Den Koran lesen – aber wie?

cover-koran-lesenZeitschrift Bibel und Kirche 3/2014

 

Den Koran lesen – aber wie?

„Bibel und Kirche“, eine wissenschaftliche Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks, widmet sich in der Ausgabe 3/2014 dem Thema: „Den Koran lesen – aber wie?“

Der Verlag bewirbt diese Ausgabe mit folgender Ansprache: „Haben Sie auch Lust, im Koran zu lesen? Oder haben Sie es schon einmal probiert – und sind nicht weit gekommen? Das neue Bibel und Kirche-Heft „Den Koran lesen – aber wie?“ gibt Ihnen hilfreiche Tipps und Informationen …“.

Hier ein Blick in den Inhalt:

https://www.bibelwerk.de/sixcms/media.php/169/BK_Inhalt%203-14_Koran.pdf

In der Tat: Das Heft bietet dem christlichen Leser eine Menge hilfreicher Gedanken und Anregungen.
Martin Bauschke unterstützt mit „Lesehilfen“, etwa mit dem Tipp: „Daher ist es ratsam, mit dem Schluss anzufangen, das heißt den Koran von hinten nach vorne zu lesen. Also zu beginnen mit den kurzen, prägnanten Suren am Ende, die zugleich die ältesten Botschaften Muhammads darstellen“. Dazu wird in einer Tabelle (131) Unterstützung geboten, welche die Chronologie der einzelnen Suren in eine frühe mekkanische (ca. 610-622), bzw. in eine spätere medinensische (622-632) Phase einteilt und die Hauptthemen benennt.

Zentrale Bedeutung hat der Beitrag von Angelika Neuwirth: „Der Koran – europäisch gelesen. Der Koran als historisches Vermächtnis der Spätantike“. Einige Kerngedanken: Der Koran ist wesentlich eine Rede an vorislamische Hörer, die sich auch in jüdischer und christlicher Terminologie der Spätantike in gewisser Weise auskennen; der Koran will Gemeinde bilden und dokumentiert den Prozess selbst. Die interreligiöse Verwobenheit des Koran kommt besonders in Sure 112 „Der reine Glaube“ zum Ausdruck, hier stellt A. Neuwirth[1] deutliche Bezüge zu jüdischen und christlichen Aussagen – sowohl in Anknüpfung als auch in klarer Abgrenzung – fest (vgl. bes. 136-138)!

Stefan Schreiner setzt sich mit den vielfältigen Bezügen zur Bibel auseinander und resümiert: „Der Koran hat Vorläufer, deren Existenz nicht nur nicht bestritten, sondern anerkannt und positiv gewürdigt wird. Der Koran ist und bleibt auf die Bibel bezogen und baut auf sie auf. Ihn zu verstehen, setzt biblisches Vorwissen voraus“ (144).

Ulrike Bechmann stellt eine praktische Möglichkeit vor, eine Koran-Sure zu lesen und zu verstehen. Dabei muss besonders die Tatsache beachtet werden, dass der Koran zu allererst ein Rezitationstext ist, der sich an Hörerinnen und Hörer wendet. Dies ist wichtig, um die verschiedenen Gesprächsebenen auseinanderzuhalten, die sich immer wieder vermischen. Als Beispiel dient die Sure Maria (Maryam) 19, 16 – 33, in der über die Geburt und das erste Auftreten des Gesandten Jesus berichtet wird. Dieser erhellende Beitrag zur Koran-Auslegung ist erfreulicher Weise im Internet hier zum Download angeboten! Die Übersetzung der Sure 19, 16-33 (Adel Khoury) ebenfalls!

Ein weiterer Beitrag von Martin Bauschke verdient große Aufmerksamkeit: „Jesus im Koran. Prophet, Messias und Marias Sohn“. Auch dieser Artikel ist für das christlich-islamische Gespräch und für das Koran-Verständnis von hoher Bedeutung. Denn der Koran würdigt Jesus auf vielfältige Weise! Die christliche Auffassung, der Koran verstehe Jesus n u r als Prophet, nicht aber als Gottessohn, greift deutlich zu kurz und wird der hohen Wertschätzung, die faktisch stattfindet, nicht gerecht! Warum sollten Christen und Muslime über Jesus sprechen? Dazu Bauschke: „Der Koran ist die einzige heilige Schrift einer Weltreligion, in der Jesus eine wichtige Rolle spielt!“ (160); das hat Folgen, im bisherigen christlich-islamischen Dialog noch zu wenig bedacht wurden: „Für Muslime gibt es aufgrund des Zeugnisses des Korans einen verpflichtenden Glauben an alle Gesandten Gottes – und darum auch an Jesus.“

Klaus von Stosch widmet sich in dem Beitrag „Wie wunderschön ist diese Rede“ dem Koran als Hörerlebnis (162-165). Die grundlegende Bedeutung der Rezitation wird betont und in ihrer ästhetischen Dimension gewürdigt (auch unter Bezugnahme auf Kermanis Klassiker „Gott ist schön“). „Auch wenn man den Koran natürlich nicht auf seine ästhetische Dimension reduzieren darf, so eröffnet eine Hermeneutik, die diesen Aspekt in den Vordergrund stellt, einen Weg zum Koran, der fest in der muslimischen Tradition verankert ist und zugleich problemlos in der Spätmoderne rezipierbar ist“ (165).
Isabel Lang setzt sich mit traditionellen und modernen Formen der Koranexegese (166-171) auseinander und kommt zu dem Schluss: „Man kann also nicht von d e r islamischen Koranauslegung sprechen, denn hier ist … eine ebenso große Vielfalt zu verzeichnen, wie dies etwa im Christentum der Fall ist.“ Die Bandbreite reicht von literalistischen Modellen bis zu modernen Versuchen einer kontextuellen Auslegung.
Anja Middelbeck-Varwick lädt mit einem „Zwischenruf“ (172-173) aus christlicher Sicht zur Lektüre des Koran ein und fordert einen gründlicheren dialogischen Austausch. Dieser besteht auch in der streitenden Auseinandersetzung darüber, ob der koranische Überbietungsanspruch wirklich das letzte Wort darstelle und einen Dialog eigentlich überflüssig mache. Gewiss werden sich bestehende „fundamentale Differenzen, insbesondere jene zur Christologie, nicht dialogisch einebnen lassen“. Anschließend stellt die Autorin sechs verschiedene deutsche Koranausgaben mit Kurzkommentaren vor, darunter auch die Übertragung von Hartmut Bobzin.[2] Für den Schulbereich ist besonders interessant: „Der Koran für Kinder und Erwachsene“ von Lamya Kaddor und Rabeya Müller.

Auch der günstige Preis – und Staffelpreise für Gruppen ab 10 Ex. – machen das Heft sowohl für den einzelnen, wie auch für Gruppengespräche sehr interessant.  Mehr dazu hier.

Die Beiträge dieses Heftes unterstützen Interessierte wirklich auf vielseitige Weise. Auch für Schulgruppen in der Gymnasialen Oberstufe sowie für Studierende verschiedener Disziplinen kann dieses Themaheft sehr wertvolle Dienste leisten. In christlichen Gesprächskreisen und in Dialog-Kreisen wird man die Beiträge dieses Heftes auch gut nutzen können.

August 2014
Dr. Manfred Spieß
Universität Bremen, Religionswissenschaft – Religionspädagogik

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[1] Das fundamentale Werk von A. Neuwirth, Der Koran – als historisch-spätantiker Text gelesen und erklärt, wird in diesem Blog hier von Christoph Auffarth vorgestellt

[2] Siehe dazu auch die Rezension von Chr. Auffarth

 

 

1 Gedanke zu „Den Koran lesen – aber wie?“

  1. Angesichts der sich häufenden Anschläge auf Moscheen ist eine Aufklärung über den Koran, die schon in der Schule beginnt, unbedingt nötig. Die Ereignisse im August 2014 sprechen da eine deutliche Sprache, wie dieser TAZ-Artikel zeigt: http://www.taz.de/!144533/
    „Einen Tag zuvor hatte es erneut einen Brandanschlag auf eine Moschee in Bielefeld gegeben – zum zweiten Mal innerhalb von acht Tagen. Der oder die Täter waren über ein Fenster in die Räume eines türkischen Kulturzentrums eingedrungen, hatten dort Korane genommen und angezündet, teilte die Polizei am Dienstag mit.“

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