Legenda aurea – Goldene Legende

cover-legendaJacobus de Voragine:
Legenda aurea – Goldene Legende.

Einleitung, Edition, Über­set­zung und Kommentar von Bruno W. Häuptli.
(Fontes Christiani, Sonderband) Freiburg im Breisgau: Herder 2014.
[978-3-451-31222-9] Gebunden. 228 €

 

„Muss man (vor-) gelesen haben!“ Ein Grundbuch europäischer Ideale aus dem 13. Jahrhundert: die goldene Legende

 

Kurz: Jakob von Voragine stellte die wichtigste Sammlung der Heiligen- und Jahresfeste zusammen: eine Quelle für Religion, Armutsideal, Solidarität und viele andere Ideen, die Europa ausmachen. Hier eine Ausgabe mit dem lateinischem Text und einer hervorragenden Übersetzung.

Im Einzelnen: Die sicher wichtigste Sammlung von Heiligenleben des Mittelalters stellt diese Goldene Legende dar. Wer immer mit der Religionsgeschichte, Kunstgeschichte, Kirchengeschichte Europas (und oft genug sind die Legenden darüber hinaus für den gesamten Mittelmeerraum von Bedeutung) sich beschäftigt, wird immer wieder auf diese Sammlung treffen. Nun ist sie in einer ausgezeichneten zweisprachigen Ausgabe greifbar, verantwortet von Bruno W. Häuptli [1]. Der lateinische Text beruht nun nicht mehr nur auf einer einzigen Handschrift, sondern dank der neuen italienischen Ausgabe [2] auf dem Vergleich mehrere Handschriften, die untereinander durchaus unterschiedliche Textversionen bieten [3]. Der philologisch geschulte BHW hat den Text an einigen Stellen überzeugend verbessert.
In einer ebenso informativen, wie genauen und knappen Einleitung (S. 13-67) klärt BWH alle wichtigen Fragen. Als Verfasser wird der Dominikaner Jacobus de Voragine (1228-1298; der Ort heißt heute Varazze und liegt westlich von Genua) genannt. Aber es geht eher um ein Gemeinschaftsprojekt im Auftrag des Ordens, die Zusammenstellung von Heiligenviten zum Vorlesen [4]. Die neuen Texte beruhen weitgehend auf – mittlerweile ebenfalls edierten – anderen Legendensammlungen (Jean de Mailly; Bartholomäus von Trient, S. 43). Dennoch hat Jakobus und sein Team noch einmal intensiv Quellen studiert, so dass man einige zehntausend Zitate nachweisen kann (53), wohl keine mündliche Überlieferung. Das Werk muss etwa 1266 abgeschlossen sein; kein späteres Ereignis ist erwähnt. Das Jahr ist freilich bedeutend, weil der konkurrierende Orden, der Bettelorden der Franziskaner beschloss, alle Legenden zu vernichten (49), weil es nur noch die offizielle Version des Bonaventura geben solle (in der ‚ketzer‘verdächtige Partien entfernt wurden)[5] . Die Legenda aurea arbeitet das etwas überhastet ein in das Leben des Franziskus (S. 1934-1965). Der Aufbau folgt im Wesentlichen dem Kirchenjahr mit seinen Herren-, Marien- und Heiligenfesten. Aber wem soll hier vorgelesen werden? BWH nennt es liturgisches Lesen, da mehrfach davon die Rede ist, dass „in den Kirchen“ gelesen werden solle. Eine Zeit und Ort („der Sitz im Leben“) zum Vorlesen ist jedoch im Orden, für den die Legenda gesammelt wurde, ist das gemeinsame Essen. Dort dürfen die Mönche nicht sprechen [6], stattdessen wird etwas vorgelesen. Wunder der Heiligen werden da erzählt. Neben den bekannten, wie Sebastian, Martin, Nikolaus, auch weniger bekannte, wie die Hl. Lucia, Julianus, Sophia, Perpetua. Auch ganz frische Heilige werden dargestellt, so der Hl. Thomas Becket (255-63). Vor allem gegen Ende tritt der Kampf gegen Ketzereien, bes. die Katharer in Italien [7] in den Vordergrund. Der Kampf der Inquisition gegen die Katharer ist etwa in der Vita des Petrus Martyr beschrieben (865-900); das Vorbild des Petrus ermuntert die künftigen Inquisitoren zum Einsatz. Vielleicht wird auch ihr Leben einmal wert sein, dass jeder davon erfährt.
Besonders hervorzuheben ist die Übersetzung: BWH kann es sich auf seiner herausragenden Kenntnis auch des mittelalterlichen Lateins leisten, das manchmal etwas schlichte Latein zielsprachenorientiert in ein ansprechendes Deutsch zu übertragen. Das ist überaus gut gelungen, nirgends fand ich es zu kühn. Nicht alle (Sach- oder Personen-) Erläuterungen fand ich nötig, die meisten sind aber hilfreich oder grundlegend für das Verständnis. Aber zum Hl. Benedikt von Nursia, dem Gründer des Benediktinerordens und der lange maßgeblichen Regel, müsste doch bemerkt werden, dass es starke Argumente gibt, dass Gregor der Große die Figur erfunden hat [8].
Das Buch ist fadengeheftet (gut für den häufigen Gebrauch und man kann es ganz aufschlagen, ohne den Rücken zu brechen), auf Dünndruckpapier gedruckt, dass die bald 2500 Seiten in zwei schlanke Bände passen, und in ein starkes, weinrotes Leinen gebunden, beste Bindekunst! Das Buch gehört als ein Grundbuch zum Beispiel in jede Schulbibliothek. Das ist zwar kein Geschichtsbuch, aber ohne solche Quellentexte kann man Geschichte bis in die Gegenwart nicht verstehen. Nikolaus, Sankt Martin, die Hl Katharina, Maria natürlich, Ursula. Nicht nur als Namen, als Festtage im Kalender, Denkpfeiler für die Zeit, sondern auch als Modelle des Selbstverständnisses, wie Europa aus dem lateinischen Mittelalter – über die spätere Abgrenzung in Nationen hinausgehend – hervorgewachsen ist und welche Ideale es sich bis heute gibt (und: welche es nicht mehr pflegt). Kurz: eine hervorragende Neuausgabe und Übersetzung eines Grundbuchs abendländischer Kultur.

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1 Im Folgenden mit den Initialen abgekürzt BWH.

2 Iacopo da Varazze: Legenda aurea. Testo critico riveduto e commento a cura di Giovanni Paolo Maggioni. 2 Bände, Firenze 1998. Dasselbe Con le miniature del codice Ambrosiano C 240 inf. Tavarnuzze (Firenze): Galluzzo ; Milano: Biblioteca Ambrosiana ²2007.

3 Die Ausgabe, auf die man sich bisher verlassen musste, war die von Johann Georg Theodor Graesse (1814-1885), Dresden-Leipzig 1846 (957 S.). BH gibt dem vielfach nachgedruckten Übersetzer einer deutschen Ausgabe, Richard Benz das Verdienst, hier in der (ersten, so nicht nachgedruckten) Luxusausgabe in zwei Bänden Jena: Diederichs 1917-1921 schon einen wichtigen Schritt vorgenommen zu haben, nämlich aus Cod. lat. monacensis 13029 auf 70 Seiten die variae lectiones (Lesarten) geboten zu haben.

4 Legenda ist die Gerundiv-Form „Was zu lesen ist“, „gelesen werden muss/soll“. Vita lateinisch „Leben“, „Biographie“. Für den Zisterzienserorden hat Caesarius von Heisterbach (ca. 1180-; das Kloster Heisterbach liegt gegenüber von Bonn auf der anderen Rheinseite) etwas Ähnliches zusammenge¬stellt. Diese Sammlung Dialogus miraculorum ist neu übersetzt (mit dem alten Text gegenüber) in den Fontes Christiani 86. 5 Bände, hrsg. und übersetzt von Nikolaus Nösges und Horst Schneider. Turnhout: Brepols 2009. Dort ist S. 98f der Tagesablauf der Zisterzienser aufgelistet.

5 Auffarth, Die Ketzer (wie Anm. 7) ²2009, 96-108.

6 Etwa Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum 1,40 in der Anm. 4 genannten Ausgabe Band 1, 328/29 Postea neglecto silentio vapulabant. „Später bekamen beide Schläge, weil sie das Schweigegebot übertreten hatten.“

7 Während die Katharer in Südfrankreich um diese Zeit nur noch im Untergrund ihre Religion leben können, sind sie in Italien noch lange präsent. Christoph Auffarth: Die Ketzer. Katharer, Waldenser, religiöse Bewegungen. München: Beck ²2009, 84-96.

8 Die Debatte ist dargestellt etwa bei Johannes Fried: Der Schleier der Erinnerung. München: Beck 2004, 344-355.

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Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

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