Martin Luther: Schriften, Band 1 – 4. Berlin: Verlag der Weltreligionen 2014; 2015.
Band 1: Reformation der Frömmigkeit und Bibelauslegung. Hrsg. von Thomas Kaufmann. 2014. [424 S.]
Band 2: Aufbruch der Reformation. Hrsg. von Thomas Kaufmann. 2014. [655 S.]
*Band 3: Kirche und Schule. Hrsg. von Albrecht Beutel 2015. [394 S.]
*Band 4: Christ und Welt. Hrsg. von Albrecht Beutel. 2015 [360 S.]
Luther zu Wort kommen lassen: Schriften im Original
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: Luther hat enorm viel geschrieben.[1] Was davon sollte man gelesen haben, um die Bewegung der Reformation zu verstehen? Zwei der führenden Reformationshistoriker haben eine Auswahl mit knappen Erklärungen herausgegeben, die vor allem die frühen Luther-Texte lesbar und auf dem Stand der Forschung zugänglich machen.
Im Einzelnen: Das durch das Aufsehen zum Reformationsjubiläum gesteigerte Interesse an Luther ist am besten zu befriedigen durch die originalen Texte, die als Programmschriften diese Bewegung in Gang gesetzt haben. 1983 zum 500. Geburtstag von Martin Luther erschienen wichtige Arbeiten: Kataloge, Aufsatzsammlungen und eine populäre Werkausgabe des gleichen Verlages von berühmten Theologen herausgegeben.[2] Zu Recht hat der Verlag sich dagegen entschieden, diese Ausgabe, so schön und handlich gebunden sie daher kam, verbessert wieder zu drucken.[3] Die Texte waren nämlich in modernes Deutsch ‚verbessert‘. Luthers Sprache war nicht mehr zu entdecken und zu erkennen.
Die neue Ausgabe, deren 3. und 4. Band hier vorzustellen ist, behält weitgehend die frühneuhochdeutsche Sprache bei. Im Zeilenkommentar werden ungebräuchlich gewordene Wörter erklärt.[4] Präzise Einleitungen stellen Kontext und Absicht der Schriften dar. Band 3 enthält Schriften zu Kirche und Schule, zwei zentrale Anliegen Luthers: die Gottesdienste von der Gemeinde in ihrer Sprache zu feiern, auf der anderen Seite, die Menschen zu befähigen zur Partizipation ihrer Religion, indem sie einen Schulunterricht erhalten. Die Invocavit Predigten (gegen den Bildersturm 1522). Die Gemeinde sei berechtigt, die Lehre zu beurteilen, also auch ihre ‚Lehrer‘ zu wählen und abzusetzen (1523). Die deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes (1523; 1526). Die Städte sollten es in die Hand nehmen, Schulen einzurichten. 160 Seiten umfasst die Schrift von 1539, wo Luther überlegt, was ein Konzil bringen könne, das er bereits 1518 gefordert hatte als oberste Instanz, vor der er sich zu verantworten bereit sei. Nachdem der neue Papst 1535 zu einem Konzil aufrief, machte Luther sich klar, was die bisherigen Konzilien erreicht hatten und wird skeptisch. Er stellte Prinzipien auf, wie die Kirche unabdingbar fundamentiert sein müsse. Als dann endlich das Tridentinische Konzil, 1545 zusammentrat, lehnte es Luther – ein Jahr vor seinem Tod – in schärfstem Ton ab. Das alles erklärt Albrecht Beutel ebenso knapp wie umfassend in seinem Kommentar.[5]
Band 4 Christ und Welt enthält zwei Schriften, dass Luther das Mönchsgelübde verneint und das Eheleben von Gott geschaffen erklärt. Die vier Stellungnahmen zur Revolution des Gemeinen Mannes („Bauernkrieg“) gehen von einem gewissen Verständnis für das Anliegen der Revolutionäre bis zum wütenden Aufruf („harten Büchlein“) wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern, dass man sie töten müsse. Luther muss sich rechtfertigen und verliert viele Unterstützer. „Tatsächlich … der erste entscheidende Wendepunkt der Reformationsgeschichte.“ Von der „Gemeindebewegung“ zur „Fürsten- und Obrigkeitsreformation“ (316). Ansätze zu einem Widerstandsrecht entwickelt Luther in seiner Warnung an seine lieben Deutschen.[6] Die Predigt zum Krieg gegen die Türken 1529. Der Band schließt mit der kleinen wichtigen Thesen-Schrift Disputatio de homine 1536. Etwa ein Viertel der jeweiligen Bände sind Kommentar, im Falle von Beutel sind das kurze Einleitungen und sprachliche Erläuterungen sowie Literaturangaben und – wie gewohnt – die exzellenten Register des Verlages (Claus-Jürgen Thornton). Luther wird nicht beschönigt, verteidigt, zum Helden erklärt. Aber zu Wort kommen gelassen und eingeordnet.
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
———————————————
[1] Die zum 400. Geburtstag Luthers 1883 begonnene kritische Weimarer Ausgabe umfasst 120 Bände, nachgedruckt. Im Internet https://de.wikisource.org/wiki/Martin_Luther.
[2] 1983 war Deutschland noch geteilt, die Geschichtsbilder klar unterschieden, aber nicht mehr ganz so auf Widerspruch aus: hier Luther, der das Mittelalter und die Papstkirche zerschlug mit dem Hammer, mit dem er die 95 Thesen an die Schlusskirche hämmerte, dort der frühbürgerliche Revolutionär Thomas Müntzer, der sein Leben für den Fortschritt verlor, den unaufhaltsamen, aber noch zu voreilig.
[3] Martin Luther: Ausgewählte Schriften, hrsg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling. 6 Bände. Frankfurt am Main: Insel 1982 (Band 1: Aufbruch zur Reformation. Bd. 2. Erneuerung von Frömmigkeit und Theologie. Bd. 3: Auseinandersetzung mit der römischen Kirche. Bd. 4. ; Christsein und weltliches Regiment. Bd. 5. Kirche, Gottesdienst, Schule. Bd. 6. Briefe.
[4] Auch im Druck näher am Original war die 6-Bändige Ausgabe in der DDR hrsg. von Hans-Ulrich Delius, 1979-1999, oder auch die lange als Handausgabe gedruckte Bonner Ausgabe von Carl Clemen (in 8 Bänden). Beide enthielten auch lateinische Schriften. Für diese jetzt die zwei-sprachige Ausgabe von Wilfried Härle und Johannes Schilling; Lat.-dt. in 3 Bänden; deutsche-deutsche (seit 2012).
[5] Albrecht Beutel ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er hat das Luther-Handbuch herausgegeben Tübingen: Mohr Siebeck 2005; ²2010, ³2017.
[6] Vgl. meine Besprechung zur Reformation des Rechts (John Witte) in: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2016/06/06/john-witte-reformation-und-recht/ (6.6.2016).