Hymnen, Klagelieder und Gebete

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Hymnen, Klagelieder und Gebete. Hrsg. von Bernd Janowski; Daniel Schwemer. (Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Neue Folge 7) Gütersloh: Gütersloher Verlags-Haus 2013. [XXIII, 326 S.]

Altorientalische Hymnen und Gebete zwischen Tempelkult und individuellem Gespräch mit Gott

Die beiden großen wissenschaftlichen Reihen des Gütersloher Verlagshauses haben den exegetischen Wissenschaften der Theologie und der Nachbarwissenschaften enorm genützt: Texte aus den benachbarten Kulturen zu den biblischen Texten in Beziehung zu setzen und umgekehrt. Die neue Folge der Texte aus der Umwelt des Alten Testaments stellt philologisch auf dem neuesten Stand deutsche Übersetzungen zur Verfügung in einer Auswahl der bedeu­tendsten Texte der jeweiligen Kultur. Verweise auf Wörter in der Originalsprache gibt es hin und wieder. Eine allgemeine Einleitung zur Gattung und Funktion von Hymnus und Gebet wird nicht angeboten, auch nicht für die hebräischen Psalmen etwa, die sich doch zum Ver­gleich des angebotenen Corpus der benachbarten Kulturen und Religionen eignen.[1] Auch direkte Vergleiche zu Texten aus der hebräischen Bibel sind selten. So wird der Weg meistens über Hinweise in Kommentaren zum Alten Testament zu dieser Textsammlung gehen. Und nicht über eine durchgehende Lektüre der hier dargebotenen Textzusammenstellung. Schade eigentlich, dass sich die Herausgeber und Übersetzer da so beschränken. Andrerseits verständ­lich, weil die sonst übliche Gliederung nach dem Kanon der Bibel die Texte aus ihrem kultu­rellen, historischen und kulturellen Zusammenhang ausschneidet und Vergleiche provoziert, die keinem der verglichenen Texte gerecht werden.[2]

Das ist in den ersten drei Bänden der rabbinischen Texte zum Neuen Testament passiert, die Paul Billerbeck übersetzte,[3] während er in den beiden letzten Bänden thematisch vorging.[4] Die einbändigen Textsammlungen für Studierende sind auch jetzt noch so aufgebaut.[5] Hier geht TUAT konsequent einen anderen Weg: Die Texte werden konsequent im Kontext der vergleichbaren Gattung derselben Kultur vorgestellt. Eine andere Entschei­dung ist weiterhin zu kommentieren: Die erste Folge des TUAT hat gegenüber den bis dahin verfügba­ren Textbüchern die Textgrundlage erheblich verbreitert. Aber es waren vorwiegend sehr alte Texte für den Ver­gleich mit der Hebräischen Bibel. Teils tausend und mehr Jahre älter. Das ändert sich in der Neuen Folge, insbesondere bei den ägyptischen Texten, denen besonders Joachim Quack Texte aus hellenistischer Zeit bei­steuert. Der mediterrane Kontext, der zeitgleiche, v.a. griechische Texte hervorbrachte, ist weiterhin ausge­schlossen.[6]

Die kurzen Einleitungen zu Hymnen und Gebeten der einzelnen Religionen sind sehr gute Überblicke zu den Besonderheiten der je erhaltenen Texte. Aber offenbar nicht nach einem einheitlichen Frageraster, so dass man, was in einer allgemeinen Einleitung nicht möglich war, hier erfahren könnte: Gattungen und Formgeschichte, formaler Aufbau, Versmaß, Gottesanrede, narrative Elemente, hymnische Elemente, Bitten, Schlussformel, wer betet, König, Beamter oder auch ‚Bürger‘? Hat Klage um Tote etwas mit den Göttern zu tun?

Der Band enthält grundlegende Texte (Neue Folge heißt nicht ‚Texte zweiter Wahl‘) aus Mesopotamien (darunter Die Tempelbauhymne des Gudeas von Lagaš, kommentiert von Susanne Paulus, 9-35; Herzberuhigungsklagen, kommentiert von Stefan Maul, 42-50; Akkadische Hymnen übersetzt und erläutert Karl Hecker 51-98).[7] Hymnen der Hethiter übersetzt und kommentiert Jörg Klinger 99-132, darunter die beiden Pestgebete des Muršilli II. und das bedeutende Gebet des Muwatallis II., das für die Mischung von indoeuropäischem und altorientalischem Pantheon aufschlussreich ist. Gebete aus Ugarit hat Herbert Niehr übersetzt und erläutert, 133-144. Ägyptische Hymnen stellen Carsten Knigge Salis und Maria Michaela Luiselli vor, die meisten hat Joachim Quack übersetzt. Gebete aus der Ramses-Zeit stellt Matthias Müller vor. Die auf Papyrus erhaltenen Königshymnen an Ramses vi. und vii. erläutert Lutz Popko 197-210. Die Hymnen an Amun, vom 13. Jh. bis in die späte Ptolemä­er­zeit (1.Jh. v.Chr.) erklären Carsten Knigge Salis und Maria Michaela Luiselli 211-243. Vier hellenistische und römische Hymnen zur Abwehr von Seuchengefahr und Isishymnen schließen diesen Abschnitt ab (244-272). Den Schluss bilden die bislang wenig beachteten  Griechische Texte aus der ptolemäischen und römerzeitlichen Epoche Ägyptens (273-310).

Am Schluss steht ein umfangreicher Teil Zeittafeln für die einzelnen Kulturen 311-326 und Karten auf den Vorsätzen erleichtern die chronologischen und geographischen Zuordnungen der Texte. Sie sind mit allen Angaben zu den Ausgaben und ausführlicheren Kommentierun­gen bestens bibliographisch ausgerüstet. Die Texte enthalten die genauen Zeilen- und Kolumnen-Angaben, so dass man sie direkt mit dem Originaltext und den Editionen zitieren kann. Für die Forschung, für eine Abschlussarbeit hervor­ragende Bedingungen.

Die hervorragende Sammlung neu übersetzter Texte ist leider unerschwinglich für Studieren­de und für den Vergleich mit Texten der hebräischen Bibel zu knapp kommentiert. So wird das Werk wohl nur in Bibliotheken stehen, hoffentlich viel benutzt. Die Sammlung ist es wert, durchgearbeitet zu werden. Sie bereichert die textliche Grundlage für die nicht auf die jeweilige Religion und Sprache Spezialisierten enorm.

 

Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,

Universität Bremen


[1] Bernd Janowski kommentiert die Psalmen Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen. Neukirchen 41913. Im „Biblischen Kommentar“ erschien die erste Lieferung Bd. 15: Friedhelm Hartenstein; Bernd Janowski: Psalmen. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2012-. Die Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag heißt: Alexandra Grund (Hrsg.): Ich will dir danken unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013.

[2] Die Ausweitung über den biblischen Kanon hinaus war das große Verdienst der ‚religionsgeschichtlichen Schule‘ um die Jahrhundertwende; eine erste Sammlung von Alfred Jeremias war für den damaligen Stand der Forschung ausgezeichnet: Das Alte Testament im Lichte des alten Orients. Leipzig 1904, ²1906. Digitalisiert http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/3846877. Dann war lange ANET das Referenz­werk: James Bennett Pritchard: Ancient Near Eastern texts. Relating to the Old Testament. Princeton: Princeton UP 1950. ³1974 with supplement. Aber die wenigen Texte wurden zu viel zu weitgehenden Schlüssen verwen­det. Das machte deutlich Benno Landsberger: Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt. in: Islamica 2 (1926), 355-372.

[3] [Hermann Leberecht Strack;] Paul Billerbeck: Kommentar zum Neuen Testament […] erläutert aus Talmud und Midrasch. Bd. 1: Das Evangelium nach Matthäus. 1922. Bd. 2: Das Evangelium nach Markus, Lukas und Johannes und der Apostelgeschichte. 1924. Bd. 3: Die Briefe des Neuen Testaments und der Offenbarung Johannis. 1926. Bd. 4: Exkurse zu einzelnen Stellen des Neuen Testaments. Abhandlungen zur neutesta­ment­lichen Theologie und Archäologie. 2 Bände 1928. Indices 2 Bände 1956, 1969. München: Beck.

[4] Billerbeck wollte jüdische Parallelen erschließen, benutzt wurde seine Sammlung eher zur Abgrenzung. Das Problem der späten Sammlung (Talmud) von zeitlich sehr differenten Stellungnahmen von Rabbinen ist seither erheblich besser geklärt, (auch durch die Erschließung des Jerusalemer Talmuds) lässt sich aber nur im Einzelfall genauer bestimmen, in vielen Fällen jedoch nicht. Vgl. meine Rezensionen zu Peter Schäfer http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2010/08/19/die-geburt-des-judentums-aus-dem-geist-des-christentums-von-peter-schafer/ und Daniel Boyarin http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2010/10/20/abgrenzungen-die-aufspaltung-des-judao-christentums-von-daniel-boyarin/ .

[5] Zuletzt Texte zur Umwelt des Neuen Testaments. Hrsg. von Jens Schröter und Jürgen Zangenberg. 3. Aufl. (gänzlich neu bearb. Aufl. der von Charles Kingsley Barrett begr. und von Claus-Jürgen Thornton fortgeführten Sammlung). Tübingen: Mohr Siebeck 2013. [XXXVI, 826 S.

[6] Zu dieser Gattung gibt es die Sammlung von William D. Furley (ed.): Greek hymns. Vol. 1: The texts in trans­lation. Vol. 2: Greek texts and commentary. Tübingen: Mohr Siebeck 2001. Zu Gebeten etwa Niclas Förster: Das gemeinschaftliche Gebet in der Sicht des Lukas. Leuven: Peeters 2007.

[7] Bei den Himmelsbriefen (nur die sehr alten sumerischen sind vorgestellt) ist die wichtige Arbeit von Beate Pongratz-Leisten nicht genannt: Herrschaftswissen in Mesopotamien. Formen der Kommunikation zwischen Gott und König im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. Helsinki: Neo-Assyrian Text Corpus Project 1999.

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