Zentralrat der Juden in Deutschland (Hg.), Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (Hg.)
,Lehre mich, Ewiger, Deinen Weg‘ – Ethik im Judentum
328 Seiten, Hardcover 103 Abbildungen
Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2015
ISBN: 978-3-95565-106-0
24,90 € / 44,00 CHF
Die Tora ist Weisung zu gutem und gelingendem Leben; sie will immer wieder neu verstanden, ausgelegt und ‚ausgelebt‘ werden. Sie ist der ultimative Bezugspunkt jüdischen Glaubens und Lebens, damit auch des neuen Lehrbuchs „Ethik im Judentum“. Dazu der Mitautor Micha Brumlik in seinem Vorwort: „Welcher Weg – nichts anderes heißt „Halacha“ – für ein gutes und gelungenes jüdisches Leben der jeweils richtige ist, steht nicht ein für allemal fest, sondern ist Gegenstand von stetiger Interpretation, Argumentation und schließlich Dezision (Entscheidung)“ (17).
Eine große Gruppe von jüdischen Autorinnen und Autoren [1] – hat sich der Aufgabe gewidmet, die bedeutenden Fragen unserer Zeit, auch die Lebensführung der einzelnen Menschen, in verschiedenen Kontexten und aus verschiedenen Sichtweisen zu reflektieren und mitzuhelfen, Antworten zu suchen. Zu ihnen gehören viele Rabbiner, auch eine Rabbinerin, WissenschaftlerInnen und Fachleute aus dem psychologisch-pädagogischen Kontext. Ausdrücklich werden hier die unterschiedlichen jüdischen Strömungen unserer Zeit mit berücksichtigt. Die innerjüdische konfessionelle Vielfalt kommt hier zum Vorschein, jedoch nicht trennend, sondern als Bereicherung und in gegenseitiger Wertschätzung.[2]
Inhalte
Die Themen sind in vier große Bereiche gegliedert:
- Umweltethik
- Medizinethik
- Sozialethik
- Ethik in persönlichen Beziehungen.
Den größten Umfang nehmen Fragen der Sozialethik ein. Das Kapitel beginnt mit „Nächstenliebe und Verantwortung“, thematisiert das Verhältnis zu den Eltern (Dekalog!) und geht auch auf die aktuellen Probleme wie „Mobbing“ und „Cybermobbing“ ein. Es folgen weitere Kapitel, die sich mit der Stellung der Frau im Judentum beschäftigen, Ausführungen zur „Wirtschaftsethik“, zu Fragen des Krieges bzw. der Todesstrafe. Die „Umweltethik“ geht auf den Umgang mit Natur und Tieren im Judentum ein, auch auf Fragen des Tierschutzes und des Schächtens. Die Medizinethik beschäftigt sich mit „Sterbehilfe“ und „Abtreibung“ sowie mit „Genetic Engeneering“ und der „Organspende. Persönliche und beziehungsmäßige Fragen werden ebenfalls angesprochen: „Wem gehört der Körper eigentlich?“, „Sexualität im Judentum“ und vielstimmige Antworten zum Thema „Homosexualität“ werden vorgestellt. Mich beeindruckt die Unbefangenheit, Klarheit und die multiperspektivische Herangehensweise, mit der viele Themen ausgegriffen werden. Beim Thema Sexualität wird dies besonders deutlich, wenn ausgeführt wird: „Sexualität ist nicht etwa schmutzig oder peinlich, sondern etwas Selbstverständliches, das zu unserem Leben gehört wie Essen und Trinken“ (268).
Aufbau und Arbeitsweise
Unübersehbar ist in diesem ‚Lehrbuch‘ die von Brumlik angedeutete unermüdliche und vielseitige Argumentations- und Auslegungspraxis. Jedes Kapitel beginnt mit einer Darlegung des Sach- bzw. Problemstandes, es folgen verschiedene Sichtweisen aus der Gegenwart; immer wieder wird Bezug genommen auf vergleichbare Problemstellungen in der jüdischen Tradition: Talmud, Mischna, Tora und zahlreiche Quellen alter und neuer rabbinischer Literatur. Dabei kommen auch viele Stimmen der Gegenwart zu Wort. Die Autorinnen und Autoren sind sehr bemüht, Quellen und Stimmen aus Amerika, aus Israel und auch Europa zahlreich in die Diskussion einzubeziehen. Überhaupt ist die Quellenarbeit ein zentraler Bestandteil dieses Buches. Jedes Kapitel hat einen eigenen Arbeitsteil, „Diskussion“ genannt. Hier finden sich Aufgaben, die sich auf den vorhergehenden Text beziehen, und farblich hervorgehobene Quellentexte, die prägnant und überschaubar sind. Wer sich weiter in die Quellen vertiefen will, erhält durch die Literaturangaben dazu die Möglichkeit. Vielfach wurde auf internetquellen zurückgegriffen. Um den Schülerinnen und Schülern den Zugriff leicht erreichbar zu machen, sind zahlreiche QR-Codes am Rand zu finden, welche mit Hilfe des Smartphones oder des Tablets den direkten Zugang zur Internetquelle auf einfache Weise ermöglichen! Niemand muss mehr mühselig endlos lange Internet-Adressen eintippen. Eine entsprechende App auf dem Gerät muss allerdings vorhanden sein.
Hier das Beispiel einer QR-Code-Quellenangabe zum Klimaschutz (vgl. S.41)
Die Aufgaben und Arbeitsanregungen sind allerdings nicht nur auf die Texte bezogen. Das Buch will auch größere thematische Projekte in Gemeindediskursen oder anderen Gesprächsbereichen der Erwachsenenarbeit anregen und unterstützen. Dazu dient z. B. dieser Impuls: „Entwickeln Sie eine Kampagne zur Nachhaltigkeit in Ihrer jüdischen Gemeinde“ (50). Die Impulse unter der Kategorie „Gesamtbetrachtung“ sind für Projektideen größerer Art auch über den schulischen Kontext hinaus geeignet. Zum jeweiligen Kapitelthema erhalten die Leserinnen und Leser viele weiterführende Links und auch Literaturangaben. Das erweitert die Materialbasis sehr! Wertvoll sind auch die Filmhinweise; dadurch besteht die Möglichkeit, nach Bedarf über Dokumentar- oder Spielfilme zu passenden Vertiefungen zu kommen. Hinzu kommt, wie es für gute Lehrbücher unerlässlich ist, ein anregender Bestand an Fotos und Bildern, welche die Themen und Inhalte interessant ansprechen. In „Infoboxen“ werden spezifische Fachbegriffe erläutert, zusätzlich gibt es ein Begriffsglossar im Anhang, welches weitere Erläuterungen bietet.
Ein gutes Lehrbuch zeichnet sich auch dadurch aus, dass es auf anregende und fundierte Weise zum Lernbuch wird. Das ist hier der Fall, denn die bedeutsamen Inhalte und die verschiedenen Positionen bieten sehr viel Stoff zum eigenen Nachdenken und weiteren Erforschen. Dies sowohl im Einzelstudium als auch in der schulischen, universitären oder gemeindlichen Gruppe. Zentrale hebräische Begriffe werden im Text erläutert und am Textrand in Hebräischer Schrift wiedergegeben. Das heißt nicht, dass dieses Buch nur für jüdische Insider gedacht ist. Ausdrücklich verweisen die Herausgeber auf eine breite Zielgruppe: „Dieses Buch richtet sich an Schüler und Lehrer, an interessierte Juden und Nichtjuden gleichermaßen“ (11). Diesem Anspruch wird das Buch „Ethik im Judentum“ in vollem Umfang gerecht.
Fazit
Lehrkräfte aus vielen Bereichen können dieses Buch hilfreich in der pädagogischen Arbeit nutzen: im Religionsunterricht aller Konfessionen der Sekundarstufe II (teilweise auch schon in Sek I einsetzbar), im Philosophie- und Ethikunterricht und in der Ausbildungsarbeit an Universitäten und Akademien. Schülerinnen und Schüler erhalten einen fundierten und umfassenden Eindruck von der Lebensbedeutung und Aktualität des jüdischen Glaubens in unserer Zeit. Ein solches deutschsprachiges Standardwerk zur jüdischen Ethik hat es bislang nicht gegeben [3] – gut, dass es da ist!
Dr. Manfred Spieß, Oldenburg
3.9.2015
Link zur Informationsseite des Verlages:
http://www.hentrichhentrich.de/buch-lehre-mich-ewiger-deinen-weg-ethik-im-judentum.html
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[1] Ausführlich wird im Anhang zu den Autorenbiographien auf den Seiten 323-326 informiert.
[2] Im Anhang werden die Strömungen im Judentum –Orthodoxie, Reformjudentum, konservatives Judentum – überschaubar vorgestellt (300f).
[3] Vgl. dazu die Bemerkungen der Herausgeber „Zentralrat der Juden in Deutschland“ und „Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund“ (10-12).