Boris Gübel:
Deus vult, Deus vult. Der christliche heilige Krieg im Früh- und Hochmittelalter.
(Mittelalter-Forschungen 54)
Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, [2018]. 449 S.
50 €
ISBN 978-3-7995-4377-4.
Der ‚Heilige Krieg‘: Vorläufer und Beginn der Kreuzzüge
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: Carl Erdmanns Werk Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens 1935 wird hier umfassend auf neuem Forschungsstand überprüft. Aber die Forschungsfrage trifft nicht das Problem: Es gibt nicht ‚den heiligen Krieg‘, sondern nur mit ‚heilig‘ ausgerufene Kriege.
Ausführlicher:
„Ein Krieg ist dann heilig, wenn er als heilige Handlung aufgefasst werden kann, in etwa so, wie man einen Gottesdienst zelebriert“ (13). In seinem Forschungsbericht (mit forschen Urteilen) bietet Boris Gübele[1] in seiner Stuttgarter Dissertation diese Definition. Es gelingt ihm nicht die Forschungsthesen zu sortieren: Normative (kein Krieg ist heilig), von Kriegen in der Moderne sprechende, archaisierende (im Grunde war jeder Krieg heilig, da mit dem jeweiligen Stammesgott verbunden), nominalistisch-eigensprachliche (gibt es in der jeweiligen Sprache die Verbindung von „Krieg“ und heilig“?), universalistisch-monotheistische (es gibt nur den einen Gott und dessen Gegner) Prämissen.[2] Sodann die Unterscheidung der beteiligten Akteure, vom Papst bis zur Köchin, von den Geistlichen zu den Kriegern.[3] Die Beobachtung, dass „Kreuzzug“ zwei sehr unterschiedliche Zielrichtungen und Interessen vereint, (1) die Pilgerfahrt und ihrer langen Tradition, (2) die militärischen Expeditionen mit Migrationsabsichten, nicht aber unbedingt nach Jerusalem, ist nicht berücksichtigt.[4] Im Deutschen ist die Junktur ‚Krieg‘ und ‚heilig‘ in den Kriegen gegen Napoleon ausgerufen worden.[5] Der war alles andere als eine heilige Handlung, sondern das rhetorische Argument, das die ‚heilige Allianz‘ nutzte, um ein höheres Ziel zu definieren als das Beharren auf Monarchie und Wiedergewinnung von Herrschaft mit Hilfe von Freiwilligen. Das bedeutet, es ist müßig, den heiligen Krieg aus einer Definition von Heilig/heilige Handlung abzuleiten. ‚Heilig‘ kann hier keine normative oder wesenhafte Bestimmung sein, sondern ist ein Anspruch, eine Benennung, die Interessen verkleidet, – und der Widerspruch dagegen.[6] Der Gegensatz zum heiligen Krieg ist nicht der säkulare Krieg (das ist eine Unterscheidung der Moderne und trifft auch dort nicht durchgehend: anti-Napoleonische ‚Freiheitskriege‘, der Erste Weltkrieg, der Irak-Krieg, der Dschihad). In Fulcher von Chartres‘ Kreuzzugsaufruf Urbans II. ist es der Gottesfriede/ treuga Dei. Eigentlich wäre der Landfriede Aufgabe der Könige und Grafen; aber in Franzien sind die nicht in der Lage, deshalb rufen die Bischöfe einen Gottesfrieden aus. Da der nicht eingehalten wird, lobt der französische Papst einen ‚Gotteskrieg‘ aus, um das frei flottierende Gewaltpotential der vielen Streit suchenden Ritter umzulenken aus Frankreich heraus in den Orient.
Wenn die Frage ungenau gestellt ist, kann die Materialanalyse kaum zu einem guten Ergebnis kommen. BG untersucht die von Carl Erdmann 1935 genial entwickelte Frage nach der Entstehung des Kreuzzugsgedankens.[7] Ein weites Feld für eine Erstlingsarbeit, ein zu weites. Nach dem Blick auf die Spätantike, besonders Augustin und Gregor den Großen (27-50) und westlichem Frühmittelalter, wendet sich BG besonders dem Heiligen Krieg in Byzanz zu: Kaiser Herakleios Anfang des 7.Jh.s gegen Sassaniden und Muslime (51-106). Die Argumente aus Byzanz werden in Spanien für die sog. Reconquista aufgegriffen (107-117). Das Folgende begrenzt sich wieder auf Lateineuropa. Zunächst untersucht BG, wieweit Kleriker Waffen tragen dürfen (119-148). Dann wendet er sich der Frage Heiliger Kriege in der Karolingerzeit zu, gefolgt von Beispielen für Dichtung und Liturgie (149-190). Weitere Medien nimmt das Kapitel ‚Heiliger Krieg‘ im Frühmittelalter? in den Blick. Zum 10./11. Jh. ausführlicher das Kapitel Gregor VII. (267-286) nach kurzen Abschnitten zu Leo IX., den Normannen, der Pataria. Abschließend zu dieser Epoche das Zwischenfazit (293-296). Es folgen die drei Kapitel Urban II., Der Erste Kreuzzug, Die Gesta Francorum (297-376). Zum Abschluss noch ein Blick auf Sigebert von Gembloux und Bernhard von Clairvaux (375-382) und ein Resümee; ein genaues Quellen[8]– und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister schließen den Band ab. Die Kapitel sind teils zu kurz, um gründlicher die Materie untersuchen zu können; die Hauptkapitel sind demnach der Krieg in Byzanz (für das der Autor Griechisch-Kenntnisse mitbringt),[9] ‚heilige‘ Kriege der Karolingerzeit und der Erste Kreuzzug.
Zu Augustin ist der Verweis auf seine Begründung mit der römischen (stoischen) Rechtfertigung als ‚gerechter Krieg‘ ungenau: Augustin erkennt auch die Jahwe-Kriege des Alten Testaments an, obwohl sie nicht gerecht sind.[10] Der Umschwung in der Bewertung des Krieges durch die Christen wird durch die zwei aus dem römischen Hochadel stammenden Ambrosius und Gregor den Großen herbeigeführt: die Romanisierung des Christentums. Die Bemäntelung durch Augustin, das Ziel des Krieges sei die Liebe, kann man nur als Zynismus bewerten.[11] – Wichtig und teilweise neu ist das Kapitel über die Sakralisierung des Krieges durch den byzantinischen Kaiser Heraklios kurz vor dem Aufstieg des Islam in seinen Kriegen gegen die Sassaniden (‚Perser‘), und dessen Rezeption im Westen. Dabei muss der Akzent anders gelegt werden: eine Erwähnung in einer (wenig verbreiteten) Chronik ist eher marginal, vielmehr ist für die Einführung in das kommunikative Gedächtnis das Fest der Erhebung des Kreuzes zentral: Am 14. September feiert die ganze Christenheit, Ostkirche und lateinische Kirche das Fest.[12] Zum Kreuz ausführlicher dann BG 226-230, doch gilt für Lanze wie für Kreuz, dass sie sowohl für Leiden wie für Christi Sieg (über den Tod)( stehen. Die libertas ecclesiae (im Deutschen eingeengt auf den ‚Investiturstreit‘, es geht aber um eine möglichst völlige ‚Freiheit’von nicht-kirchlichen Laien) wird mit Leo IX. eingeführt und über die Pataria ganz besonders Gregor VII. (267-285), fortgeführt durch Urban II. und die Deutung des Ersten Kreuzzugs (293-374).
Wichtig für die gegenwärtige Diskussion ist die Frage, ob die Lehre vom Dschihad (ğihād) im Europa des Mittelalters bekannt war: „Der Schluss also, der islamische djihād habe den christlichen Krieg vorbereitet bzw. andersherum ist anhand der Quellenlage nicht zulässig.“ (72; 377).
Kurz: Ein wichtiges Buch, das viele Details der Diskussion um die Entstehung des Kreuzzugsgedankens aufgreift und mit großer Kenntnis der Forschungsliteratur neu vorstellt. Für eine Dissertation ein zu weites Thema. Und: Die Fragestellung ist unscharf: Man kann keinen Typus, keine Kriterien ‚heiliger Krieg‘ unterscheiden von anderen ‚säkularen‘ Kriegen (die es erst im modernen Staat geben kann – und im Fall der Dschihadisten: nach und gegen den Nationalstaat). Im Fall der Kreuzzüge werden Kriege zu Gotteskriegen erklärt und so gepredigt, die im Investiturstreit/libertas ecclesiae in der Frontstellung gegen den Kaiser vom Papst „im Namen Gottes“ initiiert werden und als Bußwallfahrt große Erwartungen der Teilnehmer erfüllen.
Christoph Auffarth,
Religionswissenschaft
Universität Bremen
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Im Folgenden mit den Initialen abgekürzt BG. Die Dissertation ist entstanden in Stuttgart (Prof. Mark Mersiowsky); jetzt ist BG wissenschaftlicher Mitarbeiter in Göttingen (Projekt Prof. Hedwig Röckelein).
[2] Die Schwächen der Definition: „man auffassen kann.“ Man: die Zeitgenossen oder modernen Forscher? (vgl. 390 „Guiberts [Quelle] Auffassung muss genauso ernst genommen werden wie die Erdmanns [moderner Forscher] …“). „auffassen kann“, nicht „beschreibt“, überlässt jedem seine eigene Auffassung.
[3] „zelebrieren“ setzte einen Geistlichen als Liturgen voraus. Siehe meine Rezension zu Haas, Geistliche als Kreuzfahrer (ebenfalls Stuttgarter Diss.) Zeitschrift für Religionswissenschaft 22(2014), 414f.
[4] Christoph Auffarth: Nonnen auf den Kreuzzügen: ein drittes Geschlecht? In: Das Mittelalter. Zeitschrift des deutschen Mediävistenverbandes Band 21, Themenheft 1: Kreuzzüge und Gender, hrsg. von Ingrid Baumgärtner und Melanie Panse. Berlin: de Gruyter 2016, 159-176. So schon Auffarth: ”Ritter” und ”Arme” auf dem Ersten Kreuzzug. Zum Problem Herrschaft und Religion ausgehend von Raymond von Aguilers. in: Saeculum 40(1989), 39-55. Rudolf Hiestand: „Gott will es!“ – Will Gott es wirklich? Die Kreuzzugsidee in der Kritik ihrer Zeit. Stuttgart: Kohlhammer 1998, 10.
[5] Jörg Rüpke: Metzler Lexikon Religion 2(1999), 17; vgl. 255-258 im Anschluss an Carsten Colpe: Der ‚heilige Krieg‘. Benennung und Wirklichkeit, Begründung und Widerstreit. Hanstein 1994.
[6] Was ist heilig, was nicht-heilig, hat die Religionsphänomenologie als Voraussetzung ihrer Wissenschaft überhistorisch geglaubt zu wissen. Bezeichnend ist, dass BG nur die bejahende Aussage Deus vult für den Titel seines Buches wählt, nicht aber die Kritik am Kreuzzug Deus non vult [so nicht in den Quellen]. Auffarth, Antike Konzepte von Heilig und Heiligkeit. Eine religionswissenschaftliche Perspektive. In: Peter Gemeinhardt; Katharina Heyden (Hrsg.): Communio Sanctorum: Heilige, Heiliges und Heiligkeit in spätantiken Religionskulturen. (RGVV 61) Berlin; New York 2012, 1-33. Auffarth, Hat Gott allen Menschen Rechte gegeben, oder nur den Seinen? – Rhetorik der Kreuzzüge. In: Holt Meyer; Dirk Uffelmann (Hrsg.): Religion und Rhetorik. (Religionswissenschaft heute, Band 4) Stuttgart 2007, 257-271.
[7] Eine ‚kulturwissenschaftliche‘ Fragestellung (avant la lettre) lobt v.a. Otto Gerhard Oexle: Staat – Kultur – Volk. Deutsche Mittelalterhistoriker auf der Suche nach der historischen Wirklichkeit 1918-1945. [2005] in: OGO: Die Wirklichkeit und das Wissen. Mittelalterforschung – Historische Kulturwissenschaft – Geschichte und Theorie der historischen Erkenntnis. Hrsg. von Andrea Hülsen-Esch, Bernhard Jussen, Frank Rexroth. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 743-785, hier 766.
[8] Die Literatur ist mehrfach nicht auf dem neuesten Stand. Robert der Mönch beispielsweise muss nach der neuen Ausgabe von Marcus Bull und Damien Kempf, Woodbridge: The Boydell Press, 2013 zitiert werden, dazu die wichtige Einleitung in der Übersetzung von Carol Sweetenham, Aldershot: Ashgate, 2006. – Auch hier handwerkliche Fehler: Augustin kann nicht unter Sancti Augustini oder S. Aureli Augustini eingeordnet werden. Stimmen der Zeit ist ebensowenig eine Quelle wie Millennum 6. Raymond von Aguilers findet man nicht, weil unter Le liber eingeordnet. Und weitere zahlreiche Fehler der Einordnung.
[9] Erfreulich auch, dass BG griechische Zitate neben die Übersetzung (oft auch Paraphrasen) stellt, leider öfter fehlerhaft. (Beispiel 67 A. 342 ἐκδίησιν statt 342 ἐκδίκησιν; οἰμαι statt οἶμαι; 205 A. 1258 προσεκυήθη statt προσεκυνήθη). Die wichtige griechische Monographie von Kolia-Dermitzaki 1991 ist zitiert.
[10] BG zitiert Aug. qu. 6,10 (zu Josua 8,2), nicht aber den Kontext, dass im ‚gerechten Krieg‘ ungerechte Handlungen erlaubt seien. Dazu jetzt Walter Groß in seiner Edition von Augustinus, Quaestiones in Heptateuchum. – Fragen zum Heptateuch. Paderborn: Schöningh 2018, Band 2, 382-389. – Zum römischen gerechten Krieg fehlt die Realisation durch das Fetialen-Ritual. Wenn das Ritual korrekt durchgeführt ist, ist der Krieg iustum, ohne dass der Gegner davon weiß. Rüpke, domi militiae. Die religiöse Konstruktion des Krieges in Rom. Stuttgart: Steiner 1990, 121f; 97-117. –
Handwerklicher Fehler ist durchwegs die Zitierweise: BG zitiert nur die Seitenzahl der jeweiligen Edition, nicht aber korrekt erst Buch und Paragraph, dann gerne zusätzlich die Edition.
[11] Auf den Punkt gebracht hat das Jonathan Riley-Smith: Crusading as an Act of Love. In: History. The Journal of the Historical Association 65 (1980), 177-192. Viermal nachgedruckt, zuletzt in: Riley-Smith, Crusaders and settlers Tl. VI (2008), 177-192.
[12] Arno Borst in der Edition des Karolinigischen Reichskalenders (Monumenta Germaniae historica, libri memoriales 2) Hannover: Hahn 2001, 1292-1294 § 10-13: exaltatio sanctae crucis; τιμίου σταυροῦ.