Kreuzzüge-Phillips

Heiliger Krieg von Jonathan PhillipsJonathan Phillips: Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge. Aus dem Engl. von Norbert Juraschitz. München: Deutsche  Verlags-Anstalt 2011. 638 S. [Ill., Engl. Original Holy warriors . ISBN: 978-3-421-04283-5 Fester Einband. 29.99 €

Der englische Titel trifft das Ziel des Autors besser: Holy warriors. A Modern History of the Crusades. Es geht ihm nicht um das Problem des Heiligen Krieges. Er will wissen, wie Krieger denken, wenn Religion ihnen den Auftrag zum Töten gibt. Aber als His­to­riker übernimmt er sich mit dieser Frage, die den Vergleich zwischen Epochen, Kriegsformen, Religionen erforderte und eine Methode verlangt: Kriege zwischen Staaten, die neuen Kriege der Attentäter und Guerillas,[1] Ritterkriege – und alle Ak­teure sind holy warriers? Auch JP hat muslimische Quellen gelesen, aber ohne Kultur­sensibilität. Eine Bilanz S. 573 zeigt das oben schon genannte Vorurteil: Der Dschihad ist ein wesentliches Element des  Islam, das nie verschwinden wird. Die Zeit der christ­lichen Kreuzzüge dagegen ist vorbei; sie waren eigentlich defensive Kriege. Nichts von den Erkenntnissen der letzten Jahre ist hier aufgenommen! Der Dschihad ist (1) nicht per se Heiliger Krieg.[2] (2) Dschihad ist zwei Mal neu ‚erfunden‘ worden, einmal durch Saladin – in Reaktion auf die christlichen Kriege für die Religion. Und dann in den deutschen Aufrufen an die muslimischen Soldaten des deutschen Heeres in Ostafrika zum Ersten Weltkrieg. Kreuzzüge als Defensivkriege entspricht der Verschleierung jedes Imperialismus: Welche unter den verschiedenen islami­schen Herrschaf­ten hat im Namen der Religion den Krieg gegen die lateinischen Christen geführt? Wenn man die ge­rade zum Islam bekehrten Seldschüken meint, die Teile des griechi­schen Römerreich besetzten, dann muss man genauso die gerade bekehrten Norman­nen in Sizilien und die christlichen Könige in Spanien beachten. Ohne Sensibilität ist das Thema der Heiligen Lanze auf dem Ersten Kreuzzug ausge­wertet (S. 52). ‚Betrug‘ und ‚Glaube‘ trifft die Sache nicht: Der ‚Bauer‘ Petrus Bartolo­mäus gewinnt einen Teil des anarchi­schen Haufens aus Pilgern, Abenteurern, Knechten, Rittern; die anderen ziehen mit, geführt von Visionen und der Reliquie. Aber die Zweifel sind immer präsent und zwingen schließlich zum Gottesurteil. Das aber bringt nicht die Entscheidung, so dass sich die Pilger durchsetzen, als Ziel Jeru­salem und nicht Bau von Burgen für die Ritter unterwegs zu bestimmen.[3] S. 78 f be­spricht JP die Episode, wie Usama Ibn Munqid in der El-Aqsa-Moschee beten will: Die Tempelritter hatten die Moschee in ihr Kloster umgebaut, den Muslimen aber dort einen Gebetsraum zur Verfügung gestellt.  Während ein frisch aus Europa gekommener Tempelritter den Muslim zwingen will statt nach Mekka gen Osten zu beten, hindern ihn. Man kann, wie JP das tut, die erstaunliche Aussage der Anekdote als die Ausnahme von der alltäg­lichen Feindschaft sehen; man kann sie aber besser als Beispiel für einen modus vivendi, des anerkennenden Zusammenlebens außerhalb der Schlachtfeldes verste­hen. Eine Nachbarschaft, ohne die die Kreuzfahrer gar nicht überleben konnten. Eine Bot­schaft, die für die Welt heute wichtiger ist, als die hier deutlich werdende Erneu­erung des Kreuzfahrergeistes. – Dass das Buch auch bei der Bundeszen­trale für politische Bildung als Sonderausgabe erscheint, entspricht nicht seinem Wert:  Michael Borgoltes Buch ist da um Meilen besser, problemorientierter, kultur­wissenschaftlich bewusst.[4]

Erinnert sei an zwei weitere Autoren britischer Sicht auf die Kreuzzüge: Unter den vielen wichtigen Büchern von Jonathan Riley-Smith der Atlas,[5] die Kapitel eines Sammelwerks[6] und Lexikon-Artikel[7] ist problembewusst zur Motiva­tion der Kreuz­fahrer.[8] Christopher Tyerman’s kurze Geschichte habe ich auf der gleichen Internet-Seite besprochen.[9]

Ganz andere Ziele als die Erzählung haben drei Bücher deutscher Wissenschaftler. Immer noch das Standardwerk ist seit bald 50 Jahren Hans Eberhard Mayers Die Kreuzzüge.[10] Sein Hauptaugenmerk galt der Entstehung einer Verwaltung und Herr­schaft, die man schon Staat nennen kann, die ersten funktionierenden Staaten im Mittelalter. Seine Arbeit hat er gekrönt – nach fünfzigjährigen Studien[11] – durch die Edi­tion der Urkunden des Königreiches Jerusalem 2010.[12] Damit rundet sich ein Lebenswerk. Man sieht allerdings, dass HEM Fragestellung nicht ganz gerecht werden konnte, die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft zu begreifen; sie bleiben bei ihm eher Wagenburgen.[13]  – Aspektereich und als die beste Einfüh­rung zu den Kreuzzügen das Grundbuch, um in der differenzierten Fragestellung umfassend Orientierung zu gewinnen, ist zu empfehlen Niko­las Jaspert: Die Kreuzzüge, zuerst 2003.[14] Er weiß was von den spanischen Kreuzzügen und versteht etwas von Religion.

Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

Alle Rezensionen von CA des Jahres 2012 zu Kreuzzügen:   >>>   Kreuzzüge-Rezensionen-2012


[1] Herfried Münkler: Die neuen Kriege. Reinbek: Rowohlt 2002.

[2] Die Unterscheidung zwischen großer „Anstrengung“, nämlich die innere Kampf mit den eigenen Schwächen und Sünden, und dem kleinen Dschihad, der auch militärische Anstrengung umfassen kann, ist schon im Koran getroffen. So etwa das Kapitel bei Malise Ruthven: Der Islam. [Oxford 1997] Ditzingen: Reclam 2000,  158-192.

[3] Auffarth, ”Ritter” und ”Arme” auf dem Ersten Kreuzzug. Zum Problem Herrschaft und Religion ausgehend von Raymond von Aguilers. in: Saeculum 40(1989), 39-55..

[4] Michael Borgolte: Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abend­landes 300 bis 1400 n. Chr. (Siedler Geschichte Europas) München: Siedler 2006. [639 S. : Ill.

[5] Jonathan Riley-Smith (Hrsg.): Großer Bildatlas der Kreuzzüge. Freiburg: Herder 1992. Rez. Auffarth: Wissenschaft und Weisheit 56(1993), 212 f. Riley-Smith ist Jahrgang 1938.

[6] Jonathan Riley-Smith (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der Kreuzzüge. Frankfurt: Campus 1999.

[7] Jonathan Riley-Smith: Kreuzzüge. In: Theologische Realenzyklopädie 20(1999), 1-10.

[8] Jonathan Riley-Smith: Wozu heilige Kriege? Anlässe und Motive der Kreuzzüge. Berlin: Wagenbach 2003.

[9] Christopher Tyerman: Die Kreuzzüge. Ditzingen: Reclam 2009. Tyerman hat ein ähnliches Erzähl­werk (XVI, 1023 S.) wie Asbridge geschrieben: God’s war: a new history of the Crusades. London= Cambridge, MA:  Harvard UP 2006, als Penguin Taschenbuch 2007.  Rezension hier

[10] Hans Eberhard Mayer: Die Kreuzzüge. Stuttgart: Kohlhammer 1965; 102005.

[11] Mayer ist 1932 geboren. Große Untersuchungen haben die Urkundenedition begleitet etwa zur Kanzlei der Könige, zu der kirchlichen Struktur, zu einzelnen Kirchen. Zwei Bände seiner Aufsätze sind erschienen.

[12] Hans Eberhard Mayer (ed.): Die Urkunden der lateinischen Könige von Jerusalem. Diplomata regum Latinorum Hierosolymitanorum. Altfranzösische Texte erstellt von Jean Richard. (Monumenta Ger­maniae historica, Diplomata) 4 Bände, Hannover: Hahn 2010. 1812 Seiten.

[13] Hans Eberhard Mayer (ed.): Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft : Einwanderer und Minderheiten im 12. und 13. Jahrhundert. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 37) München: Oldenbourg 1997.

[14] Nikolas Jaspert: Die Kreuzzüge. (Geschichte kompakt: Mittelalter) Darmstadt: Wissenschftliche Buchgesellschaft 2003 [ IX, 180 S. Mittlerweile in der fünften Auflage 2010. Eine englische Übersetzung erschien bei Routledge.

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