Der einzige Gott

 

 

 

 

Erik Peterson/Christoph Markschies:

Heis Theos. Epigraphische, formgeschichtliche und religionsgeschichtliche Untersuchungen zur antiken „Ein-Gott“-Akklamation.

Nachdruck der Ausgabe von Erik Peterson 1926, mit Ergänzungen und Kommentaren von Christoph Markschies, Hendrik Hildebrandt, Barbara Nichtweiß u.a. (Erik Peterson: Ausgewählte Schriften Band 8) Würzburg: Echter 2012. XIV + 654 Seiten, gebunden mit SU. € 68,00. ISBN 978-3-429-02636-3

Die Formel „der einzige Gott“: Die  spätantike Religionsgeschichte bewegt sich Richtung Monotheismus

Zusammengefasst: Eines der bedeutendsten Bücher zur antiken Religionsgeschichte ist wieder gedruckt. 86 Jahre nach seinem ersten Erscheinen zeigt Erik Petersons Buch sich als metho­disch grundlegend und von der Fragestellung hat es ein zentrales Thema: Die Anru­fung ‚Gottes als der eine und einzige‘ findet sich nicht nur in den mono­theistischen Religi­onen, in denen man diese Anrede an Gott erwartet. Sondern diese Akklamation findet sich quer durch die Religionen der Antike; in der Spätantike steigt die Zahl der Belege an. Erik Peterson hat die ganze Literatur der Antike durchsucht, vor allem die nicht-literarischen Texte, magische Papyri, Inschriften. Eine beeindruckende Lei­stung für einen Einzelnen. Der Nachdruck ist ergänzt um die Belege, die EP später entdeckt hat. Für die Belege, die später veröffentlicht wurden, haben der Heraus­geber CM, sein Mitarbeiter Hendrik Hilde­brandt u.a. insgesamt noch einmal zehn Jahre gesammelt: fast noch einmal so viel im Umfang (die Zitate sind ausführlicher). So ist der Klassiker noch viel wertvoller ge­worden. Ein einzelnes Thema, aber ein zentrales für die antike Religionsgeschichte!

Im Einzelnen: Nicht nur die sog. ‚Religionsgeschichtliche Schule‘ und die Usener-Schule haben um die Jahrhundertwende 1900 die antike Religionsgeschichte mit der Religionsgeschichte des Christentums verknüpft. Nicht mehr dem Ziel einer dogma­tischen Rechtfertigung sollten diese Arbeiten dienen, die Einzigartigkeit und Wahrheit der christlichen Religion zu beweisen im Gegensatz zu den anderen ‚heidnischen‘ Religionen, sondern es handelt sich um die gleiche Sprache, die gleiche Kultur. So stellte Adolf Deissmann, Licht vom Osten heraus, dass die Christen die Sprache der Werbung für den Kaiser nutzten.[1] Neben manch provokativen Wer­ken entstanden Arbeiten, die bis heute grundlegende Erkenntnisse über das Chris­ten­tum als eine antike Religion eröffnen: Franz Joseph Dölger: Ichthys.[2] Eduard Norden, Der unbekannte Gott[3] und Die Geburt des Kindes,[4] dann Otto Weinreich: Antike Heilungswunder[5] in der Reihe Religions­geschichtliche Versuche und Vorarbeiten Rgvv,[6] der von der Seite der Religionshistoriker in der theologischen Fakultät als Schwesterreihe die Forschungen zur Religion und Literatur das Alten und Neuen Testaments Frlant entsprach.[7] In dieser Reihe erschien die Habilitation Göttingen 1920 von Erik Peterson als Heft 41, durch die Kriegsfolgen verzögert, v.a. aber als völlige Neubearbeitung[8] 1926, im Umfang von VIII, 346 S. Man sieht, wie aus der Anlage als Katalog aller, vor allem auf Steinen, Säulen, Tonlampen und sonstwo eingemeißelten Belege für die (und verwandte) Formeln bei der Neubearbeitung nachträglich erst ein anderes Erkenntnisziel maßgeblich wird: Eine Untersuchung zur Formgeschichte von „Akklamationen“.[9] (Und er verrennt sich dann in eine Religionsgeschichte des Sol-Kultes der Spätantike).[10] Er kommt zu dem Ergebnis (S. 303) „Wir möchten den christlichen Ursprung der εἷς θεός-Formel in den Akklamationen suchen.“ Akklamation kann zwei Ziele verfolgen, nämlich die Anrede des Gottes im Ritual, dann wird sie oft verbunden mit einer Aufzählung der besonderen Eigenschaften und Wunder-Taten dieser Gottheit (Aretalogie). Dann kann sie zu einem Glaubensbekenntnis werden, etwa den einen Gott in Einheit mit seinem Sohn zu betonen. – Diese These ist von Paul Maas zugespitzt worden in dem Sinne, so könne nur ein Orientale denken und reden;[11] andrerseits ist sie auch in nicht-christ­lichem Zusammenhang zu finden: Kaiser Julian, der als Kaiser gegen das Chris­ten­tum und für die Wiedereinführung der polytheistischen Kulte stritt, reklamiert die Formel.[12] Andere glauben die Herkunft aus dem Judentum nachweisen zu können, die dann teils christlich angeeignet wurden (so bes. Leah di Segni). Die Zuordnung ist also nicht so eindeutig als monotheistisches Glaubens­bekenntnis zu bestimmen – obwohl schon EP Belege für die ‚heidnische‘ Ver­wendung gefunden hatte.[13] In polytheistischen Kontexten bedeutet die Akklamation eher „einzigartig“.[14] Zur Kampfformel ist die Akklamation nach Julians Konterrevolution geworden.

Christoph Markschies und sein Mitarbeiter haben die Kataloge von EP einmal um die neuen Publikationen ergänzt und zweitens neues Inschriftenmaterial hinzugefügt. Es ist richtig: Man würde das Buch heute anders anlegen und nicht mehr von der christlichen Akklamation ausgehen.[15] Die Entgegensetzung von klar getrennten Religionen wird der Konkurrenz und Nachahmung in der Vielfalt religiöser Sprache und Gruppen nicht gerecht. Carsten Colpe ist bei der verwandten Formel vom „höchsten Gott“ (θεὸς ὕψιστος) zu dem Ergebnis gekommen: „Die Titulierung … muss an mehreren Stellen unabhängig voneinander entstanden und bestehen geblieben sein. Daneben gibt es die Möglichkeit der Beeinflussung zwischen heidnischem und jüdischem Bereich.“[16]

Kurz muss etwas zum Autor gesagt werden:[17] EP 1890 geboren erhielt dank dieses Buches 1924 die Professur in Bonn in der evangelisch-theologischen Fakultät. Weihnachten 1930 konvertierte er  jedoch zum Katholizismus. Und beraubte sich damit seiner Einkünfte, zumal er eine große Familie zu ernähren hatte. Richtig Fuß fassen konnte der Außenseiter in seiner neuen theologischen Runde nie. Seine Aufsätze und Bücher wurden teils als bahnbrechende Gedanken gefeiert, teils als Abfall von evangelischer Freiheit. Erst ganz spät fand er Anerkennung.

Ein zentrales Werk der Religionsgeschichte ist endlich wieder greifbar und hat eine ausgezeichnete Fortführung erfahren: Zum einen ist der heutige Forschungsstand sowohl zu EPs Inschriftensammlung wie zu den Neufunden seither aufgearbeitet und die neueren Thesen übersichtlich zusammengefasst. Zum anderen hat Barbara Nichtweiß das Buch in seinen wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt (609-642): die religions­geschicht­liche Schule und die theologische Antwort auf die ‚Krise des Historismus‘, in der EP zu einem anderen Weg kommt als Karl Barth und Rudolf Bultmann. Aus der Akklamation kommt EP zu weitreichenden Überlegungen zu Kirche als dem Ort der legalen Wahl und Anerkennung des göttlichen Christus durch das Volk, der gött­lichen Monarchie, der heilsgeschichtlichen Rolle des ‚christlichen‘ Kaisers Konstantin und der Diskussion mit Carl Schmitt, ob das auch für den ‚Führer des deutschen Volkes‘ gelten könne: das Problem der politischen Theologie in der Zeit des Nationalsozialismus und darüber hinaus.

27. Juli 2012                                                                             Christoph Auffarth,
Prof. für Religionswissenschaft
(Geschichte und Theologien des Christentums)
Universität Bremen


[1] Adolf Deissmann: Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenis­tisch-römischen Welt. Tübingen: Mohr 1908; 41923; engl. 1927.

[2] Ἰχθύς. Das Fischsymbol in frühchristlicher Zeit, Band 1. Rom 1910. EP nennt es selbst als Vorbild ebenso wie Nordens Agnostos theos, s. den autobiographischen Text bei Nichtweiß, Nachwort, 612.

[3] Agnostos theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede. Leipzig; Berlin: Teubner 1913.

[4] Die Geburt des Kindes. Geschichte einer religiösen Idee. (Studien der Bibliothek Warburg 3) Berlin; Leipzig: Teubner 1924.

[5] Antike Heilungswunder: Untersuchungen zum Wunderglauben der Griechen und Römer. (RGVV 8,1) Gießen: Töpel­mann 1909. Töpelmann ist später aufgegangen in den de Gruyter Verlag.

[6] 2012 angelangt bei Band 61.

[7] Mittlerweile (2012) bei Band 244.

[8] EP, Heis theos 1926, iv. Von der Dissertation wurde – wie üblich – ein Kapitel gedruckt; die Rezen­sionen dazu beantwortet EP in der Überarbeitung.

[9] Zum Bruch im Buch s. Markschies (2001), aufgenommen bei Nichtweis im Nachwort 614-619.

[10] S. 308 „Aber ich darf nicht länger von diesem Sonnen-Jao reden.“ Zu dem Thema, der Sonne als Symbol der Einzigkeit Gottes s. Martin Wallraff: Christus verus sol: Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike. (JAC-E 32) Münster, Westfalen: Aschendorff 2001.

[11] Zum ‚Orientalismus‘ (gemeint ist die Entwertung alles Orientalischen, in der Nähe zum Antisemi­tischen) der Epoche s. Christoph Auffarth: ‘Licht vom Osten‘. Die antiken Mysterienkulte als Vor­läufer, Gegenmodell oder katholisches Gift zum Christentum. Archiv für Religionsge­­schichte 8 (2006), 206-226.

[12] Markschies bespricht die Inschrift (bei Peterson 273) 413 f (Nr. 86.1).

[13] Das diskutiert EP in einem nicht veröffentlichten Text, hier im Anhang S. 585-595. Sein Ergebnis, es handle sich zwar sprachlich um die gleiche Formel, aber der theologische Gehalt sei verschieden, teilt Alfons Fürst: Paganer und christlicher Monotheismus. Zur Hermeneutik eines antiken Diskurses. In: Jahrbuch für Antike und Christentum 51(2008), 5-24.

[14] Fürst 17 f. Christoph Auffarth: Herrscherkult und Christuskult. In: Hubert Cancik; Konrad Hitzl (Hrsg.): Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen. Tübingen: Mohr 2003, 283-317, hier 285-287; 300 εἷς καὶ μόνος heîs kaì mónos über Kaiser Nero, der die anderen Götter übertrumpft. Angelos Chaniotis: Acclamations as a form of religious communication. In: Hubert Cancik; Jörg Rüpke: Die Religion des Imperium Romanum. Tübingen: Mohr Siebeck 2009, 199-218, hier 206: “a singular, unique, or superior god in a polytheistic system.”

[15] Gleichzeitig erscheint die Heidelberger Dissertation von Darina Staudt: Der eine und einzige Gott. Monotheistische Formeln im Urchristentum und ihre Vorgeschichte bei Griechen und Juden. (NTAO 80) Göttingen [u.a.]: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012.

[16] Carsten Colpe; Andreas Löw: hypsistos (theos). Reallexikon für Antike und Christentum 16(1994), 1035-1056, hier 1038. Die Formel ist seither weiter untersucht worden von Nicole Belayche: Hypsistos.  Une  voie  de  l‘exaltation  des  dieux  dans  le  polythéisme  gréco-romain. In: Archiv für Religionsge­schi­chte 7 (2005), 34-55; engl. übersetzt in: The  religious  history  of  the  Roman  Empire.  Pagans,  Jews,  and  Christians.  Ed.  by  John  A.  North.  Oxford:  OUP 2011, 139-174. Wolfgang Wischmeyer: Theos hypsistos. In: Zeitschrift für antikes Christentum 9 (2005), 149-168. Stephen Mitchell: Further  thoughts  on  the  cult  of  Theos  Hypsistos. In: S.M.; Peter  van  Nuffelen (eds.): One  God.  Pagan  monotheism  in  the  Roman  Empire.  Cambridge:  CUP 2010, 167-208. Markus Stein: Die  Verehrung  des  Theos  Hypsistos:  Ein  allumfassender  pagan-jüdischer  Synkretismus ? in: Epigraphica Anatolica 33(2001), 119-126. Timothy Mitchell Teeter: Theos  Hypsistos  in  the  Papyri. In: Akten  des  23.  Internationalen  Papyrologen-Kongresses.  Wien 2007, 675-678.

[17] In einer (fast tausendseitigen) Biographie hat Barbara Nichtweiß Leben, Werk und Kritiken darge­stellt: Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk. Freiburg im Breisgau: Herder 1992, ²1994. Das Buch ist im Voll­text zu finden unter http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/5489/

 

 

 

 

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