Schubert: Minucius Felix, Octavius

Christoph Schubert: Minucius Felix, Octavius.
Übersetzt und erklärt.

(Kommentar zu frühchristlichen Apologeten [KfA] 12)
Freiburg im Breisgau: Herder 2014.

XIII, 766 S.

ISBN 978-3-451-29049-7

Gebunden. 140 €

 

Streit unter Freunden über die Wahrheit und die Religion –
als das Christentum sich entwickelte

 

Eine Rezension von Christoph Auffarth

 

Kurz: Ein Kommentar eines klassischen Philologen erschließt sprachlich, literarisch und gedanklich das Kleinod unter den ‚Dialogen‘ zwischen Christen und Heiden.

Im Einzelnen: Kurz hintereinander (kurz vor 200 n.Chr.)  schreiben zwei Christen gegen die Vorurteile und Unterstellungen, die ihnen entgegenschlagen:  der eine, Tertullian sein Apologeticum als  eine Verteidigungsrede in einem (fiktiven) Prozess. Der andere, Minucius Felix, als einen Dialog dreier Freunde, von denen der eine, Caecilius, die Vorwürfe der klassischen Römer vorträgt, Octavius die Gegenrede der Christen, die manchmal den Spieß herumdreht und Vorwürfe gegen die ‚Heiden‘ erhebt (retorsio „Zurückschleudern“). Octavius erhält die dreifache Redezeit zugestanden. Am Ende erklärt Minucius als Schiedsrichter die Christen zu Siegern und Caecilius erkennt seine Niederlage an; er wird Christ. (MF wohl ein Rechtsanwalt aus Nordafrika; der Dialog kennt Tertullians Apologeticum). Dass ein klassischer Philologe und Spezialist der Silbernen Latinität[1] den Kommentar verfasst, ist eine wichtige Voraussetzung für einen Text, der sich sprachlich und in seiner Denkweise ganz in der lateinischen Welt seiner Zeit bewegt. Christoph Schubert (*1970) ist seit 2010 Professor für Latein und Griechisch an der Universität Wuppertal.[2] Ähnliche Gespräche hat etwa Cicero in seinen Tusculanae disputationes und in de natura deorum oder de divinatione verfasst. Wie dort vertritt Caecilius den Grundsatz der Skeptiker, dass man nicht sich auf einen Glauben festlegt, sondern sich eines letzten Urteils enthält (epoché). CS zeigt, wie das Kapitel 8 den Höhepunkt darstellt in C.s Rede: Die Verteidigung der klassischen Religion verbindet er mit dem Vorwurf, die Christen hätten gar keinen Gott, seien Atheisten: Sie verachteten Tempel, Götter, Opfer, Priester. Atheismus aber, so wertet ihn die Antike, untergräbt die politische Grundordnung: wer an keine Götter glaubt, akzeptiert keine Tradition und keine Ordnung (sie sind „verzweifelt“ desperatae, hier noch verstärkt zu Desperados: sie gründeten eine Bande factio ([wie einst Catilina] CS 206-219). Die sektenartigen religiös gerahmten Verschwörer-Rituale beschreibt dann das Kapitel 9: Von Orgien, Inzest, Anbetung der Genitalien, Kannibalismus, usf. ist die Rede (219-238; die Übersetzung setzt die Erkenntnisse des Kommentars in pointierter Wortwahl um). Solche Vorwürfe wurden zuweilen in den Christenverfolgungen vorgetragen, die Römer aber bewunderten auch, wie die  Christen mutig die Todesstrafe ertrugen (CS 218). In den Prozessen wurden nicht konkrete Taten verhandelt, das Bekenntnis: Christianus sum. „Ich bin ein Christ“ genügte, um das Todesurteil zu sprechen. Die Vor-Urteile aber, was man den Christen zutraute, kommen hier zur Sprache. – Nach einer kurzen Einrede des Minucius gegen die Skepsis, nämlich die Frage nach der Wahrheit,  nutzt Octavius Kapitel 16-38 seine Rede, um einerseits zu verteidigen, andrerseits nun die klassische Religion zu kritisieren. Erst beweise die Natur, dass dahinter ein guter Gott stehe, und zwar ein Gott (16-19), was schon die klassischen Philosophen voraussetzten (da übernimmt MF den Katalog von Cicero, S. 366f.). Zur Frage der ‚Anbetung‘ von Kultbildern übernimmt O. die Kritik der Philosophen von der Dummheit der Gläubigen.[3] Die Kritik am Polytheismus der antiken Religion (c. 20-24; 388-) macht die klassischen Götter erst lächerlich, fürchtet sie dann aber als wirksam als Dämonen (26,7-17,8; S. 495-535). Es folgt die Widerlegung der Vorwürfe gegen die Christen, etwa, sie würden einen Esel anbeten (28.7-9). Hintergrund ist aber weniger (wie CS erklärt) die gallische Epona, vielmehr was schon Tacitus historiae 5, 3-4 berichtet, dass Juden einem Esel gefolgt seien und ihn dann geopfert hätten. Das berühmte Graffito mit dem Esel am Kreuz ‚Alexamenos verehrt Gott‘ gehört hierher.[4] Der ‚Dialog‘ findet ein ‚happy end‘: Der Konflikt endet mit der freiwilligen Aufgabe des Stärkeren. Die Kraft des Wortes, die der Autor MF hier siegen lässt,  hat in der Realität keine Chance. Vor den römischen Gerichten wurde nicht diskutiert, sondern entschieden.

Für den Unterricht kann man auf die sehr gute zweisprachige Reclam-Ausgabe, hrsg., übers. und eingeleitet von Bernhard Kytzler zurückgreifen.[5] Aber für die Vorbereitung auch einzelner Kapitel durch die Schüler ist Schuberts Kommentar hervorragend: umsichtig, Kenntnis sowohl der klassisch-lateinischen Literatur und der christlichen Literatur, prüft die Alternativen, klares Urteil. Das ist gut und ver­ständlich geschrieben, Wissenschaft in aller Gründlichkeit (für einen etwa 30 Seiten langen Text 700 Seiten Kommentar). Ein Index verzeichnet auch wichtige lateinische Begriffe. Den Kommentar sollte man in jeder Lehrerbibliothek bereit stehen haben, wo Latein unterrichtet wird.

Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

 

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[1] Silberne Latinität nennt man die Sprache und Literatur der Hohen Kaiserzeit, nach der Goldenen Epoche des Caesar, Cicero, Livius und Vergil. Seine Dissertation schrieb CS über das Bild von Kaiser Nero in der darauffolgenden lateinischen Poesie Studien zum Nerobild in der lateinischen Dichtung der Antike.  Stuttgart: Teubner 1998.

[2] http://www.latein.uni-wuppertal.de/fileadmin/latein/Vita_Schubert.pdf. Im Folgenden abgekürzt mit den Initialen CS. C. steht für Caecilius, O. für Octavius, MF für Minucius Felix.

[3] Gleichzeitig ist aber die klassische Bildtheologie die argumentative Grundlage für die christliche Christologie, dass die Materie (der materielle Sohn Gottes) identisch ist mit dem unsichtbaren Gott: Christoph Auffarth: Das angemessene Bild Gottes: Der Olympische Zeus, antike Bildkonvention und die Christologie. In: Natascha Kreutz; Beat Schweizer(Hrsg): Tekmeria. Archäologische Zeugnisse in ihrer kulturhistorischen und politischen Dimension. Beiträge für Werner Gauer. Münster: Scriptorium, 1-23. Die Bildtheologie dagegen unterscheidet das Bild vom unsichtbaren Gott; es sei nur Verweis.

[4] Abgebildet z.B. http://www.pius-kirchgessner.de/05_Predigten/B_Fastenzeit/Im%20Kreuz_druck.htm (6.3.2016)

[5] Ditzingen: Reclam 1977,  ³1993. Die Ausgabe erschien zuerst im Kösel-Verlag, München 1965. Bernhard Kytzler *1929 gab auch die kritische Ausgabe heraus Leipzig: Teubner 1983, ²1992 und schrieb den Artikel Minucius Felix. In: Gerhard Krause, Gerhard Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie 23, Berlin: de Gruyter 1994, 1–3.

 

 

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