Martin Völkl: Muslime – Märtyrer – Militia Christi. Identität, Feindbild und Fremderfahrung während der ersten Kreuzzüge. (Wege zur Geschichtswissenschaft) Stuttgart: Kohlhammer, 2011. [306 S. Diss. Regensburg 2007. ISBN: 978-3-17-021893-2. 39.00 €]
Das Buch von Martin Völkl ist eine Dissertation deutscher Gründlichkeit und hoher Qualität deutscher Wissenschaft: Jeder Satz ist belegt, jedes der vielen Zitate mit lateinischem Wortlaut und deutscher Übersetzung in der Fußnoten direkt auf der Seite zu lesen. Es ist dabei gar nicht hölzern und nicht übertrieben theoriebeladen. Es ist keine erzählend-dramatische Geschichtsschreibung, sondern beschreibt Strukturen der Kreuzzüge als Krieg. Damit ist aber auch die Einseitigkeit und Begrenztheit des Werkes verbunden. In zwei großen Kapiteln stellt er auf der einen Seite die Identität und den Anspruch der Kreuzfahrer auf Identität dar (Kapitel 3, S. 38-160) und stellt dies der Feindbildkonstruktion und Fremderfahrung gegenüber, in der der die Alterität des muslimischen Gegners – aus der Sicht der Lateiner – beschreibt. Mit Carl Schmitt fasst er die Einteilung in „Freund oder Feind“ als zwingende Unterscheidung aller politischen Kommunikation (V. zitiert S. 161 A. 1 Schmitt: „auf sie [sc. die Unterscheidung von Freund und Feind] führen schließlich alle politischen Handlungen und Motive zurück“). Hier müsste eine Einordnung Carl Schmitts und die Bedeutung seiner Unterscheidung für die nationalsozialistische Ideologie geleistet werden; sie kann nicht naiv als anthropologische Grundunterscheidung für die Gliederung einer Abhandlung dienen. Mit der Behauptung der Grundunterscheidung und Notwendigkeit von Feindbildern konstruiert V. aber darüber hinausgehend die Muslime als Feinde, während die Rivalität unter den Christen, v.a. zwischen Provenzalen und (Nord-)Franzosen des Königreiches, zwischen Franzosen und Deutschen, Lateiner gegen griechische und orientalische Christen unter dem Einheitspostulat verhandelt wird. – Die andere Einseitigkeit ergibt sich aus dem Regensburger Kontext, wo der Krieg einen besonderen Schwerpunkt in der mittelalterlichen Geschichte bildet. So beschäftigt sich die Frage nach der Motivation der Kreuzfahrer breit auch mit den religiösen Motiven, aber V. fragt nur nach den Kriegern, den vielleicht 10% (S. 107 A. 30) der Teilnehmer, untersucht aber unter der Diversität der Teilnehmer der Kreuzzüge (S. 99-) nicht die „Pilger“, die „Armen“, die Geistlichen, die Frauen. Statt die vielfach im Widerspruch stehende Motivation zwischen Kriegern und Pilger-Armen herauszuarbeiten.[1] So wird das sorgfältig ausgebreitete Material unter der Fragestellung nach Krieg und Feindbild zu einseitig in einen Dualismus gezwungen. Die vielen Verträge zwischen Kreuzfahrern und muslimischen Herrschern besonders in der Anfangsphase sprechen eine andere Sprache.[2] Das Problem ist also nicht nur die Konfrontation, sondern die Ermöglichung von Nachbarschaft: Nicht alle Tage ist Krieg!
Religionswissenschaft
Universität Bremen
Alle Rezensionen von CA des Jahres 2012 zu Kreuzzügen: >>> Kreuzzüge-Rezensionen-2012
[1] Die religionswissenschaftlichen Arbeiten von Auffarth, Ritter und „Arme“ auf dem Ersten Kreuzzug 1989 und Auffarth: Irdische Wege und himmlischer Lohn 2002 sind zwar genannt, aber nicht verarbeitet. Die Motivation der Geistlichen bei Auffarth, Hat Gott allen Menschen Rechte gegeben? (wie oben Anm. 6).
[2] Köhler, Michael A.: Allianzen und Verträge zwischen fränkischen und islamischen Herrschern im Vorderen Orient. Eine Studie über das zwischenstaatliche Zusammenleben vom 12. bis ins 13. Jahrhundert. Berlin: de Gruyter 1991.