Von Jupiter zu Christus: Religionsgeschichte in römischer Zeit
Jörg Rüpke
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011
304 Seiten
Von Jupiter zu Christus.
Religionsgeschichte in römischer Zeit
Zusammenfassend:
Die Kapitel des Buches von Jörg Rüpke beleuchten Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit unter verschiedenen Aspekten der Organisation (Priester, Kollegien, Wundertäter, Institutionelle Kontrolle), der Medien (Kalender, Brief, Buchreligion, Bilder) und dem Verständnis davon, was Religion ist und was sie bewirken soll. Damit öffnen sich gegenüber den bisherigen Büchern über römische Religion ganz neue Perspektiven auf eine fundamentale Veränderung, zu der das Christentum gehört – und nicht als das Neue, Verändernde, das die traditionelle Religion aussticht.
Im Einzelnen:
Eines der großen Forschungsprojekte der letzten Jahre auf dem Gebiet der Religionswissenschaft war die „Römische Reichsreligion und Provinzialreligion“ (ein Schwerpunktprogramm, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft). Die Idee hatten Hubert Cancik und Jörg Rüpke, der dann die Leitung des Projektes übernahm und mit überwältigendem Erfolg voran trieb. Neben vielen Bänden von Konferenzen zu einzelnen Themen entstanden zahlreiche Dissertationen und einige Habilitationen, weiter die Handbuchreihe zu der Religion einzelner Provinzen in römischer Zeit.[1]
Eines Tages darf man ein Handbuch erwarten, das – endlich! – eine Geschichte der römischen Religion vorstellen wird.[2] Aber da – im Unterschied etwa zur griechischen Religion – ein enormer Forschungsbedarf besteht, ist das noch nicht zu schaffen. Die älteren Handbücher behandelten „Kultusaltertümer“[3] oder die römische Religion als eine Rekonstruktion aus den wenigen archaisch-republikanischen Quellen und den Berichten über die republikanische Frühzeit (die aber erst 400 und mehr Jahre später erzählt wurden).[4] Ausgespart blieb die quellengesättigte Kaiserzeit, in der dann nicht mehr „die römische Religion“ sich isolieren lässt von den vielen unterschiedlichen Religionen und religiösen Gruppen. Aber nur diese alle zusammen bilden die römische Reichsreligion. Jörg Rüpke stellte die Forschung 2005 auf neue Fundamente, indem er aus den Inschriften alle überlieferten Priester vorstellte.[5]
Fast gleichzeitig erschien von Jörg Rüpke ein großer Aufsatz in der bedeutenden Zeitschrift der Geschichtswissenschaft: „Reichsreligion? Überlegungen zur Religionsgeschichte des antiken Mittelmeerraums in der römischen Zeit“. In: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 297–322, und der hier anzuzeigende Band. Statt einer durchgehenden Geschichte eröffnet JR einzelne Perspektiven, die die Einbettung der römischen Religion in verschiedene kulturelle Felder aufzeigen. Im Augenblick ist das viel besser als ein Versuch zu einer Gesamtdarstellung, die die offenen Probleme überdecken würde.
Die 16 Kapitel sind eine neue Darstellung, die im wesentlichen auf Aufsätzen beruhen, die schon einmal veröffentlicht sind (Liste auf S. 273), drei erstmals auf Deutsch; die Anmerkungen (leider!) im Anhang, alle aber bearbeitet und auf das Thema zugespitzt. Auf eine kleine Forschungsgeschichte (S. 15–30) folgend erläutert JR zunächst in Teil I, warum man für das Römische Reich von „Globalisierung – in traditioneller Form“ sprechen kann (S. 31–34). Stiftungen werden vorgestellt (S. 35–39). Dann der wichtige Aufsatz zur Integration von Immigrantenreligion am Beispiel des Jupiter von Doliche (S. 41–52); die christliche Variante von berufsständiger Religion in Unterscheidung zu „Hauskirche“ zeigt JR mit der Interpretation der Schrift Hirt des Hermas (S. 53–73). Das Kapitel „Organisationsmuster religiöser Spezialisten“ behandelt das Thema vergleichend in den verschiedenen orientalischen Religionen (Isis, Kybele, Jupiter Dolichenus, Juden und Christen: S. 75–93). Der Teil II fragt nach Medien und Verbreitungswegen. Er beginnt mit einer Provinz, Germanien (S. 95–99). Die Religion der spanischen Stadt Urso/Orsuna kann man über ein Art Verfassungsurkunde erkennen (S. 101–119). Weiter geht es um das Exportieren von Festen und Kalendern (S. 121–132) und die neue Form der Buchreligion (S. 133–141).
Teil III Die römische Welt verändert sich: Religiöser Wandel in globalem Maßstab Welches ist der Zusammenhang oder haben Polytheismus und Pluralismus ganz unterschiedliche Bedetung(S. 145–155)? Und wie passen Religiöser Pluralismus und die Einheit des Römischen Reiches zueinander (S. 157–175)? Literarische Darstellungen der römischen Religion in christlicher Apologetik, Tertullian und Minucius Felix (S. 177–203). Zur Frage, was der Pontifex Maximus, d.h. der Kaiser, in religiösen Dingen bewirken konnte (S. 205–219). „Bilderwelten und Religionsgrenzen“ beschäftigt sich mit der Verwendung paganer Mythenbilder in der christlichen Bilderwelt: Jona-Endymion beispielsweise (S. 221–231). Das letzte Kapitel fragt: „Wie verändert ein Reich Religion?“ (S. 233–243). – Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Register.
Gewichtige Veränderungen gegenüber den üblichen Anschauungen von Reichsreligion sind durch das Forschungsprogramm und Rüpkes Belege zu konstatieren:
- Der Kaiserkult ist nicht die große Innovation, die die Reichsreligion der Kaiserzeit prägt.
- Auch die orientalischen Religionen sind nicht als das Neue der Religionsgeschichte der Römischen Kaiserzeit zu identifizieren.
- Vielmehr ändert sich eigentlich alles. Was Religion will, was alles dazu gehört, die soziale Zusammensetzung, Organisationsformen, die neuen Rituale ergänzend zu den traditionellen; Motor sind nicht nur die Migration und Handel, sondern auch die Neugier und Offenheit gegenüber Neuem.
Ein sehr wichtiges Buch hat Jörg Rüpke hier veröffentlicht. Gut zusammengestellt, Wiederholungen eines Sammelbandes vermeidend, werden Ergebnisse des Forschungsprojektes vorgestellt. Man muss es mit Bleistift und Lineal lesen, es fordert Aufmerksamkeit. Aber die lohnt sich. Die vielfältigen Perspektiven philologischer, historischer (epigraphischer, prosopographischer), religionswissenschaftlicher Disziplinen sind klug miteinander verwoben. Der Titel trifft nicht so gut und ist eher auf das (vermeintliche) Publikumsinteresse hin formuliert. Denn es geht nicht um den Sieg des Christentums über die klassische Religion, sondern um einen umfassenden Prozess der Veränderung der Religion, die alle diese Religionen mit einschließt.
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[1] Nicole Belayche: Iudaea 2001. – Wolfgang Spieckermann: Germania superior 2004.– Wolfgang Spieckermann: Germania inferior 2007. – Heike Kunz: Sicilia 2007. – Schon vor dem Auftakt war 1997 ein spannender Band erschienen. Eine Bilanz zieht der Band J.R. (Hrsg.): Antike Religionsgeschichte in räumlicher Perspektive. Tübingen 2007.
[2] Am nächsten einer Gesamtdarstellung kommt Religions of Rome von Mary Beard; John North; Simon Price. Cambridge 1998. Besonders die Gestaltung des Vol. 2: Sourcebook ist überzeugend.
[3] Immer noch nicht ersetzt Georg Wissowa: Religion und Kultus der Römer. München: Beck 1902, ²1912.
[4] Kurt Latte: Römische Religionsgeschichte. München: Beck 1961.
[5] Dazu hat Jörg Rüpke in der Aufarbeitung aller Nachrichten und aller bekannten Personen, die römische Priester waren, ein Fundament geleistet: Fasti sacerdotum. 3 Bände, Stuttgart: Steiner 2005.
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23. Juni 2011
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen