„Entjudung“ – Kirche im Abgrund. Von Oliver Arnhold


 

 

 

 

 

 

 

Oliver Arnhold
ʺEntjudung“ ‐ Kirche im Abgrund.
Die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen 1928 ‐ 1939

und

 

 

 

 

 

 

 

 

„Entjudung“ – Kirche im Abgrund.
Das ʺInstitut zur Erforschung und Beseitigung
des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Lebenʺ 1939 – 1945.


Berlin: Institut für Kirche und Judentum 2010.

ISBN 978‐3‐938435‐00‐7. [xxiv, 926 Seiten. 24,80 Euro]

 

Das Christentum nur für ‚Deutsche’

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Paulus stellt im Galaterbrief den Grundsatz auf, das Christentum kenne weder die Diskriminierung von Frau und Mann, von Sklaven und Freien, noch von Juden und Griechen, sondern sei eine Religion für alle gleich vor Gott, ungeachtet ihrer Unter­schiede (Gal 3, 28). Als die evangelischen Landeskirchen im Jahr der nationalsoziali­sti­schen Revolution diskutierten, das Berufsverbot für Nichtarier im staatlichen Dienst[1] auch in den Kirchen zu übernehmen, da zitierte das Marburger Gutachten (Hans von Soden, Bultmann, Schlier und Jülicher ) den genannten Satz des Paulus. Dabei ging es in dem „Kirchen­kampf“ nicht etwa um den Kampf der evangelischen Kirchen gegen die staatliche Exekution und Legalisierung des Rassismus, sondern um die Minderheit derer, die sich – mit Berufung auf das Evangelium – gegen die Übernahme des ‚Arierparagraphen’ [staatlich 7.April; kirchlich 6./7.Sept. (S. 92)] auf die christlichen Gemeinden wandten. In den meisten Landeskirchen wurden die (ganz wenigen) Pfarrer entlassen, deren (erst die) Eltern sich hatten taufen lassen. Nicht die Angst der Kirchen ‚in vorauslaufendem Gehorsam’, sondern der Ehrgeiz, sich als Nationalkirche an die Spitze der national­sozialistischen Bewegung zu setzen, trieb die Kirchen, dominiert von den „Deutschen Christen“, die dank des Über­raschungs­­­coups der Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 gesetzt hatten.[2] Sie warben einer­seits mit Mitteln der Volksmission die wenigen (ca. 5 %) Nicht-Kirchenmit­glieder zur Mitgliedschaft. Sie sonderten andererseits die nicht wenigen getauften Juden aus der christlichen Kirche aus – und unterschrieben gewissermaßen deren Todesurteil.[3]  Mehrere christliche Institutionen dienten sich dem NS-Staat an, die notwendigen wissenschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen für die religiöse Begründung des historischen und biologistischen Antisemitismus. Die Institution, die die neue Theologie begründete, die Bibel von ihren jüdischen Denkformen zu reinigen, das Gesangbuch zu einem deutschen Erbe zu gestalten, also einen neuen deutschen Kanon zu definieren, gründeten die Thüringer DC 1939 – am Fuße der Wartburg: der Traum von der Vollendung der Reformation, von einer zweiten Refor­mation. Theologischer Vordenker wurde Walter Grundmann (1906-1976).

Die umfangreiche Arbeit von Oliver Arnhold erschließt nicht nur durch Bibliogra­phi­en und lange Zitate aus den Archivquellen (die teils erst nach der Wende wieder aufgefunden wurden) die Arbeit des Entjudungs-Instituts, sondern macht auch deut­lich, dass man detailliert die Vorgeschichte kennen  muss, um das Programm zu ver­stehen. So macht die (Vor-)Geschichte der Thüringer Deutschen Christen etwa die Hälfte des Doppelbandes aus. Hatte die vorausgehende Forschung mehrfach behauptet, Grundmann sei erst 1938 zum NS-Rassisten geworden, nachdem er, der bei den großen Neutesta­ment­lern Adolf Schlatter und Gerhard Kittel studiert und promoviert hatte, bis dahin gute und ‚reine’ Wissenschaft betrieben hatte (bes. S. 138 A. 140 und 138-142), so kann OA zeigen, dass er Theologie-Wissenschaft als Anti­judais­mus und rassistischen Antisemitismus sehr wohl zusam­men gedacht hat. Grundmann ist nicht als ein abseitiger Häretiker zu verstehen, sondern ein bedeu­tender Wissen­schaft­­ler, der auch nach der Selbstvernichtung des NS-Herrschaft zentrale Thesen beibe­hielt (so S. 22)[4] und damit weite Teile der evange­lischen Theologie und des christ­lichen Selbstverständnisses zwischen 1918 und 1968 repräsentiert.[5] Was Leonore Siegele-Wenschkewitz Mitte der Siebziger Jahre kühn aufdeckte, die Mit­schuld der Christen am Holocaust (OA erkennt ihre Arbeit als grundlegend an), erweist sich nicht als Verirrung von Wenigen, sondern weitgehend als Konsequenz der Wissen­schaft bis zum Generationenwechsel 1968.

OA arbeitete seit 1993 an dem Projekt. 17 Jahre später veröffentlicht das Berliner Institut Kirche und Judentum seine Paderborner Dissertation. Ein beeindruckendes Ergebnis in den ausführlichen Zitaten von veröffentlichten und nicht publizierten Quellen. Die Darstellung ist gegliedert nach der Einleitung 1-40 in Teil I zur Kirchen­bewegung Deutsche Christen 1928-1933 (S. 41-98); Teil II 1933-1939 (S. 99-453) zielt auf den politischen Höhepunkt der Reichspogromnacht, dem die DC die zweite Re­formation zur deutschen Kirche zur Seite stellt. Juden werden physisch und geistlich vernichtet. Teil III (S. 455-762) stellt die Arbeit des Instituts vor als Konsequenz der deutschen Kirche im nationalsozialistischen Staat. Programm, Finanzierung, Perso­nal, die Tagungen und Publikationen: das gereinigte Evangelium, das entjudete Gesangbuch, ein deutscher Katechismus und der historische Nachweis, dass Jesus ein Arier war. Wenigstens noch sieben Seiten zu den Karrieren nach 1945. Der Schluss gibt Folgerungen und Perspektiven (763-783), bevor im Anhang von knapp 150 Seiten das Buch erschlossen wird – neben der umfangreichen Bibliographie – Biogramme die im Buch vorkommenden Personen knapp vorstellt, die Mitarbeiter des Instituts, seine Organisation.

Kritisch ist zu bemerken: Die Zitate belegen nicht immer, was OA an Schlüssen aus ihnen zieht. Die Distanzierung der NS-Führung von der Idee, dass eine überkonfessionelle Nationalkirche den „Glau­ben“ an Volk und Rasse in der „Volksgemeinschaft“ missionarisch religiös binden sollte, bekam Widerspruch und Konkurrenz durch andere NS-Projekte. Das ist nicht als „Distanzierung“ (117) zu deuten, sondern typisch für die Polykratie des NS, die gerne Parallelstrukturen wollte. Eine davon, die Deutsche Glaubensbewegung, kennt OA nicht gut genug – obwohl die einschlägige Literatur zitiert ist: Richtig ist, dass Jakob Wilhelm Hauer, den die NS als deren Führer durchsetzten, aus der evangelischen Jugendbewegung hervorging, aber die DGB definierte sich als nicht-christlich. Dennoch bildet die völkische, erst recht die germanische Religionstradition nur eine winzige Splittergruppe, an der der NS schon bald wieder das Interesse aufkündigte; es bleibt nur Himmlers germanische Religi­osität der SS und SA. – Bultmanns Konzept vom „Christusgeschehen“, das er benutzt an Stelle von (Christus-)Geschichte des geschichtlichen (d.h. jüdischen) Jesus, verwendet OA S. 147, es kommt aber nicht im Zitat der DC vor und unterscheidet sich erheblich!

Für die Arbeit des Instituts ist dann die Abgrenzung vom alttestamentlichen Gottes­bild theologisch der entscheidende Punkt: Gottes-Sohnschaft sei jüdisch undenkbar, darin aber Christus Vorbild für die Christen: Selbstbewusste Helden sollen sie sein, nicht leidende erlösungsbedürftige Schwächlinge (OA 649-47).

Jesus sei ein Arier ist eine Kernaussage der Rassismus-Christen. Hatte sein Lehrer Schlatter das noch als spätere Legende abgelehnt, so versuchte Grundmann das als historischen Beweis aufzubauen.[6]

Oliver Arnhold hat, etwas detailverliebt, einen wichtigen Baustein zur evangelischen Religion in der Mitte des 20. Jahrhunderts vorgestellt. Die Zitate zeigen einerseits den Anspruch, in der „Volksgemeinschaft“ eine führende Rolle ausfüllen zu wollen, dem NS-Staat die christliche Religion als Sinnstiftung vorauseilend zum einenden Band anzudienen. Auch wenn der Bekennenden Kirche die Behauptung zu weit ging, Gott habe in der Schöpfung den Rassismus geschaffen („Und Gott sprach: es werde Volk! Und es ward Volk.“ Grundmann 1934 zitiert OA 140), so fand die deutsche Reforma­tion Luthers ihren gemeinsamen Nenner (neben dem Antikatholizismus) vor allem im Ausschluss des Judentums. „Gottes Nein zu den Juden“,[7] die Vernichtung der Juden, sei das erschreckende, aber auch – für die Christen – die heilsame Folge jeder Abwendung von Gott (Grundmann zitiert OA 142). Kein fundamentaler Verstoß gegen den Kern des Christentums (Irrlehren 163), kein Betriebsunfall, sondern Kon­tinuität ist das erschreckende Ergebnis. Einer Religionsgeschichte des 20. Jahrhun­derts – ein Desiderat – steht hier ein gut belegter Baustein zur Verfügung.[8]

Dank an das Institut für Kirche und Judentum, dass es erneut ein wichtiges Buch zu einem sehr erschwinglichen Preis veröffentlicht! Auch neben und nach Heschels Buch behält es seinen Wert, gerade durch die Details.

 

August 2011                                                            Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, der  sog. Arierparagraph

[2] Im Folgenden DC.

[3] Hier kommen zwei Vorgänge zusammen: 1. die Forderung der DC, ‚getaufte Juden’ in eigenen Gemeinden rassistisch zu trennen. 2. die Amtshilfe für den NS-Staat, die ‚arische Herkunft’ anhand der Kirchenbücher nachzuweisen. Dazu war jeder Pastor verpflichtet. Manfred Gailus: Kirchliche Amtshilfe 2008. Rez. Auffarth in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsi­sche Kirchengeschichte 106 (2008), 257-258. Dass das zum Todesurteil würde, war den Pastoren aller­dings zu der Zeit nicht bewusst. Aber etwa in Schleswig-Holstein vermehrte das die Zahl der „Juden“ um etwa ein Drittel.

[4] Dass Grundmann spät behauptete, er sei gegen den NS gewesen, kann man nur als gängige Rhetorik der Selbstentschuldung verstehen: OA S. 22

[5] Der Rezensent hat in einem Aufsatz die anti-jüdische Geschichtskonzeption von Rudolf Bultmann aufgezeigt, einem führenden Gegner des Antisemitismus der Deutschen Christen (erscheint in dem Band zum 125. Geburtstag von RB, hrsg. von Wolfgang Weiß; Kim Strübind. Berlin 2011, im Druck). Zur Kontinuität s. Gerd Theißen: Neutestamentliche Wissenschaft vor und nach 1945. Karl Georg Kuhn und Günther Born­kamm. Heidelberg 2009.

[6] Das stellt Susanna Heschel: The Aryan Jesus. Christian theologians and the Bible in Nazi Germany. Prince­ton, NJ: Univ. Press 2008 in den Mittelpunkt ihrer Darstellung des Eisenacher Instituts.

[7] Auch wenn Eberhard Busch (Unter dem Bogen des einen Bundes: Karl Barth und die Juden 1933 – 1945. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verl. 1996) für das berüchtigte Diktum Karl Barths – noch 1967 – Belege für sein Eintreten zugunsten der Juden anführt, so ist doch eher die Kontinuität auch innerhalb der Bekennenden Kirche (Wolfgang Gerlach: Als die Zeugen schwiegen. Bekennende Kirche und die Juden. [Diss. Hamburg 1970, gedruckt erst] Berlin : Inst. Kirche und Judentum 1987; ²1993) typisch, dass das Christentum als anti-jüdische Neugründung verstanden wurde.

[8] Wie zum Nationalprotestantismus – leider mit 1933 abschließend – Roland Kurz:  Nationalprotestan­tisches Denken in der Weimarer Republik. Voraussetzungen und Ausprägungen des Protestantismus nach dem Ersten Weltkrieg in seiner Begegnung mit Volk und Nation. Gütersloh: Gütersloher 2007, das OA nicht berücksichtigt.

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