Wo ist denn dieser Gott, bitte schön?
„Früher, zur Zeit der Bibel, hat sich Gott doch auch oft genug gezeigt! Er wandelte durch den Garten, war anwesend in einer Wolke, einem Dornbusch oder erschien einem wenigstens im Traum. Und heute? Funkstille. Man bekommt ihn einfach nicht mehr zu Gesicht. Schade eigentlich. Ich bete doch und glaube an ihn. Warum zeigt er sich denn nicht?“
So oder so ähnlich könnte einem die Frage nach dem göttlichen Erscheinen über die Füße fallen. Vielleicht haben Sie selbst auch schon so gedacht. Verwerflich ist der Gedanke nicht. Er zeigt ja nur den Wunsch, Gott nahe zu kommen! Fragen wir uns also:
Eine platte Antwort wäre: überall! Damit gewinnt man aber keine Freunde. Wir müssen unsere Frage auch etwas präzisieren: Wo finde ich Gott heute? Zur Zeit der Bibel war Gott für die Menschen anscheinend greifbarer. Er wurde körperlicher gedacht. Sein Körper verbarg sich (im AT) in einer Feuersäule, hinter einer Wolke … Diese Vorstellung wandelte sich mit der Zeit. Und trotzdem hat die Bibel nicht vor, Gottesbeweise zu liefern, sondern will uns lediglich Bilder von Gott zeigen. Sie beschreiben WIE er ist. Dem Menschen fehlen die Worte, um Gott zu begreifen, also benutzt die Bibel Bilder. Würden wir ihre Erzählungen als genau so geschehen ansehen, verlieren sie ihre Vielschichtigkeit. Die Bibel berichtet von menschlichen Erfahrungen mit Gott. So erklärt sich die göttlich-menschliche Begegnungsvielfalt. Aber jedes Bild zeigt nur einen kleinen Teil Gottes und kann ihn in seiner Gänze niemals erfassen. Hierzu passt die folgende Geschichte:
Wenn wir uns nun weiter fragen: Warum zeigt sich Gott uns nicht? Dann machen wir einen Denkfehler. Er muss sich uns nicht zeigen, wir müssen ihn suchen. Hier geht es um das Glauben an Gott, um ein Vertrauen in ihn. Die Suche ist jedoch nicht einseitig. Gott will sich ja schließlich finden lassen. Und wo suche ich ihn nun? Auch das „Wo“ bringt uns nicht weiter. Er ist in unserer Welt präsent, aber nicht so, wie wir es erwarten. Er liefert uns keinen Aufritt mit Getöse. Ich stelle mir das ungefähr so vor: Durch Gott existiert unsere Welt, er hat den Grundstein gelegt, aber die Welt als solche ist auch durchdrungen von ihm. In der Schöpfung ist er überall präsent. Aber auch in uns Menschen. Martin Buber hat es in seinem Zitat auf den Punkt gebracht:
„Gott wohnt, wo man ihn einlässt„
Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim
Der Schuster Martin, ein Bilderbuch mit Tiefgang
Und mit diesem Zitat leite ich zu einem Buchtipp über, wie man Kindern wunderbar verdeutlichen kann, wie das mit „Gott wohnt, wo man ihn einlässt“ gemeint ist: Das Bilderbuch „Schuster Martin“ erzählt die Legende von Leo N. Tolstoi nach. Sie zeigt, dass uns Gott in allen Menschen begegnet:
Der alte Schuster Martin ist einsam und sieht von seiner Werkstatt aus die Straße, mit den vorbeieilenden Menschen. Abends liest er oft in der Bibel und entdeckt eine Geschichte, in der ein reicher Mann Jesus zu sich einlud. Dabei fragt er sich: Wie würde ich Jesus empfangen? Am Abend hört er eine Stimme: „Schau morgen auf die Straße. Ich werde zu dir kommen!“ Aufgeregt erwartet er Jesus am darauffolgenden Tag. Doch zuerst hilft er einem frierenden Straßenkehrer, indem er ihn auf einen Tee einlädt, einer armen Mutter, indem er dem frierenden Baby seine alte Jacke schenkt, einem kleinen Jungen, der einer Marktfrau einen Apfel gestohlen hat, hilft er und bezahlt das Diebesgut. Am Abend hört Martin die Stimme wieder. Sie sagt: „Ich war bei dir. Hast du mich erkannt?“
Was würde ich tun?
Das wird nicht nur zu Schuster Martins Frage, sondern auch zu unserer: Was würde ich tun, wenn Jesus zu mir käme? Wir folgen Martin in seinen Alltag. Wir beobachten ihn, wie er achtsam seinen Tag bewältigt und sein Herz und Haus für die Not der Menschen öffnet. Er sieht die kleinen und großen Nöte der Menschen und verschließt seine Augen nicht davor. Er gibt ihnen eine Kleinigkeit, etwas von den täglichen Notwendigkeiten: einen Apfel, eine Decke, einen heißen Tee. Martin teilt seine wenige Habe und im Teilen kommt Jesus in sein Haus. Was für ein schönes Bild! Im Bilderbuch von Masahiro Kasuya beginnen die Menschen von Innen heraus zu leuchten. Sie strahlen am Ende regelrecht. Das Buch endet mit den Worten: „Alles, was ihr den Armen angetan habt, das habt ihr mir getan.“
Weiterführendes…
Hier findest du interessante Links, Videos etc. zur oben genannten Frage