Gottes Körper. Von Andreas Wagner


Andreas Wagner
Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes
208 Seiten
Gütersloh 2010
Paperback ISBN: 978-3-579-08095-6.
24,95 Euro

 

Bilderloses Israel?

Das Studienbuch zu den Metaphern und Sprachbildern der hebräischen Bibel im Vergleich mit den bildlichen Darstellungen des Alten Orients ist in zweierlei Hin­sicht zu würdigen. Auf der einen Seite findet man in diesem Buch wertvolle Erläu­te­rungen, wie Götter im Alten Orient dargestellt wurden, Ägypten und Mesopotamien differenziert, und wie im Vergleich dazu sprachlich der Körper Gottes in der hebrä­ischen Bibel geschildert wird. 55 Strichzeichnungen und zahlreiche Übersichten in Tabellen machen das Buch anschaulich. Auf der anderen Seite fehlen weitgehend kulturwissenschaftliche Grundlagen, um die Besonderheit oder Vergleichbarkeit der Gottesbilder in der hebräischen Bibel beurteilen zu können.

Lange Zeit wurde auf die Frage, ob es im Alten Israel auch Bilder gab, nach Konfessi­onen unterschiedlich geantwortet. Während zuerst katholische Alt­testa­mentler (Ot­mar Keel, Silvia Schroer, Thomas Stäubli, Urs Winter, Christoph Ueh­linger, Max Küchler) positiv darauf antworteten und die Bilder sammelten, wie Figürchen von Stieren, Reitern, Wächterfiguren, winzige Ritzungen in Siegelstem­peln, blieben die evangelischen ablehnend. Das Bilderverbot sei die Scheidungslinie zwischen Israel und Kanaan, zwischen Monotheismus und Heidentum, also gehe es gegen den Kern der Tradition, genügend bildkritische Texte finden sich ja (Exodus 32: Das goldene Kalb; Ezechiel 8: Die Bilder im Tempel von Jerusalem) reichlich. Seither erfreut sich das Thema allgemeiner Aufmerksamkeit. Das Buch von Otmar Keel: Die Welt der Altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament (1972) ist zu einem Standardwerk geworden (seine Schwäche liegt darin, dass die Bilder zu einem Thema versammelt sind, rein nach Themen, nicht nach Kunstepo­chen oder Art und Zweck der Darstel­lung unterschieden). Die großen evangelischen Lehrbuchreihen haben versprochen, Bildsammlungen zur Bibel zu liefern, aber noch ist keines erschienen. Wagners Buch ist auf der evangelischen Seite ein Pionier. Einen gewissen Höhepunkt bildet die These von Herbert Niehr, dass man aus den sprach­lichen Beschreibungen Gottes er­schließen kann, dass es im („Ersten“) Tempel von Jerusalem vor dem Exil ein drei­dimensionales Götterbild gegeben habe.[1] Aus den wertvollen Listen Wagners (bes. S. 105 f – die menschlichen Körperteile – in Verbin­dung mit 137 f – die Körperteile Gottes) ergibt sich, dass bald 600 mal vom Gesicht Gottes die Rede ist, aber nur drei mal vom Kopf: Bedeutet das, dass die Gott nicht von der Seite gesehen wird, heißt das, dass kein dreidimensionales Bild gedacht wird – oder dass man dem Bild immer nur frontal ansichtig wurde durch die Tür zum Allerheiligsten, das aber kein norma­ler Mensch betreten kann? Was bedeutet, dass zwar die Körperteile Gottes in Aktion und Kommunikation mit den Menschen vorkommen, nicht aber „der Körper Gottes“? Wertvoll sind die Abschnitte, wo die Körperteile im Zusammenhang von Handlungen vorgeführt werden. Eine wirkliche „Phraseologie“ müsste aber breiter angelegt sein: Etwa in der Liste 105 f kommen fünf Wörter für „Gestalt“ vor, worin unterscheidet sich das eine Wort vom anderen? Der häufige Verweis auf das THAT (Theologisches Handwörterbuch zum AT, hrsg. von Ernst Jenni und Claus Westermann, zuerst 1971/1976; eine Neubearbeitung im gleichen Verlag ist in Arbeit) könnte der Schlüssel sein; dieses unschätzbare Hilfsmittel – einschließlich der konsequenten Umschrift für Nicht-Hebraisten – ist nur alphabetisch aufgebaut; eine systematische Zusammenstellung nach Wortfeldern und eine Phraseologie hat es nicht zu bieten. Für solch eine Darstellung nach Wortfeldern bietet Wagner einiges, auch einiges Neue, aber es fehlt weitgehend an kulturwissenschaftlichen Fragen. Die The­se, dass das Menschenbild dem Gottesbild folge, ist, wie er sagt, nicht überraschend, aber erst dann kann man das behaupten, wenn man die Vergleiche Gottes mit Tieren (Flügel, Adler) dagegen gestellt hat. Das ist doch das Götterbild, von dem sich das des AT abgrenzt, nach der üblichen These.

Das Buch von AW hat die Forschung zur Frage aufgenommen. Aber wenn das der Stand der Forschung ist, dann sind grundlegende Fragen erst noch zu erforschen, die in einer Einführung geklärt werden müssten. Zum einen grundlegende Fragen, die die Kunstwissenschaft am Anfang des letzten Jahrhunderts diskutiert hat: etwa Ikono­graphie, Stil. Zum andern die Erweiterung der Beschreibung und Bewertung von Bildern über die Kunstwissenschaft hinaus in der Bildwissenschaft. Und weiter hat man für die griechische Religionsgeschichte die Aufnahme orientalischer Motive intensiv untersucht, nicht jedoch mögliche Gegenwirkungen im Orient. Die Frage nach Epochen fehlt völlig.

Ikonographie bedeutet eine Semantik von (sakralen) Bildern, die zwischen Bild und Zeichenschrift liegen: Da werden Personen gemalt/gezeichnet, die jedermann darstellen könnten, aber durch ein Attribut eindeutig bezeichnet sind: Ob Petrus mit dem Schlüssel, Hermes mit Hut und Flügelschuhen, oder Istar/Maria auf der Mond­sichel. Oder ein Gott trägt in Babylon eine Hörnerkrone. Dann ist das kein Mensch. Oder Figuren werden verschieden groß dargestellt. Dann bedeutet das soziale Unter­schie­de. Zu Ägypten jetzt über die Graphie und Zeichen, aus denen sich dann auch die Hieroglyphen bildeten, Ludwig D. Morenz: Sinn und Spiel der Zeichen. Visuelle Poesie im alten Ägypten. Köln [u.a.] 2008.

Sodann der Stil: Wenn Picasso die Menschen  aus unterschiedlichen Perspektiven auf ein Bild zusammen malt, dann nicht weil er es nicht anders konnte. Er konnte ja in den vorausgehenden Perioden seines Schaffens exzellent naturalistisch malen. Nein, nicht Unfähigkeit, sondern er wählt einen neuen Stil. Kunst schreitet nicht in einer Entwicklung zu immer treffenderer Darstellung dessen fort, was der Künstler sieht. Kunst springt von einem Malstil zu einem anderen.

Die bildliche Darstellung der Menschen auf den „Graffiti“ von Kuntillet Ajdrud (gesprochen Kúntillet Adschrud) fällt aus den üblichen Schemata der ägyptischen und der assyrischen Bilder heraus. Das gilt auch für die kurzen Texte daneben, die Hebräische Wörter in phönizischer Schrift graphisch darstellen. Angesichts dieses Befundes – die Karawanserei in der Wüste zwischen Ägypten und Samaria hat keine Bindung an die lokale Umgebung – müsste der Horizont sich er­weitern und fände eine sehr viel nähere Parallele als den Vergleich mit den altorien­ta­lischen Bildern. Wenn die Schrift die Phönizier als Herren des Seehandels ins Spiel bringt, dann geht es jetzt nicht mehr nur um ‚die’ altorientalische, sondern um eine mediterrane Ikono­graphie. Die bildliche Darstellung lässt sich mit einer kulturell anderen Malweise „Stil“ weit besser vergleichen.  Etwa zur gleichen Zeit, 8. Jh., in Griechenland stellte die geometrische Kunst neben Ornamenten auch Tiere und Menschen dar in geometrischen Figuren: Striche, Dreiecke, Mäandermuster, wie etwa frontaler Oberkörper gleichzeitig Kopf von der Seite. Die Bilder sind nicht schlecht gezeichnet, sondern ein anderer Stil. Die Eingrenzung auf den „Alten Orient“ bildet eine regionale und methodische Selbst-Einschränkung. Hier aber fehlen noch Vergleiche, die die Bildkulturen Ägyptens, Babyloniens und Griechenlands in der späten Bronzezeit und der frühen Eisenzeit miteinander vergleichen in Ähnlichem und Verschiedenem. Grundlegende Forschungen stehen noch aus.

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[1] Herbert Niehr: In Search of YHWH’s Cult Statue in the First Temple, in: Karel van der Toorn (Hg), The Image and the Book (CBET 21), Leuven 1997, 73-95. –nicht im Literaturverzeichnis bei Wagner.

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3. Dezember 2010
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

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