Die Mischna [6]: Reinheiten – Seder Toharot.
Aus dem Hebräischen übersetzt und hrsg. von Michael Krupp
in Zusammenarbeit mit Luke Neubert, Gabriele Penka, Matthias Hopf,
Oliver Gußmann, Martin Majer und Harald Samuel.
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2017
982 S.
ISBN 978-3-458-70055-5
58 €
Von der sakralen Unreinheit zum Körper als reiner Tempel:
Die jüdische Mischna, Reinheiten
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: Die kommentierte Übersetzung der Mischna, der sechsten Ordnung „Reine Dinge“ oder „Reinheiten“ behandelt die Regeln jüdischer Gemeinden, wenn sie in der Minderheit leben: Wie kann man sich rein halten?
Im Einzelnen: Die Bestimmungen dieser Regelungen, wie man in der Situation der Minderheit in einer ‚fremden‘ Umgebung sich ‚rein‘ halten kann. Die Mischna ist „um das Jahr 200 u.Z. von Rabbi Jehuda ha-Nasi im Land Israel endredigiert.“ (383), also nach der Zerstörung des Heiligtums und dem Verbot, in Jerusalem und Umgebung zu wohnen. Die Situation der Diaspora ist also seit der Zeit der Normalfall für Jüdinnen und Juden. Für die immer mehr zu städtischen Bürger werdenden Diaspora-Juden ist das Zusammenleben mit ‚unreinen‘ Nicht-Juden ein Problem, das in den Reinheiten geklärt wird.
Nach den ‚Ordnungen‘ der Mischna 1 Saaten (Seder Zera‘im),[1] 2 Festzeiten (Mo’ed), 3 Frauen (Nashim)[2] und 4 Schädigungen (Neziqin),[3] 5 Heilige Dinge (Qodashim)[4] schließt dieser sechste Band die Ausgabe ab. Derweil kommt Michael Krupp mit seinem Team mit der in Israel erscheinenden zweisprachige Reihe der Einzeltraktate zügig voran.[5] Der Text der Übersetzung der 12 Traktate – und damit der längsten Ordnung –, umfasst die Seiten 9-380. Nach einer Einleitung des Herausgebers Michael Krupp 383-422 erklärt ein Stellenkommentar Besonderheiten der Texte auf über 500 Seiten, der Band ist sorgsam erschlossen durch Glossar, Mengen-/ Größenmaße, Bibliographie, Bibelstellen, Personenverzeichnis, leider kein Sachverzeichnis.
Die Frage, wie jüdische Menschen ihren Körper von Ansteckung frei halten können, wenn sie Geräte (kelim) benutzen, in Kontakt mit ansteckenden Kranken (nega’im) kommen,[6] wenn jemand im Haus stirbt (ohalot), die Gefährdung durch die Speisen (toharot) ist ausführlich an Fallbeispielen behandelt. Frauen müssen – nach den Regelungen der Rabbinen – besonders sorgfältig sein. Sie baden und reinigen sich regelmäßig in der Mikwe, dem Gemeindebadehaus, durch das Wasser fließt (nicht steht, dann würde es nicht reinigen: miqwaot; tevul jom). Die Menstruation (nidda) sowie die Geburt eines Kindes mache ‚unrein‘ und die Frau muss sich reinigen. Das Fest ‚Mariae Lichtmess‘ am 2. Februar, 40 Tage nach der Geburt des männlichen Kindes Jesus bewahrt diese Regel auch im christlichen Kalender.[7] Männer müssen sich nach Samenerguss reinigen (zavim). Jadajim fragt, wie man die Hände rein halten kann. ‘uzqim handelt von der Reinigung von Stielen und Griffen. Ein besonderes Traktat (para) gilt der (roten) Kuh, zu einem merkwürdigen Kapitel der Tora, Numeri 19, 7f. Ein Lob auf den Frieden beschließt das Kapitel, die Ordnung, die gesamte Mischna.
‚Reinheit‘ ist ein Konzept, bekannt unter dem Begriff koscher (und entsprechend im Islam halal), das weder in Sauberkeit, Hygiene auf der einen, in ethisch gutem Verhalten auf der anderen Seite aufgeht. Was besonders für die Begegnung und das Gespräch mit Gott galt (etwa Priester und Levit müssen im Gleichnis vom Samariter am Verwundeten vorbeilaufen, weil sie sonst erst umständlich gereinigt werden müssten: Lukas 10, 29-37), gewinnt neue Bedeutung, wenn kein Tempel, kein sakraler Ort mehr existiert. Jetzt gibt es nicht mehr die Ausnahmesituation, den heiligen Ort zu betreten, sondern der Körper ist jetzt der heilige Ort und die Reinheit gilt es, den ganzen Tag zu wahren. Das Sakrale verliert seinen Sonderstatus. Juden halten sich rein, auch von den (unreinen) Nicht-Juden. Freilich gibt es auch Regeln, die einen unkomplizierten Umgang mit allen anderen ermöglichen.
24. Februar 2018
Christoph Auffarth,
Religionswissenschaft
Universität Bremen
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Antikapitalismus: „Sozialstaat“ in der jüdischen Mischna. Die Mischna [1]: Saaten – Seder Zera’im. Aus dem Hebr. übersetzt und hrsg. von Michael Krupp. Frankfurt (Main): Verlag der Weltreligionen 2013. In: http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2015/05/15/die-mischna-saaten-seder-zeraim/(15.5.2015).
[2] Rezension Auffarth, in: https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2010/12/08/die-mischna-herausgegeben-von-michael-krupp/ (8.12.2010).
[3] Rezension Auffarth, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 17(2009), 213-220.
[4] Wie geht Religion ohne Tempel? Die Mischna beschreibt, was ‚heilig‘ ist. Die Mischna. [5] Heiligkeiten – Seder Qodashim 2015, in: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2016/02/02/die-mischna-heiligkeiten/ (2.2.2016).
[5] So sind 12 Traktate der Ordnung in der zweisprachigen textkritischen Ausgabe erschienen, etwa Die Mischna. [6,3] Negaʿim, hrsg. und übersetzt von Luke Neubert. Jerusalem: Lee Achim Sefarim 2016.
[6] Das Thema Aussatz (in der LXX mit lepras übersetzt) behandelt Krupp ausführlich 393-400.
[7] Bei Mädchen wären es doppelt so viele.