Christoph Markschies: Gottes Körper. Jüdische, christliche und pagane
Gottesvorstellungen in der Antike.
München: Beck 2016. 900 Seiten, 15 Illustrationen.
ISBN 978-3-406-66866-1
Gottes Hände – Wie handelt Gott?
Antike Philosophen, jüdische und christliche Theologen debattieren – über was?
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: Eine herausragende Untersuchung über einen Aspekt antiker Gottesvorstellungen in einem noch nicht auf Abgrenzung der religiösen Traditionen jüdisch, christlich und heidnisch bedachten Denkraum.
Ausführlich: Christoph Markschies[1] erzählt einen Streit in Ägypten um 400 nChr. Da tritt der Patriarch Theophilos III. von Alexandria (der Bildungshauptstadt der Antike) auf und schüttet Hohn über die Hinterwäldler, ungebildete Andersdenkende aus, nämlich eine Gruppe von Mönchen, die sich Gott in körperlich-menschlicher Gestalt vorstellt (Anthropomorphiten, S. 300-372). Zugleich wirft er diesen christlichen Mönchen vor, sie versuchten die aufgebrachte Bevölkerung von sich weg und auf den Patriarchen hin zu lenken. Kurz zuvor hatten nämlich (andere) Mönche in der Stadt den Tempel des Serapis und sein Götterbild zerstört. Der Streit war aber schon vorher in Jerusalem eskaliert, als es um die Wiederbesetzung des dortigen Bischofstuhls ging und der Patriarch sich für zuständig hielt. Ein Kandidat ließ sich zu dem Satz in der Predigt hinreißen, in den Gesichtern der Mönche erkenne er Gott. Theophilos weist den absurden Gedanken zurück: Muss Gott etwa aufs Klo gehen (die Mönche schon)? Origenes, der fünf Generationen vorher die Körperlichkeit Gottes vehement abgelehnt hatte, wird zum Spielball des Streites und nachträglich zum Ketzer erklärt. Wie die Mönche ihren Körper schon zu Lebzeiten versuchten zu ignorieren und abtöteten zeigt das Grab eines Mönches, der sich selbst hatte in Ketten legen lassen (368f).
Das ist ein gekonnt erzählter Fall, in dem CM zugleich auch deutlich macht, warum man die Geschichte nicht einfach erzählen kann, sondern immer die Vorannahmen erklären muss, den Fall so und nicht möglicherweise anders zu rekonstruieren. Ein Musterbeispiel für die Arbeit eines Kirchenhistorikers der Spätantike, die so viel voraussetzt an Sprachen, an Kontexten, archäologischen Befunden, Landeskunde, theologischen Texten und Bibliotheken von Fachliteratur. Erst einmal unglaublich, was ein einzelner Wissenschaftler, als Klassischer Philologe und Theologe in der Schule von Martin Hengel ausgebildet, wissen und kennen kann! Für dieses Buch hat sich CM neben den christlichen Streitpunkten, die nicht zuletzt die Körperlichkeit des menschlichen Gottes, nämlich Christi, betreffen, die jüdischen Debatten und Gottesbilder in gemeinsamen Seminaren mit dem Judaisten Peter Schäfer (Berlin/ Princeton) erschlossen, die vor allem in der Hekhalot- (Himmlische Paläste) und Merkavah- (Gottes fahrbarer Thron nach Ezechiel 1-3) Literatur zu erkennen ist. Das ist die Stärke des Buches: Die jetzt schon von vielen akzeptierte Meinung, dass es in der Antike des Römischen Reiches gemeinsame Fragestellungen und Antworten gab, die nicht einer Religion allein gehörten und der Abgrenzung von der anderen dienten, sondern einem gemeinsamen ‚Denkraum‘,[2] das zeigt CM an der Frage, ob Gott einen Körper hat. Entgegen der älteren Vorstellung, die Heiden hätten sich Gott körperlich, die monotheistischen Religionen metaphysisch-unkörperlich vorgestellt, macht CM deutlich, dass die Grenze so nicht verläuft. Der Vorschlag von CM ist jedoch religionswissenschaftlich nicht befriedigend: „Auf den ersten Blick scheint es so, als ob in der alltäglichen Frömmigkeit der kaiserzeitlichen Antike göttliche Körper ebenso selbstverständlich verehrt wurden, wie sie in den allermeisten Tempeln präsent waren, während gelehrte Reflexion eher die Differenz zwischen den materiellen Körperlichkeiten der Statuen und der Existenzform der Götter betonte oder jedwede Körperlichkeit der Götter rundweg ablehnte.“ (S. 145), das Kapitel davor „Der Körper Gottes und die antiken Götterstatuen“ (113-143) zusammenfassend. Religionswissenschaftlich müsste man zwischen der Person Gottes unterscheiden, die für den Kult notwendigerweise körperlich vorzustellen ist: Wenn man zu Gott spricht, wenn er Gaben erhält, dann braucht er Ohren und Hände, um Gebet und Opfer entgegen nehmen zu können. Das steht nicht unbedingt im Gegensatz zum Reden und Nachdenken über Gott. Und nicht im Gegensatz zum Handeln im Sinne Gottes, also der Ethik. Seneca amüsiert sich über Menschen, die an die Kultstatue nahe herankommen wollen, um Gott etwas ins Ohr zu flüstern, ohne deshalb den Kult ganz zu verdammen; Paulus ermahnt seine Gemeinde, sie seien der Tempel Gottes, ohne den Jerusalemer Tempel abzulehnen.[3] Die Christologie (das Verhältnis des Menschen Jesus zum göttlichen Christus in ein und derselben Person) verlangt Aussagen zur Materialität Gottes, während die ‚Heiden‘ deutlich unterschieden zwischen dem lebendigen Gott und der Statue, in der sie/er zum Kult einkehrt. Die Statue als ‚Präsenzmarker‘, d.h. eine Repräsentation, wo Gott anwesend gedacht wird, wenn man ihm im Kult begegnet, würde die Frage verschieben vom ‚Körper‘ Gottes zum ‚Auftritt‘ Gottes.[4] Die Frage ist bei CM auch nicht immer konsistent auf Körper, Kopf, Hände und Füße konzentriert, es geht auch öfter um die Ontologie, um die Materialität, um das nicht-irdische fünfte Element (quinta essentia, Feinstofflichkeit), ohne die Frage der Körperlichkeit, wie Gott agiert, streichelt, zerschmettert, schenkt, sieht, welches Kleid er trägt.
Nach einer Rezeptionsgeschichte, wie die Moderne das Problem der Körperlichkeit ignorierte (19-40), bespricht CM die Frage nach dem Körper Gottes in der Bibel (knapp), der antiken Philosophie und demgegenüber in der frühen christlichen Theologie (Lesenswert bes. zu Origenes und sein Problem mit dem eigenen Körper!). Dann das schon angesprochene Kapitel zu den Götterstatuen (113-144). Im Kapitel über die Frage nach dem göttlichen Element im Menschen, die Seele in der Spätantike (145-177), hätte eine Auseinandersetzung mit Jan Bremmers The rise and the fall of the Afterlife 2002 gut getan. Das fünfte Kapitel handelt von der jüdischen Mystik (179-246), die ausgeht von der Vision des Jesaja vom thronenden Gott im Jerusalemer Tempel (Jesaja 6) und der Vision des Ezechiel vom fahrbaren Thron je bei ihrer Berufung. Dieses Kapitel bringt die umfangreichen (und erst in der letzten Generation umfassend erschlossenen) Textcorpora in das Gesichtsfeld und hier kann CM aus seiner umfassenden Kenntnis der Kirchenväter schöpfen, um zu erklären, wie viele von diesen auf die parallel verlaufende Diskussion reagierten. Hier kommen v.a. auch die Engel mit ins Spiel. Die teils daran anschließende Diskussion unter den spätantiken christlichen Theologen ist denn auch das Thema des sechsten, längsten (125 Seiten) Kapitels, ausführlich der eingangs angesprochene Fall um die Anthropomorphiten. Im Ergebnis sieht CM doch mehr Kontinuität: „Anthropomorphismus im späten vierten und frühen fünften Jahrhundert lässt sich als eine monastische Transformation der klassischen christlichen Ansichten über den Körper Gottes für die Zwecke von asketischen Gemeinschaften beschreiben und steht trotzdem in der Tradition der christlichen Lehrbildung des zweiten und dritten Jahrhunderts.“ (357). Im letzten Kapitel (373-418) kommt nun ein Zentralthema zur Geltung, auf das vieles hinausläuft: die Körperlichkeit Gottes als Mensch Christus und das Verhältnis des Menschen ‚Gottes Sohn‘ zum Schöpfergott. Ist hier nicht doch das Proprium, das ‚Eingemachte‘ des Christentums zu erkennen, das es von der jüdischen (weniger von der heidnischen) Tradition abgrenzt? (374). Auch hier gibt es aufregende neue Erkenntnisse.[5] Zur Frage, in welchem Leib lebt Jesus nach seiner Auferstehung und in welchem, wenn „er sitzt zur Rechten Gottes“: Die Stelle Lukas 24,39 ist ein zentraler Satz, wenn er von sich sagt, er habe Fleisch und Bein. Aber die Paradoxie des ‚ungläubigen Thomas‘ erklärt das nicht: Jesus fordert den Jünger zwar auf, die Kreuzigungswunde zu ertasten. Also volle Körperlichkeit. Aber zuvor ist er bei verschlossenen Türen und Fenster in das Zimmer eingetreten. Also ohne fleischlichen Körper (Johannes 20, 24-29).[6]
Der eigentliche Text, für dessen Lektüre schon eine Menge Vorkenntnisse nötig sind,[7] umfasst über 400 Seiten. Die restlichen, kleiner gesetzten Anmerkungen enthalten vor allem Texte auf Hebräisch, Griechisch, Koptisch, Lateinisch je mit einer Übersetzung im Hauptteil oder eher eine Paraphrase aus 179 Autoren (AT und NT als einer gezählt). Nicht ganz praktisch zu handhaben, wenn man Text und Übersetzung vergleichen will. Dazu die Auseinandersetzung mit der Forschung; das hundertseitige Literaturverzeichnis, Seite 770-868, ist überwältigend. Indices zu den zitierten Stellen und zu Personen erschließen das Buch. Die Frage ist etwas zu spekulativ (theo-logisch) gestellt und nicht religionswissenschaftlich konkret: Was nutzt es dem Vollzug der Rituale und Religion, was dem Glauben, ob Gott körperlich anwesend ist oder als transzendentes Wesen unendlich fern und gleichzeitig jedem individuell nah vorgestellt wird? Das mindert aber wenig, dass CM eine herausragende Untersuchung über antike Gottesvorstellungen geschrieben hat, jetzt in vollem Einbezug jüdischer Debatten (in der Diaspora-Situation), den Verschiedenheiten christlicher Positionen – zwischen Tertullian und Origenes – und einiges auch zu den klassisch griechisch-römischen Repräsentationen von Göttern.[8] Das antike Christentum und Judentum ist Teil der antiken Religionsgeschichte, nicht das Gegenteil. Das Buch bietet nicht nur einige interessante Zitate aus den Quellen, sondern umfassend, wie sie aufeinander bezogen sind, aufeinander antworten und widersprechen.
Christoph Auffarth
Institut für Religionswissenschaft
Universität Bremen 19.9.2017
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Christoph Markschies (im Folgenden mit den Initialen CM abgekürzt) ist Professor für Kirchengeschichte an der (Evangelisch-)Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin. Trotz und neben seinem Amt als Rektor, das er 2006-2010 ausübte, hat er unglaublich viel und Grundlegendes veröffentlicht, etwa die Antiken Christlichen Apokryphen (s. meine Rez. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2013/06/06/markschiesantike-christliche-apokryphen/
[2] Das machen vor allem neuere Arbeiten zur Entstehung des Koran deutlich, aber auch die These von der „Trennung der Wege“ zwischen Christentum und Judentum ist hier aufgelöst. Vgl. Auffarth, Antike Juden und Christen streiten in Hörweite: Daniel Boyarins Borderlines auf deutsch: Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums 2009. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2010/10/20/abgrenzungen-die-aufspaltung-des-judao-christentums-von-daniel-boyarin/ (20.10.2010) und Geburten und Geschwister: Peter Schäfer: Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums 2010. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2010/08/19/die-geburt-des-judentums-aus-dem-geist-des-christentums-von-peter-schafer (19.8.2010) – Auffarth: Guy G. Stroumsa: The making of the Abrahamic religions in late antiquity. Oxford: Oxford University Press 2015. In: Sehepunkte http://www.sehepunkte.de/2017/07/27765.html (17.7.2017)
[3] Christoph Auffarth: „Euer Leib sei der Tempel des Herrn“. Religiöse Sprache bei Paulus. In: Dorothea Elm-von der Osten; Jörg Rüpke; Katharina Waldner (Hrsg.): Texte als Medium und Reflexion von Religion im Römischen Reich. (PawB 14) Stuttgart 2006, 63-80. – Leider kommt das Buch von Ilinca Tanaseanu-Döbler nicht vor, dass umgekehrt die Platoniker der Spätantike die Götterstatuen retten und sie in ihre Rituale einbeziehen, obwohl sie mit Platon die Nicht-Körperlichkeit des Göttlichen glauben: Theurgy in Late Antiquity: the invention of a ritual tradition. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2013.
[4] CM setzt sich fair mit meinen Aufsätzen auseinander 129 A 84 (auf S. 527), die Vermutung der „Alltagsfrömmigkeit der antiken Heiden“ ist jedoch ein vages Argument, das das Grundlegende jedoch nicht trifft: Die ‚Heiden‘ unterscheiden die Götterstatuen sehr wohl von den lebendigen Göttern, während Christus der materielle Gott ist. C.A.: The Materiality of God’s Image: Olympian Zeus and the Ancient Christology. In: Jan N. Bremmer; Andrew Erskine (ed.): The Gods of Ancient Greece: Identities and Transformation. (Edinburgh Leventis Studies 5) Liverpool 2010, 465-480.
[5] In einer eigenen Rezension berichte ich über Boyarin, Die jüdischen Evangelien Würzburg: Ergon 2015 und Peter Schäfer, Zwei Götter im Himmel. München: Beck 2017. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2017/09/19/boyarin-juedische-evangelien/
[6] Dazu Candida R. Moss: The Marks of the Nails. in: Early Christianity 8(2017), 48-68 und Benjamin Schliesser: To Touch or not to touch… in John 20:24-29. Ibidem 69-93.
[7] Eine lesbare und differenzierte Einführung auf höchstem Niveau hat CM im gleichen Verlag veröffentlicht Das antike Christentum. München: Beck 2006. ³2016. Zuvor schon unter dem Titel Zwischen den Welten wandern. Strukturen des antiken Christentums. Frankfurt am Main: FischerTb 1997.
[8] Diese Forschung ist in den letzten Jahren vorangekommen zwischen ArchäologInnen, Klassischen PhilologInnen und ReligionswisssenschaftlerInnen. Besonders der Band Ioannis Mylonopoulos (ed.): Divine images and human imaginations in Ancient Greece and Rome. (RGRW ) Leiden: Brill 2010.