Maßgebliche Abhandlung – Fasl al-maqal. Von Ibn Rushd

Aufklärung im Islam – ohne lange Wirkung


Ibn Rushd: Maßgebliche Abhandlung – Fasl al-maqal

Aus dem Arabischen übersetzt und kommentiert von Frank Griffel (Mai 2010)
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2010. 443 Seiten
ISBN: 978-3458700265

Ibn Ruschd,[1] im lateinischen Europa als Averroes bekannt, hat eine grundlegende Voraussetzung des wissenschaftlichen Denkens nach Europa gebracht, die auch für die Religion gilt, für das Christentum und auch für das Judentum über seinen Schüler Maimonides:[2] Er hat das logische und systematische Denken des Aristoteles für alle Bereiche für grundlegend und notwendig erklärt.

Der Sultan aus der spanischen Dynastie der Almohaden Abu Yaqub Yusuf I. (1135–1184) hatte den Gelehrten Ibn Ruschd um ein Gutachten gebeten in der Frage, was die religionsrechtliche Überlieferung, die Scharia, zu dem Problem zu sagen hat, ob das logische Denken der Philosophie verboten, erlaubt, empfohlen oder gar zur Pflicht gemacht werden sollte. In seiner Fatwa von 1179/80, meist unter dem kurzen Titel bekannt „Die Maßgebliche Abhandlung“,[3] entscheidet sich Ibn Ruschd für das Letztere, philosophisches Denken sei unverzichtbar, weil man ohne es die Offen­barung zwar lesen, aber nicht verstehen kann. Der Text ist nur knapp 50 Seiten lang.

Wie der Zufall will, sind in einem Jahr drei Ausgaben erschienen, eine bei Meiners mit dem arabischen Text parallel zur Übersetzung von Franz Schupp.[4] Die dritte ist eine Reclam-Ausgabe mit einer Übersetzung von Patric O. Schaerer (264 S.).

Das besondere an dieser Ausgabe von Frank Griffel ist einmal die Kommentierung von einem der eine umfassende Monographie dazu geschrieben hat. Das ist Wissen­schaft auf bestem Stand und verständlich. Das zweite ist die hervorragende Ge­schich­te, wie der Text des Ibn Ruschd aufgenommen bzw. abgelehnt wurde. Nicht nur die zeitgenössische Rezeptionsgeschichte ist wichtig: Hier wird deutlich, dass die positive Bewertung der Logik des Aristoteles insbesondere für das christliche Denken über Religion bahnbrechend war: die sog. Scholastik denkt vernünftig in den Kategorien des Aristoteles. Wie Griffel sagt (S. 122), führt Ibn Ruschd den Leser in einer theologisch umstrittenen Frage ein wenig an der Nase herum. Im Universalien­streit (Gott kennt nur die allgemeinen Ideen, während die Menschen nur die Einzel­bezeichnungen kennen, die Namen – nomina, daher der Nominalismus) nimmt er nur scheinbar die Position ein, der allwissende Gott kenne auch die Einzelbezeichnung­en: Mit dem „anfangslosen Wissen“ ist wohl nicht das Wissen des Anfangslosen (=Gott), sondern wohl die Seelen gemeint, die im Himmel leben. Das kleine Werk spielt bis in die Gegenwart im Westen (bei den Konservativen in den USA, die sich auf Leo Strauss berufen) eine bedeutende Rolle, während im Islam Ibn Ruschd kaum wahrgenommen wurde (weil sein Gönner und Auftraggeber die Macht verlor) und heute gerne den Gegnern und Leugnern des Fundamentalismus als ihr leuchtendes Vorbild gilt. In Übersetzung, Kommentaren zu den einzelnen Stellen und einer einmaligen, oft verblüffenden Rezeptionsgeschichte liegt die Stärke dieser Ausgabe von Frank Griffel.

[1] Schreibweisen mit sh amerikanisch, mit sch im Deutschen, oder mit dem Umschriftzeichen š.

[2] Zu der Frage der Beziehung des Maimonides zu Ibn Rushd S. 113 Anm. 122.

[3] In der zweisprachigen Ausgabe gibt Schupp den Titel so wieder: Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie.

[4] Eine gute Besprechung von Georg Brunold http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur/ahne_der_europaeischen_aufklaerung_1.6743276.html

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28.10.2010
Prof. Dr. Dr. Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

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