Kreuzzüge:
Diese Geschichte ist nie abgeschlossen
Einleitung: Kreuzzüge sind nicht nur ein Ereignis der Vergangenheit, sondern eine empfindliche Narbe in zweifacher Hinsicht:
- Im Westen darin, dass die Kreuzzüge sein schwarzer Schatten ist, den er durch die Aufklärung hoffte los zu werden. Der aber folgt ihm doch: Religion und Gewalt vereint gegen Andersgläubige. Das ist nicht Europas Projekt. Ja, Crusades für einen großen Wert zu verwenden ist gerade angelsächsisch weit verbreitet: die USA trat ein in den ersten Weltkrieg als a crusade for democracy, aber Gewalt nur im Notfall. Für Alteuropa dagegen sind Kreuzzüge Irrationalität im Quadrat: Religion mal Gewalt. In Europa überwunden, bei den Muslimen akut wieder ausgebrochen. So konstruiert man den Gegensatz.
- Unter den arabischen Moslems auf der anderen Seite sind die Kreuzzüge der Anfang der kolonialen Unterdrückung durch die ‚Franken‘, wie auch heute noch alle Westler genannt werden. Beim ersten Versuch der Kolonisierung gelang es aber, dank Saladin, die Feinde ins Meer zu treiben. Wo ist heute ein neuer Saladin, um die Araber zu einen und das Joch des Kolonialismus abzuschütteln?
Wenn Historiker heute die Kreuzzüge behandeln, dann handeln sie nicht von einer vergangenen Geschichte, sondern sie können sie nur als Problemgeschichte bearbeiten. Die Gegenwart hat die Geschichte verändert, weil die heutigen Historiker wie ihre Studenten und Leser in einer anderen Gegenwart leben als die der vergangenen Generation: Das Öl und die Opec, die iranische Revolution, die Attentate wie das von NewYork 2001, der Israel-Palästina-Konflikt: Wir leben in einer Welt, die die Kreuzzüge als ein Problem versteht, die den ganzen Konflikt schon einmal aufrührte. Gab es da – wie Lessing es auf dem Theater vorschlug – schon Möglichkeiten der Nachbarschaft, der Toleranz untereinander?
Im Folgenden frage ich nach dem Problembewusstsein neuer Bücher zu den Kreuzzügen.
Thomas S. Asbridge: Die Kreuzzüge.
Aus dem Engl. von Susanne Held.
Stuttgart: Klett-Cotta ²2011.
807 S. Ill. Gebunden. Engl. Original The crusades. New York
ISBN 978-3-608-94648-2
Nicht von Ungefähr stammen die ersten beiden Bücher von Briten. Für die Briten gibt es – besonders über Richard Löwenherz (und Robin Hood) – einen nationalen Stolz auf die Kreuzzüge als Teil ihrer eigenen Geschichte. Und eine große Erzählung; das Epos mit seinem Höhepunkt bei Walter Scott, besonders im Ivanhoe (1820). Vor zwei Generationen schrieb Steven Runciman (1903-2000) die große Erzählung erneut, drei Bände spannende Geschichte von großen, mutigen Helden (bravehearts), Schurken, Verrätern, frommen Königen, schönen Frauen, Intrigen. Der Calvinist verteilt Lob und Tadel;[1] als Historiker des oströmischen Reiches (Byzanz) und Professor für drei Jahre in Istambul 1942-1945 sieht er kritisch, wie das Draufgängertum der Europäer die Griechen mehr in Gefahr brachte als dass es die Region befriedete.
Die Tradition der großen Geschichtserzählung greift Thomas Asbridge auf. Nach einer neuen Geschichte des Ersten Kreuzzuges[2] nun also eine Gesamtgeschichte. Die Übersetzung vermittelt die Fähigkeit des Autors, Ereignisse plastisch und dramatisch zuzuspitzen und die Umstände oder Institutionen je zu einem Ereignis erklärend einzubringen. Große Erzählkunst! Was er über Runciman hinaus einbezogen hat, sind arabische Quellen, die vor allem in den letzten Jahren übersetzt wurden. Viele interessante Details kommen zur Sprache. Und doch bleibt es Ereignisgeschichte, das Zutrauen, vor allem über die Chronologie Zusammenhänge zu rekonstruieren, es überwiegt die Militärgeschichte. Wenig über die unterschiedlichen Perspektiven der Handelnden und Leidenden und die Medien, über das vermittelt wird.[3] Keine Kulturgeschichte des Aufeinandertreffens und des Kennen Lernens und der Nachbarschaft verschiedener Kulturen, der Religionen. Ein letztes Kapitel spricht vom Fortleben der Kreuzzüge (704-730) bis hin zu Bushs Krieg gegen den Terror als ‚Crusade‘ (wobei man mithört) gegen den Islam – was er ja nur einmal in den Mund genommen hat und dann nie wieder. Einige der Anmerkungen, die die Thesen des Buches mit Quellenangaben und Forschungsbeiträgen genau belegen, geben noch zusätzliche Informationen. 16 Karten, 22 Abb. Ein Index erschließt das Buch. Es ist sorgfältig in der Wiedergabe der Namen weitgehend nach den deutschen Namensformen. Gut erzählt, die neuere Forschung sehr eingehend aufgenommen und auch die Rezeptionsgeschichte beachtet. Die Perspektive der Muslime aufgrund der übersetzten Quellen ist gut repräsentiert. Allerdings sind kulturwissenschaftliche und religionswissenschaftliche Perspektiven wenig entwickelt.
Religionswissenschaft
Universität Bremen
Alle Rezensionen von Christoph Auffarth des Jahres 2012 zu Kreuzzügen:
Als PDF-Datei h i e r: Kreuzzüge-Rezensionen-2012
[1] Steven Runciman: A History of the Crusades. Cambridge 1951, 1952, 1954. Die sprachlich ausgezeichnete deutsche Übersetzung stammt von Peter de Mendelsohn. München: Beck 1957-1960. Die Sonderausgabe lässt die wichtigen wissenschaftlichen Einordnungen weg. – Calvinist: so Phillips, Heiliger Krieg, 509 f. in seiner kleinen Forschungsgeschichte.
[2] Thomas S. Asbridge: The first crusade. A new history. London: Oxford UP 2004.
[3] Christoph Auffarth: Heilsame Gewalt? Darstellung, Notwendigkeit und Kritik an Gewalt in den Kreuzzügen. In: Manuel Braun; Cornelia Herberichs (Hg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. München: Fink 2005, 251-272. Ders.: Hat Gott allen Menschen Rechte gegeben, oder nur den Seinen? – Rhetorik der Kreuzzüge. In: Holt Meyer; Dirk Uffelmann (Hrsg.): Religion und Rhetorik. (Religionswissenschaft heute, Band 4) Stuttgart 2007, 257-271.