‚Kampf der Kulturen’ und der ‚Geist’ des Islam: Der abenteuerliche Weg eines Gründervaters
Mohammed Asad
Der Weg nach Mekka. [Road to Mecca. New York: Simon und Schuster 1954]
Patmos: Ostfildern 1997, ²2010
443 Seiten
Das ist ein spannendes Buch in einer ausdrucksstarken Sprache! Ein jüdischer junger Mann, Leopold Weiss[1] geht für die Frankfurter Allgemeine als Korrespondent in den Nahen Osten, begeistert sich als Jude aber nicht für den Zionismus, sondern für die Nationen-Werdung der Muslime. Er konvertiert und heiratet eine Muslima, heißt nun Mohammed Asad („Weiß“); er berät den saudischen König Feisal, wird Gesandter Pakistans bei den Vereinten Nationen. So wichtig er für die ersten Jahre war, der postkoloniale Nationalismus geht über den Euro-Muslim hinweg, er zieht sich zurück, übersetzt und kommentiert den Koran.[2] Als 92-jähriger stirbt er schließlich in al-Andalus, wo einmal der europäische Islam seine kulturelle Blüte ausbildete. Ein wenig nach dem Zenit seiner aktiven Arbeit in der Politik schrieb er vor mehr als fünfzig Jahren die Autobiographie.
Er hat die entscheidenden Veränderungen der muslimischen Welt als Augenzeuge erlebt. Als im Ersten Weltkrieg das Osmanische Reich endgültig auseinanderbrach und die Engländer und Franzosen die Ordnungsmacht übernahmen, änderte sich die Landkarte des Vorderen Orients und Südasiens grundlegend. Da entstehen die kleinen Balkanstaaten, die sich im Zweiten Weltkrieg zu Jugoslawien zusammen schließen, die Türkei als bewusst säkularer laizistischer Staat, Syrien, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten, die zwei Pakistane (das muslimische Indien lag bei der Unabhängigkeit 1947 wie eine Klammer um das hinduistische Indien; Ost-Pakistan wurde erst später zum eigenen Staat Bangladesh). Es ist die Welt von Casablanca und Hercule Poirot auf dem Nil: Undurchsichtige Agenten, Polizeispitzel, Flüchtlinge, Untergrundorganisationen.[3] Aber diesmal nicht aus der Sicht des Westens erzählt, sondern von einem, der sich in den Islam verliebt und die großen Gründergestalten berät. Man erfährt viel Hintergrundinformation über die Mitte der Welt von Marokko bis Indonesien, die heute immer noch, eher wegen der damals nicht geordneten oder vielmehr gewollten Konflikte, im Zentrum der Weltpolitik stehen.
Man kann sich einfach gefangen nehmen lassen von der großartig erzählten Geschichte, von den knisternden Situationen, ein Abenteurer. Man kann es auch mit dem Hintergrundwissen und Kommentaren lesen, die Günther Windhager zusammengetragen hat: Leopold Weiss alias Muhammad Asad. Von Galizien nach Arabien 1900 – 1927. Wien: Böhlau, 2002 (³2010).[4] Auch einen Film hat das Fernsehen über ihn drehen lassen.[5] Man erfährt viel vom Islam einer vergangenen Zeit, manches verklärt, manches bewusst positiv bewertet, oft genug mit einem Seufzer berichtet, dass das nicht nur „die Welt von gestern“, sondern der ‚Geist’ des Islam sei, eine Möglichkeit – eine Utopie? Das Buch ist nicht nur große Literatur, sondern zeigt auch einmal, unter welchen Bedingungen, unter welchen Stolperfallen die muslimischen Nationalstaaten entstanden sind. Dazu bietet es einen notwendigen Perspektivenwechsel, um die Welt von heute zu verstehen, den clash of civilizations mal nicht mit der antimuslimischen Brille zu sehen. Ein Reformer, der den Muslimen und dem Islam zutraut sich zu entwickeln.[6] Sein Sohn Talal Asad ist ein wichtiger (Sozial- und Religions-) Wissenschaftler, der auf die Bedeutung des Säkularen verweist, nicht als Verlust von Religion, sondern als die Chance, eine gemeinsame Plattform für Verträge zu finden, rational zu rechnen, gemeinsame Institutionen zu schaffen.
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[1] Geboren 2. Juli 1900 in Lemberg (Lwow in Galizien, heute Ukraine), gestorben 20. Februar 1992 in Mijas, Spanien.
[2] Die Übersetzung des Koran in ein an Shakespeare angelehntes klassisches literarisches Englisch ist ins Deutsche übersetzt Die Botschaft des Koran : Übersetzung und Kommentar. Düsseldorf: Patmos 2009. 1262 S.)
[3] Archäologen, die nicht nur ausgraben, sondern auch für ihre Regierungen auskundschaften, was möglich ist, schmuggeln, das hat die Ausstellung in Essen zusammengetragen (Agatha Christi war mit ihrem Mann bei Ausgrabungen dabei; die Archäologin Gertrude Bell 1868-1926 gilt als diejenigen, die den Irak begründete): Das Große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus. Ruhr-Museum 2010. Mit einem opulenten Katalog.
[4] Während in der Autobiographie die Konversion als ein mehr oder weniger konsequenter und direkter Weg erscheinen sollte, zeigt der Kommentar die Irrwege und Enttäuschungen deutlicher, vgl. die Rezension von Heidemarie Petersen unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-1-013
[5] Georg Misch 2008, vgl. http://www.mischief-films.com/sub2.php?ID=3&S=D
[6] Vgl. das Buch von José Casanova, Europas Angst (besprochen auf der gleichen Homepage). – Eine gut dokumentierte Einordnung von Asad bei Martin Kramer
http://web.archive.org/web/20080312093104/http://www.geocities.com/martinkramerorg/WeissAsad.htm –
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19.09.2010
Christoph Auffarth
Professor für Religionswissenschaft
Universität Bremen