Jasper – Paul Althaus 1888-1966

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Gotthard Jasper: Paul Althaus 1888-1966. Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit.  Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013. [430 S.]

 

 

 

 

Paul Althaus – ein Theologe als „Patriot“: zwischen Bewundern und Beurteilen vor, im und nach dem Dritten Reich

Gotthard Jasper: Paul Althaus 1888-1966. Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit.  Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013. [430 S.]

Anlass für die Biographie ist der 125. Geburtstag von Paul Althaus, 1888-1966. [1]  Der Autor, Gotthard Jasper,[2] Politikwissenschaftler, sieht sich in einer gewissen Tradition mit der Person seiner Biogra­phie: zum einen als ehemaliger Rektor der Universität Erlangen, wo lutheri­sche evangelische Theologie ihren Hort hat, zum andern aber weil er aus dem glei­chen Milieu stammt: ein Pfarrerssohn aus der niedersächsischen („Hermannsbur­ger“) Erweckungsbewegung. Althaus hätte sein Vater sein können. Daraus ergibt sich eine hohe Identifikation mit dem ‚Gegenstand‘, eine gewisse Zeit­genossenschaft.[3]

Das ist methodisch ein gewichtiger Punkt, dem sich GJ 13f stellt. Als der aus dem amerikanischen Exil heim­gekehrte Hans Rothfels (GJs Lehrer 301) die „Zeitgeschichte“ als Gebiet der Geschichtswissen­schaft begründete, gestand er nur denen die rechte Urteilskraft zu, die die Auseinandersetzung mit dem NS handelnd erlebt hatten.[4] Zwei Generationen später, da wir vor dem „Abschied von der Zeit­genossen­schaft“ (Norbert Frey) stehen, urteilen die, die die Situation nicht erlebt haben. Die (auto-) biogra­phi­sche und rechtfertigende Anlass des historischen Forschens (GJ nennt das „kontrollierte Er­innerung“) ist der Frage nach der sozialen Zusammensetzung, dem Alltag, der Mentalität gewichen, die den be­sonderen Fall, ‚meine‘ Biographie, erst durch die Rekonstruktion der Handlungsräume beurteilt: was konnte man in dieser Zeit tun und was tat die Person der Biographie (die den Zeitge­nossen meist nicht zur Verfügung stand). GJ lehnt es ab, Althaus „verallgemeinerten Denk- und Wissenschaftstradit­ionen … zuzuordnen, da sich diese allzu oft als vereinfachende Konstruktionen der Nachgeborenen erwei­sen.“ (14)

GJ folgt weitgehend den Selbstaussagen von Althaus (im Nachlass an der Erlanger Universität),[5] aber kontextualisiert die Handlungsräume wenig. Eine Einführung wäre nötig zu manchen Fragen die die Leser nicht einfach mitbringen, die aber auch neu zu bewerten sind: Was bedeutet ‚Erweckungsbewegung‘ im Rahmen der luthe­rischen Hannoverschen Kirche? Was ist die religionsgeschichtliche Schule im Gegen­satz zur liberalen Theologie? GJ weiß das nicht zu unterscheiden. Harnack wird auf den Apostolikumsstreit reduziert, der er bei seiner Vorlesung über das Wesen des Christentums nicht mehr war. Was zeichnet die Erlanger Schule aus? Mühsam ver­sucht GJ die Kriegstheologie Althaus‘ zu verteidigen, bes. die Kriegs­predigt „Kriegs­dienst als Gottesdienst“ 65-72, die oft als Muster nationalprotestan­tischer Predigt gilt.[6] Ist da etwas besser, wenn der Krieg reinen Gewissens als Dienst an Gott ver­standen wird? Kann ein Biograph die Bewertung von Althaus unkommen­tiert stehen lassen, wenn er die Unterzeichnung des Versailler Vertrags als gottlose Handlung ablehnt, weil die Alleinschuld Deutschlands (und damit die gesamten Kosten des Krieges) dort festgeschrieben war, in seinen Augen eine Lüge, also Sünde vor Gott. Das heißt, obwohl sich GJ in der zeitgenössischen Theologie ordentlich aus­kennt, bleibt die Darstellung fast autobiographisch. Das aber sehr gut recherchiert, die Archivalien über den Nachlass hinaus gründlich gelesen. Die Stärke des Buches kommt etwa in dem Abschnitt zum Vorschein, wo GJ Althaus‘ Vortrag auf dem Kirchentag 1927 in Königsberg bespricht. 178-186). Dass man Althaus‘ Begrüßung der neuen nationalen Regierung Hitlers begrüßte, das entsprach der Einschätzung (und Illusion) vieler, nicht zuletzt protestantischer Christen. Aber seine Unterschrift unter das Erlanger Gutachten zur Einführung des Arierparagraphen, nachdem er von Bultmann gebeten worden war, das theologisch klare Marburger Gutachten zu unterschreiben (vor Gott gibt es den Unterschied zwischen Juden und Heiden nicht), lehnt Althaus ab und entwickelt stattdessen eine Theologie der Schöpfungsordnung, in der Gott Rasse und Volk geschaffen und als Ordnung bestimmt hat. Die Alterna­tive war klar, Althaus entscheidet sich gegen die Aussage im Neuen Testament und erfindet eine biologi­sche Vor-Ordnung, die in der Bibel nicht zu finden ist. Den Ans­bacher Ratschlag als Gegenposition kann man verstehen, weil die Barmer Theologische Erklärung (Mai 1934) sehr stark reformierte Grundsätze (mit einer langen Tradition des Widerstands­rechts) spiegelte, aber der Ratschlag formulierte nur den Teil der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre, der jeder Obrigkeit  Gehorsam leistet, definierte nicht aber die Grenze, wenn der Staat die Freiheit des Glaubens verhindert. Mir sind durch Lektüre einige Positionen von Althaus verständlicher geworden, aber die Ver­teidigung eines großen Theologen des Nationalprotestantismus ist mir auch unter den Kriterien der Zeit kaum begreiflicher geworden. [Vgl. meine Rezension auf dieser Internetseite zu dem fast gleich­zeitig erschienenen Buch von André Fischer zur politischen Theologie von Paul Althaus]

Die erhoffte Biographie eines der bedeutendsten Vertreter des Nationalprotestantis­mus ist Jasper nicht gelungen. Es fehlt die Distanz, die theologischer Diskurse, meist auch der dichte Bezug zu den laufenden zeitgenössischen Debatten. Die her­vor­ragende Qualität, in der zuletzt Konrad Hamann die Biographie Rudolf Bult­manns erschlossen hat,[7] ist hier leider nicht erreicht. Das soll die Leistung nicht schmälern, die in der Aufar­bei­tung des umfangreichen, vielfach noch nicht veröffent­lichten Materials liegt. Wichtig ist, dass die Biographie nicht 1945 abbricht, sondern die Gefährdung des Lebenswerkes durch die Qualifizierung als Nazi ausführlich beschrieben und dass PA spät noch Revisionen am theologischen Geschichtsbild (die Juden seien für Paulus schuld am Tode Jesu:  S. 294) einsah.

März 2013                                                                                         Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen

 


[1] Tanja Hetzer: „Deutsche Stunde“. Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus. München: Allitera 2009. [295 S. Diss. Brighton, University of Sussex 2007. Gotthard Jasper: Das Hermannsburger Erbe dokumentiert an einem Briefwechsel zwischen Paul Althaus, Vater, und Paul Althaus, Sohn. in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 107 (2009), 159-172. Roland Liebenberg: Der Gott der feldgrauen Männer. Die theozentrische Erfahrungstheologie von Paul Althaus d. J. im Ersten Weltkrieg. Leipzig: Evang. Verlags-Anstalt 2008. Rez. Martin Ohst: Dutch review of church history 90 (2010), 483-491. Roland Kurz: Nationalprotestan­tisches Denken in der Weimarer Republik. Voraussetzungen und Ausprägungen des Protestantismus nach dem Ersten Weltkrieg in seiner Begegnung mit Volk und Nation. Gütersloh: Gütersloher GVH 2007. Rez. Christoph Auffarth: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 107 (2009), 159-172.

[2] Gotthard Jasper (Jahr­gang 1934) kürze ich im Folgenden ab mit ihren Initialen GJ.

[3] Dazu kommt noch der Großvater, der als Missionar arbeitete, 96 A. 11.

[4] Programmatisch im einleitenden Aufsatz Zeitgeschichte als Aufgabe. in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte  1 (1953), 1-8 [Als PDF zugänglich unter http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1953_1.pdf (22.1. 2012)]. Dort urteilt er, dass „in Deutschland die Aufgabe nachholender Bestandsaufnahme und fortlaufender Orientierung eine nächste und dring­endste ist,“ S. 3. – „Je näher wir den Dingen sind, desto leichter mögen wir ihren Kern verfehlen und von vorgefaß­ten Meinungen abgezogen werden, um so eher aber verfügen wir auch über Möglichkei­ten der Kor­rektur und des Zugangs zu den Gelenkstellen.“ (S. 5), um dann S. 7 den Schluss zu geben „die Aufga­be des historischen Verstehens, also des Sich-Hineinversetzens in die Lage der Handelnden wie der Leidenden, durch die Situation des Mitlebens erheblich erleichtert werden kann.“ Die Gefahr der Komplizenschaft ist unausweichlich, wie die Schülergeneration das problematisierte. Grundlegend dazu Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. München: Oldenbourg 1989; dtv 1993. Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erfor­schung und Erinnerung. (Moderne Zeit 3) Göttingen: Wallstein 2003.

[5] Einige Briefe hatte GJ schon in Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte 13, 2006, 251-335.  Jahrbuch der Niedersächsischen Gesellschaft für Kirchengeschichte 107 2009, 159-172 veröffentlicht. Eine Edition der weiteren Briefwechsel des fleißigen Briefeschreibers ist angekündigt, die Tagebücher jedoch nicht.

[6] Die über 90 Seiten, die Roland Kurz Althaus widmet in seiner Monographie Nationalprotestantisches Denken in der Weimarer Republik, 2007 hat GJ in seiner Bibliographie als Diss. Neuendettelsau 2002; ich sehe sie aber nicht benutzt. Auch sonst sieht man Spuren eines sehr lange sich hinziehenden Arbeits­prozesses, der nicht am Ende noch einmal revidiert ist. Die Diss von André Fischer [s.u.], zu der GJ das Zweitgutachten verfasst hat, heißt 338 „Hauptseminararbeit 2003“. 354 ist Walter (nicht Martin) Grundmann gemeint, zu dem es viel neue Forschung gibt, s. Rez. auf dieser Seite zu O. Arnold 2010.

[7] Konrad Hammann: Rudolf Bultmann. Eine Biographie. Tübingen: Mohr Siebeck 2009; ³2012.

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