für diesen Austausch eine ausgesprochen hilfreiche Plattform. Dies zeigt sich auch in der geschickten Auswahl der jeweiligen Vertreter, allesamt Katholiken mit einem weltoffenen Profil.
In der vorliegenden Zusammenstellung kommt als erster Josef Estermann zu Wort, Missionswissenschaftler aus Bolivien: Er betont die wichtigen Anstöße der Befreiungstheologie gerade in der Aufwertung indigener Kulturen. Er hebt dabei die allumfassende, universale und Mensch gewordene göttliche Gerechtigkeit als Kennzeichen des Reiches Gottes hervor. Das Wort „Chakana“ = Brücke in der Quechua- und Aymara-Sprache nimmt die Menschwerdung Jesu im andinen Kontext auf und verbindet es mit der Universalität des globalen Waltens Gottes.
Im Horizont des islamisch geprägten Indonesien bezieht sich der Sozialphilosoph Franz Magnis-Suseno SJ aus Jakarta auf den Universalitätsanspruch des christlichen Glaubens. Angesichts dieser islamischen Herausforderung in einem Land mit ca. 220 Mio Einwohnern und einer verschwindend kleinen christlichen Minderheit kann dies nur in konsequenter Auslegung der dialogischen Aussagen des Vaticanums II geschehen, das heißt: Mission ist demütiges und friedfertiges Zeugnis-Geben, ohne dass der geringste Zwang ausgeübt wird. Gott möge dann alles Weitere tun. Dies ist im Grunde eine konsequent inkusivistische Linie, die immerhin viele Dialogmöglichkeiten mit den muslimischen Partnern ermöglicht.
Etwas weiter wagt sich Francis X. D’Sa SJ, hinaus, Spezialist für indische Religion und Theologie der Religionen aus Pune (Indien). Er bringt es auf den Punkt: „Der Evangeliumswahrheit kommt der Universalitätsanspruch zu, aber nicht der Wahrheit des Evangeliumsausdrucks“ (S. 45). Das bedeutet, das eineGeheimnis in der Vielfalt der Glaubenskontexte zu entdecken und auf unterschiedliche Weise davon sprechen. Die Vielfalt der Glaubenskontexte lebt von unterschiedlichen Selbstverständnissen und der grundlegenden Verschiedenheit von Kulturen. Es geht nicht darum, wer z.B. im karmischen oder anthropischen Geschichtsverständnis recht hat
(S. 53), sondern es gilt, in jeder Glaubenswelt sich von der Universalität der göttlichen Wahrheit in Anspruch nehmen zu lassen.
Noch weiter geht der Dogmatiker Luis Gutheinz SJ aus Taipeh (Taiwan). Er setzt sich konsequent für einen interreligiösen Dialog ein, der die dringenden Probleme der Welt von heute aufnimmt. Es geht nicht um die Ausbreitung des eigenen christlichen Glaubens, sondern um die Bekräftigung einer letzten Realität bzw. Wahrheit, die sich in verschiedenen Glaubenskonzepten ausdrückt und diese als authentische Wege zum „höchsten Gut“ ansieht (S. 68). Dies schließt im Dialog weder das Zeugnis noch die Verkündigung des eigenen Glaubens aus.
Afrikanische Gesichtspunkte bringt der Fundamentaltheologe Simon Matondo-Tuzizila aus dem Kongo ein. Dieses riesige Land Zentralafrikas hat trotz der kolonialistischen Gewalt eine Art „Christliche Kultur“ unter Einbeziehung der Ahnenüberlieferung entwickelt (S. 72). Das bedeutete aber zugleich die Aufnahme des „fremden“ Jesus im Sinne von Bedrohung und Chance. Die Chance konzentriert sich auf die Beseitigung der Hexerei, durch die anderes Leben systematisch zerstört wird. Jesus als „König der Könige“ und die konsequente Vergottung Jesu bildet so einen heilsamen Gegenpol. Jesus als das Wort Gottes inkulturiert sich dabei im Sinne befreiender Lebenspraxis gegen die Heilsanmaßungen von Hexerei und Fetischismus.
Der Religionspädagoge Alphonse Ndabiseruyeaus Burundi zieht das Begriffspaar „Evangelisierung“ und „Inkulturation“ heran, um Jesus Christus nicht als Objekt, sondern als Ur-Inkulturation im Sinne der Menschwerdung zu beschreiben, die auch christologisch und jeweils muttersprachlich in den afrikanischen Kontext eingebunden werden muss. Dieses Inkulturieren konkretisiert sich als Befreiungsbotschaft in die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen hinein.
Der Bonner Fundamentaltheologe und Religionsphilosoph Hans Waldenfels bietet gewissermaßen einen systematischen Verstehensrahmen für die jeweiligen „Länderprofile“ unter den unterschiedlichen Ansätzen und Weiterentwicklungen von Inkulturation. Das Ende der Kolonialherrschaft und das langsame Zurückdrängen eurozentrischen Gedankengutes ermöglicht für die bisher oft marginalisierten indigenen Kulturen eine wesentliche Aufwertung. Die Kirche im Sinne von Weltkirche erlebt die Verschiebung ihres Lebenszentrum in den Raum zwischen Asien, Australien und der Westküste der USA. Besonders herausfordernd wirkt sich der postkoloniale Aufschwung des Islam weltweit aus, der durch eine bedeutende „Westwanderung“ geprägt ist. Das Christentum in Europa gerät angesichts dieser Entwicklungen vom ehemaligen religiösen Zentrum an den Rand. Der Säkularismus sowie der damit teilweise parallel laufende religiöse Pluralismus/Relativismus in den europäischen Gesellschaften tun ein Übriges. Wird Religion jedoch als Offenheit für Transzendenz verstanden, werden die Christen  angesichts der religiösen Suchbewegungen glaubhafte Wegbegleiter der unterschiedlich Suchenden werden.
Der Frankfurter Fundamentaltheologe Siegfried Wiedenhofer setzt sich mit der Spannung von Partikularität und Universalität der Kulturen und Religionen in der Moderne auseinander. Er führt damit im Grunde die Überlegungen von Hans Waldenfels systematisierend fort. Die Moderne hat die Relativierung religiöser Absolutheitsansprüche beschleunigt. Dem setzt er ein „transzendentalphilosophisches Modell“ (Richard Schefflers) entgegen, das Offenbarung als Begegnung mit dem Geheimnis Gottes auch außerhalb des christlichen Glaubens möglich macht. Dies ist der Ermöglichungsgrund des interreligiösen Dialogs, wie sich z.B. beeindruckend an Henri Le Saux zeigen lässt.
Den Abschluss bildet der Beitrag von Werner G. Jearond, Systematiker an der Universität Glasgow, der das bisher noch nicht intensiv angesprochene Feld von „Interkulturalität“ und „Interreligiosität“ genauer untersucht und eine Hermeneutik der Liebe als dialogische Verständigungsbasis vorschlägt. Die bisherigen Ansätze von Hans Küng mit dem Weltethos, mit John Hick und der religionspluralistischen Theologie sowie die an Attraktivität zunehmende Komparative Theologie erfahren dabei eine kritische Würdigung. Aber die Theorien scheinen hinter der interreligiösen Praxis in unserer Gesellschaft längst hinterher zu hinken. Darum nimmt Jearond Hans Georg Gadamer, Paul Ricoeur, Erzbischof Rowan Williams und Catherine Cornille auf und argumentiert, „dass es die Aufgabe einer kritischen interdisziplinären Hermeneutik der Liebe ist, die allen Menschen gemeinsame Kommunikations- und Liebesgabe als den Horizont zu ergründen, in dem religiöse Traditionen betrachtet, verstanden, erforscht, gedeutet und transformiert werden können“ (S. 171).
Die katholische Kirche als Weltkirche erlebt außerhalb des europäischen Kulturraums erhebliche Aufschwünge. Sie ist angesichts der religiösen Veränderungen aber auch besonders herausgefordert. Die im Buch versammelten Beiträger nehmen diese Herausforderung im Geist des 2. Vatikanischen Konzils auf und wagen dialogische Schritte im Blick auf die gemeinsame Weltverantwortung aller Religionen – manchmal eher vorsichtig, zuweilen jedoch auch mutig und bisherige Grenzen überschreitend. Sie setzen sich so auf Zukunft hin orientiert mit kulturell-religiösen Umbrüchen auseinander und diskutieren Ansätze der notwendigen Begegnung der Religionen in Respekt und Demut. Das alles gilt natürlich in vergleichbarer Weise auch für die durch die Reformation entstandenen Kirchen und ebenfalls im weltweiten Kontext. Insofern hat dieses Buch durchaus „protestantischen“ Charakter.
Reinhard Kirste

Rz-Schreijäck-Kontext, 12.04.12

Buch des Monats März 2012: Mission in interkultureller und prophetischer Perspektive

Hinter der renommierten Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft (ZMR) steht ein internationales Missionswissenschaftliches Institut (IIMF) in Fribourg (Schweiz), das über die Jahre nicht nur die Debatte um die Mission reflexiv verfolgt hat, sondern immer wieder neue Impulse setzte. Das machen die Herausgeber nun auch mit dem Sonderband der ZMR deutlich: Vor 100 Jahren wurde das IIMF gegründet und die ZMR hat den 95. Jahrgang erreicht.

Dieser voluminöse Festschrift-Sonderband bietet eine beeindruckende Zwischenbilanz für missionarisches Handeln unter den Bedingungen der Globalisierung und Interkulturalität. Man kann die hier zum Ausdrcuk kommenden Perspektiven von Mission undDialog zu Recht eine prophetische Perspektive nennen:

Mariano Delgado / Michael Sievernich (Hg.):
Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität
Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Internationalen Instituts für missionswissenchaftliche Forschungen 1911-2011
ZMR Sonderband, 95. Jg.
St. Ottilien: EOS 2011
— Rezension hier —

Mission und Dialog – interkulturelle Orientierungen

Mariano Delgado / Michael Sievernich (Hg.): Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Internationalen Instituts für missionswissenschaftliche Forschungen 1911-2011. ZMR Sonderband, 95. Jg. 2011. St. Ottilien: EOS 2011, 507 S.,
Bibelstellenregister, Personenregister —
ISBN 978-3-8306-7510-5


Das Internationale Institut für missionswissenschaftliche Forschungen (IIMF, gegründet 1911) und die Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft (ZMR) im 95. Jahrgang haben über die Jahre ein Renommee aufgebaut und Marksteine für die Etablierung der Missionswissenschaft als eigenständige (theologische) Disziplin gesetzt. Das IIMF und die jeweiligen Herausgeber der ZMR (vgl. Redaktion ZMR: www.unifr.ch/zmr/de/redaktion) haben dabei nicht nur auf ein hohes wissenschaftliches Niveau geachtet, sondern sich auch den veränderten Herausforderungen durch Globalisierung, Interkulturalität und Multireligiosität gestellt.
Mit dieser umfangreichen Festschrift belohnen sich die dieser Einrichtung verbundenen Fundamentaltheologen, Missions- und Religionswissenschafler/innen in beobachtend-kritischem Bedenken sozusagen selbst, verbunden zugleich mit dem Internationalen Katholischen Missionswerk missio Aachen und der Jesuitenmission.
Da auch die katholischen Diözesen Deutschlands, insbesondere das Bistum Münster, in die Herausgabe einbezogen waren, gibt es natürlich auch bischöfliche Grußworte (Joachim Kardinal Meisner, Köln und Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg).

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft (DGMW), der evangelische Missionswissenschaftler Dieter Becker (Neuendettelsau), bringt in seinem Vorwort das interkonfessionelle Anliegen heutigen Missionsverständnisses auf den Punkt:
„Der globale Kontext erfordert eine Repositionierung theologischen Denkens, weil die lokale Präsenz des Christentums mit regionalen Kulturen, Milieus und Religionen interagiert (z.B. pfingstlich-charismatische Bewegungen, Befreiungstheologien, Unabhängige Kirchen). Missionswissenschaft als Interkulturelle Theologie reflektiert die komplexen Probleme dieser Transkulturalität des Christentums. Auch die religiöse Pluralität in Europa verlangt neue Kompetenzen bei interkulturellen Fragestellungen und bei der Reflexion des Christentums mit nichtchristlichen Religionen, Weltanschauungen und Traditionen“ (S. 21).
Nach diesen Problemanzeigen ermutigt der Fundamentaltheologe und Ehrenvorsitzender der IIMF Hans Waldenfels die Kirche, ihre Mission stärker prophetisch als glaubwürdiges Lebenszeugnis neu zu vermitteln. Im Buch geschieht das nun durch die Orientierung an vier Schwerpunkten: Menschenwürde, Dialog, Interkulturalität, Perspektiven der Missiologie.
I.  Christentum und Menschenwürde: Gleich der erste Beitrag des brasilianischen Missionswissenschaftlers Paulo Suess stellt die lange gängige, imperiale Missionspraxis in Frage und fordert dazu heraus, im Sinne Jesu die prophetischen Rufe nach Gerechtigkeit als Wesensmarkmal der Mission praktisch umzusetzen. Ebenfalls ein neues humanistisches Verständnis sieht der Mitherausgeber Michael Sievernich (Mainz) durch das Vaticanum II gegeben. Im Zeitalter der Globalisierung muss dieser humanitäre Ansatz für eine „bessere“, also „gerechte Welt“ durch die Mission vor Ort realisiert werden. Günter Riße (Vallendar) betont, wie wichtig prophetisches Auftreten in der Gegenwart ist. Er verdeutlicht dies an heutigen ProphetInnen: Charles de Foucault, Alfred Delp, Madeleine Debrêl. In die Missionsgeschichte zurück geht der Mitherausgeber Mariano Delgado (Fribourg, CH): An der berühmt gewordenen Predigt Montesinos gegen die Unterdrückung der Indígenas und dem mutigen Handeln Bartolomé de las Casas vor Staat und Kirche wird die prophetische Notwendigkeit offenkundig, sich für Unterdrückte und Ausgebeutete einzusetzen. Solches Engagement – im Sinne der Option für die Armen – ist selbst heute für die Mächtigen oft ein Ärgernis. Auch Johannes Meier (Mainz) geht den kolonialismuskritischen und  indiofreundlichen Stimmen im Rahmen der ersten Bistumsgründungen in Amerika nach.        
Peter C. Phan (Georgetown University, Washington D.C.) wendet den Blick nach Asien, hin zum „Eightfold Movement of The Asian Churches“, der ein konsequentes Dienen an der Welt und für die Welt voraussetzt, und zwar durch den Dialog mit den Armen für Befreiung und integrale Entwicklung. Motiviert durch Johann Baptist Metz weist Margit Eckholt (Osnabrück) auf den engen Zusammenhang von interkulturellem Dialog und Befreiungstheologie hin, und zwar nicht nur unter der Perspektive von „Passion und Com-Passion“, sondern auch im Blick auf feministische Impulse aus Einrichtungen, die den Basisgemeinden nahestehen. Hier lassen sich Spuren einer neuen prophetischen Theologie erkennen.            
Christoph Nebgen (Mainz) konkretisiert die missionarisch geprägten Integrierungsversuche der Jesuiten an den Ureinwohnern und den afrikanischen Sklaven am Beispiel von Neugranada in der Andenregion. Virginia R. Aczuy (Argentinien) entdeckt in den urbanen Situationen in Lateinamerika eine wachsende Spiritualität an den Rändern oder jenseits der etablierten Kirche. Diese Neuaufbrüche können für die Kirche als Bedrohung wirken, sie sind jedoch eine Chance für die Erneuerung des Christentums. Das nächste Beispiel von Marco Moerschbacher, (missio Aachen) zeichnet die „Evangelisierungsgeschichte“ des Kongo von der belgischen Kolonialzeit bis zur Unabhängigkeit nach. Es erhellt besonders die „Afrikanisierung“ der Kirche und damit die Revision bisheriger christlicher Traditionen.
II.  Religionen im Dialog: Der zweite große Abschnitt geht interkulturellen Chancen, Problemen und Veränderungen nach. Der renommierte Dialogiker Francis X. D’Sa, (Pune, Indien) setzt seine hermeneutischen Überlegungen im Sinne der faktischen Interaktion von Kulturen an, die er mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbunden sieht. Aber nicht die Nivellierung der Kulturen und Religionen kann das Ziel sein, sondern das Herausarbeiten der jeweiligen Einzigartigkeiten z.B. im Geschichtsverständnis Europas und Indiens. Es muss gelten, dass die Verschiedenen auch verschiedene Glaubenszentren haben, der Hl. Geist also unterschiedlich wirkt.
Einen anderen wesentlichen Gesichtspunkt bringt Klaus Krämer (missio Aachen) sehr konzentriert ein: Das Engagement für Religionsfreiheit als prophetisches Zeugnis mit einem kritischen Durchgang vom Alten Testament bis zum 2. Vatikanischen Konzil. Ulrich Dehn (Hamburg) setzt sich mit interreligiösen Begegnungen – im Sinne von Friedens-„Inszenierungen“ – auseinander, und zwar bei Abaelard, Ramon Llull und Nikolaus von Kues. Aber auch die Religionsgespräche des Großmoguls Akbar und schließlich das Weltethos-Programm von Hans Küng zeugen von der Suche nach Gemeinsamkeiten. Claudia von Collani (Münster) geht den verschiedenen Formen von Religionsgesprächen nach – ähnlich wie Ulrich Dehn, um dann allerdings auf die tolerantere Situation im Fernen Osten einzugehen, die durch die religiöse Sensibilität der Ostasienmissionare mit geprägt wurde.
Ebenfalls um Asien geht es bei James H. Kroeger, (Manila). Er zeigt für die FABC (Federation of Asian Bishop’s Conferences), dass die ganzheitliche „integrale Evangelisierung“ der Kirche als entgrenzenden Schlüssel den interreligiösen Dialog braucht. Für diesen Dialog hat die FABC in Konsequenz aus dem Zweiten Vaticanum einen „Dekalog des Dialogs“ entwickelt.
Der Lateinamerika-Spezialist Stefan Silber (Diözese Würzburg) argumentiert dagegen abgrenzend in Hinsicht auf den religiösen Pluralismus im Kontext der Befreiungstheologie. Das erlaubt zwar eine Anerkennung des Pluralismus der Religionen, aber die z.B. von Paul Knitter und John Hick vertretene pluralistische Religionstheologie bietet ihm nicht genügend Anhalt für die Einbeziehung der Lebenswelt der Armen in eine Theologie der Religionen. Der Jesuit Felix Körner (Rom) sucht nach Kriterien für eine Prophetologie, um von daher das Prophetische des Islams einschätzen zu können. Religionsphänomenologisch ist der Islam zwar prophetisch, Körner aber grenzt das Prophetische auf die Ankündigung des Christusereignisses ein. Der Islam hat hier allerdings eine „Prädispositions“-Kraft.
III.  Interkulturation und Interkulturalität: Das vorletzte Kapitel lässt sich im Grunde nicht deutlich vom vorangegangenen Kapitel abgrenzen, denn Interkulturalität und Kontextualisierung haben auch immer eine interreligiöse Perspektive. Das wird an dem auf Zentralafrika fokussierten Aufsatz von Claude Ozankom, (Bonn), recht deutlich. Die christlichen Basisgemeinden haben die Impulse des Vaticanum II kreativ umgesetzt. Klaus Vellguth (Vallendar), bezieht sich auf die Südafrika- und Asien-Missionare Oswald Hirmer („Vater des Bibel-Teilens“), und Fritz Lobinger, um die aus solchen Impulsen erwachsenen kleinen christlichen Gemeinschaften in Asien mit ihrem „Gospel Sharing“ näher zu beschreiben. Der schon erwähnte Missionswissenschaftler Dieter Beckersetzt einen hermeneutischen Schwerpunkt, indem er ausführlich auf den Zusammenhang von Sprachverstehen und sachgemäßer Übertragung der Bibel in die Lebens- und Denkformen anderer Völker eingeht und den jeweils eigenständigen kulturellen Bezugsrahmen sichern möchte. Der polnische Missiologe Wojciech Kluj setzt im Grunde Beckers Überlegungen fort, und zwar bezogen auf die prophetisch-sprachintensive Dimension der biblischen Übersetzbarkeit und des liturgischen Transfers in die indigenen Sprachen.
Natürlich muss in einem solch weit ausgreifenden Werk auch China mit Matteo Ricci aktualisierend zur Sprache kommen, der sich einmal stärker buddhistisch, das andere Mal stärker konfuzianisch sowohl literarisch wie modemäßig „akkomodierte“. Das tut Gianni Criveller (Hongkong), indem er Ricci in die Nähe des Völkerapostels Paulus rückt. David Neuhold, (Fribourg, CH) stellt den Hugenotten Pierre Bayle (1647-1706) als einen an Dialog und Bildung orientierten Botschafter einer friedfertigen Mission vor. Dies zeigt Bayles literarisch fiktiv-originelle Szenerie am Kaiserhof in China. Sein Commentaire philosophique ist zugleich eine scharfe Kritik an der katholischen Missionsarbeit und der katholischen Kirche in Frankreich.
„Realgeschichtlich“ geht es wieder bei dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus Koschorke (München) zu, der überwiegend an afrikanischen Beispielen die Frage indigener Bischöfe thematisiert, besonders an Samuel Ajayi Crowther (1806-1891).
Für Afrika zeigt Andreas Heuser (Tansania / Basel) christliche Transformationsprozesse im Sinne einer Afrikanizität des Christentums mit interreligiösen „Kontaktzonen“ bis weit hinein in die traditionalen Religionen. Der Kapuziner Othmar Noggler (München) nimmt das Lebensrecht der chilenisch-argentinischen Mapuche-Indianer in den Fokus, besonders den „Indianeradvokaten“ Siegfried von Frauenhäusl (1868-1954). Er spricht damit auch aktuell die vorrangige „Option für die Armen“ an.
Schließlich kommt noch das frühe (östliche) Christentum im Iran bis hin zur problematischen (westlichen) Mission unter Muslimen zur Sprache. Norbert Hintersteiner(Dublin) lässt keinen Zweifel daran, dass vor dem mittelöstlichen Hintergrund ein interreligiösesMissionsverständnis unabdingbar ist.
IV.  Perspektiven der Missiologie: Beim Durchforsten der oft ausgesprochen spannenden, keineswegs nur geschichtlich einzuordnenden Beiträge, stellt sich unausweichlich die Frage: Wohin geht die Missionswissenschaft (Missiologie)? Hier finden sich folgende Orientierungsmarken: 
Notwendiges ekklesiologisches „Eintauchen“ in die anderen religiösen Welten (Franz Gmainer-Pranzl, Salzburg) / Abschied von der Kolonialmission, Mission als missio Dei im Sinne ganzheitlicher Befreiung und theologischer Neuzuordnung (Giancarlo Collet und LudgerWeckel, beide Münster) / Plädoyer für einen überzeugenden Glauben im Sinne einer missionarischen Kirche (Hildegard Wustmans, Linz) / Von der Mission zur „Neu-Evangelisierung“ von den lateinamerikanischen Wurzeln her und in der Linie des Missionsdekrets Ad Gentes von 1965 (John F. Gorski, Cochabamba, Bolivien) / Notwendige ethnologischeGrundlagenforschung für Missionare und Missiologen (Joachim G. Piepke SVD, St. Augustin) / Vom Gegeneinander der Konfessionen in den „Missionsgebieten“ zur einer Ökumene der versöhnten Verschiedenheit im Blick auf Religionsfreiheit, Weltfrieden und Menschenrechte (Eric Englert, missio, München) / Die konstruktiven Veränderungswirkungen der Kirchen Asiens im Missionsverständnis durch das Vaticanum II und die Neuerungen in der Theologie der Religionen als Aufgabe (Georg Evers, missio Aachen). Als Besonderheiten stehen am Schluss die kontroverse Debatte um das Verständnis von „Akkomodation“ aufgrund der Ausweisung von Steyler Missionaren aus der Volksrepublik China nach 1949 (Karl Josef Rivinius SVD, St. Augustin) sowie eine Würdigung des missionswissenschaftlichen Vordenkers Theodor Grentrup (1878–1967) durch Paul B. Steffen SVD (Rom).
Resümee: In diesen Beiträgen treffen wichtige und kompetente Vertreter in „Sachen Mission“ zusammen sowie sehr fortschrittliche, teilweise angefeindete Denker von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und engagierte Dialogiker Asiens. Dadurch entsteht ein Mosaik der Aufbrüche im Missionsverständnis mit praktischen Auswirkungen, die seit dem Vaticanum II besonders den indigenen Lebenswelten des christlichen Glaubens und interreligiöser Begegnung in Respekt und Verantwortung zueinander zugutekommen. Der Band macht zugleich deutlich, dass allerdings die Neustrukturierung des christlichen Missionsverständnisses angesichts auch religiöser Globalisierung keineswegs abgeschlossen ist.
Reinhard Kirste
Buch des Monats März 2012 der INTR°A-Bibliothek
 2

Innerislamische Kontroversen über den Umgang mit Gewalt

Medienwirksam erscheint “der” Islam überwiegend negativ besetzt. Er gilt bei vielen als eine gewalttätige Religion. Dabei wird übersehen, wie intensiv und breit gefächert die zeitgenössischen Positionen sind zum Thema Gewalt und Konfliktlösung sowie über den mehr oder minder toleranten Umgang mit Andersgläubige oder “Ungläubigen.” Nach rückwärts argumentierende und progressive Theoretiker bilden eine extreme Spannbreite im Sinne einer Neuauslegung der Tradition. Eine Gruppe Islamwissenschaftler um den Jenauer Arabisten Tilman Seidensticker versuchen hier Einblick in die innerislamischen Debatten zu geben.
Tilman Seidensticker (Hg.):
Zeitgenössische islamische Positionen zu Koexistenz und Gewalt
Wiesbaden: Harrassowitz 2011
— Kurzrezension hier —
— Ausführliche Besprechung hier —

 

Religulous – Religiöse Begegnungen besonderer Art (Filmkritik)

Filme bieten andere Möglichkeiten als Texte, sich mit einem Thema auseinander zu setzen. Dabei ist die heitere Variante oft die effektivere. Das gilt auch für den Film “Religulous”, der ein beachtlicher Erfolg für das Genre der Glaubensauseinandersetzung geworden ist.
Hinter allen heiteren filmischen Szenen bei den Gesprächen und Interviews tauchen immer wieder Sinnfragen auf:

Große Kinomomente – Religulous.
Regie Larry Charles mit Bill Maher.
Dokumentarfilm, USA 2008, Deutschland 2009,
als DVD Oktober 2010, Laufzeit ca. 96 Minuten
— Filmbesprechung hier —

Islam in der Primarstufe – Mein Islambuch 3. Schuljahr

Unter der Herausgeberschaft und wissenschaftlichen Begleitung von Bülent Ucar, verantwortlicher Leiter der islamischen Lehrerausbildung an der Universität Osnabrück, ist nun “Mein Islambuch” für das 3. Schuljahr erschienen. Der 2009 erschienene Band  “Mein Islambuch 1/2” hatte weitere Erwartungen für sachkompetentes Material und einen darauf aufbauenden religionspädagogisch offenen Islamischen Religionsuntericht geweckt.
— Rezension hier —
Die Hoffnungen haben nicht getrogen. Es liegt ein islamisches und zugleich Dialog orientiertes Religionsbuch für das 3. Grundschuljahr vor, das ein ähnliches Niveau hat wie die vergleichbaren Religionsbücher des ev. und kath. Religionsunterrichts.

Bülent Ucar (Hg.),
Serap Erkan / Evelin Lubig Fohsel / Gül Solgun Kaps / Bülent Ucar (Bearbeiter)
Stephan Leimgruber / Thorsten Knauth (wissenschaftliche Beratung)

Mein Islambuch. Grundschule 3
Berlin: Oldenbourg: bsv 2011
— Rezension hier —

Der Herausgeber und geistige Promotor dieser Schulbuchreihe, Bülent Ucar und die Mitautorin Gül Solgun Kaps, haben in einem Gespräch beschrieben, warum er diese Bücher auch als Integrationshilfen ansieht:
“Ein deutliches Zeichen von Integration und gegenseitiger Wertschätzung”

Überhaupt lässt sich in den letzten Jahren ein deutlich verbessertes Angebot von islamischen Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien zeigen:
Eine neue Generation von islamischen Schulbüchern,
Unterrichtshilfen und Anleitungen zur Koranlektüre
(Ein-Sichten, 14.01.2012)

Jesus und Mohammed – Bibel und Koran – Vergleiche


Joachim Gnilka: Wer waren Jesus und Muhammad?
Ihr Leben im Vergleich.
Freiburg u.a.: Herder 2011, 330 S., mehrere Register
ISBN 978-3-451-34118-2

Der bekannte Münchner Neutestamentler Joachim Gnilka hat im Rahmen seiner bibelwissenschaftlichen Forschungen mehrfach schon den Blick über den eigenen Bereich hinaus getan. Das Buch „Bibel und Koran“ hat inzwischen die 7. Auflage seit 2004 erreicht (Rezension, s.u.). Sein neuestes Buch beschäftigt sich vergleichend mit den beiden monotheistischen „Religionsstiftern“. Jesus und Mohammed (Muhammad). Ähnlichkeiten und Differenzen werden sorgsam aufgelistet und kommentiert. Dabei berücksichtigt der Autor auch die jüngsten Entwicklungen in der Mohammed-Forschung mit all ihren Aufgeregtheiten. Die Idee dieser Art des Vergleichs kam dem Forscher aus dem antiken Vorbild der Parallelbiografie, für die Plutarch in besonderer Weise steht.
Exegetisch hält sich Gnilka im Blick auf die Jesus-Forschung an die Orientierungsmarken, die die neutestamentliche Forschung seit Albert Schweitzer und Rudolf Bultmann gesetzt hat. Ernst Käsemann hätte hier vielleicht noch mit einbezogen werden können. Es gilt nämlich, die historische Person Jesus aus den Evangelien „herauszuschälen“.
Auch ein literarkritischer Unterschied zu der historischen Glaubwürdigkeit der Evangelien sei in Hinsicht auf den Koran benannt: Er enthält faktisch kein historisch nutzbar zu machendes Material über Mohammed. Die späteren Traditionen über den Propheten sind natürlich legendarisch überwuchert. Dies führt Gnilka dazu, nicht im Nebel historischer Vermutungen herumzusuchen, sondern eine sorgsame Abwägung der verschiedenen Positionen für eine kompetente Hinführung zur Geschichte Jesu und Mohammeds aufzubauen.
In klarer Aufgliederung wird einleitend die nicht sehr üppige Quellenlage analysiert, die bei Jesus etwas besser, aber für Mohammed nicht viele präzise historische Anhalte liefert. Eine erste differenzierende Typik der beiden „Religionsstifter“ bildet den Abschluss der Einleitung.
In Kapitel 1 werden in Abschnitt I die Positionen in der Jesus-Forschung dargestellt und kurz auf das Wesentliche ihrer Forschungsergebnisse und bewertenden Aussagen zugeschnitten: Albert Schweitzer, Rudolf Bultmann, John Dominic Crossan und Rainer Riesner. Dann folgen Einschätzungen stärker wirkungsgeschichtlicher Art bei so unterschiedlichen Theologen wie Joseph Ratzinger, Romano Guardini, Gerd Theißen, Annette Merz, Hubert Frankemölle, James D.G. Dunn und Wolfgang Stegemann.
Vergleichbar verfährt Gnilka im Abschnitt II zur Mohammed-Forschung. Er stellt wesentliche Positionen exemplarisch dar: Die sorgsame Differenzierung bei Hartmut Bobzin zwischen Historie und Legende, der klassische Anschub zur Mohammed-Forschung von Tor Andrae, die Herausarbeitung des Konflikts mit den Juden bei Marco Schöller und Gregor Schoelers Versuch, historischen Boden zu gewinnen. Dagegen steht bei Hans Jansen wegen der legendarischen Biografie von Ibn Ishaq die Historizität Mohammeds in Frage. In diese historisch-biografischen Zurückweisungen mit späteren Verklammerungen stimmt Martin Lings mit Mohammed als Romanfigur verschärfend ein. Patricia Crone konstruiert den Islam als politisch motivierte Religion aufgrund der wirtschaftspolitischen Zusammenhänge in Mekka, Edouard-Marie Gallez baut eine judenchristliche Linie zu Mohammed als Propheten des Messias auf. Mit dem offensichtlich bei einigen (christlichen) Forschern recht beliebten Bezug auf syrisch-aramäische Sprachverwandtschaften versuchen Christoph Luxenberg und Karl-Heinz Ohlig durch eine Art „Verchristlichung“ die eigenständigen Religionsgründung Mohammeds faktisch abzuwerten. Tilmann Nagel bezieht sich mit seiner Kritik auf einen kämpferischen sich abgrenzenden Mohammed, dessen Historizität nicht zu bezweifeln ist.
Das Kapitel 2 ist aufgrund dieser Vorarbeiten einem ausführlichen Vergleich gewidmet, in dem die biografischen, politischen und literarischen Besonderheiten vorgestellt werden. Es sei darum hier aus dem Inhaltsverzeichnis eine Gegenüberstellung Jesus mit 11 Schwerpunkten und bei Mohammed mit 10 Gesichtspunkten vorgenommen:

        Jesus                                                                    Mohammed

1.    Die Wurzeln in Nazareth (S. 180ff)                  3.  Die Berufung Mohammeds (S. 256ff)
2.    Johannes der Täufer und Jesus (S. 186ff)
3.    Die Armen und die Jüngerschaft (S. 194ff)
4.    Die Reich-Gottes-Verkündigung (S. 203ff)       4.  Ankündigung des nahen Endes (S. 259ff)
                                                                           5.  Die Gerichtspredigt (S. 262ff)
5.    Wunder                                                                   —
6.    Ethik (S. 214ff)                                             8.  Der Blick auf Muhammad, bes. S. 282–288
7.    Der Konflikt (S. 219ff)                                   6.  Konflikt mit den ungläubigen Polytheisten
8.    Der Abschied (S. 225ff)                                 9.  Bei „Der Krieger“ (S. 288ff)
                                                                               nur kurzer Hinweis auf seinen Tod (S. 293)
9.    Das Ende am Kreuz (S. 230ff)                                         —
10.    Ostern (S. 235ff)                                                          —
11.    Wer war Jesus? (S. 241ff)                          10.  Die Vita Muhammads (S. 292ff)

Schon diese grobe Nebeneinanderstellung markiert, dass ein Vergleich der beiden „Religionsstifter“ erhebliche Lücken aufweisen muss. Auch haben beide eine unterschiedliche Zielrichtung gehabt. Mohammed ist der einzige Gründer einer universalen Religion, der zugleich Staatsmann war und auch Kriege führte. Dennoch fasziniert das Nebeneinanderstellen zweier unterschiedlicher „Persönlichkeitstypen“. Gnilka versucht bei der Abgrenzung der beiden nicht, den Gottessohn Jesus ins Spiel zu bringen. Das Besondere des Nazareners ist seine Identifizierung als Person mit seiner Botschaft. Jesus „ist letztlich die Mitte seiner Botschaft“ (S. 297f).
So merkt man dem Autor bei der zusammenfassenden Parallelisierung am Schluss an, dass er gerade durch diese Unterschiedenheit der Jesus- und Mohammed-Bilder eine Bereicherung im christlich-islamischen Dialog sieht. Nach der Lektüre dieses Buches dürften aufmerksame Leser/innen die Sackgassen und Chancen gegenseitigen Verstehens klarer vor Augen haben. 
In durchaus ähnlicher Weise hatte Joachim Gnilka schon Jahre zuvor einen ersten wesentlichen Schritt bei der Parallelisierung von Bibel und Koran getan:

Joachim Gnilka: Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt.
Freiburg u.a.: Herder 2004, 216 S. Register — ISBN 3-451-28316-6
Neuauflage (= 7. Aufl.) als Herder spektrum 6218, 2010, 224 S. — ISBN 978-3-451-06218-6

                        Der christlich-islamische Dialog ist eine wichtige Voraussetzung, um Vorurteile abzubauen und Verständigung nicht nur zu ermöglichen, sondern auch zu verstärken. Inzwischen befindet sich eine Fülle von Einführungsliteratur zum Islam auf dem Buchmarkt. Das ist zwar insgesamt zu begrüßen, aber viele dieser “Einstiegsbücher” können wichtige Themen wie die der Koran-Interpretation nur anreißen. Deshalb ist das Buch des emeritierten Professors, Joachim Gnilka (geb. 1928) für Neues Testament an der Universität München umso mehr zu begrüßen, weil hier ein renommierter Bibelwissenschaftler die Grenzen seiner eigenen Disziplin überschreitet und mit seinem methodischen Handwerkszeug einen sachlichen Umgang mit den Glaubensurkunden von Islam und Christentum aufbaut.
Ganz im Sinne seiner exegetischen Voraussetzungen beleuchtet der Autor zuerst den historischen Hintergrund von Juden und Christen in Arabien vor dem Auftreten Mohammeds, stellt dann Mohammed und Jesus gegenüber und zeigt sehr schön, durch welche “Brillen” die jeweiligen Anhänger des einen Glaubens die “Andersgläubigen” sehen. Das gilt übrigens bis heute, wo nicht nur Christen manches im Koran als fremd ansehen und Muslime mit bestimmten Aussagen des Neuen Testaments schwer etwas anfangen können (z.B. die Kreuzigung Jesu). Von daher ist es wichtig, dass der Autor jeweils auf die Grundverständnisse der jeweiligen Texte in ihrem (historischen) Zusammenhang eingeht, dabei die unterschiedliche Entstehung und Wertschätzung von Bibel und Koran heraushebt, um dann einige (keineswegs alle) gemeinsame theologischen Themen so zu betrachten, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten gerade den Reiz ausmachen, wenn die Texte der jeweiligen Glaubensbücher interpretiert werden. Schade nur, dass er auf die wichtigen Arbeiten von Karl-Josef Kuschel gerade unter trialogischen Gesichtspunkten keinerlei Bezug nimmt.
Schwerpunkte bilden in diesen religionsvergleichenden Kontexten: Schöpfer und Schöpfung, Offenbarungsverständnisse, Jesulogie und Christologie im Neuen Testament sowie im Koran, die unterschiedliche Berufung von Juden, Christen und Muslimen auf Abraham, das Menschenbild auch im Kontext der ethischen Weisungen, die Eschatologie und schließlich die heiklen Relationen von Geboten und sog. Heiligem Krieg. Bei allem jedoch bleibt Gnilka Exeget, so dass man ihm durchaus zustimmen kann, wenn er den Gewaltaspekt, der in einer Reihe von koranischen Aussagen durchzuschimmert, hermeneutisch unter die Sure 5,32 stellt, um damit klar zu machen, dass auch die islamischen Koran-Exegeten noch einen weiten Weg vor sich haben, damit Krieg im Sinne von Engagement und Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterentwicklung eindeutig in nicht-militärischer Richtung verstanden werden kann.
In der Verlagswerbung der Erstauflage von 2004 hatte es geheißen: „Vorurteile, Unkenntnis und Angst prägen die aktuelle politische Debatte um den Islam. Ein sachlicher Umgang der Kulturen miteinander ist drängender denn je. Joachim Gnilka leistet dazu einen unverzichtbaren Beitrag. Er analysiert Verbindendes und Trennendes in Koran und Bibel: im Menschen- und Gottesbild, bei Mohammed und Jesus, und bezieht dabei auch den historischen Hintergrund gegenseitiger Wahrnehmung mit ein.“ Diese Kurzcharakteristik bleibt auch 11 Jahre nach dem Erscheinen der 1. Auflage noch aktuell.

Die Rezension zu “Bibel und Koran” erschien zuerst in. Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.):
Wegmarken zur Transzendenz. Interreligiöse Aspekte des Pilgerns.
Religionen im Gespräch, Bd. 8 (RIG 8). Balve: Zimmermann 2004, S. 495–496 (bearbeitet)

                                                                                                                     Reinhard Kirste

Eine neue Generation von islamischen Schulbüchern, Unterrichtshilfen und Anleitungen zur Koran-Lektüre

Zwar gibt es noch immer Hürden für die Einführung eines Islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen, aber die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien aus islamischer Sicht kommt gut voran. Neben einer Reihe von Unterrichtshilfen, die oft christliche und islamische Religionspädagogen und Pädagoginnen gemeinsam entwickeln, gibt es inzwischen auch zwei Zeitschriften:

ISLAMISCH-RELIGIONSPÄDAGOGISCHE ZEITSCHRIFTEN
Diese geben zwei islamische Studienzentren geben im Sinne einer ergänzenden und begleitenden Information und zur Dokumentation von religionspädagogischen Forschungsegebnissen als Online-Zeitschriften heraus:

  • Das Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre der Universität Erlangen- Nürnberg unter Leitung von Prof. Dr. Harry Harun Behr gibt als konkrete Hilfestellung die Zeitschrift für die Religionslehre des Islam (ZRLI).
  • Zentrum für Interkulturelle Islamstudien (ZIS) – Studiengang für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück unter der Leitung von Prof. Dr.phil. Bülent Ucar und Prof. Dr. Rauf Ceylan: http://www.irp.uos.de/     mit der international ausgerichteten Zeitschrift HIKMA – Zeitschrift für islamische Religionspädagogik

RELIGIONSBÜCHER
Nachdem das für das 5./6. Schuljahr ausgewiesene Buch “Saphir 5/6” (Kösel-Verlag) schon sehr wohlwollende Aufnahme fand und auch schon staatlich mehrfach genehmigt wurde , hat es auch den Ehrenpreis für das beste europäische Schulbuch 2009 gewonnen.  — Rezension hier —
Der Folgeband Saphir 7/8 erschien im Herbst 2011 und ist eine konsequente Weiterentwicklung von Saphir 5/6. — Rezension hier —

Die genannten Grundschulbücher sind bereits für Nordrhein-Westfalen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zugelassen.

In Berlin ist dagegen das von der Senatsverwaltung in Auftrag gegebene Handbuch “Islam und Schule” trotz langer, aber eben auch kontrovers geführter Vorbereitung für die Praxis offensichtlich nicht sonderlich empfehlenswert, wie der Tagesspiegel berichtet.

MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT
MIT ANLEITUNGEN ZUR KORANLEKTÜRE
Ausgesprochen empfehlenswert ist das mit Erfahrung und praktischen Beispielen gesättigte Heft mit “Modellen für religiöse Feiern in der Schule”, das der Deutsche Katechetenverein (DKV) herausgebrachte und für den die Religionslehrerin und Fachreferentin Maria Holzapfel-Knoll und der Religionspädagoge Prof. Dr. Stephan Leimgruber verantwortlich zeichnen: Gebete von Juden, Christen und Muslimen.

Daneben erfreuen sich weitere neuere  Unterrichtsmaterialien einzelner Autoren und Autorengruppen einiger Beliebtheit. Dazu gehört weiterhin aus der Reihe der “Calwer Materialien”: Haus des Islam. Einblick und Einsichten (ISBN 978-3-7668-4060-8, mit Rezension), das gerade für den Unterricht viele didaktisch gut aufbereitete Anregungen und Geschichten für die Sekundarstufe II bietet und bis in die Koran-Zitate durch ein kompetentes Autorenteam (Religionspädagogen und Islamwissenschaftler) intensiv bearbeitet wurde.
Überdies wären etwa zu nennen:
“Lehr- und Arbeitsmaterialien für den Islamunterricht 5/6”.

Hinzu kommen reich illustrierte Materialbände, wie der zum Islam von dem Religionswissenschaftler-Ehepaar Monika und Udo Tworuschkka aus der Reihe “Die Welt der Religionen” erschien. — Rezension hier —

Lehrer online stellt mit Hilfe lebensnaher Geschichten vor:
5 Säulen des Islam als komplette Unterrichtseinheit 
– besonders geeignet für Sekundarstufe I (Autoren: Ahmet Arslan / Duran Terzi)

ANLEITUNGEN ZUR KORAN-LEKTÜRE FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER

Weltreligionen entdecken – Arbeitsbücher nicht nur für die Sekundarstufe II

Der Theologe und Didaktiker Werner Trutwin – mit langjähriger Schulerfahrung – hat die bisherige Reihe der Arbeitsbücher “Die Weltreligionen” völlig neu bearbeitet. Diese aktualisierte Fassung von Unterrichtsmaterialien ermöglicht Lehrenden eine gute Hinführung zu den einzelnen Welteligionen und älteren SchülerInnen eine eigenständige Vorbereitung für den Unterricht. Die Hefte eignen sich nicht nur für den Religionsunterricht aller Konfessionen und Religionen, sondern auch für Ethik, Philosophie, Geographie und Kunst.

     Werner Trutwin:
Weltreligionen. Arbeitsbücher Sekundarstufe II:
Religion – Ethik – Philosophie

Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus
Berlin: bsv-Patmos 2011
— Rezension hier —