Christoph Markschies: Hellenisierung des Christentums. Sinn und Unsinn einer historischen Deutungskategorie.
(Forum Theologische Literaturzeitung 25) Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. [141 S. ISBN 978-3-374-03058-3]
Wie das Christentum zu einer europäischen Religion wurde:
die Hellenisierung
Ein gewissermaßen Lebensthema des Autors hat der Berliner Kirchenhistoriker Christoph Markschies zu einem kleinen Buch ausgebaut. Was sein Tübinger Lehrer Martin Hengel in seiner Habilitationsschrift grundlegend für „Judentum und Hellenismus“ erforscht hat,[1] und Adolf [von] Harnack (der Kirchenhistoriker vor CM auf dem Berliner Lehrstuhl)[2] als Forschungsparadigma entwickelte, will CM wieder auf einen Punkt bringen und fragen, ob das Paradigma noch sinnvoll verwendet werden kann. Denn Hellenisierung sei ein Grundbegriff und Forschungsparadigma („umgangssprachlich“ ein Konzept) für die Erforschung des antiken Christentums.[3] CM stellt die Entwicklung und die Kritik an dem Paradigma in zwei Jahrhunderten in den verschiedenen Disziplinen, im deutsch- und englischsprachigen Bereich vor. Er kommt zu dem Fazit: Hellenisierung ist zu einem Begriff der deutschen theologischen Sondersprache geworden.[4] CM will ihn aber wieder öffnen. Entwickelt hat ihn der Althistoriker Gustav Droysen als Hellenismus: im Sinne Hegels folge die Geschichte dem Dreischritt These (Orient) – Antithese (Griechentum) – Synthese: Hellenismus, historisch bedeutsam die Verbindung der beiden Gegensätze seit Alexander dem Großen und seinen Nachfolgern im der Epoche des Hellenismus. Kulturell gesehen endet der Hellenismus nicht mit der Schlacht von Actium (31 v.Chr.: Rom setzt sich gegen die Ptolemäerin Kleopatra durch), sondern bis in die Spätantike. Das Christentum sei die Synthese. Droysen theologisiert die ‚profane‘ Gesamtgeschichte im Sinne Hegels als Heilsgeschichte. Zum Forschungsthema hat dieses grundlegende Paradigma Harnack ausgebaut. Dank der Syntheseleistung des Christentums sei es gelungen, das Beste aus der Antike „aufzuheben“ (1 zu zerstören, 2 das Beste davon zu bewahren, 3 in jedem Fall aber auf eine höhere Stufe zu heben). CM gelingt es, die Verwendung des Paradigmas im 19. und 20. Jahrhundert in einer lesenswerten, auch Randthemen kenntnisreich einbeziehenden Wissenschaftsgeschichte darzustellen. Die deutschen und englischen Diskurse sind in epischer Breite vorgestellt. Kritik ist fair referiert, wie die tiefgreifende, kluge von Jonathan Z. Smith,[5] der darin eine protestantische Kategorie erkennt.
Der Dritte Teil 99-125 fragt nach den Anwendungsmöglichkeiten in der Gegenwart. Zu Recht kritisiert er Harnacks Begriff, wenn dieser mit dem christlichen Begriff einsetzt, weil der auf der Zuspitzung zum Kampfbegriff v.a. durch Julian beruht. Dort ist Hellenismos bereits als eine bestimmte Religion, als die Mission des Polytheismus bestimmt. Kommt aber doch zu dem Ergebnis Ja: „Das Forschungsparadigma soll beibehalten werden, allerdings unter der Bestimmung, welche antiken Transformationsprozesse mit diesem Begriff in den Blick genommen werden sollen.“ (102) Dann aber schränkt CM das Paradigma enorm ein. Bei der Unterscheidung von Gräzisierung – Romanisierung – Hellenisierung sei letztere zu verstehen als „die Transformation solcher Lebens- und Denkformen, die für die Epoche des Hellenismus charakteristisch sind.“ (116) Charakteristisch seien in erster Linie die hellenistischen Bildungseinrichtungen, besonders in Alexandria (118). Um schließlich zur Definition Hellenisierung des Christentums folgendermaßen zu kommen „Hellenisierung des Christentums ist vor allem und zuerst eine spezifische Transformation der alexandrinischen Bildungseinrichtungen und der dort praktizierten Wissenschaftskultur in der theologischen Reflexion des antiken Christentums.“ (121)
Eine bestens informierte, gut lesbare Forschungsgeschichte! Kann man sich mehr wünschen? – Man kann![6]
Denn es fehlen weitgehend (1) die Gegenkonzepte.[7] Zum einen gehört das Forschungsparadigma in den größeren Kontext des „Orientalismus“. Europas Wissenschaft definiert sich im Laufe des 19. Jh. mehr und mehr über die Abgrenzung vom „Orient“: Aus der bewundernden Hochachtung (Lessings Nathan; Goethes Diwan) wird Verachtung. Das trifft besonders die jüdische Kultur. Ohne Hellenisierung wäre – so die humanistisch gebildeten Protestanten – die Religion Jesu jüdische Nationalreligion geblieben.[8] Noch 1949 zeichnet Rudolf Bultmann in seiner Vorlesung Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen[9] ein Bild, das er im Wesentlichen übernimmt von der Vorlesung Wernles: Die Anfänge unserer Religion 1901[10] und der These von Wilhelm Bousset.[11] Nur aus der hellenistischen Konzeption eines „Kultheros“ Kyrios Christos konnte die christliche Religion entstehen, nicht aus dem Tod des historischen Jesus und seiner jüdischen Religion. Die „Auferstehung“ in das Kerygma bedeutet den Wechsel vom Jüdisch-Orientalischen ins Christlich-Europäische: Hellenisierung des Christentums. (2) Klassische Philologie als Paganismus. Mit Friedrich Nietzsche, Erwin Rohde und Walter F. Otto sind drei explizit pagane Wissenschaftler genannt, die das pagan Griechische gegen das Orientalische des Christentums ausspielen. Die hochnäsig-zynische Abkanzelung des „Philologen unter den Theologen“, Adolf Deissmanns durch Eduard Schwartz, zeigt einen anderen Strang des Diskurses über Hellenisierung.[12] Klassische Philologie orientiert sich am antiken Polytheismus. Auf den traf auch Deissmann bei seiner Berufung nach Berlin; Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff als Beispiel.[13] Gerade in den USA trifft man auf deutlich anti-christlichen Humanismus, Kaiser Julian ist ihr Heros.[14] Von daher sind einige amerikanische Äußerungen einzuordnen. (3) Die Religionsgeschichte: Colpes Enthellenisierung als Gegenbegriff ist gut eingeordnet (84-87) bis hin zur jüngsten katholischen Konzeption, bes. in der Papstrede Benedikts XVI. 2006 in Regensburg. Aber was Hellenisierung der Religion der Römer als Voraussetzung einer Hellenisierung des Christentum bedeutet, lässt sich nicht auf das Intellektuelle und die Frage des (platonischen) Gottesbegriffs reduzieren. Es genügt nicht, auf ein Sonderproblem Religion (120) nur zu verweisen, es aber nicht zu behandeln. Die wichtigen Forschungsergebnisse aus Römische Reichsreligion und Provinzialreligion sind nicht aufgegriffen.[15] Dort ist deutlich geworden, dass es sich dabei um einen dialektischen Prozess von Aneignung und Abstoßung auf allen Ebenen handelt. CM verwendet dagegen den hegemonialen Begriff der „Ausbreitung“. Schon die Verwendung der griechischen Sprache und teilweise der Denkweise für die Evangelien ist eine Hellenisierung. Und dazu gehören alle Bereiche der Kultur des Hellenismus und der Römischen Reiches, wie Hengel zu Recht betonte. Und auch CM greift in seinen Forschungsprojekten auch viel weiter aus. Auch religiös tritt das Christentum in eine hellenisierte Welt ein und muss sich in der Sprache Gehör verschaffen, die schon zur koiné sich wandelte.[16] Die neue Definition des Begriffes ist viel zu eng, um die umfassenden Transformation auf allen Gebieten der Kultur in den Blick zu nehmen!
Bremen, August 2013 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen
[1] Martin Hengel: Judentum und Hellenismus. Tübingen: Mohr 1968, ²1988.Martin Hengel: Juden, Griechen und Barbaren. Aspekte der Hellenisierung des Judentums in vorchristlicher Zeit. (Stuttgarter Bibelstudien 76) Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1976.
[2] „Übergroße Bedeutung AHs für den deutschen kirchenhistorischen Diskurs“ (CM, Hellenisierung 2012, 79)
[3] Hier fehlt die Anbindung an das Konzept der religionswissenschaftlichen Grundbegriffe (der Tübinger Kontext CMs!) im Handbuch religionswissenschaftlichen Grundbegriffe. Hrsg. Hubert Cancik; Burkhard Gladigow; Mathias Laubscher [statt seiner ab Band 4] Karl-Heinz Kohl. 5 Bände, Stuttgart 1988-2001.
Zum Nutzen und Nachteil des Konzepts Grundbegriffe ist Differenzierteres zu sagen, als das CM tut, dazu meine Ausführungen in: Jan Bremmer [u.a.] (Hrsg.): „Allowed and forbidden words: Canon and Censorship in ‚Grundbegriffe’, ‚Critical Terms’, Encyclopaedias. Confessions of a person involved.“ In: Jan Bremmer (ed.): Words. Situating Religion in Language. Fordham UP 2013, im Druck.
[4] CM, Hellenisierung 2012, 78.
[5] JZS: Drudgery Divine. On the comparison of early christianities and the religions of late antiquity. Chicago: UP 1990. Leider ist von diesem Religionswissenschaftler JZS nichts übersetzt – im Gegensatz zu seinem Chicagoer Kollegen Mircea Eliade. Einzigartig überblickt er die Forschungsgeschichte der jüdischen Gelehrten und der protestantischen Theologie. – Die Antwort von CM, Hellenisierung 100 f, neuerdings beteiligten sich auch Katholiken an dem Diskurs (Essen, Riedl; Ratzinger) entkräftet JZS nicht.
[6] Ich erlaube mir, der Kürze halber und weil an den angegebenen Orten ausführlich die Forschungsliteratur zusammengestellt ist, öfter auf eigene Arbeiten zu verweisen.
[7] Christoph Auffarth: Rudolf Bultmann und die Religionsgeschichte. In: Kim Strübind; Wolfgang-Erich Müller; Wolfgang Weiß (Hrsg.): „Verstehen, was man glaubt“ Rudolf Bultmann als Erneuerer der protestantischen Hermeneutik“. (Studien zur Kirchlichen Zeitgeschichte 2) Berlin: LIT 2013, im Druck.
[8] Zum Grundbegriff „Weltreligion“ (als Gegenbegriff zu Familienreligion/Nationalreligion) s. Christoph Auffarth: „Weltreligion“ als ein Leitbegriff der Religionswissenschaft im Imperialismus. in: Ulrich van der Heyden; Holger Stoecker (Hrsg.): Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945. (Missionsgeschichtliches Archiv 10) Stuttgart: Steiner 2005, 17-36.
[9] Rudolf Bultmann:. Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen. Zürich: Artemis 1949. 51986. Dasselbe (Rowohlts deutsche Enzyklopädie: Religionsgeschichte 157-158) Reinbek: Rowohlt 1962; 51969. München: dtv 51992. Düsseldorf: Patmos 51998. Rudolf Bultmann Das Christentum als orientalische und als abendländische Religion. (= Schriften der Wittheit zu Bremen: D 18,4) Bremen: Trüjen, 1949; wieder in: Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 1997-98 (1998), 48-57.
[10] Paul Wernle: Die Anfänge unserer Religion. Tübingen und Leipzig 1901. Man beachte „unserer“, womit die Trennung des Christentums als europäischer Religion von der orientalisch-jüdischen benannt ist.
[11] Wilhelm Bousset: Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1913.
[12] Schwartz bezog sich auf Deißmann: Paulus. Eine kultur- u. religionsgeschichtliche Skizze. Tübingen: Mohr 1911 (²1925; schwedisch 1910, ²1918; engl. 1912, ²1926; jap. 1926). – Eduard Schwartz: Rezension des Paulus in Göttingische Gelehrte Anzeigen 173 (1911), 657-671. Deißmann reagiert 14 Jahre später mit einem neuen Kapitel in der zweiten Auflage seines Paulus 1925, 241-47. Christoph Auffarth: Ein Gesamtbild der antiken Kultur. Adolf Erman und das Berliner Modell einer Kulturwissenschaft der Antike um die Jahrhundertwende 1900. In: Bernd U. Schipper (Hrsg.): Ägyptologie als Wissenschaft. Adolf Erman (1854-1927) in seiner Zeit. Berlin; New York 2006, 396-433. Zur weiteren Karriere Christoph Markschies: Adolf Deißmann, ein Heidelberger Pionier der Ökumene. In: Journal for the history of modern theology 12 (2005), 47-88.
[13] Christoph Auffarth (Hrsg.) „Ein Hirt und keine Herde“. Zivilreligion zu Neujahr 1900, in: CA; Jörg Rüpke (Hrsg.): Ἐπιτομὴ τῆς Ἑλλάδος. Studien zur römischen Religion in Antike und Neuzeit für Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier. (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 6) Stuttgart 2002, 203-223.
[14] CM (S. 108f,) zitiert diese zentrale Stelle Julian, Briefe 84: Bildung ist griechisch, aber Griechisch schließt die griechischen Götter unabdingbar ein. Glänzend dazu der christliche Kontext bei CM dargestellt. Aber die Rezeptionsgeschichte bis in die Gegenwart, die Hellenismos als anti-christliches Agument macht, fehlt. Dazu etwa Klaus Rosen: Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser. Stuttgart: Klett-Cotta 2006, 394-462; 506-517.
[15] Obwohl CM auch Projekte in dem Schwerpunktprogramms der DFG unterhielt, fehlen in der Bibliographie alle Namen der Mitforscher: Jörg Rüpke, Hubert Cancik, Nicole Belayche, Katharina Waldner, der Rezensent. Der wichtige Theorieband von Günther Schörner (ed.): Romanisierung – Romanisation. Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele. Oxford: Archaeopress 2005.
[16] Erstaunlich ist, dass Adolf Deißmann: Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt. Tübingen: Mohr Siebeck 1908; 41923 nicht vorkommt.