„Wenn mich einer fragt, woran ich arbeite, dann sage ich:
Am Theodizeeproblem.
Und wenn er weiter fragt: Wieviele Antworten hast du schon? Dann sage ich: Keine.
Aber beim Theodizeeproblem ist das schon viel.“
O. Marquard, Bemerkungen zur Theodizee, 255
Könnten Sie sich Gott charakterlich „zusammenstellen“, wie wäre er denn so?
Ein absolut freundlicher Gott, der alle Menschen liebt? Oder würde er die bösen Menschen zur Rechenschaft ziehen? Ihnen ordentlich die Leviten lesen? Wäre er ein Beschützer oder ein Richter? Vielleicht beides? Egal wie Sie sich Gott (zumindest theoretisch) „zusammenbauen„, er wäre nach Ihren menschlichen Vorstellungen und Wünschen gestaltet, nach unserem Verständnis von Gerechtigkeit.
Wie gut, dass wir uns Gott nicht basteln können. Jeder hätte da seinen eigenen Bauplan. Aber so funktioniert das nicht. Gott ist Gott – besonders in seinem Unverständlich-Sein und seiner Unverfügbarkeit. Es gibt keine widerspruchslose Antwort auf die Frage dieses Beitrags.
Es gibt in der Theodizee-Frage (= Wie kann es Leid in der Welt geben, wenn es doch Gott gibt?) etwas Wesentliches zu beachten: Die Frage muss von zwei Seiten beleuchtet werden.
Zum einen die Frage eines Menschen an Gott, der selbst von Leid betroffen ist: „Wie kannst du das Leid zulassen?“, zum anderen die philosophisch-theologische Grundsatzfrage „Warum gibt es Leid in der Welt?“ Das sind zwei paar Schuhe und beide Seiten müssen auseinandergehalten werden.
Das persönliche Leid
Einem Menschen, der Leid erfahren hat oder durchlebt, ist mit einer philosophischen Antwort nicht geholfen. Im Gegenteil!
Jede „Erklärung“ wäre ein Hohn … Auch der Satz „Gott ist da“ (auch wenn er stimmt) ist für trauernde Menschen nicht immer ein Trost. Das muss ich selbst erleben, erfahren. Im Leid fühlt man sich eben oft genug allein gelassen. Hier ist es wichtig zu wissen, dass auch das Hadern mit Gott „erlaubt“ ist. Das gehört zum Glauben dazu, schon immer! In den Psalmen liest man davon, Jesus hat es in seiner Todesstunde hinausgeschrien. Warum dann nicht auch wir?
Die ehrlichste Antwort auf die Frage „Wo ist Gott denn jetzt?“ ist: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum Gott gerade in den dunkelsten Stunden nicht immer spürbar ist. Vielleicht, weil man mit Trauer angefüllt ist und nicht in sich hineinhören kann? Ich kann äußern, dass ich daran glaube, dass Gott mit uns in die dunkelsten Tiefen geht. Ich kann von meinem Glauben daran berichten. Ich kann auf die Psalmen verweisen, in denen Menschen Gott hart anklagen, mit ihm hadern und sich trotzdem an ihn wenden. Ich kann da sein, in meinem Unwissen, mit meiner Hilflosigkeit, nicht mehr.
Ich kann nicht hinter allem einen Sinn erkennen, à la „Was will mir meine Krankheit sagen?“ oder „Danach bin ich Gott noch näher“. Es gibt hier unzählbare „Weisheiten“. Bei manchen Leidensschicksalen ist die Sinnsuche einfach unmöglich. Ich darf das auch zugeben. (Siehe weiter unten: Bei Hiob im grünen Kasten)
Die Bibel findet für die Theodizee-Frage auch keine befriedigende Antwort. Das Christentum hat nur eine Besonderheit, die uns trösten kann: Als Jesus Christus Qualen und den Tod erleiden musste, hat Gott selbst mitgelitten. So kommt er den Menschen in ihren schlimmsten Stunden nahe, denn er kennt das Leid. Das ist der Gott des Karfreitags.
Der kühle, rationale Blick auf das Leid
Bin ich selbst nicht in einer Situation, in der ich Leid erfahre, kann ich mich – mit Abstand – intensiv mit der Frage beschäftigen. Sie geht mir nicht so nahe und kann theoretisch durchdacht werden. Odo Marquard hat ein schönes Bild dazu gefunden: Nicht Ertrinkende philosophieren über die Theodizee, sondern jene, die am Ufer stehen.
Zur Theodizee gibt es viele Theorien. Ich habe mir nur einige interessante Gedankenspiele herausgepickt. Sehen Sie die nun folgenden vier Punkte als Anregung für sich selbst. Ich werde sie nicht weiter verfolgen.
- Was würde passieren, wenn es die Theodizee-Frage nicht gäbe?
- Wer bin ich, dass ich mein Leiden in den Mittelpunkt stelle?
- Der Tod setzt dem Leiden ein Ende. Somit ist das Leid begrenzt und nicht unendlich.
- Wenn es kein Leid in der Welt gibt, gibt es keine Bewegung mehr.
Theodizee bringt einen leicht um den Verstand. Man dreht sich im Kreis. Wie kann Gott das grausame Leid auf der Welt zulassen, wenn er allmächtig ist? Oder ist er nicht allmächtig? Dann ist er nicht Gott usw. Aus dieser Abwärtsspirale, die meist damit endet, ein schlimmes Urteil zu fällen: Gott kann nicht existieren!, gibt es kein Entrinnen. Außer man ändert den Blickwinkel.
Ein interessanter Ansatz (und ein Ausweg?) der das versucht, ist die Prozesstheologie: Die freiwillige Ohnmacht Gottes (kurzer Erklär-Audioclip)
Zum Abschluss die humorvollste Erklärung, die ich gefunden habe:
Warum tut Gott eigentlich nichts?
Lassen Sie mich einen Erklärungsversuch wagen.
Der Mensch will eine Welt ohne Hunger und ohne Krieg. Der Herrgott hat ein Einsehen und gibt dem Menschen eine Welt ohne Hunger und ohne Krieg.
Der Mensch ist eine kleine Weile zufrieden, dann will er eine Welt ohne Neid und ohne Mißgunst. Der Herr sieht’s ein und gibt dem Menschen eine Welt ohne Neid und ohne Mißgunst.
Der Mensch ist wieder eine kleine Weile zufrieden. Dann will er eine Welt ohne schlechtes Wetter und ohne Mehrwertsteuer. Der Herr sieht’s ein und gibt dem Menschen…… also man kann das jetzt noch lange so weitertreiben bis zum bösen Ende:
Zum Schluss liegt der Mensch im Wohnzimmer auf dem Sofa und Gott steht in der Küche und spült ab.
Mit freundlicher Genehmigung von Werner Koczwara
Aus dem Programm „Am achten Tag schuf Gott den Rechtsanwalt, Teil 2“
- Toller Aufsatz zur Vertiefung des Themas von Hans Christian Schmidbauer: Theodizee in der Sackgasse?
- Bewegende Kurzgeschichten zum Thema „Warum gerade Sie? Warum überhaupt?“