Karlheinz Dietz; Thomas Fischer:
Regensburg zur Römerzeit.
Vor Roms nördlichster Garnison an der Donau
zur ersten bairischen Hauptstadt.
Regensburg: Pustet 2017.
ISBN: 3791729764
Römische Militärs an der nördlichen Donau-Grenze trainieren Krieg und gründen Familien
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: Regensburg war ein bedeutendes Militärlager mit umfangreicher Siedlung der zugehörigen Familien. Weit über das lokal Überlieferte hinaus stellt der Band Sinn und Leben der Soldaten dar, ein wenig auch über deren Familien. Religion ist unzureichend dargestellt, obwohl es interessante Beispiele gibt.
Ausführlich: Die reiche Geschichte der Stadt Regensburg,[1] am Zusammenfluss von dem Fluss Regen in die Donau, beginnt als großes Militärlager. Damit unterscheidet sie sich von den Städten, die die Römer Colonia nannten, Ansiedlung von Bürgern römischen (oder italischen) Rechts, vielfach Veteranen, die sich den Besitz einer Wohnung in den Kolonien erdient hatten durch den Militärdienst. Das sind die Römerstädte, alle links des Rheins und damit im Schutz einer Wasser-Grenze: Von Xanten (Colonia Ulpia Traiana), Neuss (Novaesium), Köln (das den Namen colonia noch trägt),[2] Bonn, Andernach, Koblenz (Confluentes), Mainz (Mogontiacum),[3] Worms (Borbetomagus), Speyer (Noviomagus), Straßburg (Argentoratum), (Kaiser-)Augst bei Basel,[4], sodann entfernt vom Rhein Trier,[5] Augsburg,[6] Kempten, Chur (auf dem Weg zu dem steilen, aber kurzen Pass über den San Bernardino Richtung Rom). Die spannende Frage, wie sich aus dem Militärlager und seiner umliegenden Siedlung die Stadt entwickelte, die einen ganz anderen Namen trägt (diskutiert 25-28), nämlich Regensburg nach einem Radisbona (erstmals im 7. Jahrhundert so genannt),[7] ist in dem Band nicht ausführlich dargestellt. Er endet im Wesentlichen mit der Feststellung „Gegen Ende des 5. Jahrhunderts war das Alpenvorland zumindest faktisch wieder von römischer Herrschaft frei.“ „Für einen gewaltsamen ‚Untergang‘ der Römerherrschaft in Regensburg gibt es erst recht keinerlei Hinweise, wohl aber dafür, dass auch unter drastisch veränderten politischen Rahmenbedingungen das Leben in der Stadt weiterging.“ (254) „Inzwischen kann diese Kontinuität durch entsprechendes Fundmaterial des 4.-7. Jhs. zusätzlich gestützt werden.“ (263). Obwohl im Titel mit ‚erste bairische Hauptstadt‘ angekündigt, begnügen sich die Autoren mit einer Einwanderung von Böhmen (261f), Baiuwaren, die die Reste der römischen Steinmauern in Besitz nahmen. Dazu gibt es die spannende Kontroverse zwischen Carlrichard Brühl und Werner Gauer. Aus dem Lager hatten die Römer eine steinerne Festung gemacht (226-232). Brühl stellte sich vor, dass die neuen Besitzer den Mauerring (eher das auf ein Viertel verkleinerte Binnenkastell, S. 239f) als ihre neue ‚Stadt‘ besiedelten. Aber selbst dieses nicht einmal 200 x 200 große Kastell überstieg wohl die Einwohnerzahl, wie überall die römischen Städte erst im 12. Jahrhundert sich in der Zahl der Einwohner so vergrößerten, dass sie die alte Fläche bewohnen konnten, Gärten und Felder eingeschlossen. Gauer meinte, dass im Frühmittelalter das Regensburger Tor (porta praetoria, S. 133-142) wie eine Burg verwendet wurde, um die herum – wie an der Porta nigra in Trier – sich eine Siedlung scharte.[8]
So steht für Regensburg das Militär, sein Training und seine absichtlich – vor allem in den Inschriften – und unabsichtlich in Hausresten oder Gruben hinterlassenen Überreste, die Außengrenzen des römischen Imperium im Vordergrund. Das haben die beiden Autoren, der Althistoriker Karlheinz Dietz und der Provinzarchäologe Thomas Fischer herausragend gut gemacht: Karten,[9] Rekonstruktionen von Gebäuden und Soldaten (eine gute Arbeit des Zeichners R. Röhrl), Umzeichnung von Gegenständen, Ergänzung von Inschriften[10] und sehr gute farbige Abbildungen machen anschaulich, was der Text noch genau erklärt. Lokale Details aus Regensburg vergleichen die Autoren mit Befunden aus anderen Orten und ordnen sie ein in die großen Ziele der Erhaltung römischer Macht an den von ihnen beanspruchten Gebieten und Grenzen und der dafür notwendigen Militärorganisation. Für dieses Thema ist das Buch nicht nur auf dem neuesten Forschungsstand, sondern die aktuellste Darstellung der Einzelheiten wie des Ganzen. Angesichts der relativ wenigen nicht auf das Militär bezogenen Befunde, geben sich die Autoren Mühe, auch die Familien, Frauen, Kinder in der das Lager umgebenden Siedlung (canabae) zu berücksichtigen: etwa die bei der Geburt gestorbene Mutter oder Kinder (59).
Als Religionswissenschaftler lese ich die Abschnitte über Religion mit besonderer Aufmerksamkeit. Ein knappes Kapitel 175-181 ist dem Thema gewidmet, aber es kommt auch sonst mehrfach zur Sprache, etwa der Apis-Stier,[11] viele Gelegenheiten sind aber auch ausgelassen. Das Kapitel behandelt zwei extra-urbane (außerhalb der Stadt gelegene) Heiligtümer: des Mercur auf dem Ziegetsberg und das Liber-Pater-Heiligtum Der aktuelle handbuchartige Katalog der Karlsruher Ausstellung ist unbeachtet geblieben.[12] Auseinanderzuhalten sind die 1. Römische Religion, 2. die persönliche Religionspraxis, 3. die Magie und die 4. Militärreligion. Der Satz 211, anlässlich einer Mithrasfigur:[13] „Das Vordringen aus dem Osten stammender Religionen“, die „wenig zur Nüchternheit des römischen Götterhimmels passten“, vermischt Religion (1) mit Religion (2). Kaiserkult beim Militär und sonst fehlt ganz,[14] Militärreligion (religio castrensis) wie die Feldzeichen,[15] Fahneneid, Ex voto (Gelübde) kommen zwar als Beispiele vor, aber sind nicht ausgewertet. In dieser Fragestellung ist das Buch enttäuschend. Als Buch über das römische Militär ist es ausgezeichnet.
Bremen/Much, 13. April 2019
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Die einzigartige Forschung zum Regensburger Dom von Achim Hubel und (4 Bände, habe ich vorgestellt „Kathedralen des Mittelalters: Das Ganze und die Details am Regensburger Dom anschaulich gemacht“: Achim Hubel; Manfred Schuller: Der Dom zu Regensburg, Band 5, 2011, (6.3.2011) http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2011/03/06/der-dom-zu-regensburg-von-achim-hubel-und-manfred-schuller/(6.3.2011). – http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2014/03/23/der-dom-zu-regensburg. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2015/02/17/der-dom-zu-regensburg-2/ http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2017/01/09/der-dom-zu-regensburg-3/ (9.1.2017).
[2] Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Zum römischen Köln Werner Eck: Köln in römischer Zeit: Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum (Geschichte der Stadt Köln 1) Köln : Greven, 2004; als kurzes bebilderter Führer W.E.: Die Gestaltung der Welt. Augustus und die Anfänge des römischen Köln. Köln: Greven, 2014
[3] Das vor wenigen Jahren gefundene Isis-Heiligtum Marion Witteyer: Das Heiligtum für Isis und Mater Magna. Texte und Bilder / Text. Mainz am Rhein: von Zabern, 2004.
[4] Augusta Raurica/Colonia Augusta Rauricorum. 44 v.Chr. gegründet laut einer Inschrift von Cäsars Feldherrn Lucius Munatius Plancus. Ludwig Berger, Führer durch Augst. 2012. Forschungen in Augst. Publikationen zu den weiter laufenden Ausgrabungen. Augst-Basel 1.1977, 2.1975-[50.2016].
[5] Colonia Augusta Treverorum, 16 v.Chr. gegründet. Das Lokale und die welthistorische Bedeutung hat der Katalog der Trierer Ausstellung hervorragend zusammengeführt: Alexander Demandt (Hrsg.): Konstantin der Grosse: Imperator Caesar Flavius Constantinus. Darmstadt: von Zabern; WBG 2007.
[7] Arbeo von Freising zum Jahr 770 nennt den Namen für den Herzogssitz der Agiolfinger.
[8] Werner Gauer, Urbs, Arx, Metropolis. 1981. Brühl, Palatium und civitas. 1990, 219-255, beide im Literaturverzeichnis genannt. Brühl, der sich nur einen geschlossenen Ring vorstellen konnte, nannte Häuser auf der Außenseite einen ‚fortifikatorischen Wahnsinn‘. Gauers Lösung dürfte aber für das Frühmittelalter eine typische Lösung sein, rund um einen Turm zu siedeln, in den man sich notfalls zurückziehen kann.
[9] Nur die Karte S. 38 ohne Namen ist wenig hilfreich. Für den Überblick sind die Karte S. 78 und die auf dem hinteren Vorsatz der beste Beginn.
[10] Hier ist besonders die Gründerschrift 135-137 aus dem Jahre 179 sehr gut vorgestellt.
[11] Abbildung S. 197 ohne Verweis auf einen erklärenden Text auf S. 211. Serapis als Herme Abb. 129, S. 156. Zu Apis und Serapis Christoph Auffarth: Mit dem Getreide kamen die Götter aus dem Osten nach Rom: Das Beispiel des Serapis und eine systematische Modellierung. in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 20(2012), 7-34.
[12] Imperium der Götter. Isis, Mithras, Christus. Kulte und Religionen im Römischen Reich. Hrsg. vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe. Darmstadt: Theiss 2013. Darin der einleitende Beitrag des Rezensenten Religiöses Denken und sakrales Handeln. Grundlegendes zum Verständnis antiker Religion, 15-19.
[13] S. 181 heißt es „es fehlt Mithras“, während S. 211 die Möglichkeit diskutiert wird. – Die Korrektur einer älteren Forschungsthese [Cumont 1906] – Mithras sei nicht aus Persien. „Tatsächlich entstand der Mithras-Kult in der frühen Kaiserzeit in Rom oder Ostia.“ [das von Maarten J. Vermaseren: Der Kult der Kybele und des Attis im römischen Germanien. Stuttgart, Aalen, 1979 übernommen] – hat sich nicht als zutreffend erwiesen: Richard Gordon hat die neuen Forschungen in dem o.g. Karlsruher Katalog vorgestellt und im Reallexikon mit den Nachweisen prägnant zusammengefasst im Reallexikon für Antike und Christentum 24(2012), 964-1009.
[14] Die Beispiele S. 178 sind nicht für den Kaiserkult ausgewertet.
[15] Der einschlägige Aufsatz (beruhend auf der Dissertation) des Regensburger Althistorikers Peter Herz fehlt: Kaiserfeste der Prinzipatszeit. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 16,2 (1978), 1135-1200. Ders. Feriale Duranum. Der Neue Pauly 4, 1998, 480-481. Der Verweis im Index s. Legio III Italica, Fahne führt ins Leere; dort findet man etwas unter aquilifer Adlerträger und signifer, signum (Fahne, Feldzeichen). Unter dem Indexeintrag ‚Kastell‘ findet sich ‚Fahnenheiligtum‘, jedoch ohne Diskussion seiner religiösen Funktion.
Selbstverständlich freut es ‚Römer‘, wenn ihr 2018 (nicht 2017) erschienenes Buch über ‚Regensburg zur Römerzeit‘ von einem Theologen im fernen Bremen als ‚Buchempfehlung‘ der EKD überwiegend positiv besprochen wird. Nicht alles, was er kritisch sieht, sieht er richtig; aber das sind meistens Kleinigkeiten. Schwerwiegender ist schon, was er nicht erwähnt, dass nämlich in diesem Buch erstmals ein zweites Auxiliarkastell in der Regensburger Bucht nachgewiesen und eine deutliche Belegungskontinuität des größten römischen Friedhofs bis ins 7. Jahrhundert vorgestellt wird.
In seiner Kritik konzentriert er sich auf die Religion, die ihm zufolge bei uns nur „unzureichend dargestellt“ sei. Wir geben gerne zu, dass wir auch „in dieser Fragestellung“ hauptsächlich das Belegte, und nicht alles Mögliche darbieten, also ebenso wenig eine römische Religionsgeschichte wie etwa eine Sozial-, Wirtschafts- oder Kulturgeschichte schreiben wollten. Dabei ist dem Rezensenten offenbar entgangen, dass die ‚religio Ratisbonensis‘ erst 2011 von Wolfgang Eichinger monographisch abgehandelt wurde, was uns selbstverständlich entlastet hat (siehe S. 17; 81; 181). Die Hinweise auf Militärreligion im Regensburger Lager sind rar. Ausführlich genug haben wir die Verehrung des Genius centuriae berücksichtigt. Ganze neun näher bestimmbare Götterweihungen gibt es aus Regensburg. Hinweise auf den Kaiserkult fehlen ganz, sieht man von der Nennung divinisierter Vorfahren in der Lagerbauinschrift ab. Von den Fahnenheiligtümern der drei Lager wissen wir genauso wenig wie von den sonstigen Heiligtümern der Stadt. Der Tempel des Mercurius Censualis wird ebenso angesprochen wie das sacellum der Larunda im Lager, usw. Kein einziges Zeugnis (auch nicht die ausführlich besprochene Volkanus-Weihung) ist gewinnbringend mit dem römischen Festkalender zu verbinden. Wo also hätte man den vom Rezensenten in Anm. 15 offerierten, vormaligen Regensburger Althistoriker zitieren sollen?
Warum der Rezensent in Sachen Mithras einseitig gegen unsere Ansicht Partei nimmt, sagt er nicht. Dabei ist der ausgewogene Beitrag von Jaan Lahe ‚Zu möglichen Verbindungen zwischen römischem Mithras und iranischem Mithra‘ in der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift für Religionswissenschaft 25 (2017) 233-262 erschienen. Besonders erhellend ist, wie er uns die Vermischung von römischer Religion und persönlicher Religionspraxis unterstellt und zu diesem Zweck folgendes Zitat unterschiebt: »„Das Vordringen aus dem Osten stammender Religionen“, die „wenig zur Nüchternheit des römischen Götterhimmels passten“ …«. Tatsächlich steht in unserem Buch auf S. 211 Folgendes: „Auf dieser Inschrift [für Kaiser Elagabal] herrschen Jupiter und seine Gemahlin Juno Regina noch unangefochten, während alsbald die neue kaiserliche Schutzgottheit Elagabal die göttliche Hierarchie für einen Moment durcheinanderbrachte. Dennoch hat die kurze Regentschaft dieses exzentrischen Monarchen, dessen religiöse Vorstellungen wenig zur Nüchternheit des römischen Götterhimmels passten, das Vordringen aus dem Osten stammender Religionen gewiss nicht behindert und die Erhebung des unbesiegten Sonnengottes zum Staatsgott unter Kaiser Aurelian (270-275) vorweggenommen.“ Es war also Kaiser Elagabal, der seine persönliche, aus Emesa mitgebrachte Religionspraxis mit der römischen Religion vermischte, nicht wir.