Die Kreuzzüge. Eine kleine Einführung
Christopher Tyerman
Reclam Universal Bibliothek 17 058
Ditzingen: Reclam 2009 [208 Seiten, 22 Abb., 8 Karten.]
Die Kreuzzüge haben England und USAmerika in anderer Weise kontinuierlich fasziniert als Europa: In Europa gehörten sie zur schwarzen Geschichte, in der mittelalterliche Irrationalität und Primitivität die Menschen motivierte im Gegensatz zu dem, was die Moderne und die Aufklärung fordert: Toleranz, friedliches Zusammenleben, Religion als Friedensstifter. Die anglo-amerikanische Tradition hebt hervor die Aufgabe, die guten Ziele der christlich geprägten Kultur über die Welt zu verbreiten. Zur Durchsetzung sei Gewalt notwendig, aber mit dem Ziel, das Böse zu befrieden. In Deutschland haben die Kreuzzüge neues Interesse gefunden (besonders durch die beiden Ausstellungen in Mainz 2004 und Mannheim 2005) verbunden mit den Erfahrungen von Begegnung der Kulturen, die in der Realität konfliktreich verläuft. In welcher Weise haben die Europäer des Mittelalters, die nach Palästina ausgewandert sind, die Nachbarschaft organisiert? Als Kolonialherren? Als Wagenburg? Auf wenige Schnittstellen reduziert, wie etwa den Einkauf auf dem Markt? Neugierig und lernbereit? Offen und gastfreundlich?
Reclam hat gerade Tyermans Crusades, A very short introduction (Oxford 2005) übersetzt von Christian Rochow herausgebracht. Nicht die neue große Erzählung des gleichen Autors God’s war. A new history of the Crusades (2006 auf 1023 Seiten, jetzt bei Penguin).[1] Der Oxforder Historiker Tyerman ist seit langem bekannt, nicht zuletzt durch das provozierenden Büchlein The invention of the crusades (1998, 180 S.).
Obwohl englisch geprägt, setzt sich Tyerman mit der anglo-amerikanischen Perspektive des imperialen Erbes bewusst auseinander. Die aktuelle Problematik seit den Golfkriegen hat er im Blick und er stellt dar, wie Saddam Hussein sich mit dem einzigen Sieger der arabischen Liga jemals identifizierte, mit Saladin (obwohl dieser ein Kurde war). Der einte die Muslime und warf 1187 die Imperialisten aus dem Land des Islam. Kaum mehr als die Hafenstadt Akkon blieb noch bis 1291 in deren Besitz. Aber weder enden die Kreuzzüge mit diesem Datum noch gibt es eine Kontinuität bis zum Kreuzzug gegen den Terror, den George W. Bush 2001 ausrief: This crusade, this war on terrorism, is going to take a while. (aber danach nie wieder das Wort ‚crusade’ dafür verwendete).
Die Ereignisgeschichte ist bei Tyerman ganz knapp erzählt. Nach einer Klärung, dass das Mittelalter keinen einheitlichen Begriff dafür hatte und also auch unterschiedlich wahrnahm (25-33) folgen zunächst die Kreuzzüge im Orient (34-62), dann die in Europa selbst (63-76). Kreuzzüge sind also nicht nur die nach Jerusalem oder ins Heilige Land, sondern auch gegen Häretiker und Slawen. Bemerkenswert auch die Bewertung zum Kreuzzug gegen die christliche Stadt Konstantinopel, das sei „kein historischer Unfall“ (57). Dann bewertet T. Die Auswirkungen der Kreuzzüge (77-90); die Perspektive der Muslime kommt zu kurz. Das Kapitel 5 (mit 30 Seiten so lang wie das 2. zur Ereignisgeschichte) widmet sich der Frage des „Heiligen Krieges“. Hatte T. (S. 13) noch versprochen, die Legende zu widerlegen, Kreuzzüge seien eine Abirrung von der christlichen Lehre, so behauptet er hier genau das: Kreuzzüge wirken schädlich, sie verkehrten die Lehre Christi ins absolute Gegenteil. Die Kreuzzugsideologie sei kasuistisch in ihrer Interpretation der Bibel, wenn nicht gar einfach nur verlogen. Eie religionswissenschaftliche Sicht muss hier anders ansetzen, nicht bei dem orthodoxen Glauben und den idealen Ursprüngen. Die Gründe, warum die Jesus-Bewegung den Krieg ablehnte, sind aus dem historischen Kontext zu erkennen. Gleichfalls kritisch sehe ich die Einschätzung, dass Heiliger Krieg und Gerechter Krieg in der mittelalterlichen Begründung zu trennen sei. Der Erste Kreuzzug ist eine Verbindung von Bußwallfahrt und Befreiungskrieg für die Christen im Orient. Erst Bernhard von Clairvaux erklärt dann in der Predigt zum Zweiten Kreuzzug das Töten für Christus zu einer Heilstat.
Kapitel 6 behandelt die Frage vorzüglich, wie die Kreuzzüge finanziert wurden (121-151). In diesem Kapitel gerät T. vieles zu apodiktisch und eindimensional, wer die Teilnehmer der Kreuzzüge und wer die Siedler im Orient waren. Dafür schön differenziert zu multikulturellen und religionstoleranten Zügen in den Kreuzfahrerstaaten im Kapitel Heilige Länder (152-186), m.E. das beste Kapitel im Buch. Im Ausblick ein knappes, sehr gutes Kapitel zur aktuellen Bedeutung der Kreuzzüge in der Weltpolitik.
Noch einige verbesserungswürdige Einzelheiten: Die Karte 1, S. 35 „Das mittelalterliche Europa und seine Grenzen“ hat keine einzige Grenze eingezeichnet. Die Aussage, die Rede Urbans II. sei nicht überliefert, ist falsch; sie ist nur in mindestens fünf Versionen überliefert, so dass sie im Kontext der jeweiligen Quelle zu bewerten ist. S. 110 spricht T. ohne Probleme von dem, was der Papst gesagt habe. Die Kreuzzüge als Pilgerfahrt (und nicht nur „als Analogie“) stehen im Vordergrund, nicht der Krieg. Das hat erst Bernhard von Clairvaux zum Heiligen Krieg verbunden.
Das Büchlein ist, wie bei Reclam gewohnt, trotz eines außerordentlich niedrigen Preises (5, 40 Euro) außerordentlich sorgfältig lektoriert. Ein großes Lob für diese nachhaltige Qualität im Verlag. Sehr gute Karten, instruktive Bilder, eine Zeittafel, weiterführende Literatur knapp kommentiert, auch deutschsprachige Titel. Ein Büchlein in seiner Knappheit sehr perspektivenreich und problembewusst, wissenschaftlich auf höchstem Niveau. Aus der Sicht der Religionsgeschichte und Religionswissenschaft ist das Büchlein ein ganzes Stück weiter gekommen als die bisherigen Einführungen, aber bleibt doch stehen bei der westlichen Sicht auf Judentum und Islam, die Entstehung des Neuen, Vermischten, was im Kapitel „Heilige Länder“ vorzüglich beschrieben ist, sollte noch durchgehender das Ganze prägen.
Während diese Art der Darstellung eher ein Abriss/Grundriss darstellt, ziehe ich als ‚Einführung’ für Studenten Nikolas Jaspert (Darmstadt 2003, 42008) vor; sie öffnet die Fragestellungen und führt zu Lösungsmöglichkeiten, ohne die Ergebnisse festzulegen. Für Religionsgeschichte sind die Kataloge der Ausstellungen wichtig, für die islamische Perspektive glänzend Hannes Möhrings Saladin (2005), religionswissenschaftlich Christoph Auffarth: Irdische Wege und himmlischer Lohn (Göttingen 2002). Oder Jonathan Riley-Smith: Wozu heilige Kriege? (dt. Berlin 2003). Aber als kurze problemorientierte und perspektivenreiche Darstellung in der Tat das beste, was man sich erwerben kann. In guter Konkurrenz, aber perspektivenreicher, zu dem noch schmaleren Beck Wissen Kreuzzüge von Peter Thorau (2004, ³2007), der dafür die islamische Seite besser kennt.
Christoph Auffarth,
Prof. für Religionswissenschaft,
Universität Bremen
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[1] Gelungen die Rezension von Petra Roscheck in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte
http://www.koeblergerhard.de/ZRG126Internetrezensionen2009/TyermanChristopher-GodsWar.htm