Inklusion in religionspädagogischer Perspektive

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Reiner Andreas Neuschäfer: Inklusion in religionspädagogischer Perspektive. Annäherungen, Anfragen, Anregungen. Reihe: Religionspädagogik im Diskurs (RPD) Nr. 13 Hg. Michael Wermke, Garamond Verlag, Jena 2013. ISBN 978-3-944830-01-8

Thema

Es geht in der zu besprechenden Publikation um die Inklusion Behinderter – und ich weigere mich ganz bewusst gegen eine schönere Begrifflichkeit und die Gründe hierfür mögen meinem über die URL http://awan.awan.de/mondkalb2/index.php?id=29 [Download: 06.10.2013] abrufbaren Beitrag entnommen werden – aus der religionspädagogischen Perspektive.

Autor

Reiner Andreas Neuschäfer ist promovierter evangelischer Theologe und Pädagoge aus dem Rheinland, Er „setzt sich intensiv mit Inklusion auseinander“ (Klappentext).

Aufbau

  1. Annäherungen
  2. Einschätzungen zum Menschsein
  3. Integration und Inklusion in historischer Perspektive
  4. Anfragen
  5. Anregungen

Inhalt und Diskussion

Sein Vorwort leitet der Autor mit einem Exklusionserlebnis ein, welches er vor dreißig Jahren als Kindergottesdienstmitarbeiter mit Irokesen-Haarschnitt erfuhr.

Inklusion ist so verhangen wie ein Weihnachtsbaum, der mit allzu viel Lametta behängt ist: „Man muss es etwas abschmücken, damit der Glanz wirklich wirken kann“ (S. 11). Das Wort Inklusion ist diffus und nicht eindeutig. Der Autor geht in seinen Annäherungen ideologiekritisch an den Terminus Inklusion heran. Vertreter einer Ideologie sind „subjektiv von der Richtigkeit ihrer Vorstellungen und Einstellungen überzeugt. […] Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen ist man letztlich nicht auf Verständnis, Dialog und Austausch aus, sondern in verschiedenen Facetten und Nuancen auf Folgsamkeit ausgerichtet“ (S. 13).

Neuschäfer setzt sich mit den Wortspielen auseinander, die dem Verständnis der Inklusion entgegenwirken.

Kritisch nimmt der Verfasser den Inklusionsbegriff mit Bezug auf Andreas Hinz in den Blick und beruft sich dabei auf Ausführungen von Ju-Hwa Leedas (Inklusion-Wolkenkuckucksheim).

Problematisch erscheint auch die Schrägstrich-Formulierung: Inklusion/Integration.

Für die sonderpädagogisch geführte Diskussion interessant sein dürfte auch das Dilemma hinsichtlich des Integrationsbegriffs: „Mit integration war in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits die Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe bezeichnet worden. Von daher musste für die ausgeweitete Gleichberechtigung von Menschen mit handicap ein anderer Begriff gefunden werden, den man dann in der Psychologie und Soziologie auch fand: Inklusion“ (S. 15).

Inklusion bezeichnet eine bestimmte Form der Spiritualität, nämlich die Einkerkerung.

Gemeinde- und religionspädagogisch ist mit Blick auf Inklusion zu fragen:

  • „Wie sieht nach christlichem Verständnis der Umgang mit Verschiedenheit aus?
  • Welche Vorstellung vom Menschen und Menschsein sind evangelisch zu konstatieren?
  • Welche Antworten sind theologisch hinsichtlich Krankheit, Behinderung, Beeinträchtigung und fragmentarischem Leben auszumachen?“ (S. 18).

Nach diesem Einklang befasst sich Neuschäfer mit der gesellschaftlichen Großwetterlage für Inklusion, die auf Einheit, Einheitlichkeit und Homogenität trachtet. Beispielhaft hierfür steht das Zentralabitur und „die Problematik am Zentralabitur und generell an zentralen Tests bzw. Lernstandserhebungen ist deren dienende Funktion für eine Selektion“ (S. 25).

Bei der religiouspaedagogical correctness sollten folgende Fragen untereinander abgestimmt werden:

  • „Was verstehe ich unter Inklusion?
  • Welche Erfahrungen habe ich in punkto Inklusion hinter mir?
  • Wie gehe ich konkret damit um?
  • Wo habe ich fragen?
  • Welche Befürchtungen hege ich?“ (S. 28).

Eine weitere Annäherung an die Inklusion beschreitet der Verfasser durch den Blick auf die zwei Paar Stiefel, deren eine Schuhgröße die Integration und die andere die Schuhgröße der Inklusion ist. „Im Gegensatz zur Integration will die Inklusion nicht die Kinder den Bedingungen der Schule anpassen, sondern die Rahmenbedingungen an den Bedürfnissen und Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler ausrichten“ (S. 31).

Den Annäherungen folgen Einschätzungen zum Menschsein und diese diskutieren:

  • grundlegende biblisch-theologische Einsichten, wie z. B. dem Kreuzesgeschehen
  • den Menschen als Geschöpf, Ebenbild, Nächster – „die Ebenbildlichkeit der menschlichen Geschöpfe ist […] die ethische Basis für einen Umgang mit Nahen, Nächsten und Fernen, wie […] (sie – CR) im Liebesgebot gefordert wird“ (S. 66)
  • fertige Bilder, die uns gegenseitig fertig machen, so schützt das Bilderverbot „den Menschen, auch den behinderten Menschen, vor dem Zugriff der Unterscheidung von Mensch und Person, die sich aus der Abwicklung des Speziesismus-Argumentes ergibt und letzten Endes die aktive Euthanasie nicht nur billigt, sondern aus ökonomischen Gründen fördert und fordert“ (S. 68).
  • Erlösung und Eschatologie – hier bezieht Neuschäfer sich auf Dietrich Bonhoeffer und Matthias Claudius
  • den fragmentarischen Charakter christlicher Existenz – mit Reimen von Matthias Claudius und: „Dass jeder Mensch fragmentarisch lebt […] schätzt (das je eigene Schicksal – CR) […] als eine immer spezifische Gestalt eines jeden Menschen ein und achtet es damit als konkret, individuell und persönlich“ (S. 79)
  • die Einzigartigkeit und Würde des Menschen, der als Schöpfung Zugang in die Welt findet – „die Menschenwürde basiert biblisch verstanden […] in dem Geschaffensein des Menschen durch Gott. Und aus der Menschenwürde leiten sich […] die Menschenrechte ab“ (S. 97).

In Kapitel 3 nun folgt die skizzenhafte Darstellung der Historie von Integration und Inklusion. Exklusion, Integration und Inklusion sind immer nur mit Blick auf die aktuelle politische und soziale Großwetterlage zu betrachten. „In erster Linie fokussiert Inklusion die Vielfalt der Menschen nicht mehr als Störfaktor, sondern als positiven Faktor und Fakt“ (S. 111).

  • „Inklusion intendiert eine Kultur des Willkommenseins, der Achtung und der Freude an der Vielfalt.
  • Inklusion reduziert sich nicht auf Behinderte und Nichtbehinderte, sondern auf sämtliche Möglichkeiten andere aufgrund ihrer Eigenschaften, Eigenheiten oder Einsichten abzulehnen oder sich aufgrund dieser von anderen abzugrenzen.
  • Inklusion provoziert Anfragen, weil in Veröffentlichungen und Verlautbarungen zumeist Ansprüche im Vordergrund stehen ohne Rückendeckung durch etliche Betroffene“ (S. 112). Letztgenannter Punkt wird in der sonderpädagogisch geführten Diskussion um Inklusion auch von mir – und das auch öffentlich – sehr stark kritisiert. Zu verweisen ist in diesem Zusammehang auf meinen, über die URL http://www.psychologie-aktuell.com/fileadmin/download/esp/1-2009/rensinghoff.pdf [Download: 06.10.2013] abrufbaren, Beitrag.

Es folgen Anfragen:

  1. Inklusion und Integration – zwei Seiten der gleichen Medaille?
  2. Welches sind die begrifflichen Hürden der Inklusion?

Wenn Inklusion ernst genommen wird

  • braucht es z. B. keinen Deutschen Behindertensportverband mehr;
  • werden Werkstätten für behinderte Menschen und Behindertenwohnstätten aufgelöst;
  • wird ausschließlich die leichte Sprache und das design for all verwendet;
  1. Inklusion und Religion?
  2. Sind Inklusion und Bildung das Aus für Ausnahmen?

Neuschäfer fragt hier zunächst nach dem Neuen bei Inklusion:

  • „Was ist das wesentlich Neue an Inklusion, wenn es keine entscheidend anderen alltäglichen Unterrichtsweisen gibt?
  • Hat es Lernarrangements entsprechend inklusiven Denkens nicht schon zuvor gegeben?
  • Macht allein die Quantität den Unterschied aus, dass also mehr bzw. alle Schüler/-innen von inklusiv gestaltetem Unterricht erreicht werden?“ (S. 135).
  1. Inklusion zwischen Illusion und Investition?
  • Deutliche Mehrbelastungen sind „ebenso nicht von der Hand zu weisen wie eine vollkommen unzureichende Ausbildung der meisten Lehrkräfte. […] Es müsste […] in die räumliche und personellen Bedingungen erheblich investiert werden“ (S. 145).
  • „Wenn man es mit der Inklusion wirklich ernst meinen würde, dann stellte man den Behinderten auch jene technisch konzipierbaren und vorhandenen Mittel bzw. Geräte zur Verfügung wie etwa einen Rolli, der sich schmaler machen lässt, an dem er sogenannte Treppenräder ausfahren kann, der eine stabile Hubkonstruktion hat, um auch an höhere Regale heranzukommen usw. Doch von solchen Denkrichtungen ist in Veröffentlichungen zu Inklusion gar nicht die Rede“ (S. 146).

Der Autor liefert am Schluss seines Bandes Anregungen, wie:

  • den gemeindepädagogischen Impulsen auf dem Weg zur Konfirmation – so „ist Segen für Jugendliche auf dem Weg zur Konfirmation eine heilsame Realität und ein Signal dafür, dass in der Pubertät als Zeit des Wandels die Kontinuität des Gesegnetseins erhalten bleibt. […] Der Segen gilt gleichermaßen, auch wenn jeder Mensch eben nicht gleich, sondern verschieden ist“ (S. 155 f.);
  • dem aaronistischen Segen (Num 6,24-26) und seiner Konkurrenz, wie den Irischen Segenswünschen;
  • mit den Konfirmanden dem Segen, der seinen Ursprung quasi in der Heiligen Taufe hat, auf der Spur sein;
  • dem Segen nachspüren;

Inklusive Akzente liefert Reiner Andreas Neuschäfer am Schluss des Bandes, in dem er aufmerksam macht auf:

  • drei Filme der Initiative „It works!“:
  1. „Gemeinsam lernen – kriegen wir das hin?“
  2. „Selbstbestimmt leben – Das Persönliche Budget“
  3. Arbeit aus der Perspektive behinderter Personen und inklusiver Positionen.

Weiter wird auf den Kurzspielfilm „Lisanne“ verwiesen. Hier „werden auf ganz unterschiedliche Weise herausfordernde Situationen, Stationen und Fragen zur Sprache gebracht, ohne in ein Schwarz-Weiß-Schema zu geraten oder leichte bzw. leichtfertige Antworten aufzudrängen“ (S. 178).

„Britta Schwanenberg führt Inklusion als umstrittene Idee anhand eines Filmbeitrags über eine Troisdorfer Grundschule vor Augen“ (S. 179).

Als nützlich und gut erweist sich das Vertraut-Machen mit Geschichtenkisten, mit denen „sich biblische Erzählungen, Märchen und Geschichten in sogenannte zugängliche Formate […] bringen“ (S. 179) lassen.

Die Rankingmethode eignet sich für die Anbahnung von Begriffsbestimmungen und um Hintergründe für „Einschätzungen die Inklusion betreffend zur Sprache zu bringen“ (S. 180).

Fazit

Eine hervorragende Publikation, die Reiner Andreas Neuschäfer vorgelegt hat und die allen sogenannten Integrations- und Inklusionsprofessionen – und wegen der sich in dem Werk befindlichen substanziierten Kritik ist das nicht nur die Theologie resp. Religionspädagogik – zur Lektüre und anschließenden Diskussion dringend und zwingend ans Herz zu legen ist

Rezensent: Dr. Carsten Rensinghoff

info@rensinghoff.org

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