Interreligiös-dialogisches Lernen: ID
Sekundarstufe I Band 6: 9./10. Schuljahr
Glauben, vertrauen, zweifeln
Unterrichtsmaterialien mit CD-ROM
Autoren/Herausgeber:
Gloy, Andreas; Herweg, Rachel; Knauth, Thorsten; Petersen, Oliver;
Pettersson, Erlend; Rochdi, Amin; Yildiz, Melek
ISBN: 978-3-06-065501-4
Kösel Schulbuch / Oldenbourg Verlag
19,99 EUR
Religionskunde – mal ganz anders!
„Untersucht die Glaubenszeugnisse der Religionskundigen! – Nehmt Stellung zu ihren Aussagen! – Was siehst du anders, was ähnlich? – Was ist dir nah, was ist dir fern? Wozu hast du weitere Fragen?…“ – Wer sind eigentlich diejenigen, die hier für Schülerinnen und Schüler als Ansprechpartner für den Unterricht zur Verfügung stehen?
Andreas Gloy und Thorsten Knauth haben für Schülerinnen und Schüler der 10. Jahrgangsstufe ein besonderes Religionsbuch geschaffen[1]. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es das gemeinsame Nachdenken, Forschen und Auseinandersetzen mit Religion innerhalb einer heterogenen Lerngruppe aufgreifen und weiter entwickeln will. Ausdrücklich wird die Verschiedenheit in der Klasse gewürdigt und als positiver Ansatz für das gemeinsame Lernen genutzt. Eine ansprechend formulierte Schülerinformation sorgt für Transparenz und will motivieren. Dabei erfahren die Schülerinnen und Schüler auch, dass sechs Personen, von den Autoren als „Religionskundige“ tituliert, am Unterrichtsgeschehen erheblichen ‚Anteil‘ haben, auch wenn sie nicht direkt zugegen sind. Im Kern geht es um zentrale Fragen: „Wir denken, dass alle Menschen auf die eine oder andere Weise, glauben, vertrauen und zweifeln … Deshalb finden wir es wichtig, zu erfahren, wie Menschen aus unterschiedlichen Religionen – Judentum, Christentum, Islam, Alevitentum, Hinduismus und Buddhismus – darüber denken“ (S. 17).
Aus der islamischen Tradition heraus äußert sich Amin Rochdi (Erlangen), die Lehrerin Melek Yildiz (Unna) schildert ihre Standpunkte aus der alevitischen Religion. Mit Oliver Peterson (Hamburg) nimmt ein im interreligiösen Dialog erfahrener Hamburger Stellung aus buddhistischer Sicht und Rachel Herweg (Berlin) stellt als Jüdin ihre Ansichten vor. Mitautor Thorsten Knauth (Duisburg/Essen) erörtert die Kernfragen aus seiner evangelischen Perspektive und Erlend Petterson steuert einige Beiträge als Hindu bei. Ausdrücklich wird festgehalten, dass diese „Religionskundigen“ keine „Religionsexperten“ im hoch fachlichen Sinne seien, und dass sie auch nicht durch ihre Religionsgemeinschaften speziell zu dieser Tätigkeit autorisiert wurden. Im Arbeitsbuch übernehmen die Religionskundigen Aufgaben der fachlichen Erläuterung, aber sie stehen auch für persönliche Äußerungen und Stellungnahmen zur Verfügung. Vertiefend kann die Lehrerin/der Lehrer aus den Zusatzmaterialien der beigefügten CD-ROM schöpfen, etwa aus ausführlichen Interviews und Gesprächen der sechs Mitbeteiligten.
Dieser Ansatz, Religion durch konkrete Menschen vorstellen zu lassen, ist nicht neu, wird hier aber auf eine völlig neue Weise angewendet. Durch diese Bündelung wird das komplexe Thema der Religionen von der Ebene der abstrakten, lexikalischen Religionskunde ‚heruntergebrochen‘ auf die Ebene der Menschen. Diese berichten ganz konkret von ihren Erfahrungen, Fragen und Orientierungen. Die Schülerinnen und Schüler haben konkrete Personen, die für bestimmte Inhalte stehen. Immer wieder tauchen sie im Kontext verschiedener Fragen und Aufgaben auf; irgendwie sind sie im Klassenzimmer dabei, hat man den Eindruck!
Das inhaltliche Angebot ist reichhaltig. Zunächst werden Symbole der jeweiligen Religionen vorgestellt. Und zwar lassen die ‚Religionskundigen‘ jeweils drei Symbole sprechen. Ein kluger Weg, denn so kommt die Vielgestaltigkeit jeder Religion besser zum Ausdruck [2]! Danach begleiten die Symbole die jeweiligen Texte und erleichtern den Schülerinnen und Schülern das Auffinden, Wiedererkennen und Einordnen.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation und den eigenen Fragen steht bei der Thematik „glauben, vertrauen, zweifeln“ besonders im Vordergrund. Hier bietet das Arbeitsbuch interessante Wege für den Unterricht an; etwa das „Eigeninterview“ oder das „Marktplatzgespräch“ (29f). Wie nebenbei lernt man dazu noch den „sokratischen Dialog“ kennen und übt diesen ein wenig. Schritt für Schritt können sich die Schülerinnen und Schüler in die vielschichtige Thematik einarbeiten, immer wieder aufgefordert nachzudenken, kritisch zu prüfen und Alternativen anzuschauen. Die zahlreichen Arbeitsblätter sind mit viel Sorgfalt und Aufwand gestaltet. Das fällt z.B. besonders bei den „Glaubenszeugnissen“ auf (45-49). Neben der didaktischen Klugheit kommt damit auch die Wertschätzung der Religion gegenüber zum Ausdruck. Die Sprache der Texte ist klar und zielführend. Entsprechend sorgfältig und durchdacht sind auch die Arbeitsaufträge formuliert – ein ganz wichtiger Aspekt! Pfiffig und auch für Jugendliche sehr ansprechend: „Findet eine Gleichung für das Verhältnis von Glaube, Wissen und Zweifel“ (54-58). Auch die ‚Religionskundigen‘ bieten ihre „Gleichung“ im Unterricht zur Diskussion an. Die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ ist in dieser Jahrgangsstufe erfahrungsgemäß von großer Bedeutung und Faszination. Auch dazu bietet das Arbeitsbuch ein reichhaltiges Tableau an Erörterungs- und Vertiefungsmöglichkeiten. Von Methodenmonismus kann hier wahrlich nicht die Rede sein, allerdings steht die reiche Methodenwahl in einem angemessenen Verhältnis zum umfänglichen Thema! In zahlreichen Varianten stehen ethische Fragen im Fokus; eine Aussage des Dalai Lama führt zur Diskussion aller Beteiligten: „Wer ist ein guter Mensch?“ (77). Darüber hinaus geht es um Fragen des Gebetes in den Religionen, aber auch um die Frage nach Himmel und Hölle, also um Jenseitsvorstellungen. Damit man nicht nur im ‚eigenen Saft schmort‘ weisen die ‚Religionskundigen‘ auch anderweitig über sich hinaus. Jeder stellt andere Zeuginnen und Zeugen seines Glaubens kurz vor und ermöglicht damit Vertiefung und Weiterarbeit.
Lehrkräfte erhalten zu den einzelnen Arbeitsschritten Hinweise zur Evaluation, bis hin zu Vorschlägen für Klassenarbeiten. Auf der beiliegenden CD-ROM sind Arbeitsblätter zum vereinfachten Ausdrucken angeboten.
An zwei Stellen erschließen sich mir Inhalte nicht ganz. Ist das vorliegende Gemälde, „Das Floß der Medusa“ von Géricault, (59) wirklich das geeignete Medium, um die Inhalte Zweifel, Verzweiflung, Resignation etc. anzusprechen? Warum wird kein Bezug zum aktuellen „Massengrab Mittelmeer“ genommen? – Anschließend wird eine „Schatzkiste der Weisheiten“ aus vielen Religionen angeboten. Dieser gewiss sehr wichtige Inhalt steht jedoch unvermittelt dar. Hier gäbe es bessere Chancen der Einordnung in das Unterrichtsangebot. [3]
Den Autorinnen und Autoren dieses Bandes ist es vorzüglich gelungen, die großen Fragen der Religionen dichter an die Lebensbereiche der Jugendlichen heran zu bringen. Diese erfahren gleichzeitig, dass ihre Fragen und Ansichten ernst genommen werden und in der Schule Raum finden. Sie lernen, dass auch die Erwachsenen mit den Fragen des Glaubens nicht wirklich fertig sind, ja dass es sogar erstrebenswert ist, in religiösen Dingen ein Suchender zu bleiben. Dass man dabei sogar humorvoll werden bzw. bleiben kann, davon zeugen etliche Beispiele aus dem Buch!
Dr. Manfred Spieß
Oldenburg
7.12.2015
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[1] Das Buch ist als dritter Band in der Reihe „Interreligiös-dialogisches Lernen“ erschienen.
Siehe auch: „Für eine gerechte Welt – Prophetinnen und Propheten und wir“ und
„Wer bist du? Wer bin ich? Unterrichtsmaterialien für die Grundschule“
Link zur Verlagsinformation. Hinweis: Dieser Titel wird Referendarinnen und Referendaren 50% ermäßigt angeboten.
[2] Verblüffend einfach, aber stark elementar Amin Rochdi: „Der Koranständer ist das dritte von mir gewählte Symbol für den Islam“ (24).
[3] Ergänzen könnte man in einer Neuauflage auf Seite 36: Angabe der Bibelstelle 1. Mose 32, 24-26 beim Statement von Th. Knauth