Handbuch der Religionen (HdR): Kontinuierlich wachsende Printausgabe und Online-Zugänge

Trotz starker Digitalisierung in der Kultur des Buches ziehen es immer noch viele vor, sich Material auf der “Papierbasis” zu besorgen.
Dazu gehört seit 1997 das von dem Religionswissenschaftler  Udo Tworuschka und dem Historiker Michael Klöcker im Olzog-Verlag München herausgegebene
HANDBUCH DER RELIGIONEN (HdR)
Zugang zur Printausgabe: hier

Viele Spezialisten und für die einzelnen Themenfelder zuständige Fachgebietsleiter haben dieses Handbuch im Ringformat mit jährlichen Ergänzungslieferungen zu einem vierbändigen Werk anwachsen lassen. Inzwischen finden sich in den Ordnern mit inzwischen 37 Ergänzungsliefeungen über 4500 Seiten Text (!).
Hier wurde also ein umfassendes Lexikon der Religionen entwickelt.  Es ermöglicht einen umfangreichen Überblick über die Geschichte und Gegenwart der verschiedenen religiösen Traditionen und Strömungen in Deutschland.  Das macht allerdings die Übersicht und schnelle Auffindbarkeit bestimmter einzelner Themen nicht immer leicht.

Das Gesamtinhaltsverzeichnis bietet darum eine erste Übersicht.
Download Inhaltsverzeichnis: hier

Weiterhin können über eine Suchmaske nun alle Artikel als Volltextsuche
(einige kostenlos, die meisten gegen geringe Gebühr) online abgerufen und heruntergeladen werden:
Online-Zugang zum HdR

Dieses umfassende Werk zu den Konfessionen und Religionen  im deutschsprachigen Raum hat mit seinen Grundsatzbeiträgen eine religionswissenschaftliche Basis gelegt. Mit den Aktualisierungen zu religiösen Entwicklungen und Veränderungen dürfte es für die Recherche von Fachleuten und Interessierten aus allen gesellschaftlichen Bereichen ausgezeichnet recherchierte Zugänge für eine sachkompetente Orientierung bieten.

 

 

Gotteshäuser der Religionen entdecken

Rz-Sajak-GotteshäuserDer Münsteraner Religionspädagoge Clauß Peter Sajak gibt dem interreligiösen Lernen seit Jahren intensive Impulse, besonders was die drei monotheistischen Religionen betrifft. Mit Unterstützung der Herbert Quandt-Stiftung hat er, zusammen mit zwei Pädagoginnen  (Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel) didaktisches Material herausgebracht:  

Trialogisch Lernen.
Bausteine für interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit
(Seelze 2010).

Dem folgte das trialogische Praxisbuch:
Kippa, Kelch, Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. (München 2010, Rezension: hier).

Zusammen mit Ann Kathrin Muth  entwickelte er Standards für das trialogische Lernen (Bad Homburg 2011), um so interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen in der Schule zu fördern. Die inzwischen gemachten Erfahrungen werden nun weiter konkretisiert mit der Heftreihe „Lernen im Trialog“, dessen erste Nummer auf die Gottesdienst- und Gebetsorte von Judentum, Christentum und Islam ausgerichtet ist. Studierende der TU Dortmund haben sich mit diesem Heft intensiv beschäftigt und die Möglichkeiten für den Unterricht bedacht:

Clauß Peter Sajak
(Hg. zusammen mit einem kompetenten Team aus der Schulpraxis und der Wissenschaft):
Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten. Sekundarstufen I und II.
Lernen im Trialog. Ein Projekt der Herbert Quandt-Stiftung.

Paderborn: Schöningh 2012, 95 S., Abb., Bausteine, Anregungen

— Ausführliche Beschreibung und Quintessenz: hier — 

Die Bedeutung für die interreligiöse Lern-Praxis mit der klaren Schüler-Orientierung zeigt sich insbesondere in der Lernstruktur, nämlich Entdeckungen in den Gotteshäusern selbstständig zu machen, entsprechend zu vertiefen und weiter zu vermitteln. Gerade diese eigenständigen Lernmöglichkeiten der Schüler machen dieses Heft zu einer sehr empfehlswerten Unterrichtshilfe.
Mit ähnlichen Intentionen und hilfreichen Praxisbezügen erschien übrigens 2005:

Christina Brüll / Norbert Ittmann / Rüdiger Maschwitz / Christine Stoppig:
Synagoge – Kirche – Moschee. Kulträume erfahren und Religionen entdecken.

München: Kösel 2005   — Rezension hier —

Creative Commons-Lizenz

Religiöse Erziehung – christliche und islamische Perspektiven

Stella El Bouayadi-van de Wetering /Siebren Miedema (Eds.): Reaching for the Sky.
Religious Education from Christian and Islamic Perspectives.  

Currents of Encounter – Studies on the Contact between Christianity and Other Religions, Beliefs, and Cultures 43

Amsterdam/New York, NY: Rodopi 2012, VII, 284 S. Index.
– ISBN: 978-90-420-3479-2

Religiöse Erziehung gerät in multikulturellen Gesellschaften und angesichts von Migrationssituationen zu einer besonderen Herausforderung für Eltern, Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer in der Schule, aber auch für Moscheevorstände und Hodschas. Kinder und Jugendliche müssen ihren eigenen Weg in Auseinandersetzung und Dialog mit herkömmlichen und auch provozierenden Lebensmustern finden und eine eigene Weltsicht aufbauen. Wie gehen junge Menschen mit ihrer Herkunftsreligion um? Wie lässt sich tolerantes, friedvolles und dialogoffene Verhalten einüben? Wie sollen Jugendliche unterrichtet werden? Welche Bedingungen sind für interreligiöses Lernen notwendig?
Der wissenschaftliche Diskurs wird  im Bereich der religiösen Erziehung neue Horizonte eröffnen müssen. Der Fokus ist dabei besonders auf das Christentum und den Islam gerichtet. Das hängt mit den sich ändernden Gesellschaftsstrukturen und ihren Prägungen zusammen – in der Spannung zwischen säkular und fundamentalistisch.


Die Herausgeber, die Arabisch-Lektorin und Erziehungswissenschaftlerin Stella El Bouayadi-van de Wetering, der Professor für Religiöse Erziehung Siebren Miedema und der ReligionsphilosophHenk Vroom (alle von der Freien Universität Amsterdam), bündeln die Materialien und Vorträge einer Konferenz, die in enger Zusammenarbeit mit dem niederländischen Zentrum für Islamische Theologie, internationalen Erziehungswissenschaftlern und mit der Liga der Islamischen Universitäten in Kairo entstanden. Die Auswahl der Themen bezieht sich darum einerseits auf Kommunikationsstrukturen der religiösen Erziehung, der Normen und Werte in Elternhaus, Moschee, Kirche und Schule, zum anderen auf Länder, in denen schon intensive Erfahrungen mit Multireligiosität vorliegen, hier konkret: Türkei, Indonesien, Libanon, Niederlande, Deutschland, Belgien und Ägypten. Zugleich stehen die Jugendlichen im „Verbund“ und in Auseinandersetzung mit den Erwachsenen und den Erziehungsinstitutionen. Stark beeinflussend wirkt sich verständlicherweise das Verhalten unter ihresgleichen aus, die Problematik der „Peer-Groups“. Die Autoren beschreiben darum aktuelle Prozesse im Erziehungsgeschehen und zeigen Verluste, Problemstellungen und Neufindung religiöser Identität bei Jugendlichen. Sie verbinden ihre Analysen und Einschätzungen mit den Intentionen, Lernfelder aufzubauen, in denen andere Glaubenstraditionen respektiert und die jeweiligen Einflussmechanismen von Elternhaus, Schule, Kirche, Moschee, den Medien und der „Straße“ einbezogen werden.
Die Herausgeber weisen im Vorwort daraufhin, dass die Beiträger/innen – durchweg Erziehungswissenschaftler/innen Methoden und Handlungsanleitungen für die Erziehung junger Menschen (mit und ohne Migrationshintergrund) liefern möchten. Angesichts stärker auftretender antiislamischer Tendenzen in den europäischen „autochthonen“ Gesellschaften ist dies dringend nötig, damit künftige Gesellschaften durch Toleranz und dialogoffene Wertehaltungen geprägt werden.
Mualla Selçuk von der Universität Ankara zeigt, dass die koranische Bedeutung der “Leute des Buches” ein Kommunikationsmodell für eine interreligiös offene islamisch-religiöse Erziehung sein kann. Erhebliche Praxiserfahrungen bringt Ina ter Avest (Amsterdam) ein, und zwar in der Reflexion von drei Grundschul-Beispielen, die einen unterschiedlichen religiösen bzw. säkularen Hintergrund haben. Begegnung zwischen Menschen verschiedener Religionen verläuft Verstehen fördernd am besten „spielerisch“. Die „Spieler“ sind dabei Lehrer und Kinder gleichermaßen im Blick auf den Andern und das Andere. Sie wirken miteinander überzeugend sind dann überzeugend, wenn sie didaktisch verantwortet „predigen“, was sie bereits praktizieren. Alma Lanser-van der Velde (Amsterdam) hebt die Bedeutung des praktischen Umgangs mit Religion in familiärer Kindererziehung hervor. Dihyatun Masqon Ahmad vom Zentrum für Islamische und Westliche Studien aus Ost-Java berichtet von der Dynamik einer modernen islamischen als Internat geführten indonesischen Erziehungseinrichtung, der Pondok Pesantren.
Die Herausgeberin El-Bouayadi-van de Weteringgeht näher auf die Problematik zwischen häuslicher Erziehung, Unterricht in der Moschee und säkularem Umfeld in den Niederlanden ein. Der Tübinger Religionspädagoge Friedrich Schweitzer bezieht sich auf eine ähnliche Konstellation in mehreren europäischen Ländern im Blick auf die häusliche (oft fehlende) religiös-familiäre Erziehung und die kirchlichen Möglichkeiten, hauptsächlich im Zusammenhang mit der Konfirmation. Goedroen Juchtmans von der Katholischen Universität Löwen hebt die Bedeutung der Frauen in der religiösen Erziehung hervor. Sie setzen sehr stark auf rituell-spirituelle Impulse im Sinne einer Sakralisierung des Lebens.
Es folgt der Blick in den Nahen Osten: Im Libanon trägt die christliche Erziehung durch die geopolitische Lage osmanische, arabische und westlich-missionarische Prägesignaturen und zugleich blutige Bürgerkriegserfahrungen, wie der Theologe Rima Nasrallah (Beirut) dokumentiert. Bahaeddin Budak (Amsterdam) konzentriert sich zusammen mit der Herausgeberin auf die muslimische Jugend, die unbedingt spirituelle Orientierung braucht und z.T. in der Gefahr steht, sich auf religiösen Extremismus einzulassen. Die Niederlande sind geradezu ein Brennpunkt für diese kritische Gemengelage im Zusammenhang mit der „Versäulung“ im niederländischen Schulsystem und der fortschreitenden Säkularisierung. Gerdien Bertram-Troost und der Herausgeber Siebren Miedema (beide Amsterdam) sind sich über die Wirkungen religiöser Erziehung aufgrund empirischer Untersuchungen recht unsicher. Arslan Karagül (Amsterdam), der neben islamische Erziehung den Schwerpunkt „spiritual care“ (Seelsorge) unterrichtet, ist angesichts der Schwächen in der Praxis islamischer Erziehung und fehlender umfassender Erziehungskonzepte für die Zukunft ziemlich beunruhigt. In diesem Zusammenhang lohnt der Vergleich zweier säkularer multikultureller Gesellschaften, nämlich der Türkei und der Niederlande im Blick auf die Fakten und Faktoren religiöser Erziehung – so die Überlegungen von M. Fatih Genç aus der Türkei (Ankara), Ina ter Avest und Siebren Miedema (Niederlande).
Eine andere Sichtweise eröffnen Hussein Bashir Mahmoud(Kairo) und die Herausgeberin Stella El Bouayadi-van de Wetering, indem sie zuerst auf die Bildungsgeschichte und dann auf die Leitlinien islamischer und religiöser Erziehung eingehen, wie sie in ägyptischen Primar- und Sekundarschulen gehandhabt wird: Toleranz als ethischer Wert spielt hier eine herausragende Rolle. Aus christlicher Sicht diskutiert Manfred L. Pirner (Universität Erlangen-Nürnberg), wie die „Peer Groups“ der Jugendlichen mit dem Einfluss der Medien umgehen und eine „Selbst-Sozialisation“ stattfindet, die zwar auch religiös geprägt sein kann, aber ohne die Muster der klassischen Religionen auskommt. In eine ähnliche Richtung geht Nabil Alsamaloty, Soziologe an der Al-Azhar-Universität in Kairo, zusammen mit der Herausgeberin: Unter Heranziehung soziologischer Theorien auch zum Konfliktmanagement legen sie den Schwerpunkt ihrer Argumentation zum einen auf die Entwicklung kriminellen Verhaltens als Folge von Ausgrenzung und zum andern auf soziale und ökonomische Gewalt im Kontext extremer Armut. Fundamentalistisch und terroristisch orientierte Peer-Groups können sich für ihre gewaltsame Konfliktbereitschaft religiöse Muster aneignen, die originale Glaubenstradition konterkarieren. Das gilt nicht nur für junge Muslime, sondern für junge Menschen in allen Religionen.
Wolfram Weiße von der Akademie der Weltreligionen in Hamburg stellt die Ergebnisse des sog. REDCo-Projektes vor: Es handelt sich um eine Untersuchung, die religiöse Erziehungskonzepte mit (recht heterogenen) religiösen Einstellungen von 14-16jährigen Jugendlichen in mehreren Ländern Ost- und West-Europas kombiniert. Insgesamt hält die Mehrheit der Angesprochenen ein Kennenlernen anderer Religionen in der Schule für friedensfördernd. Dem fügt Redbad Veenbaas (Amsterdam) das Ergebnis einer ähnlich strukturierten kleinen Untersuchung aus den Niederlanden über die religiösen Werte- und Normvorstellungen junger Muslime hinzu, die auch gesellschaftlichen Veränderungen durch die „Straßen-Kultur“ unterliegen.
Die Herausgeber gehen im Epilog nicht nur der Frage nach, ob es religiöser Erziehung gelingt, „reaching for the sky, also „nach dem irdischen Himmel zu greifen“. Ob das wohl die Vorstufe zum transzendenten Himmel (heaven) ist? Der Blick auf christliche und muslimische Jugendliche insgesamt spiegelt nur einen Augenblicksstand. Dieser ist von der Spannung religiöser Erziehung in familiärer Tradition und dem Mangel religiös-authentischer Sprache in säkularen Gesellschaften geprägt. Angesichts nicht zu übersehender Komplexitäten im Feld religiöser Erziehung kann diese Zusammenstellung und  mit der Auswertung einer Reihe von Analysen zuerst eine Bewusstseinsschärfung erreichen. Zum andern aber bietet das Buch Orientierungsempfehlungen für eine dialogische Religiosität, die wirklich ernst genommen und umgesetzt werden sollten.
Reinhard Kirste
Rz-El Bouayadi-RE-Sky, 20.05.12