Geschichte des globalen Christentums

Jens Holger Schjørring; Norman A. Hjelm (Hrsg.):
Geschichte des globalen Christentums. Erster Teil: Frühe Neuzeit.
(Die Religionen der Menschheit 32)
Stuttgart: Kohlhammer, 2017. 709 S. geb. 179 €.
ISBN 978-3-17-021931-1.

 

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Die von Christel Matthias Schröder, einem Bremischen Pastor, begründete Reihe hat seit dem ersten Band zur Ägyptischen Religion 1960 und dem als systematische Er­öffnung gedachten Band 1 (realiter dem Schwanengesang der Religionsphäno­meno­logie) von Friedrich Heiler, Erscheinungsformen und Wesen der Religion 1961 nahezu alle Religionen der Erde behandelt, bevor das Christentum thematisiert wurde. War der Band Christentum IV zur Epochenschwelle Spätmittelalter-Reformation noch ganz auf Mitteleuropa konzentriert (F. Rapp 2006, s. ThLZ 135, 764f), so verstehen die Heraus­geber die folgenden Bände als Globalgeschichte, hier also der erste von drei Bänden, der die Frühe Neuzeit von der Reformation bis zur Französischen Revoluti­on bearbeitet; angekündigt sind ein Band zum 19. und ein Band zum 20. Jahrhundert. Räumlich ist die Globalität ausgefüllt:  Hartmut Lehmann spricht in der Einleitung (19-42) von einer „polyzentrischen Struktur des Weltchristentums“ (38; mit Klaus Koschor­ke), aber nicht von Christentümern, also etwa iberisches Christentum auf den Philip­pi­nen und Mexiko, Lutheraner in Siebenbürgen, Dissenters (weder Calvi­nisten noch Anglikaner) in den Neuenglandstaaten. Gibt es eine Handlungsgemein­schaft Chris­ten­tum, wenn man nicht mehr eine Kirchengeschichte schreiben will? „Die Prägun­gen, die das Christentum im Leben der Menschen hinterlassen hat, lassen sich nicht auf institutionelle und dogmatische Einflüsse reduzieren. Vielmehr geht es hier um Kultur im weitesten Sinne.“ (16) Wie gelingt es den zehn Autoren (keine Autor­in), die sich auf Konferenzen auch trafen (trotzdem gibt es Überschnei­dungen),[1] eine Globalgeschichte zu schreiben, im besten Fall eine Verflechtungs­ge­schichte?[2] Der Band ist einerseits nach kulturellen Räumen aufgebaut, andererseits, besonders für Europa differenziert, nach Jahrhunderten, je dem 16., 17. und 18. Jahr­hundert, nicht (primär) nach Konfessionen getrennt, wohl aber sind die Konfessions­kulturen charak­terisiert. – Mariano Delgado beschreibt den Katholizismus in Spani­en, Portugal und ihren Weltreichen, die sich bereits vor der Epochenschwelle 1500 gebildet hatten (45-132). Grundlegende Zielvorstellungen der Reichsbildung wurden kontinuierlich fortgeführt, als die Unterwerfung der ganzen iberischen Halbinsel mit der Vertrei­bung der Juden und Muslime (die sog. Reconquista) in die Eroberung der seit 1492 neu ent­deck­ten Teile der Erde mündete, die Conquista. So ist eine Grund­angst, die Reinheit des Blutes zu verlieren. – Alfons Brüning beschreibt die russische Kirche und ihre religiösen Bewegungen weit über den nationalen ‚kleinrussischen‘ Rahmen hinaus (132-174) von der Autokephalie Moskaus 1448 an. Trotz Beziehun­gen zu den Hussiten kommt es zu keiner Reformation, stattdessen zur gleichen Zeit die Gewalt­herrschaft Ivans des Schrecklichen. – Bruce Masters ist der Historiker der Christen unter Osmanischer Herrschaft (176-209). Zurecht weist er die nationale Sicht der angeblich bedrücken­den Türkenherrschaft zurück. Das griechisch-orthodoxe Patri­archat erlebte seine Goldene Zeit im 18. Jh. Die Osmanen gaben im Millet-System den ethnisch-religiösen Gemeinden eine hohe Autonomie, das allerdings im strengen Sinne erst im 19. Jh. aufgebaut wurde. – Kevin Ward beschreibt das Chris­tentum in Afrika (210-240), das die Afrikaner an der Westküste zuerst als Sklaven­handel erlebten. Die Buren in Südafrika diskutierten, ob zum Cal­vinismus bekehrte Sklaven automatisch freie Christen würden. Aber erst um 1800 konsta­tiert Ward eine die Sklavenhaltergesellschaft grundlegend in Frage stellende christliche Bewegung. – Meisterhaft das Kapitel von Thomas Kaufmann zur Konfes­sionalisie­rung in Latein-Europa (242-318), jetzt auch mit konzisen Unterkapiteln zur Reforma­tion in Schott­land, Frankreich oder Nordeuropa. – Christentum in Asien ist das Thema von Ronnie Po-Chia-Hsia (320-366), der die Aufgabe ebenso differenziert wie präzise löst. – Nach seinem zweibändigen Handbuch ist Andreas Holzem der beste Kenner der Christentumsgeschichte des 18. Jahrhunderts (368-489), um den Reli­gionskrieg, die Kirchen und die religiösen Bewegungen wie die Praxis der Religi­onsausübung umfassend beschreiben zu können. – Hartmut Lehmann erklärt um einige markante Personen herum das 17. Jahrhundert der Krisen (491-531). Neben der Vertröstung aus diesem Jammertal auf das Jenseits (das aber erst nach dem Tod und außerhalb dieser Welt zu erreichen ist – das wird nicht recht deutlich) die inner­weltlichen chiliastischen und die Heiligungs­be­wegungen. Lehmann bezieht auch die Juden mit ein. Sabbatai Zwi und Menasseh ben Israel sind hervorgehoben;[3] der Chas­si­dismus ist weni­ger gut getroffen.[4] Der englische Deis­mus dagegen ist differenziert be­schrie­ben. –Jan Stiever­mann hat die Aufgabe, das nord­ameri­kanische Christentum in den spani­schen, französischen, englischen, nieder­ländischen Kolonien zu charakteri­sieren (532-617), ein sehr gelungenes Kapitel. Die Linie der Puritaner mit ihren weit­gehend autonomen congregations bis hin zur amerikani­schen Revolution ist kontextu­alisiert mit anderen, hierarchischen Formen der Missio­nierung und Kirchenstruk­tu­ren. Religion sei nicht der Hauptgrund der Unabhängig­keitserklärung gewesen, aber es habe sich eine Sprache christlichen Republikanismus herausgebildet, der aber keine Staatskirche zuließ. – Das letzte Kapitel ist dem Chris­tentum im Europa des 18. Jahrhunderts gewidmet, Carsten Bach-Nielsen ist der Autor (619-684). Er behandelt v.a. das Verhältnis von Kirche und Staat mit den Kontrasten des absolutistischen Frankreich Ludwigs xiv. und England der Glorious Revolution. Frömmigkeitsformen sind hier kaum berücksichtigt, wohl aber die Verwandtschaft mit der Aufklärung.

Alle Kapitel sind konzentriert auf Christentumsgeschichte: (kirchliche) Religion und ihre Praxis, kontextuali­siert in der Sozialgeschichte. Erstmals in einer so umfas­sen­den Geschichte wird der tiefe Einschnitt geschildert, den die Klimaverschlechte­rung der ‚kleinen Eiszeit‘ (und weniger der Dreißigjährige Krieg) für die Menschen des 17. Jh. bedeutete. Religion hatte die Funktion des Trostes und des Verwei­ses auf das Jen­seits. Gleichzeitig aber auch die Kehrseite, schon auf Erden das Böse zu bekämpfen in Gestalt der Hexen, der Wilden und derer, die sich nicht der Ordnung des Absolu­tismus und dessen Kirche unterordneten, wie etwa die Hugenotten. Ein zentraler Schlüssel ist die Verortung im Drama des Weltendes, die das Handeln (oder Abwarten) in der Neuzeit bedingt: Steht die Menschheit vor den letzten Kämpfen mit dem Drachen (Prämillenarismus), die durchlitten werden müssen, bevor Christus mit den Heiligen die tausend Jahre die Herrschaft übernimmt. Oder befinden wir uns bereits im Millennium/Chiliasmus, das mit der Ausgießung des Heiligen Geistes begann (vgl. S. 594 zum Great awakening) und kurz vor/bereits im letzten Kampf mit dem Antichrist? Das Andere, was die Perspektive ändern müsste in einer Globalgeschichte: Die Begrenzung auf eine Religion steht in der Gefahr, deren Geschichte – bei aller Kritik – als Erfolgsgeschichte zu verstehen. Die Balance zwischen äußeren und religiösen Faktoren der Entwicklung ist jedenfalls gelungen.

Hartmut Leh­mann hat in der Einleitung und Schluss die prägenden Züge des Zeit­alters der Frühen Neuzeit magistral beschrieben. Für die einzelnen Kapitel haben die Herausgeber die besten Kenner gewonnen, die material­reich und gleichzeitig in klaren Leitlinien beschreiben, ohne ihre eigene konfessionelle Zugehörigkeit oder den Unterschied zwischen ‚profaner‘ und Kirchengeschichte zu betonen. Die englischen Beiträge sind gut übersetzt und auch bei den Namen fast fehlerfrei. Ein wertvolles Handbuch auf der Höhe der Forschung.

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[1] So im Fall der russischen und polnischen Kirchen; Spanischer Katholizismus in Süd- und Nordamerika, Kopten im Osmanischen Reich und als Teil Afrikas.

[2] Ein Sammelband kann nicht die Kohärenz einer Monographie eines Autoren erreichen. Eine Monographie kann nicht in allen Gebieten so bewandert sein wie die Spezialisten für eine Religionskultur. Für das globale Christentum gibt es eine solches Werk, das freilich nicht genannt wird: Horst Gründers Welteroberung und Christentum. Gütersloh: GVH 1992. Interessant als Globalgeschichte(n) Heinz Schilling: 1517. Weltgeschichte eines Jahres. München: Beck 2017.

[3] Dazu die hervorragende Monographie von Sina Rauschenbach.

[4] Die berühmte Kontroverse zwischen Martin Buber und Gerhard/Gershom Scholem über die Gestalt des Messias müsste historisch beschrieben werden, etwa Ada Rapoport: Hasidism reappraised. London: Littman 1996.

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Bremen                                Christoph Auffarth

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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