Der erste Brief an die Korinther. Von Dieter Zeiler

Der erste Brief an die Korinther.

Übersetzt und erklärt von Dieter Zeller.
(Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament 5)

Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht 2010. (549 S.)
ISBN 978-3-525-51534-1

 

Korinth: Paulus und das Leben in einer multikulturellen Stadt

Die Briefe des Paulus an die Korinther gehören zu den spannendsten Texten des frühen Christentums, denn hier predigt nicht einfach der Missionar, sondern dieser muss sich mit konkreten und nicht einfach zu lösenden Fragen auseinandersetzen, auf die Argumente seiner neu geworbenen griechisch-römischen Christen eingehen. Die Lösung auszu­wan­dern und neu mit Gleichgesinnten anzufangen, kommt nicht in Frage. Die Neuen wollen wissen, wie sie ihr Leben regeln können inmitten des multikultu­rellen und multireligiösen Lebens der Hafenstadt Korinth. Zudem sind es nicht ein­mal hundert Jahre her, dass die Stadt neu gegründet wurde als Colonia, als städtische Siedlung für Freigelassene aus Rom. Es gibt noch wenig feste Regeln, zudem ist die sich neu formierende Gemeinde zusammengewürfelt aus allen sozialen Gruppen der Stadt. Wenn Paulus ihnen die Freiheit gebracht hat, was bedeutet das im Alltag?

Der kritisch-exegetische Kommentar ist das wissenschaftliche Flaggschiff der deutsch­sprachigen Kommentarreihen. Der 1. Korintherbrief wurde erstmals nach der histo­risch-kritischen Methode erklärt von Heinrich August Wilhelm Meyer 1839 (51870), dann von dem religionshistorisch inter­essierten Carl Friedrich Georg Heinrici 61883 (81900), weiter die für die Sicht der ‚religions­geschichtlichen Schule’ herausragende Bearbeitung von Johannes Weiß (91910), ab der 11. Auflage 1969 (121981) legte Hans Conzelmann als dialektischer Theologe den Brief aus (Bultmann den 2.Kor.). Eine enorme Tradition, Säule protestantischer Wissenschaft, die Dieter Zeller[1] übernimmt. Ein katho­lischer Exeget: ein Zeichen, dass auf dem Gebiet der Exegese kaum noch Trennendes aufkommt zwischen den Konfessionen;[2] internatio­naler als die früheren Bearbeitungen, religionswissenschaftlich bestens ausgewiesen, wenn auch die Per­spek­tiven eines Theologen doch deutlich zu erkennen sind. DZ sucht, der Tradition gerecht zu werden und das antike Umfeld zum Sprechen zu bringen. Obwohl DZ gründlich die älteren Lösungen diskutiert, ist der Band nicht „aus dem Leim gegan­gen“, wie das bei anderen Kommentarreihen passiert. Bei aller Ausführlichkeit knappe und klare Lösungen.

Ein paar Proben: Zunächst die Frage nach dem Mysterion bei Paulus und den Myste­rien in der alltäglichen Umgebung der Gesprächspartner (S. 85-196). Sehr schnell wird das Geheimnis/Mysterion zu einem zentralen Thema: 1Kor 2,1 – 3,4. Gegen die Forderung der Korinther nach klarer Weisheit und guter Rhetorik (bes. der Exkurs S. 96-104) kontert Paulus, das Kreuz sei nicht weise, vielmehr enthalte es ein tiefes Ge­heim­­nis, von dem Paulus nur stammeln könne. Das sei aber auch gut so, denn auch die Korinther sind eher noch Babys in Sachen Christentum und brauchen erst Milch und dann feste Speise. Wenn man für „Weisheit“ und „Erkenntnis“ eine korinthisch-hellenistische Heraus­forderung an­nimmt, warum nicht auch für „Mysterion“? Dazu gleich noch. S. 61 findet man die Frage angesprochen: Allerdings hätten spätere Leser das so gesehen, nicht aber schon Paulus. Gleiches gelte für die „Gnosis“: Sie liest Paulus, nicht Paulus die Gnosis. Seinen in­ner­christlichen Rivalen Apollos wertet er nicht ab, aber der hat die Feuerprobe (noch) nicht bestanden. Es gehe nicht darum, wer hat gegründet, wer die „Erbauung“ vollzogen, sondern Gott lässt wachsen mit unterschiedlichen Mitarbeitern (1Kor 3,9).

Kapitel 8-10 geht es um Reinheit, provoziert durch die Frage, dürfen Christen Götzen­opferfleisch mit essen? (S. 279-350). Paulus fragt zunächst nach der Realität der Götter, worin sie sich unterscheiden von dem einen Gott. Die Antwort ist auf­regend: „Denn wenn es auch sogenannte Götter gibt, sei es im Himmel oder auf Erden, – und es gibt tatsächlich viele Götter und Herren –, so gibt es doch für uns [und nun wechselt Paulus in hymnischen Sprachstil] nur einen Gott … und einen Herrn, Jesus Christus.“ (1Kor 8, 5-6). Ich habe durch Vergleich zu einer Inschrift für Kaiser Nero zeigen können, dass diese Aussage Gott-einzig-allein auch im hellenisti­schen (also im polytheistischen) Kontext und Kaiserkult möglich ist, wenn einer der Götter „unser“ Gott wird und damit die anderen Götter ausblendet. Hier wird ein Jubel, wie er im Sport üblich war, über den Sieger unter Konkurrenten formuliert.[3] Aber nun: Wer mit Freunden bei einem Fest isst, muss der es ablehnen, weil es nicht koscher ist? Erste Antwort: nicht an der Opferhandlung selbst teilnehmen, weil man sonst Gemeinschaft mit den Dämonen pflegt! (1Kor 10, 14-22) Zweite Antwort: bei der Party könnt ihr teilnehmen. Ein Unterschied wird gemacht zwischen εἰδωλόθυτον und ἱερόθυτον [für die Bilder geschlachtet/Heilig geschlachtet]. Hat Paulus nicht gerade die Freiheit von den äußeren Regeln gegeben? Da kommt wieder eine Einschränkung: Bedenkt, Ihr seid Vorbild für die, die nicht so weit sind in ihrer Freiheit, die sich ein Gewissen daraus machen (1Kor 10, 23 – 11, 1).

Es folgen die religionswissenschaftlich spannenden Fragen nach den prophetischen Frauen und dem ‚Kopftuch’, der Zurückdrängung der Prophetie im frühen Christen­tum, dem Zungen­reden, der Einsetzung des Abendmahls, oder „Das Weib schweige in der Gemeinde!“ (1Kor 14, 34-36). DZ hält den Satz wieder für paulinisch trotz des dazu im Wider­spruch stehenden 11, 5, wo die Frauen im Gottesdienst reden. DZ begründet das jeweils mit wertvol­len Exkursen.

Das lange Kapitel am Schluss über die Auferstehung: 1Kor 15 (S. 454-529). Die rheto­rische Gliederung ist gut herausgearbeitet: Auch wenn der auferstandene Jesus von vielen gesehen wurde (keine Vision!), so muss man doch plausibel machen, wie Auferstehung überhaupt denkbar ist. „Der Auferweckung Christi wird man nur im Horizont des jüdisch-pharisäischen Auferstehungsglaubens ansichtig (s. Exkurs 9.1 [S. 480-484]).“ Dass die Griechen keine leibliche Kontinuität denken konnten, ist ja auch bei Paulus hier gerade behauptet: Zwischen dem alten Leib und dem neuen Auferstehungsleib gibt es keine Kontinuität und keine individuelle Identität! (DZ 509) Aber: gibt keine jüdische Tradition für die Diskontinuität; die Pflanzenmeta­phorik des Samens wird ganz anders gebraucht (Gleichfalls einzigartig ist das Bild  in Johannes 12, 24 mit dem gleichen exzeptionellen Wort κόκκος). Die Vorstellung ist eher griechisch, am nächsten kommt die Vorstellung vom Korn der Demeter.[4]

Der Kommentar stellt Paulus fast ausschließlich in die jüdische Tradition. Zu Recht hat die Forschung der letzten Jahre den jüdischen Paulus wieder entdeckt (und nicht wie er seit der Reformation oft gelesen wurde: den anti-jüdischen Renegaten). DZ geht aber zu weit, wenn die Ge­meinde in ihrer hellenistisch-römischen Umwelt, der er seine gesetzes­freie Religion nahe bringen will, nun auch ganz ein jü­disches denkendes Publikum wird. Paulus wird, wenn wir DZ folgen, den Griechen kein Grieche, abgesehen von der Sprache.[5]

Das Buch ist wissenschaftliches Schwarzbrot. Doch solch ein Buch durchgearbeitet zu haben, ist ein Fundament für den ganzen Paulus, für das ganze NT, für die Religi­onsgeschichte. Dann wird es zu einem Begleiter, den man das ganze Leben zur Seite hat. Mehr wert als viele andere Kommentare. Auch der Preis ist dann gerecht­fertigt. Dieter Zeller ist eine exzellente neue Kommentierung gelungen zu dem Ko­rin­therbrief-Kommentar des KEK, der seinen berühmten Vorgängern ebenbürtig ist.
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………

[1] Im Folgenden meist durch die Initialen abgekürzt, DZ.

[2] Vgl. die Bemerkungen zu „Frau Weisheit“ S. 145.

[3] CA: Herrscherkult und Christuskult. In: Hubert Cancik; Konrad Hitzl (Hrsg.): Die Praxis der Herr­scherverehrung in Rom und seinen Provinzen. Tübingen: Mohr 2003, 283-317. Traditioneller die Antwort in der Dissertation von Johannes Woyke. Man könnte von Übertrumpfungstheologie sprechen, nicht von monotheisti­schen „Einzigkeits“-Aussagen

[4] Begründet CA: „Das Korn der Sterblichkeit. Was Paulus von seinen Korinthern im Demeter- und Kore-Heiligtum gelernt hat“. In: Jörg Rüpke; John Scheid (Hrsg.): Bestattungsrituale und Totenkult in der römischen Kaiserzeit – Rites funéraires et culte des morts aux temps impériales. (Potsdamer Altertums­wissen­schaftliche Beiträge 27) Stuttgart 2009, 113-133.

[5] Dazu die gute Stellenerklärung 318 f zu 1Kor 9, 22.

———————-
11. Juni 2010
Christoph Auffarth,
Prof. für Religionswissenschaft
Universität Bremen

Leave a Comment