Am 15. September 2021 wurde im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) der Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen an die Kommission zu einem Statut für europäische länderübergreifende Verbände und gemeinnützige Organisationen durch den deutschen Berichterstatter Sergey Lagodinsky (Grüne/EFA) vorgelegt. Der Berichtsentwurf enthält einen Vorschlag für einen Beschluss zu einer Satzung für einen Europäischen Zentralverband sowie für eine Richtlinie über gemeinsame Mindeststandards für Organisationen ohne Erwerbszweck in der Union (Mindeststandardrichtlinie).
Mit der Initiative soll die Arbeit länderübergreifender Verbände und gemeinnütziger Organisationen mithilfe einer europäischen rechtlichen Grundlage vereinfacht werden. Da aktuell unterschiedliche Voraussetzungen in der EU für die Arbeit gemeinnütziger Organisationen bestehen, soll zudem ein einheitlicher Standard hinsichtlich Schutzniveau und Wettbewerbsregelungen festgesetzt werden.
Dabei wird in den Erwägungsgründen des Berichtsentwurfs darauf hingewiesen, dass die Union den
Status von Kirchen, religiösen Organisationen oder Gemeinschaften sowie weltanschaulichen oder nicht konfessionellen Organisationen nach nationalem Recht achte.
Dies ist ein nicht ganz vollständiger Verweis auf Art. 17 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.). Gleichzeitig wird unterstrichen, dass dies nicht ausschließe, dass Organisationen, die sich nur auf eine religiöse, philosophische oder weltanschauliche Inspiration stützen, wie zum Beispiel gemeinnützige
Organisationen auf der Grundlage des Glaubens, in den Anwendungsbereich dieser Vorschläge fallen.
Europäischer Zentralverband
Im Wesentlichen legt der Vorschlag für einen Beschluss zu einer Satzung für einen Europäischen Zentralverband die Bedingungen und Verfahren für die Gründung, Leitung, Eintragung und Regulierung von Rechtspersonen in Form eines Europäischen Zentralverbandes fest. Dabei soll es sich um eine unabhängige und selbstverwaltete grenzüberschreitende Einrichtung handeln, die auf Dauer im Gebiet
der Union durch freiwillige Vereinbarung zwischen natürlichen oder juristischen Personen tätig ist. Einem Europäischen Zentralverband soll der Gemeinnützigkeitsstatus verliehen werden können, wenn verschiedene Elemente kumulativ vorliegen. So müssten der Zweck und die tatsächlichen Tätigkeiten der Organisation ein gemeinnütziges Ziel verfolgen, das dem Wohl der Gesellschaft oder eines Teils davon dient und somit dem Gemeinwohl förderlich ist, einschließlich karitativer Zwecke. Exemplarisch, wenn auch nicht abschließend, werden folgende Bereiche genannt: Kunst/Kultur/ Denkmalschutz, Umweltschutz und Klimawandel, der Einsatz für Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit, humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe, Entwicklungshilfe sowie Schutz von schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen (z.B. Kinder, Ältere, Menschen mit Behinderung, Obdachlose), Tierschutz, Aus- und Weiterbildung. Die direkte Aufsicht über den Europäischen Zentralverband soll die jeweils zuständige Behörde des Mitgliedstaates des Hauptsitzes des Zentralverbandes wahrnehmen. Zusätzlich soll eine unabhängige Europäische Zentralverbandsbehörde eingerichtet werden. Insbesondere soll sie für das Registrierungsverfahren, die Registerführung und die Entgegennahme von Beschwerden zur Anwendung der Verordnung durch die nationalen zuständigen Behörden verantwortlich sein.
Mindeststandards für Organisationen ohne Erwerbszweck
Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie über gemeinsame Mindeststandards für Organisationen ohne Erwerbszweck sollen die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften zu bestimmten Aspekten der Ziele und Tätigkeiten, Registrierung, Geschäftstätigkeit, Finanzierung und grenzüberschreitenden Tätigkeiten von Organisationen ohne Erwerbszweck angleichen. Organisationen mit einem vorrangig religiösen und weltanschaulichen Ziel sollen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sein. Dieser Ausschluss soll jedoch nicht für Organisationen gelten, die lediglich durch religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen motiviert sind.
Die Mitgliedstaaten sollen dafür sorgen, dass in der Union ansässige Organisationen ohne Erwerbszweck u.a. folgende Mindestgarantien gewährt bekommen: Keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, keine Diskriminierung von Gruppen oder Personen aus Gründen wie Alter, Geburt etc., Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften, Anwendung der Grundsätze der ordnungsmäßigen Verwaltung, Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Den Organisationen soll zudem die Mittelbeschaffung und die Verwendung des Vermögens vereinfacht werden.
Auf den ersten Blick erscheinen die Vorschläge zu einem Statut für europäische länderübergreifende Verbände und gemeinnützige Organisationen sinnvoll. Die geplanten Neuregelungen eröffnen gemeinnützigen Organisationen neue Möglichkeiten zur Arbeit in den EU-Mitgliedstaaten. Insbesondere in den exemplarisch aufgezählten Bereichen sind auch kirchliche Organisationen und Wohlfahrtsverbände involviert, sei es bei der Hilfe für marginalisierte Gruppen oder der Unterhaltung von Kulturgütern. Durch die neue Initiative könnte die Kooperation mit europäischen Partnern niederschwellig vereinfacht und bisherige Hürden sowie zusätzliche Kostenfaktoren abgebaut werden. Das Gemeinnützigkeitsrecht in der EU variiert jedoch je nach Mitgliedstaat stark in seiner rechtlichen Ausgestaltung und v.a. auch in den steuerrechtlichen Folgen. Dementsprechend ist die Ausarbeitung eines europäischen Gemeinnützigkeitsrechts sehr anspruchsvoll und wirft etliche Fragestellungen u.a. hinsichtlich des Subsidiaritätsgrundsatzes auf. Ein Versuch der EU-Kommission, eine Europäische Stiftung zu etablieren, ist in der Vergangenheit schon einmal am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert.
Im JURI-Ausschuss stieß die Initiative von MdEP Lagodinsky auf ein positives Echo aus den anderen Fraktionen. Auch im neuen Kolitionsvertrag sprechen sich die Koalitionspartner aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die Etablierung von EU-Rechtsformen für Vereine und Stiftungen aus. Diese sollen die Äquivalenzprüfungen für Gemeinnützigkeit aus anderen Mitgliedstaaten vereinfachen (gemeinnützigkeitsrechliche Anerkennung ausländischer gemeinnütziger Einrichtungen) und so grenzüberschreitende Spenden und Kooperationen konform mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erleichtern.
Den Link zum Berichtsentwurf finden Sie hier: https://bit.ly/ekd-NL-167_JuI-3
Dieser Artikel wurde von Nils Hanne (Praktikant im EKD Büro Brüssel) verfasst und erschien in den EKD-Informationen Nr. 167, S. 25-27.
Foto: © European Communities, 2006. Photographer: Alain Schroeder
Nachtrag:
Am 17. Februar 2022 hat das Europäische Parlament darauf basierend einen Beschluss mit Empfehlungen an die Kommision verabschiedet.
Link zum vom EP verabschiedeten Text: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0044_DE.html