Kaufmann: Bauernkrieg

Thomas Kaufmann: Der Bauernkrieg: ein Medienereignis.

Freiburg: Herder 2024.
ISBN 978-3-451-39028-9.
544 Seiten.
58 Abbildungen. Karten auf den Vorsätzen.

 

Nur ein Medienereignis?
„Bauernkrieg“ oder die Revolution von 1525?

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Eine hervorragende Forschung zur Darstellung der Revolution von 1525 in den Kontro­versen der durch Druck verbreiteten Flugblätter und Schriften. Die Erklärung der Bilder darin, die die Leser zum Zugreifen aufforderten, sind einzigartig. Die These jedoch, dass es den ‚Bauernkrieg‘ nur in den Medien gab, trifft nicht den berechtigten und mutigen Protest des gemeinen Mannes gegen die sich verschärfende Fürstenmacht.

Ausführlich:

Das Gedenken an 450 Jahre ‚Bauernkrieg‘ im Jahre 1975 erwies sich als ein Paukenschlag. Peter Blickle benannte ihn neu als „Revolution von 1525“, indem er zeigte, dass, was die Gegner als „Krieg“, als „Bauern“ und als „deutsch“ bezeichneten, ganz andere sozialge­schichtliche Dimensionen hatte.[1] Der „gemeine Mann“ waren alle Menschen, die nicht durch Adel oder Priesterweihe privilegiert waren, darunter Bürgermeister, Stadtschreiber, (evange­lische) Prediger, Handwerker. Mit den Zwölf Artikeln hatten sie, programmatisch auf die Bibel gestützt, die ihnen die Reformation ‚demokratisch‘ in die Hand gegeben hatte, das an­gemaßte Recht auf Steuern und Knechtschaft für Unrecht erklärt. Damit errangen sie antago­nistisch zur entstehenden absolutistischen Adelsherrschaft der Kommunalismus und die Ständeversammlung regional zunächst Erfolge, aber auch längerfristig gesehen. Wie bearbei­ten die Bücher zum 500. Gedenktag die Revolution von 1525?[2]

Wie TK im ersten Kapitel knapp bespricht, galt die Revolution von 1525 als bedeutendes Ereignis in der Geschichte Europas, das erst unter den Konfessionen, dann nach der Franzö­sischen Revolution von den Linken als ihr Vorläufer und dann von den Rechten verein­nahmt wurde. Bevor Blickle seine These veröffentlichte und weiter ausbaute, hatten die Nationalsozialisten die Deutungshoheit besetzt mit der Habilitationsschrift des bekennenden Nationalsozialisten Günther Franz: Der deutsche Bauernkrieg. München: Oldenbourg 1933 (immer wieder nachgedruckt in der rechtslastigen Wissenschaftlichen Buchgesellschaft).[3]

Dem setzt TK eine überraschende These entgegen: „Den Bauernkrieg gab es, weil er medial initiiert und inszeniert wurde“ (19) Und weil „in den Köpfen mancher Publizisten ein Bauernkrieg tobte“ (21). Mit der Medienrevolution der Druckerpresse hat sich TK intensiv beschäftigt und ihre Bedeutung für die Reformation beschrieben, sie sogar als „Mitte der Reformation“ bewertet.[4] Aber TK würde deshalb nie so weit gehen, die Reformation habe es nur gegeben, weil sie medial initiiert und inszeniert wurde. So sieht man gespannt der Begründung seiner These entgegen.

Kapitel 2 resümiert „Bauernkriege vor dem Bauernkrieg (55-135). TK beginnt mit den ‚Pro­gnostiken‘, die aus der Sternenkonstellation eine Sintflut 1525 voraussagen. Dann geht es um Gesellschaftsentwürfe aus dem 15. Jahrhundert wie die Reformatio Sigismundi, der Oberrheini­sche Revolutionär, die Reformation Friedrichs III., die Luther in An den christlichen Adel 1523 in vielen Punkten aufgriff (77). Thomas Morus‘ Utopia, 1516 zuerst auf Latein erschienen, wird in einer deutschen Ausgabe ein Jahr vor dem Bauernkriegsjahr 1524 in Basel publiziert. In den folgenden Abschnitten zeichnet TK das Bild des ‚Bauern‘ in Literatur und Graphik nach. Herausragend und kritisch zu der bedrückenden Lage der Bauern ist der Karsthans (97). Mehrere Aufstände sind bekannt vor 1525: der Arme Konrad, der Pfeifer von Niklashausen, der Bundschuh.

Das längste Kapitel 3 behandelt Die Publizistik der Bauernkriege – der Bauernkrieg in der Publizistik (137-248). „Bauernkrieg ist ‚mehr‘ und auch etwas ‚anderes‘ als die Summe der regionalen und territorialen Bauernaufstände.“ (137) – die These habe ich erst auf den letzten Seiten vollständig gefunden, dass es den Bauernkrieg nämlich nur als Konstrukt der Druck­erpresse gegeben habe. Wie sich die Bauern untereinander verabredeten, mündlich, geheim, Treffen auf einer Wiese, Anfertigen einer Fahne, das alles ohne ein geschriebenes Wort. So konnten sich Bauernhaufen sammeln, Klöster plündern, zuerst im Kempten (Februar 1525). Die professionellen Krieger und Söldner standen schon vorher in Alarmbereitschaft. Pro­grammatisch erheben ab März die im süddeutschen Bereich weit verbreiteten Drucke der Zwölf Artikel die Forderungen des gemeinen Mannes und begründen sie jeweils mit einer Bibelstelle.[5] Im April einige Erfolge der Aufständischen, dann im Mai drei verheerende Niederlagen, eher Gemetzel in Zabern, Böblingen und Frankenhausen. Die göttliche Ordnung war wiederhergestellt? Luther sah sich zu Unrecht als Anstifter verunglimpft und schrieb sein ‚hartes Büchlein‘ Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern und ein parteiisches Gutachten gegen die Zwölf Artikel. Immer wieder berufen sich die Wittenber­ger auf Römer 13 „Jedermann sei untertan der Obrigkeit! Denn sie ist von Gott eingesetzt.“ (172-183). Nur ganz wenige solidarisierten sich mit den Aufständischen und erklärten ihre Forderungen für berechtigt. Die anonyme Flugschrift An die Versammlung gemayer Pawer­schaft forderte sogar die Wahl der Regierung (183-192). Wichtig ist TKs Ab­schnitt über die literarische Vernichtung Thomas Müntzers als Ketzer und Werkzeug des Teufels (215-229).[6] Im Schlussabschnitt urteilt TK, dass „Müntzer um des Brausens des Geistes willen agitierte und verführte und das mäßigende Wort fahren ließ“. Griff etwa Luther in seinem Wider die räuberischen Rotten der Bauern mäßigend ein? Luthers mäßigendes Wort folgte erst nach dem maßlosen Wüten der Obrigkeit. Weit mehr ist die auf Ausgleich bedachte Rolle des Kaisers erwähnenswert. Und Luthers Theologie verfins­terte sich durch ein düsteres Gottesbild, nachdem der ‚Bauernkrieg‘ niedergeschlagen war, als er de servo arbitrio in den Druck gab (255-260). Im „Unfre[7]ien Willen“ schreibt Luther, dass Gott allmächtig sei – TK zeigt, dass Luther das Wort sonst nur ausnahmsweise verwendet – in dem Sinne, dass Gott für alles verantwortlich sei mit der Konsequenz, dass Menschen Gottes oder des Teufels Wirken nicht unterscheiden können. Der verborgene Gott (deus ab­sconditus) ist undurchschaubar und schrecklich. Er schickt die aufrührerischen Bauern und die Türken, die Pest und die Sintflut. Christen können sich nur an den offenbaren Gott (deus revelatus) halten, an Christus.

Thomas Kaufmann ist bekannt für umfangreiche und umfassende Bücher mit überborden­den Anmerkungen seiner großen Gelehrsamkeit und den vielen fest unbekannten Fremd­wörtern.[8] In diesem Buch sind die kaum weniger umfangreichen Anmerkungen mit dem neuesten Forschungsstand in einen Anhang ausgelagert.[9] Was dem Buch aber sehr zugute kommt, sind die Abbildungen mit den sehr guten Erklärungen dazu. Mir sind wohl viele Abbildungen schon begegnet, aber ich habe sie nie so gut und erschöpfend erklärt bekom­men (viele allerdings sehr klein und blass gedruckt). In den präzisen Informationen zu den Flugschriften, Abhandlungen, Liedern, vor allem aber der Entschlüsselung der Abbildungen von Drucken liegt eine große Stärke der Darstellung, darunter ausführlich zur Bauernkirmes von Beham und Dürers Bauernkriegssäule 301-308; 308-318).

Die volle These finde ich erst am Ende ausgeführt: Es gab viele regionale Bauernaufstände, den ‚Bauernkrieg‘ aber habe die Publizistik daraus gemacht. Damit kehrt TK zurück zur zeit­genössischen Wahrnehmung der Gebildeten und ihrem Vorurteil gegenüber den Forderun­gen der Mutigen, die ihr Leben für die Gerechtigkeit einsetzten. Obwohl viele Anhänger der ‚evangelischen‘ Bewegung durchaus Sympathien empfanden, steht bei TK die Ablehnung der Wittenberger dagegen,[10] die wie viele Bürger die Aufständischen pauschal als ungebildet, unzivilisiert, eben „Bauern“ verachteten, apokalyptisch als Werkzeuge des Teufels verstan­den. Am Schluss das Fazit: „Auch der Bauernkrieg war sinnlos.“ (326) Das in dem Sinne, je­der Krieg sei sinnlos. Aber man kann durchaus Sinn auf verschiedenen Seiten bilanzieren. Auf Seiten der Obrigkeit war der Krieg die Chance, ihre Macht weiter auszubauen zum früh­absolutistischen Flächenstaat, die Abgaben weiter zu erhöhen, Widerständige grausam zu foltern und öffentlich hinzurichten zur Abschreckung. Auf Seiten der Theologen ließ der Streit, wer denn an der Revolution schuld war, die konfessionelle Spaltung schnell unüber­windlich werden – und die andere Folge: die Unterordnung unter die Fürstenmacht unter dem Grundsatz von Römer 13 statt eines Widerstandsrechts, das man auf „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Apostelgeschichte 5,29) hätte aufbauen müssen. Zwingli hat das gemacht. Weiter besteht ein Sinn darin: Der gemeine Mann solidarisierte sich in vielen Regionen nördlich der Alpen. Hoffnungen konnte er sich machen, weil etwa im Tübinger Vertrag 1514 der Herzog Ulrich Zugeständnisse machen musste, die der Aufstand des Armen Konrads erzwungen hatte. TK nennt den Ortenauer Vertrag (197-200). Menschen mit großer Mobilität brachten Nachrichten und Gerüchte – TK nennt Buchführer, d.h. fahrende Buchhändler, also Anbieter von Druckwerken, die von Kirmes zu Kirmes durchs ganze Land kamen. Dazu gehörten aber auch Söldner, die in Gasthäusern prahlten, wohin sie reisten, um Sold zu verdienen, also wo Aufstände drohten oder schon brannten. So gab es Verbindungen der regionalen Aufstände, die man zu einem Krieg aufsummieren kann. So aber, bei TK auf das gedruckte Wort reduziert, wird die Revolution von 1525 eine Folge von (zufälligen?) regionalen Aufständen ohne längerfristige Bedeutung. Die Revolution von 1525 ist wieder der Bauernkrieg, der nur in den Medien stattfand und dort meist ‚die Bauern‘, sel­tener der Gemeine Mann als Akteur genannt wird. Die Forderungen der Bauern werden theologisch disqualifiziert. Die Perspektive von Wittenberg und Luther, so kritisch und ge­nau mit der präzisen Chronologie der Erscheinungsdaten sie hier geboten wird, lässt sozial­geschichtliche Kontexte vernachlässigen. So lese ich diese Darstellung als eine hervorragende Untersuchung über die Bedeutung der Drucker als Akteure im Aufstandsgeschehen der Revolution des gemeinen Mannes, der Beurteilung/Verurteilung aus Sicht der Theologen, die ihre Agenda in Gefahr sahen. Aber die sozialgeschichtliche Seite ist unterschätzt. Blickles Neubewertung als ‚Revolution von 1525‘ wird wieder aufgelöst in eine Reihe von regionalen Aufständen. Lyndal Ropers Einleitung dagegen beginnt mit der Feststellung „Der deutsche Bauernkrieg war der größte Volksaufstand in Westeuropa vor der Französischen Revolu­tion.“[11] Was auf den ersten Blick sich diametral widersprechende Bewertungen erscheinen, kann man – etwas zurückgenommen – als sich ergänzende Perspektiven verstehen. TK hat die Wahrnehmung der Zeitgenossen aus dem bürgerlichen und fürstlichen Lager magistral beschrieben, die aus Angst geborene Verachtung der Intellektuellen gegen die Störer der – ungerechten – Ordnung, dabei aber die Dynamik und die mündliche Kommunikation der Revolution des gemeinen Mannes unterschätzt. Auch so ist die Lektüre des Buches ein großer Gewinn.

 

Bremen/Wellerscheid, September 2024                                                    Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Peter Blickle: Die Revolution von 1525. München Oldenbourg 1975; ³1993, bibliographisch ergänzt 2004. Das Thema wählte ich für mein erstes Staatsexamen, nach dem ich bei meinen Historiker-Professoren ein Seminar belegt hatte, das v.a. auch den Tiroler Aufstand behandelte (bei Jürgen Bücking und Dietrich Kurze; Bücking starb im selben Jahr, sein Buch über Michael Gaismeier erschien posthum), und las dazu auch den Aufsatz meines kirchenhistorischen Lehrers Heiko Augustinus Oberman: tumultus rusticorum. Vom „Klosterkrieg“ zum Fürstensieg. Beobachtungen zum Bauernkrieg unter besonderer Berücksichtigung zeitgenössischer Beurteilungen, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 85 (1974), 157–172. Vgl. Blickle: Luther und der Bauernkrieg. Interpretationen zwischen den Gedenkjahren 1975–2017. In: Heinz Schilling (Hrsg.): Der Reformator Martin Luther 2017. Eine wissenschaftliche und gedenkpolitische Bestandsaufnahme. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 92) Berlin: De Gruyter Oldenbourg 2017, 233-243.

[2] Zwei weitere große wissenschaftliche Monographien sind angekündigt: von Lyndal Roper, Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2024, 672 Seiten. und von Gerd Schwerhoff. Der Bauernkrieg, eine wilde Handlung. München: Beck 2024, 720 Seiten.

[3] Kaufmanns Wertung im Haupttext ist in Anm. 216 (S. 349) anders: Franz bestätigt Hitler, dass seine Bauernpolitik (Reagrarisierung) das damals verfehlte Ziel des Bauernkrieges jetzt erreicht hat. Der Bauer ist zum tragenden Pfeiler unseres Volkslebens geworden. Der wikipedia-Artikel zu Franz dokumentiert Franz‘ Karriere im NS. Blickle ist im TKs Kapitel nicht einmal erwähnt.

[4] Thomas Kaufmann:  Die Mitte der Reformation. Eine Studie zu Buchdruck und Publizistik im deutschen Sprachgebiet, zu ihren Akteuren und deren Strategien, Inszenierungs- und Ausdrucks­formen. (Beiträge zur historischen Theologie 187). Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XX, 846 Seiten. Meine Rezension dazu: https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2019/11/19/mitte-der-reformation/ (19.11.2019). – Dort auch zum Autor, dem Göttinger Kirchenhistoriker. Seinen Namen kürze ich ab mit dem Initialen TK.

[5] TK findet die biblischen Begründungen zumeist schwach: 145-172, bes. 154-159. Die Gegenseite, wie die Fürsten und Herren Leibeigenschaft und immer neue und höhere Abgaben begründeten, nämlich es sei immer schon so gewesen und von Tradition und Religion geschützt, behandelt TK nicht. Wer die Macht hat durchzusetzen, braucht nicht zu begründen. Historiker schon!

[6] Die Historische Kommission für Sachsen-Anhalt hat zwei wissenschaftliche Tagungen geplant, in denen das Thema Bauernkrieg aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen werden soll. Auf der ersten Tagung im Oktober 2024 Verketzerungsprozesse in Mitteldeutschland im Spätmittelalter und 16. Jahrhundert soll zunächst ein Phänomen in den Blick genommen werden, das bei der Auseinandersetzung mit Thomas Müntzer und anderen Vertretern der „radikalen Reformation“ eher selten beachtet wird: der Vorgang der „Verketzerung“ dieser Gruppierungen durch die etablierten Wittenberger Reformatoren. https://www.hsozkult.de/event/id/event-145983 (25.08.2024).

[7]

[8] Auch in diesem Buch sind Wörter enthalten, die erklärungsbedürftig sind, wie ipsissima vox rusticorum: S. 154, nicht übersetzt und S. 247 wiederholt. Ipsissima vox ist ein Begriff, den man für die wenigen ‚echten‘ Worte Jesu (seine ureigenste Stimme/Wort) verwendet; rusticorum der Bauern. Da muss man schon im neutestamentlichen Seminar aufgepasst haben und auch noch ordentlich Latein können. Ich habe mir noch andere Stellen notiert; das Beispiel mag genügen.

[9] Überschlägig ist die Zeichenzahl der Anmerkungen etwa der des Haupttextes gleich.

[10] Andreas Bodenstein von Karlstadt, den Wittenberger Antipoden des Zirkels um Luther, erwähnt TK öfter, aber nicht als Vertreter eines anderen Programms. Kaufmann ediert dessen umfangreiches Schrifttum, 2024 erschien der 7. Band, der die Schriften des Jahres 1524 umfasst. Elektronischer Zugang zum work in progress: Karlstadt-Edition | Critical Edition Andreas Bodenstein, called Karlstadt (29.09.2024).

[11] Lyndal Ropers Buch (wie oben Anm. 2, Zitat S. 9) erschien just an dem Tag, an dem ich die Rezension abschließe. Das Buch werde ich ebenfalls rezensieren.

 

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