Septuaginta Deutsch
Hrsg. von Wolfgang Kraus; Martin Karrer
Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2008
1536 S. 59 Euro
Eine Rezension von Christoph Auffarth
1. Septuaginta heißt die griechische Übersetzung des Ersten Testaments. Die Bedeutung der Septuaginta für die Hebräische Bibel ist kaum zu überschätzen. Das hat zwei Gründe:
(1) Sie bildet das bei weitem älteste Zeugnis, vor jeder hebräischen Handschrift, noch vor den Schriften der Bibel, die sich unter den Qumran-Texten befinden. Die Unterschiede zur viel späteren hebräischen Überlieferung und seiner Deutung durch die Masoreten (die durch die Vokalzeichen manches vieldeutige Wort eindeutig machten) sind Wegweiser zu einer älteren Überlieferungsschicht.
Chronologie:
– [Hebräische Bibel ohne Vokalisierung, d.h. viele Wörter sind mehrdeutig]
– Die Septuaginta 250 v.Chr., so der Aristeas-Brief (oder später bis ins 2. Jh., vgl. Kapitel B bei Brodersen) –
– Die Schriftrollen aus Qumran aus der Zeit von etwas nach der Septuaginta bis zur Zerstörung der Siedlung 68 n.Chr. –
– Die Masoreten legen die Bedeutung der biblischen Wörter fest durch Vokalzeichen, zwischen 780 und 930 n.Chr.
(2) Die Septuaginta enthält Texte, die gar nicht mehr auf Hebräisch verfasst wurden, sondern nur auf Griechisch. Sie ist damit ein Zeichen für den Prozess des Wachsens und Erweiterns des Kanons. Und der Veränderung der Gemeinden, die das Erste Testament lasen. Zum einen verstanden viele von denen kein Hebräisch mehr. Aber sie zeigt auch, dass sie nach anderen Texten verlangten und neue Texte integrierten, die eher dem neuen historischen Bedingungen entsprachen. Weisheitstexte, Teile des Danielbuches, das demnach eines der ganz späten Bücher des Ersten Testamentes darstellt.
(3) Generationen Göttinger Theologen haben sich der mühsamen Aufgabe unterzogen, den grie-chischen Text aus den vielen Handschriften kritisch-vergleichend herauszugeben, besonders Alfred Rahlfs und Robert Hanhart, davor de Lagarde, seither Aijemlaeus (um nur diese zu nennen), eine kleine Ausgabe, die verbesserte von Rahlfs (1935) steht seit langem zur Verfügung (²1979). Das war aber immer ein Werk, das wenig Beachtung fand, etwas für Spezialisten. Oder genauer: In der orthodoxen Kirche ist der griechische Text so maßgeblich, wie im Westen es die lateinische Vulgata war. Im Westen stand die Septuaginta (oder abgekürzt mit den lateinischen Zahlzeichen LXX für die septuaginta „Siebzig“) immer im Schatten. Jetzt ändert sich das grundlegend: Es gibt Tagungen, Sammelbände und nun die Übersetzung, die hier anzuzeigen ist, greifbar für alle.
2. Darüber hinaus besitzt die LXX ihren eigenen theologischen und kulturgeschichtlichen Wert. An folgenden Beispielen sei das erläutert:
(1) ein charakteristisches Element ist das Phänomen der zunehmenden Eschatologisierung des jüdischen Denkens in hellenistischer Zeit. In der LXX hat es an einigen Stellen Niederschlag gefunden, so besonders prominent in der Prophezeiung des Bileam in Numeri 24, wo nach der LXX-Version in Numeri (nach protestantischer Tradition liest der linke Kolumnentitel 4. Buch Moes, rechts das griech. Arithmoi) 24,7.17 das Kommen eines anthropos erwartet wird, der Israel errettet; dies ist – obwohl strittig – m.E. nicht anders als messianisch zu verstehen, zumal auch Genesis 49,10 eine ähnliche Interpretation aufweist.
(2) Ein Text mit ganz besonderer Wirkungsgeschichte ist schließlich die Weissagung in Jes 7,14, die im hebräischen Text von der zeitlich nahen Geburt einer „jungen Frau“ handelt, in der LXX aber auf eine endzeitliche Jungfrauengeburt des Erlösers verweist. Eine umfassende Exegese zeigt, dass das gesamte Kapitel zu einer Heilsansage umgestaltet wurde. Kein Wunder also, dass die Urgemeinde die Aussage von der Jungfrauengeburt auf Jesus übertragen hat, obwohl diese Erwartung nicht zur ältesten Überlieferung gehört, wie der Formulierung des Paulus in Galater 4,4 (genómenon ek gynaikós) eindeutig zu entnehmen ist. [ref] Martin Rösel: Die Septuaginta. In: Brücke der Kulturen. „Übersetzung“ als Mittelund Ausdruck kulturellen Austauschs. Hrsg. vom Hans Jürgen Wendel u.a. Rostock 2002, 217-250. [/ref] Ein paar wichtige Begriffe und Besonderheiten der LXX gegenüber dem hebräischen Text sind knapp angedeutet, sollen in dem für nächstes Jahr angekündigten Erläuterungsband ausführlicher dargestellt werden.
(3) Die Neubewertung der Prophetie → Die Bücher der Propheten stehen nicht mehr – wie im hebräischen Kanon im Zentrum, sondern sind an das Ende gestellt: Im christlichen Verständnis der direkte Anschluss an die Prophetie des neuen und letzten Propheten Jesus. Aber schon die LXX hat das so verändert: Ein Zeichen für das Erstarken der apokalyptischen Bewegung nicht nur im Judentum, sondern auch in der ägyptischen Literatur (Bernd Schipper hat diese Texte 2002 herausgegeben).
(4) Das Wort „Bund“ hebr. berith etwa „zweiseitiger Vertrag“ wird griechisch mit diatheke übersetzt. Das ist eine ganz andere Vorstellung, nämlich eine einseitige Verfügung oder eben ein Testament. → Genesis 6, 18 und Sirach 11,20.
(5) Die Opferterminologie ist eigentümlich; das griechische Wort für Brandopfer hat mittlerweile seine ganz eigene Geschichte Holokaust. Für Altar unterscheidet die LXX streng zwischen ‚heidnischem’ Altar bomós und dem einzigen Gottesaltar im Jerusalemer Heiligtum, für den sie einen Neologismus prägt Thysiaterion. → Lev. 1,1.
(6) Reinheit und Gefährdung → Lev 10,10. Für Religionswissenscahftler ein zentrales Stichwort, das Mary Douglas’ Theorie leitet.
(7) Die Eigenheit der Verwandtschaft von Juden und Spartanern, die ganze hellenistische Vorstellungswelt einschließlich der Hofterminologie ausgerechnet in den Makkabäerbüchern → 1 Makk 1,7. Sie gehören zu einer Gattung von dramatischen Erzählungen aus der Geschichte, die die klassisch-antiken Leser verschlangen und in der Europäischen Religionsgeschichte intensiv rezipiert wurden: Neben den Makkabäern die Judith und Holofernes-Geschichte, die Ester-Erzählung usf. In der protestantischen Tradition dagegen wurden sie aus dem Kanon entfernt und als Apokryphen marginalisiert.
(8) Hymnischer Stil in Prosa in den Psalmen → Psalm 1,1.
(9) Weisheit nach griechischer Terminologie → Weisheit (S. 933 f), die zu einer eigenen und sehr beliebten, vielfach erweiterten Literaturgattung wird.
(10) Neubewertung des „Gesetzes“ bzw. der Tora: Der Aristeas Brief nennt als Ziel der Übersetzung, dass der ägyptische König eine Übersetzung der Verfassungen aus allen Ländern der Welt haben wollte, um die eigene zu optmieren. Auch wenn es klar ist, dass das nicht der alleinige Grund sein kann und die Übersetzung von verschiedenen Autoren wohl auch zu verschiedenen Zeiten vorgenommen wurde, zeigt sie doch ein neues Verständnis der Tora an, die nun nicht mehr nur für Juden exklusiv von Bedeutung ist. Sie ist ein Kulturgut an die klassische Antike.
(11) Umgekehrt finden sich Homerzitate in der Übersetzung → Ez 27,5.
Angekündigt ist für das kommende Jahr ein entsprechender Kommentar-Band im gleichen Verlag der Deutschen Bibelgesellschaft.
3. Die neue deutsche Übersetzung der Septuaginta gibt wieder:
Die Septuaginta in ihrem vollen Bestand. Die Abweichungen vom (masoretischen) hebräischen Text sind mit kursiver Schrift angezeigt, sei es dass die LXX ein Wort anders versteht oder mehr übersetzt, was im heutige hebräischen Text nicht zu finden ist. Wenn das Umgekehrte der Fall ist (der hebräische Text ist ausführlicher als der griechische), dann ist das durch ein hochgestelltes Pluszeichen angezeigt. Am Ende des jeweiligen Textabschnitts („Perikope“) sind Texte zitiert, die in Beziehung stehen zu diesem Text. Wenn es zwei griechische Fassungen gibt, dann sind sie in Spalten nebeneinander synoptisch gedruckt, wie zB das Buch Tobit, einem Buch das in der Europäischen Religionsgeschichte eine enorme Bedeutung genießt (der Schutzengel). Warum die rein griechisch überlieferten Bücher dann nicht ganz kursiv gedruckt sind, ist inkonsequent. Wertvolle kurze Einführungen geben ganz knapp vorzügliche Informationen, die für das Verständnis dieses Buches innerhalb der Biblia (Plural: „die Bücher“; erst spät zu dem femininum singular geworden) benötig werden.
Wertvolles Buch:
Die griechische Bibel, mehr als nur eine Übersetzung der hebräischen Bibel, wegweisend für die Rezeption im Christentum, ist nun zugänglich und verlässlich auf dem aktuellen Forschungsstand zugänglich. Eine neue heilige Schrift, die die jüdische Tradition aufnimmt und für ein anderes Publikum in der hellenistisch-römischen Welt präsentiert als Kulturgut, das unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit für die gesamte Menschheit wertvoll ist.
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30.06.2009
Christoph Auffarth,
Prof. für Religionswissenschaft
Universität Bremen