Klaus Haacker: Stephanus. Verleumdet, verehrt, verkannt.
Evangelische Verlagsanstalt (Leipzig) 2014. 249 Seiten.
ISBN 978-3-374-03725-4. € 16,80
Der von 1974 bis 2007 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal gelehrt habende Theologieprofessor Klaus Haacker gliedert die Publikation in:
- Einführung
- Darstellung: Der Bericht des Lukas (Apostelgeschichte 6,1-8,3)
- Wirkungsgeschichte
- Verzeichnisse
Ein besonderes Interesse weckt in mir die Wirkungsgeschichte des Protagonisten, der sich Haacker, nach seiner Auslegung des lukanischen Berichts, in Teil B widmet.
Dort befasst sich der Verfasser unter der Überschrift „Stephanus in Frömmigkeit und Theologie“ zunächst mit der Verehrung des Stephanus‘ im Zeitwandel.
Der Protagonist wurde in der vorkonstantinischen Zeit zum Vorbild für die verfolgten Christen.
Hervorgehoben wird die Stephanusverehrung durch die berichtete wunderhafte Auffindung der ihm zuzuordnenden sterblichen Überreste im Dezember 415. „Die Gebeine des Stephanus wurden am 26. Dezember identifiziert und nach Jerusalem überführt, weshalb dies bis heute in der westlichen Christenheit der kirchliche Gedenktag für Stephanus ist“ (S. 103). Vorher gedachte man am vermuteten Todestag dieses Märtyrers, der auf den 03. August festgelegt wird.
Es wird auf Augustinus hingewiesen, der über die Stephanustradition zehn Predigten verfasst hat. Augustinus erhebt beispielsweise, mit Bezug auf die Fürbitte des Stephanus für seine Mörder (Apg. 7,60) und dem dementsprechenden Wort des Jesus am Kreuz (Lk 23,34), den Helden dieses Bandes zum Vorbild der Feindesliebe.
Bei Augustinus ist etwas über die Wunder zu erfahren, die im Anschluss an die Unterbringung der Stephanusreliquien in Nordafrika erlebt wurden.
„Besondere Beachtung verdient die ‚Lobrede über den heiligen Erzmärtyrer‘ des Gregor von Nyssa (335-394) aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr.“ (S, 108).
In Europa ist es der Bischof Ennodius von Pavia, der auf Stephanus einen Hymnus dichtete Weiter erfahren wir von den sieben Hymnen im St. Galler Hymnenbuch,die der Dichtkunst Notker Balbulus entstammen.
In Deutschland findet die Stephanusverehrung südlich der Donau und westlich des Rheins statt. Hierbei handelt es sich um Gebiete, „deren Christianisierung eine Nebenwirkung der Romanisierung war“ (S. 115). So finden wir alte Stephanuskirchen in Konstanz, Passau, München, Essen, Corvey und Mainz. Zwar nicht in Deutschland, aber über die Landesgrenzen hinaus berühmt, ist der 1147 geweihte Stephansdom in Wien. „Stephanuskirchen, die nach 1945 gebaut wurden, verdanken ihren Namen vermutlich der Erinnerung an die Opfer des Konflikts zwischen Kirche und Staat in der Zeit des ‚Dritten Reiches’“ (S. 116).
Die Wirkungsgeschichte des Stephanuskults erhielt durch die Reformation im 16. Jh. einen Bruch, da „sie die kultische Verehrung der Heiligen, insbesondere ihre Anrufung als Fürsprecher bei Gott, grundsätzlich in Frage stellte“ (S. 117)
Der nächste Teil befasst sich mit der Leidensgeschichte des Stephanus.
Zu den Forschungen zur Geschichte des Urchristentums setzt Haacker den Startschuss für eine Umdeutung der Stephanusgeschichte bei dem Tübinger Ferdinand Christian Baur an. Weihnachten 1829 hat Letztgenannter einen Festvortrag über die Anlage der von Stephanus nach Apg 7 gehaltenen Rede und über die Bedeutung ebendieses Erzmärtyrers in den Anfängen der christlichen Sache gehalten. In dieser Rede geht es um die Grundsatzentscheidung zwischen Judentum und Christentum.
Haackers Werk enthält Predigten zum Stephanustag, der sich zwei Tage nach Jesu Geburtstag und damit zwei Tage nach dem Tag der Menschwerdung, mit dem Märtyrertod des Stephanus befasst.
Die Predigt des Gregor von Nyssa verbindet die zeitlich beieinander liegenden Gedenktage, nämlich die Geburt Jesu, den Märtyrertod des Stephanus und den Tag der unschuldigen Kindlein.
Den Brückenschlag von der Menschwerdung zum Martyrium greifen Wilhelm Hofacker und der katholische Sozialethiker Alfred Delp in ihren Predigten auf.
Das zweite Kapitel des Abschnitts B befasst sich mit der Darstellung der Stephanusgeschichte in der bildenden Kunst. „Abbildungen von Märtyrern enthalten oft die Werkzeuge ihrer Hinrichtung […]. Dem entsprechend gehören Steine häufig zum ‚Zubehör‘ von Stephanusbildern, z. B. bei der Pfeilerfigur im Langhaus des Wiener Stephansdomes oder an der Adamspforte des Bamberger Domes“ (S. 171).
Für die folgende musikalische Rezeption der Stephanustradition betrachtet Haacker Claudio Monteverdi, Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Reginald Heber, Jan Struthe und Maria Luise Thurmair.
Bei den Nachdichtungen der Stephanusgeschichte werden genannt Gottfried August Bürger (Gedicht: Sankt Stephan), Johann Peter Hebel (Biblische Geschichten für die Jugend) und Bernt von Heiseler (Das Stephanusspiel).
Abgerundet wird Haackers Werk mit einem Abschnitt zu den Stephanus-Wahrnehmungen von jüdischer Seite.
Klaus Haacker hat hier eine Publikation vorgelegt, die wahrgenommen und gelesen werden muss. Eine wunderbare Beschäftigung mit der biblischen Gestalt Stephanus.
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Dr. Carsten Rensinghoff