Dialektische Theologie – Kirchliche Dogmatik

Karl Barth: Dialektische Theologie. Kirchliche Dogmatik

Schriften I und II. Herausgegeben und kommentiert von Dietrich Korsch. Zwei Bände im Schuber
Verlag der Weltreligionen. Frankfurt am Main (September) 2009.
1324 Seiten, Leinen. 72,00 €
ISBN: 978‐3‐458‐70022‐7

Karl Barth (1886-1968) ist einer der wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts: ein Schweizer aus Basel stellte für die deutsche Theologie große Herausforderungen, war eine ständige Provokation. Aber gerade deshalb konnte er zum Leuchtturm in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus werden. Als reformierter Theologe (Zwingli und Calvin, nicht Lutherisch!) forderte er, dass die christlichen Gebote nicht nur innerhalb der Kirche und individuell für den einzelnen Gläubigen gelten, sondern auch im Staat. Der Duldung oder gar der Angleichung an die Rassenpolitik des Staates, widersprach er mit den Formulierungen des Barmer Bekenntnisses (1934; Band I, 524-528) ), die er formulierte, derweil „die Lutheraner ihr Mittagsschläfchen hielten“. Wichtige Texte Barths zum theologisch-politischen Kampf sind im Band I aufgenommen, wie: „Theologische Existenz heute!“ (I, 482-523), nach dem Krieg fordert er im Wort an die Deutschen die Christen auf, den Weg entschlossen zu einen freiheitlichen Deutschland zu gehen, dem das Bekenntnis zur Demokratie als der einzig christlichen Gesellschaftsordnung 1946 folgte und weiter eine Rede, die dem Kommunismus ein Recht einräumte. Nein, bequem war er nie, auch als er schon zum Klassiker geworden war!

Der Briefwechsel mit Adolf von Harnack, damit setzt die Auswahl ein, zeigt die Abnabelung von der „neuprotestantischen Herkunft“, wie Korsch die erste Phase Barths benennt. Das letzte Jahr des Ersten Weltkriegs und die unmittelbar darauf folgenden Jahre haben programmatische Wenden hervorgebracht. Barth und seine so gewonnenen Freunde Emil Brunner, Friedrich Gogarten, Eduard Thurneysen, Rudolf Bultmann trieb die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ zur Wende, zur so genannten Dialektischen Theologie. Wie im Rausch schrieb Barth ein geradezu expressionistischen Buch, Der Römerbrief 1919, drei Jahre später spitzte er zu oder relativierte er etwas eine zweite Auflage (I, 115-186). Der berühmte Tambacher Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft“ vom September 1919 (I, 187-228). Dann die Programmschriften der Dialektischen Theologie „Zwischen den Zeiten“ bis zur Entzweiung 1933. Nach den oben bereits genannten Schriften im NS und seiner Nachgeschichte durchaus
eigenartig die autobiographischen Texte Nachwort zur Schleiermacher-Ausgabe und How my mind has changed (entgegen dem Titel auf deutsch geschrieben) Die Frage, die ihm gestellt war, lautete: the change in my thinking about religion. Barth lehnt erneut ‚religion’ ab und beschäftigt sich mit Gottes Wort, das die Kirche und die Mission hervorgebracht hat (I, 626).

Die Auswahl der Texte bemüht sich um vollständige Gedanken, die Aufsätze ganz; aus den Monographien lange Abschnitte (was in den langen Argumentationsreihen der KD (Kirchlichen Dogmatik) nicht ganz gelingt. Aus dem berühmten Paragraphen 17 etwa, wo Barth Religion als Verneinung Gottes zeiht und Feuerbachs Projektionsthese weitgehend zustimmt, ist nur der dritte Abschnitt gedruckt. Das kann man als Zeitdiagnose und Warnung 1938 lesen und als theologische Religionskritik, hat aber keinen analytischen Wert für eine Religionswissenschaft. (Vgl. Auffarth, Zeitschrift für Religionswissenschaft 15, 2007, 1-27).

Karl Barths Stellung zum Judentum ist ein Problem. Im Gedächtnis geblieben ist seine Aussage, die Juden seien das sichtbare „Nein!“ Gottes, Zeuge des göttlichen Gerichts, während die Kirche Zeugin des göttlichen Erbarmens darstelle (KD II 2 § 34; S. 215). Eberhard Busch (Unter dem Bogen des einen Bundes, 1996) hat versucht zu erklären, dass Barth nicht nur – fast als einziger – politisch sich für die Juden einge-setzt hat, sondern auch theologisch. Das Fazit ist nicht einfach ein christlicher Anti-semitismus. Aber das Bild von Verwerfung im Zusammenhang mit dem historischen Schicksal der Juden zu verwenden, bleibt anstößig. – In dieser Auswahl fehlt das Problem.

In den Kommentaren führt Dietrich Korsch (Professor für Systematische Theologie in Marburg) in das Leben Barths und seine Schriften ein und erläutert einzelne Stellen. Das ist klug und knapp und erhellend. Personen sind lexikalisch pointiert vorgestellt. Charlotte von Kirschbaum, mit der zusammen Barth viele seiner Schriften erarbeitete, wird immerhin als ‚Mitarbeiterin und Partnerin Barths seit 1926’ erwähnt; zu wenig für ihren Anteil am Werk und an Barths Biographie. – Gute Register auch zu ‚Sachen’. – Die Texte sind vorzüglich eingerichtet, mit Zeilenzähler für das Arbeiten im Seminar/Unterricht; zudem ist angegeben, wo die Seiten im Originaldruck beginnen, so dass man ein einheitliches Zitiersystem – etwa für eine Hausarbeit – hat.

Befällt einen angesichts der Gesamtausgabe Karl Barths in 70 und mehr Bänden (ohne die 12 mächtigen Bände der kirchlichen Dogmatik) eher nichts als alles zu lesen, hat Korsch eine Auswahl zur Verfügung gestellt, die einem die wichtigsten Texte Barths leicht zugänglich macht. Zusammen mit der großartigen Biographie von Eberhard Busch ein ausgezeichneter Zugang zum umstrittenen Theologen, der die Theologie des 20. Jahrhunderts geprägt hat!

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10. Januar 2010
Christoph Auffarth,
Prof. für Religionswissenschaft
(Geschichte und Theologien des Christentums)
Universität Bremen

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