Bernd Schröder/Michae Wermke (Hgg.): Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion. Bestandsaufnahmen und Herausforderungen. Eine Publikation der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2013, 434 Seiten. ISBN 978-3-357-03209-9. 38,00 EUR
Thema
„Der Band resümiert […] systematisch und umfassend, in welchem Maße und wie sich die Religionsdidaktik bisher auf die bestehenden Schulformen von der Förderschule bis zur gymnasialen Oberstufe eingelassen hat“ (Klappentext).
Herausgeber
Der 1965 geborene Bernd Schröder ist Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Bildungsforschung an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.
Der 1958 geborene Michael Wermke ist Direktor des Zentrums für Religionspädagogische Bildungsforschung an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Aufbau
Teil I: Schulformspezifische Religionsdidaktik – Bestandsaufnahmen
Rainer Möller: Religiöse Bildung im Elementarbereich
Petra Freudenberger-Lötz: Religiöse Bildung in der Grundschule
Frank Michael Lütze: Religiöse Bildung im Hauptschulbildungsgang
Hans Bald: Religiöse Bildung in der Realschule
Christine Lehmann, Martin Schmidt-Kortenbusch, Wilhelm Behrendt, Michael Linke: Religiöse Bildung in der Gesamtschule
Heike Lindner, Ulrike Baumann: Religiöse Bildung im Gymnasium (Sekundarstufe I)
Peter Kliemann: Religiöse Bildung in der Sekundarstufe II
Roland Biewald, Andreas Obermann: Religiöse Bildung in berufsbildenden Schulen
Anita Müller-Friese: Religiöse Bildung in Förderschulen
Teil II: Religionsdidaktik für die inklusive Schule – Beobachtungen und Desiderate
Michael Wermke: Schulpolitische Weichenstellungen in Deutschland – auf dem Weg zur Verbundschule
Erna Zonne-Gaetjens: Inklusion. Bildungspolitische Vorgabe und religionsdidaktische Herausforderung
Martin Schreiner: Evangelische Schulen und Inklusion
Dietlind Fischer: Wider eine schulformspezifische Religionsdidaktik – eine Polemik
Saskia Flake, Mirjam Zimmermann: Von schulformspezifischer zu inklusiver Bibeldidaktik – Unterrichtsprinzipien, Aneignungsformen, Anfragen
Clauß-Peter Sajak: Interreligiöses Lernen als schulformspezifische Herausforderung? Eine kritische Relecture religionsdidaktischer Konzeptionen
Dabis Käbisch: Didaktik des Perspektivenwechsels – Einheitsmoment religiöser Bildung in unterschiedlichen Schulformen?
Bernd Schröder: (Religiöse) Heterogenität und Binnendifferenzierung. Herausforderungen, Einsichten, Desiderate für den Religionsunterricht
Thomas Heller: Schulformspezifik im Religionsbuch? Exemplarische Analysen
Bernd Schröder, Michael Wernke: Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion – zusammenfassende Thesen
Inhalt
Die einzelnen Autorinnen und Autoren erstellten ihre Beiträge auf Wunsch der Herausgeber nach folgenden sieben Kategorien:
- „Beschreibung der Schulform und der Stellung des Religionsunterrichts in ihr
- Soziokulturelle und anthropogene Voraussetzungen der Schüler
- Charakteristika der Religionslehrenden und ihrer Ausbildung
- Materiale Entwicklungen innerhalb der Religionsdidaktik, die sich auf die jeweilige Schulform bezieht
- Kooperation mit außerschulischen Lernorten
- Institutionen schulformspezifischer Religionsdidaktik
- Herausforderungen der Praxis und der religionspädagogischen Theorie“ (S. 12f.).
Als einer der Inklusion sehr positiv gegenüberstehenden Rezensent, der überdies noch über eine eigene Behinderung verfügt, erlaube ich mir für die Besprechung dieses Bandes zwei Beiträge auszuwählen, die sich mit den Themen Behinderung und schließlich Inklusion befassen:
Das ist zunächst der Beitrag „Religiöse Bildung in Förderschulen“ von Anita Müller-Friese. In ihren einleitenden Worten stellt die Autorin heraus, dass die Didaktik des Religionsunterrichts an Förderschulen sich nicht grundsätzlich von der Didaktik an allgemeinen Schulen unterscheidet. Auch an Förderschulen ist der offiziell konfessionell ausgewiesene und unterrichtete Religionsunterricht ein ordentliches Schulfach
In ihrem ersten Abschnitt befasst sich Müller-Friese mit den 10 unterschiedlichen Förderschulformen. Hierauf folgt eine historische Besprechung des Förderschulwesens, welches bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück reicht. Sodann werden die einzelnen Förderschulformen besprochen. An zwei Förderschulformen – und das sind die Förderschwerpunkte Lernen und Geistige Entwicklung – wird der unverzichtbare Beitrag des Religionsunterrichts sowohl für die Bildung der Kinder als auch für die Schulen betont.
Im zweiten Kapitel geht es um die soziokulturellen und anthropogenen Voraussetzungen der Schülerinnen- und Schülerschaft der einzelnen Förderschulen. Es wird hier der Behinderungsbegriff diskutiert und definiert. Es geht um Einstellungen und Haltungen: „Menschen mit Behinderungen sehen sich in der Gesellschaft einer Haltung gegenüber, die von dem Ideal eines gesunden, leidfreien Lebens ausgeht, Leistungsfähigkeit zum Wertmaßstab für Menschsein macht und Vernunftbegabung zu einem Unterscheidungskriterium gegenüber anderen Lebewesen“ (S. 234). Es geht weiter um theologische Perspektiven, die sich häufig als diakonische Perspektive präsentiert.
Die Verfasserin befasst sich im nächsten Abschnitt mit den Bildungsplänen und didaktischen Besonderheiten, um dazu beizutragen, dass die Schülerinnen Schüler einmal das allgemeine Schulsystem besuchen können.
Im nächsten Kapitel diskutiert Müller-Friese das religiöse Schulleben und die Kooperation mit außerschulischen Lernorten.
Bei der Besprechung der aktuellen Religionsdidaktik und ihren Institutionen geht es:
- hinsichtlich der Religionsdidaktik:
◦ um konzeptionelle Entwürfe:
▪ bezüglich der Förderschwerpunkte Lernen, Geistige Entwicklung und Hören
◦ um Unterrichtshilfen;
◦ um unterichtsdidaktische und methodische Prinzipien für den Religionsunterricht an Förderschulen:
▪ als da wären sonderpädagogische Prinzipien und die hierauf folgenden religionspädagogischen Konzeptionen;
- hinsichtlich der Institutionen:
◦ um Studium und Ausbildung;
◦ um Fort- und Weiterbildung;
◦ um das Forum für Heil- und Religionspädagogik.
Zum Schluss ihres Beitrags befasst sich die Autorin mit den Perspektiven und Herausforderungen.
Aus dem zweiten Teil des Buches befasse ich mich mit Erna Zonne-Gaetjens Beitrag, der sich mit der Inklusion auseinandersetzt. Hierin stellt sie fest dass das deutsche mehrgliedrige Schulsystem stark aussondert. Sie konstatiert eine Fünfgliedrigkeit in der Sekundar- und eine Zweigliedrigkeit in der Primarstufe. „Statt von Inklusion kann mancherorts höchstens von Integration die Rede sein. Man ist räumlich zusammen, aber lernt kaum inhaltlich voneinander“ (S. 270).
Der Nachholbedarf in der Religionspädagogik ist das Thema des zweiten Kapitels.
Der Unterstützungsbedarf von Religionslehrerinnen und -lehrern mit Vokation, die an Förderschulen Mangelware sind, wird im dritten Kapitel besprochen.
Das vierte Kapitel hat die theologischen Grundlagen der Inklusion im Blick.
Der Beitrag schließt mit einem Ausblick ab.
Diskussion
Ich erinnere mich noch an meinen eigene Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe der Anna-Freud-Schule in Köln – und das ist eine Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung: Hier wurde ich im Grundkurs Religion als evangelische Getaufter in katholischer Religionslehre unterrichtet, da die gymnasiale Oberstufe nicht über einen evangelischen Religionslehrer verfügte. Auch wenn meine Schulzeit nun bald 25 Jahre zurückreicht, könnte es durchaus sein, dass bei Religionslehrermangel die verschiedenen Konfessionen zusammen unterrichtet werden. Der Religionsunterricht, wie auch der Konfirmandenunterricht, hatte für mich in dem aussondernden Förder- bzw. Sonderschulsystem eine heilsame Wirkung. Hier fühlte ich mich geborgen!
Fazit
Der besprochene Herausgeberband soll dringend allen religionspädagogisch Tätigen zur Lektüre empfohlen werden.
Dr. Carsten Rensinghoff
info@rensinghoff.org