Achim Hubel; Manfred Schuller: Der Dom zu Regensburg.
(Kunstdenkmäler von Bayern nf 7)
5 Bände. Regensburg: Pustet 2010 – [2015].
ISBN 978-3-7917-2337-2
Band 1. {xx], 484 S.
Kathedralen des Mittelalters: Generationen von Regensburgern verausgaben ihr Geld für das Schmuckstück Dom
Zusammenfassend:
Nicht nur für Regensburg-Fans, sondern für jede und jeden, die/der an Architektur, an der Religion und Kirchen interessiert ist: Hier erscheint das monumentale Buch über eine gotische Kathedrale, wie es sie noch für keine andere gotische Kathedrale gibt. Die ganze gotische Kunst des späteren Mittelalters, die legendären Baumeister mit ihrem Wissen (von dem die Freimaurer schwärmten) wird hier beispielhaft in einem 5-bändigen Werk beschrieben. Nüchtern, Wissenschaft, präzise Beschreibung der Gattung ‚Kunstdenkmäler’. Also alles bis ins Detail dargelegt und belegt. Und im Detail wird es spannend. – Hier Band 1.
Im Einzelnen der Band 1: Textband 1.
Nach dem wunderbaren Riesenband 5, wo man mit Katarina Papajanni den Dom wachsen sehen konnte,[1] und der umfassenden Fotodokumentation Band 4, 2012, der alles aus nächster Nähe mit der Kamera festhalten konnte, was man sonst nur aus der Entfernung sehen kann, denn der Dom war in der Zwischenzeit sowohl von innen wie von außen durch Gerüste auf Augenhöhe zu betrachten, nun der erste Textband (von drei). Auf die Abbildungen in den beiden Bänden beziehen sich die Verweise in den Texten.
Die beiden Hauptautoren Achim Hubel und Manfred Schuller erzählen im Rückblick, wie aus einem kleinen Projekt ein immer größeres wurde, aus zunächst drei Jahren dank unerwarteter Chancen zu Detailforschung sind es nun 25 Jahre Forschung geworden. In der Zeit hätte man sicher den Dom nicht bauen können. Man denkt immer, der Bau von Kathedralen dauerte viele Generationen. Aber die riesige Kathedrale von Amiens war nach 25 Jahren schon komplett benutzbar! (S. xi-xviii). In dem ausführlichen Dokumentationsband haben acht weitere Spezialisten die Quellen gesammelt und erklärt zu folgenden Fragen:
Was sagen die mittelalterlichen Urkunden und Chroniken über den Bau des Domes, der das Schmuckstück der Stadt werden sollte (Johann Gruber, S. 1-28), beginnend mit dem Großbrand, der 1273 den alten Dom im romanischen Stil zerstörte? Das Unglück der Bischofskathedrale als Teil des Klosters St. Emmeran (kurz Karl Schnieringer, 361f) war aber nicht unwillkommen, machte er doch Platz für einen neuen Dom im gotischen Stil, finanziert durch einen Ablass. Die Baugeschichte berichtet im Überblick MS (363-380); sein weiteres Schicksal vom Spätmittelalter bis in die Barockzeit hinein (381-392) betrifft vor allem die Frage, wie man die Türme vollenden kann. Die Türme sind in fast allen gotischen Kathedralen die Herkules-Aufgabe, an der die meisten verzweifelten. Die meisten Türme, die als Wahrzeichen der in den Himmel ragenden gotischen Baukunst gelten, sind erst im 19. Jahrhundert vollendet worden:[2] die des Kölner Doms, der höchste Turm in Ulm, so auch in Regensburg (393-412 Isolde Schmitt). Von den notdürftigen flachen Kappen macht man sich in den Abbildungen im Zeitalter vor der Fotografie ein wenig erhebendes Bild (AH 253-338, manchmal geschönt zu Türmen, die es in der Realität nicht gab). Doch gab es Spezialisten, die von sich behaupteten, sie könnten solche luftigen Wolkenkratzer bauen, ohne dass sie – was oft genug passierte – im Bau wieder zusammenfielen. Mit Plänen auf Pergament reisten sie zu den großen Baustellen. Auch für Regensburg sind solche Pläne erhalten (339-350 Johann Josef Böker), die zentrale Fensterrose als Schmuckstück auch noch farbig ganz vorne S. x abgebildet. Der Aufriss mit zwei Türmen müsse 1381 beim Baubeginn der Fassade vorgelegen haben. Böker sieht ihn, ebenso wie den Aufriss mit nur einem Turm in engem Austausch mit den Meistern aus der Familie Parler, die den Veitsdom in Prag bauten.[3] Der Aufriss mit nur einem Turm geht nach Meinung des Verfassers so weit an den bereits vorhandenen Bauteilen vorbei, dass er ihn für das erste Plankonzept der Familie Parler zum Ulmer Münster hält. Folglich sei auch die Regensburger Fassade von den Parlern, von Heinrich Parler vor seiner Berufung nach Mailand um 1380, entworfen worden – obwohl ein Aufenthalt in Regensburg nicht bekannt ist. Die Herausgeber widersprechen ausdrücklich (S. xi). Wie viele Meister am Dom mitbauten, das sieht man an der Vielfalt der Steinmetzzeichen, von denen einige mit dem Siegel nachgewiesener Regensburger Steinmetzen übereinstimmen (Friedrich Fuchs 413-458, 448f): 10 000 Zeichen lassen sich 800 verschiedenen Zeichenbesitzern zuordnen. Man kann sie nach Zeit und nach Häufigkeit unterscheiden in kurzzeitig beschäftigte Steinmetze, v.a. auf dem Höhepunkt im Jahrzehnt vor Zunahme von 58%, von langfristig am Dom arbeitenden Meistern.
Und ein Dom kostet Geld. Die Baurechnungen haben sich erhalten, davon sind für diesen Band zu den bisher vier 16 neue bekannt und ediert worden, die älteste von 1380/85 und bis 1538; insgesamt ist das aber nur eine lückenhafte Überlieferung. Die Edition umfasst fast die Hälfte des Bandes, S. 29-240.[4] Ein besonderes Stück ist der Werkmeistervertrag mit dem Architekten Wolfgang Roriczer 1495 (Peter Morsbach 241-246): Wofür der Architekt verantwortlich ist vom Steinbruch bis zu den Glasfenstern. Dann die Arbeitsbedingungen und Anwesenheitspflichten. Der Architekt darf Nebentätigkeiten annehmen, aber in sehr begrenztem Maße. Schließlich ist die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geregelt. Die Bauherrn behalten sich vor, ihrerseits jederzeit einen anderen Architekten zu berufen.
Einer der wohl bedeutendsten Kenner der europäischen Gotik, der Kunsthistoriker Peter Kurmann, beschreibt den Gesamtbau (351-360): „Der Regensburger Dom ist fast die einzige Kirche Deutschlands östlich des Rheins, die den in Frankreich geschaffenen Typus der „klassischen Kathedrale“ bis in alle Details hinein verkörpert.“ (351). Im Vergleich zu den französischen Vorgängern Amiens (1220) und Saint-Denis (1232) erläutert er das Besondere des Regensburger Doms – ein hervorragendes Kapitel!
Der Modellfall Dom in Regensburg ist genauestens ein großes Stück weiter beschrieben. Der Rezensent ist gespannt auf das Kapitel zur Liturgie, das das religiöse Leben im Dom sichtbar machen wird. Regensburg steht für viele Kathedralen, aber nur dort haben zwei Forscher die ganze Arbeit geleistet.
7. März 2014 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen
[1] Meine Rezension http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2011/03/06/der-dom-zu-regensburg-von-achim-hubel-und-manfred-schuller/ Die Hauptautoren im Folgenden der Kürze halber mit den Initialen abgekürzt.
[2] Christoph Auffarth: Das Mittelalter re-konstruieren: Dome. Von der aufgeklärten zur nationalen Religion. In: Sonja Kerth (Hrsg.): Vergangenheit als Konstrukt. Mittelalterbilder seit der Renaissance. (Imagines medii aevi 30) Wiesbaden: Reichert 2012, 103-124.
[3] Das Zeitalter der Parler thematisierte eine Kölner Ausstellung mit einem das europäische Netzwerk und seiner Nachahmer umfassenden Katalog in vier Bänden und dem Kolloquium Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Köln 1978; 1980.
[4] Ausführlicher die Edition der Rechnungen für den St. Viktor-Dom in Xanten (3 Bände, ed. Dieter Lück 1993. Hans Peter Hilger, 1975. Carl Wilkes, 1957. Stephan Beissel: Die Bauführung des Mittelalters. Studie über die Kirche des hl. Victor zu Xanten. [Bau, Geldwerth und Arbeitslohn, Ausstattung] ²1889.