Susanne von Braunmühl , Britta Kuß , Rabeya Müller , Oliver Petersen , Amin Rochdi , Melek Yildiz ,
Akademie der Weltreligionen Universität Hamburg (Hrsg.) , Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (Hrsg.) , Pädagogisch-Theologisches Institut der Nordkirche (Hrsg.)
Interreligiös-dialogisches Lernen ID Band 1
Wer bin ich? – Wer bist du?
Unterrichtsmaterialien für die Grundschule mit CD-ROM.
ISBN: 978-3-466-50831-0
€ 19,99
Kösel-Verlag
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Dies ist der erste Band der Reihe „Interreligiös-dialogisches Lernen“. Diese Reihe ist unter der Federführung von mehreren Hamburger Personen und Institutionen konzipiert: Akademie der Weltreligionen: Prof. Wolfram Weiße, Landesinstitut für Lehrer Bildung und Schulentwicklung: Prof. Josef Keuffer, Pädagogisch-Theologisches Institut Nordkirche: Hans-Ulrich Keßler. Projektkoordinator: Jochen Bauer.
Mit diesen Unterrichtsmaterialien wird ein bemerkenswertes neues Kapitel bei den Arbeitsmaterialien für Religion geschaffen. Es geht um die Frage nach der Identität im Kontext einer Schule, die sich bewusst inklusiv versteht und darum auch interreligiösen Unterricht durchführt. Die Autorinnen sind die Hamburger Religionspädagoginnen Susanne von Braunmühl und Britta Kuß. Sie haben von weiteren Mitautoren Unterstützung bekommen: Rachel Herweg (Judentum), Rabeya Müller (Islam), Oliver Petersen (Buddhismus), Amin Rochdi (Islam) und Melek Yildiz (Aleviten).
Als didaktisch-methodischer Anknüpfungspunkt dient in breitem Maße die Metapher von einer Seefahrt. Hier werden auf kindgemäße Weise praktische Elemente eingesetzt, die den Kindern vom Schulbeginn an helfen, sich in der neuen Welt Schule gut zurecht zu finden. Dazu gehört die Frage nach dem Woher und Wohin, nach Regeln und Fähigkeiten, die im sozialen Feld gebraucht werden.
Die inhaltlichen Kernpunkte werden mit „Sechs Inseln“ beschrieben:
1. Was macht mich einmalig?
2. Was fühle ich?
3. Wer beschützt mich?
4. Was ist mir wichtig?
5. Wie können wir gut miteinander leben?
6. Welche (religiösen) Feste feiern wir?
Hier ist die Frage nach der Identität ein durchgängiges Anliegen und wird auch vielfältig auf den religiösen Kontext bezogen. Dass dies den AutorInnen sehr wichtig ist, zeigt sich in den einführenden Kapiteln zu diesem Thema und zur Didaktik. Ein prozessualer Identitätsbegriff wird erarbeitet und begründet (6-9). Der didaktische Ansatz ist klar an Fragen und Erfahrungen der Kinder orientiert. Den großen religiösen Erzählungen der Menschheit wird zugetraut, dass sie – in kindgemäßer Sprache – „rote Fäden finden, die sie in eigene Erfahrungen und Lebensfragen einfädeln können“ (9). Den Kindern wird in altersgemäßer Weise Religion in pluraler Form vorgestellt. Denn in den allermeisten Schulklassen finden sich Schülerinnen und Schüler unterschiedlichster religiöser Prägung. Nicht zu vergessen: die am stärksten wachsende Gruppe in der Gesellschaft und in der Schule ist die Gruppe der Nicht-Konfessionellen. Diesen Bedingungen gesellschaftlichen Wandels muss die Schule Rechnung tragen. In einigen Bundesländern werden daher inzwischen Konzepte eines gemeinsam verantworteten Religionsunterrichts entworfen und durchgeführt, der nicht mehr nach Konfessionsgruppen trennen. Dabei wird berücksichtigt, dass Familie der „primäre Ort der (nicht-)religiösen Sozialisation und Identifikation mit bestimmten Traditionen ist“ (12). Aufgabe der Schule ist es nicht, zu einem bestimmten Glauben zu erziehen, sondern Kindern zu helfen, „eine eigene Haltung zur Religion“ zu entwickeln. Damit ist der fachliche und identitätsbezogene Bildungsanspruch eines solchen Religionsunterrichts mit Auftrag und Grenzen klar gekennzeichnet. Heterogenität ist hier eine pädagogische Herausforderung, bei deren Bewältigung Religion eine integrierende Rolle spielen kann. Beim Lesen des Buches spürt man, die Autorinnen haben es sich dabei nicht leicht gemacht. Die Arbeitsmaterialien sind nach klarem, durchgängigem Konzept erstellt und beziehen den vielfältigen Unterrichtsprozess kunstvoll ein. Die Texte sind nach dem Prinzip der Leichten Sprache gestaltet, ein wesentlicher Aspekt! Basteln, Gestalten, Sprechen, Hören und Lesen sind einige der vielfältigen Arbeitsformen, die zumeist in Stationenarbeit erledigt werden. Damit wird eine konsequente Individualisierung und Kompetenzorientierung angestrebt. Die Ziele werden offen gelegt, dafür dient die „Ich-kann-Seite“ (23).
Natürlich muss hier auch Yannie erwähnt werden. Eine Papageien-Handpuppe. Yannie hat schon einiges im Leben durchgemacht und in den Wirren eines Schiffbruchs sogar seine Identität verloren! Er gibt aber nicht auf, sondern will sich mit den Kindern gemeinsam den großen und den kleinen Fragen widmen (vgl. 26). Dazu gehören auch die Themen: Gefühle, Angst, Mut, Traurigkeit und Glück.
Allmählich treten dann einige Worte bzw. Geschichten der Religionen in den Vordergrund. Als Beispiele seien hier genannt:
- der Dank für die Erschaffung des Menschen aus biblischer und koranischer Sicht (50)
- eine Geschichte zum Thema Angst aus dem Buddhismus (60)
- Mutmach-Worte aus den Religionen
- Glücklich sein – die Geschichte von Siddharta
- Mut und Glaube: Daniel in der Löwengrube (87)
- Worte, die gut tun (92)
- Die golden Regel in den Religionen (107)
Die Arbeitsblätter sind sehr ansprechend gestaltet und stehen auch auf der beiliegenden CD als PDF-Datei zur Verfügung. Darüber hinaus bietet die CD noch reichhaltiges Bildmaterial, vor allem um damit die so genannten „Lapbooks“ zu gestalten. „Lapbooks (Klappbücher“ sind Bücher, in denen sich die Kinder kreativ bastelnd und schreiben mit einem Thema beschäftigen“ (114).
Man darf gespannt sein, welche Unterrichtserfahrungen mit diesem neuen Unterrichtsmaterial für die Klassen 1-3 gemacht werden. Und auch, wie der Folgeband für die 4. Klasse der Grundschule aussehen wird! Bei den religiösen Texten haben Vertreter der Religionsgemeinschaften aktiv mitgearbeitet und damit signalisiert, dass sie gemeinsames Lernen im Fach Religion für durchführbar halten! Das muss betont werden, weil der Tenor der Äußerungen in der politischen Diskussion dazu meist anders klingt. Oft wird vorschnell gemutmaßt, ein solcher Unterricht betreibe religiösen Mischmasch und führe bei den Kindern zu religiösem Synkretismus. Erfahrungen aus einem Unterricht mit religiöser Vielfalt zeigen vielmehr, dass Kinder hier ihre Wissensfragen und ihre Neugier auf Fremdes direkt einbringen können und im Dialog mit anderen, Kindern und kundigen Lehrkräften, Kenntnisse und Kompetenzen erwerben.
Diese Unterrichtsmaterialien für die Grundschule fordern einer Lehrkraft einiges ab. Man muss sich auf neues Terrain begeben (sozusagen „aufs Wasser“), bereit sein, sich mit anderen Religionen auseinander zu setzen. Das Konzept von „Wer bin ich? Wer bist du?“ kann man sich nicht über Kopieren der hervorragend gestalteten Arbeitsblätter aneignen, hier muss man sich schon tiefer einlassen. Aber das scheint lohnenswert! Mit der Beachtung des inklusiven und interreligiösen Ansatzes kann ein so vorbereiteter Unterricht über die Grenzen des kleinen Faches Religion in der Schule wirken und seine deutlichen Spuren hinterlassen.
An einigen Stellen erhalten die Leser Hinweise auf Fachliteratur/Links aus den verschiedenen Religionen. Das ist gut so, denn noch kann man nicht davon ausgehen, dass religiös vielseitig ausgebildete Lehrkräfte in den Schulen wirken. Vielleicht kann der Verlag auf den Informationsseiten zum Interreligiös-dialogischen Lernen hier Ergänzungsmaterial anbieten. Bei einem Nachdruck sollte dieser Fehler korrigiert werden: David und Goliat findet man in der Bibel in 1 Samuel 17, nicht in Genesis 4 (60).
Die seefahrttechnische Anlage des Buches weist unübersehbar darauf hin, dass die Autorinnen über persönliche entsprechende Kenntnisse verfügen. Ihnen kann man sich auch bei diesem innovativen religionspädagogischen Selgeltörn anvertrauen!
Dr. Manfred Spieß
Universität Bremen
Religionswissenschaft/Religionspädagogik
8.9.2014