Sichtbares Wort

Jan Harasimowicz: Sichtbares Wort. Die Kunst
als Medium der Konfessionalisierung und Intensivierung
des Glaubens in der Frühen Neuzeit.

(Kunst und Konfession in der Frühen Neuzeit 1) Regensburg: Schnell + Steiner 2017. 360 Seiten mit 220 Abbildungen
ISBN 978-3-7954-3231-7

 

Neue Bilder für alle drei Konfessionen nach der Reformation

Eine Rezension von Christoph Auffarth

 

Kurz: Ein hervorragend bebildertes Buch zu einer erhellenden Erklärung von Altären, Kanzeln und Grabsteinen im Prozess der Konfessionalisierung.

Ausführlich: Der Breslauer (Wrocław) Kunsthistoriker Jan Harasimowicz[1] hat für die frühe Neuzeit das Gebiet der Adelsre­pub­liken und die Städtelandschaft Schlesiens und Polen-Litauens ausgezeichnete kultur­wissenschaftliche Darstellungen gegeben. Dabei geht er von bildlichen Darstellungen auf den Epitaphien (Erinnerungsbilder an Persönlichkeiten in den Kirchen) und den neuen Bild­motiven (Ikonographie) aus, wie sie, durch die Reformation verursacht, die Konfessionen in aufeinander bezogene Konfessionskulturen unterschied.[2] Während man noch beim letzten großen Reformationsjubiläum die Bilderfeindlichkeit der Protestanten hervor­hob,[3] hat sich die Forschung der letzten Generation geradezu ins Gegen­teil verkehrt. Nicht nur die neue Bildersprache der Familie Cranach,[4] sondern auch „die bewahrende Kraft des Luthertums“;[5] ja auch in calvinistischen Kirchen wurden keineswegs alle Bilder beseitigt, sondern teils auch neue Bilder geschaffen.[6]

Für eine große Region im östlichen Mitteleuropa bringt dieser Band mit Aufsätzen J.H.s aus den Jahren 1999-2015 zunächst grundlegende Fragestellungen: Kunst als Medium der Kon­fessionalisierung (16-42) und Protestantismus und bildende Kunst (43-58). Dann schon spezieller die wichtigen Beiträge Wort – Bild – Wort: Die Rhetorik der lutherischen Kirchenkunst (59-74) und Repräsentation der protestantischen Fürsten und Stände in der Kunst der Reformationszeit (75-92). JH macht deutlich, dass es um drei Konfessionen geht, vor allem auch in ‚seiner‘ Region östlich der Oder. Denn Träger und Gewinner der Reformation sind die Stände und vor allem der Adel, die durch das Bekenntnis zu einer der drei Konfessionen größere Unabhängigkeit und Entscheidungsmöglichkeiten gewinnen. So sind es vor allem Schlosskapellen und Rat­häuser, in denen die neuen Bilder gemalt werden. Bildschnitzer sind bei den Kanzeln, Tauf­steinen und Epita­phien gefragt. „Das Klischee [der calvinistischen Bilderfeind­lichkeit] ist nicht ganz unbe­grün­det.“ (21) Aber es gibt neue Bildmotive, die auch in Kirchen zu finden sind. „Sogar die Gewissheit über die angeblich vollständige calvinistische Bilder­losigkeit ist abhanden­gekom­men“ (44). Das zeigt JH am Beispiel der calvinistischen Kirche im schweize­ri­­schen Trogen. Aller­dings nicht mehr im 16., sondern im 17. Jahrhundert. Auch die katholi­sch­en Bilder sind nicht in Kontinuität zu mittelalterlichen Bildern und Statuen, sondern nach dem Tridentiner Konzil beginnt eine massive Neuausstattung der Kirchen mit neuen ‚barocken‘ Bildmotiven.

In den folgenden Einzeluntersuchungen – jeweils mit exzellent gedruckten (auch gebunden ist das Buch sorgfältig) farbigen Abbildungen im Text, so dass man direkt bei der Erklärung auch das Bild sieht – führt JH die Leser durch die Schlosskapelle von Augustusburg (1568-1573 gebaut, S. 95-118) mit vielen Vergleichsbeispielen, worunter der Altar von Mömpel­gard/Montbéliard (1538/ 40, heute in Wien) hervorsticht. Dann steht man vor dem „lutheri­schen Kampfbild“, dem Epitaph für den Wittenberger Reformator Paul Eber (119-132).[7] Mit den Buchdruckern in der Oberlausitz und ihren Illustratoren kommt das für die Verbreitung der evangelischen Lehre zentrale Medium Buch und Flugschrift in den Blick (133-150). Die umfangreichste Untersuchung (74 Seiten) gilt den Epitaphien der Stadtbürger und Prälaten in Breslau. Wie unterschiedlich das gleiche Medium Erinnerungsbilder von den Konfessi­onen gewünscht wird! Obwohl unter der gleichen Herrschaft können die Breslauer, ob Calvinisten, Lutheraner oder Katholiken, viel freier Bilder in Auftrag geben als die in der Residenzstadt Prag. Die regionale Heilige St. Hedwig genießt auch bei Lutheranern hohe Anerkennung. Die Calvinisten aber distanzieren sich vor allem von den ‚plebejischen‘ Lutheranern.

Ein dritter Teil (den sich JH gerade erarbeitet hat) gilt dem Pietismus und seinem Einfluss auf Architektur und bildende Künste. (227-292) Etwa das Bild von der Brautmystik, Allego­rien zu Johann Arndts Bestseller Wahres Christentum, und zum Architekten Christoph Leonhard Sturm (1669-1719). Eine enorme Bibliographie auf über 50 Seiten führt in eine Bibliothek von weit über tausend Büchern und Aufsätzen. Ein Orts- und Personenregister hilft dem Wiederfinden.

Man erfährt viel über die früh-neuzeitlichen Konfessionskulturen, umfassende Erklärungen zu den exzellent abgebildeten Kunstwerken. Ein hervorragend gestaltetes Buch eines gelehrten Kulturwissenschaftlers.

29.12.2017                                                                                               Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Im Folgenden abgekürzt mit seinen Initialen JH. Er ist 1950 geboren.

[2] Drei große Konfessionen katholisch – evangelisch-lutherisch – evangelisch-reformiert (Calvinistisch). Statt nur auf Wittenberg als Zentrum der Reformation zu schauen, betont die neuere Forschung die Polyzentrik (Wittenberg, Zürich, Straßburg, Genf), die vielen Zwischentöne und die Widerspre­chen­den (Dissenz), so Irene Dingel: Geschichte der Reformation. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2017. Andreas Pietsch u.a. (Hrsg.): Konfessionelle Ambiguität: Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. (SVRG 214) Gütersloh: GVH 2013. Thomas Kaufmann (Hrsg.): Frühneuzeitliche Konfessionskulturen. (SVRG 207) Gütersloh: GVH 2008.

[3] Dazu vor allem die Ausstellung der Hamburger Kunsthalle, besorgt von Werner Hofmann: Luther und die Folgen für die Kunst. [Katalog] München: Prestel 1983.

[4] Der jüngere Cranach wurde „entdeckt“. Roland Enke, Katja Schneider, Jutta Strehle (Hrsg.) Lucas Cranach der Jüngere: Entdeckung eines Meisters. München: Hirmer 2015. Unter den zahlreichen Forschungsbeiträgen sind besonders hervorzuheben: Ruth Slenczka: Cranach als Reformator neben Luther. In: Heinz Schilling (Hrsg.): Der Reformator Martin Luther 2017. München: Oldenbourg 2014, 133-157. Susanne Wegmann: Der sichtbare Glaube. Das Bild in den lutherischen Kirchen des 16. Jahrhun­derts. (SHR 93) Tübingen: Mohr Siebeck 2016.

[5] Johann Michael Fritz: Die bewahrende Kraft des Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen. Regensburg: Schnell & Steiner 1997. Für das gemischtkonfessionelle Stift Hildesheim hat Renate Dürr die Bilder der Lutheraner beschrieben: Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchen­räume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550 – 1750. (QFRG 57) Gütersloh: GVH 2006,

[6] Justin Kroesen: Accommodating Calvinism. The Appropriation of Medieval Church Interiors for Protestant Worship in the Netherlands after the Reformation. In: Jan Harasimowicz (Hrsg.): Protes­tantischer Kirchenbau der frühen Neuzeit in Europa. Grundlagen und neue Forschungskonzepte. Regensburg: Schnell & Steiner 2015, 81-98. J.K. arbeitet an einem Buch, das die These von J.M. Fritz auch für calvi­nistische Kirchen nachweist. Vgl. seinen Aufsatz Tussen Bugenhagen en Borromaeus – De paradox van de conserverende Reformatie. In: Nederlands theologisch tijdschrift 59 (2005), 89-105. Christoph Auffarth: Bilder in der calvinistischen Stadt Bremen. In: ders.; Jan van de Kamp (Hrsg.): Die andere Reformation: Bremen und Nordwesteuropa. 2018.

[7] Zu der Darstellung der Epitaphien in der Stadtkirche von Wittenberg von Doreen Zerbe: Reformation der Memoria. Denkmale in der Stadtkirche Wittenberg als Zeugnisse lutherischer Memorialkultur im 16. Jahr­hundert. Leipzig: EVA 2013 meine Rezension : http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2015/07/27/reformation-der-memoria/ (27.7.2015). JH 121 hebt richtig den Bezug der katholischen Polemik gegen Luther, die Wildsau im Weinberg des Herrn zu sein, zum Namen des Pastors Eber hervor.

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