Tobias Georges, Felix Albrecht, Reinhard Feldmeier (Hrsg.): Alexandria.
(COMES Civitatum orbis mediterranei studia 1) Tübingen: Mohr Siebeck, 2013. [XIV, 574 S. ISBN 978-3-16-151673-3]
Zusammenfassend: Zum Auftakt einer Reihe zu einzelnen großen Städten der Antike eignet sich die multikulturelle, religiös komplexe und zerstrittene, für die antike Bildung höchst bedeutsame Stadt an der Mittelmeerküste Ägyptens. Die umfassende handbuchartige Beschreibung Alexandriens betont besonders die über das Lokale hinausgehenden Aspekte der Religionsvielfalt in einer antiken Weltstadt.
Im Einzelnen: Tobias Georges, Felix Albrecht und Reinhard Feldmeier haben gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ein Handbuch konzipiert, das das antike Alexandria beschreibt. Die großen Teile sind (I) Archäologie und Geschichte (II) paganes, (III) jüdisches, (IV) christliches und (V) islamisches Alexandria. Die Gliederung bildet also keine Epochenabschnitte ab, sondern behandelt je für sich die zur gleichen Zeit in der Stadt präsenten religiösen Traditionen, in ständiger Auseinandersetzung, konkurrierend, befruchtend, aber allzu häufig auch im gewaltsamen Konflikt.
Die Archäologie und Geschichte sind durch drei Beiträge vertreten. Balbina Bäbler führt in die Archäologie dieser überall überbauten Stadt und im trüben Hafenwasser versunkenen Stadt ein (3-27).[1] Dorit Engster stellt die Entdeckungen der illustren Wissenschaftler in der Mathematik, Geographie, Astronomie, Medizin und Mechanik vor (29-65). Heinz-Günther Nesselrath beschreibt die große Bibliothek und das Mouseion (65-88), ein Symbol für die Sammlung menschlichen Wissens und der prekären Möglichkeit ihres schlagartigen Untergangs. Im Falle Alexandrias ist der Anfang klar: Alexanders des Großen Gründung der Stadt, das Ende ist erfreulicherweise bis in die islamische Spätantike gezogen. – Kritisch muss man bemerken, dass die Karten und Abbildungen nicht der besten Qualität sind. Sollen die Bände der Serie Handbücher oder eher Sammelbände für die bedeutenden Städte des antiken Mittelmeerraums werden?
Der zweite große Teil behandelt unter Paganes Alexandria auch die historische Entwicklung der Stadt.
Jürgen Zangenberg: Fragile Vielfalt. Beobachtungen zur Sozialgeschichte Alexandrias in römischer Zeit (91-107), ein umfassendes Kapitel zur Pluralität der Religionen. – Ilinca Tanaseanu-Döbler behandelt bemerkenswert differenziert und lokal konkret den Kreis um Ammonios Sakkas (109-126). – Martin Bommas: Isis in Alexandria (127-147); Stefan Schmidt behandelt antike Götterbilder und ihre Zerstörung am Beispiel: Der Sturz des Serapis – Zur Bedeutung paganer Götterbilder in der spätantiken Gesellschaft Alexandrias (149-172); beides nicht so kontextreich.[2]
Sehr umfangreich (230 von knapp 500 Seiten) fallen die Kapitel über das Jüdische Alexandria aus (Teil 3). Anna-Maria Schwemer stellt nebeneinander die griechische und jüdischen Gründungslegende Alexandriens (175-192): zu allen Fakten der Geschichte von Alexanders griechischer Gründung findet sich eine jüdische Alternative, ihr Gründungsheros ist der Prophet Jeremia Interessanterweise fehlen die jüdisch-apokalyptischen Aussagen; damit ist mit einer Entstehung der jüdischen Legenden vor der frühen Kaiserzeit zu rechnen. – Reinhard Kratz stellt die Vielfalt, ja Gegensätzlichkeit jüdischer Traditionen und ihres Bezugs zur Bibel dar, indem er Alexandria mit der jüdischen Siedlung auf der oberägyptischen Nilinsel Elephantine kontrastiert (193-208). – Felix Albrecht stellt vor, welche tiefgreifenden Veränderungen die Umgestaltung ihrer religiösen Grundlage für das Diaspora-Judentum bedeutet, wenn an die Stelle der hebräischen die griechische Bibel tritt: Die Septuaginta (208-243).[3] Anders als die Legende es erzählt, ist das ein langer Prozess, der mehr als eine Übersetzung darstellt. – Friedrich Reiterer holt sehr weit aus, um jüdische Traditionen: „Zwischen Jerusalem und Alexandria“, aber vor allem auch gegenüber Persern und hellenistischen Kulten zu differenzieren (245-284). Religion kommt erst 280-83 zur Sprache. – Sehr ins Detail geht Jan Dochhorn: Jüdisch-alexandrinische Literatur? (285-312) Für „para-biblische“ Schriften (Ein Begriff, den D. begründet statt Apokryphen oder Pseudepigraphen) ist vielfach ein ‚ägyptischer‘ Kontext vermutet worden. D. unterscheidet die literarischen Genera (darunter ein anregender Begriff „Spolien“)[4] und bewertet, wer angesprochen wird. – Die konkrete und enge Fragestellung von Karin Schöpflin nach den Gottesnamen im Buch Tobit/Tobias (313-340) zieht (zu) weitreichende Schlüsse über die Differenz zur griechischen Religion. – Maren Niehoff gibt sehr interessante Beispiele, wie die jüdische Bibelinterpretation Methoden der in Alexandria geübten Homerforschung anwendet und Christentum (341-360). – Beatrice Wyss zeigt knapp eine andere exegetische Methode des Philo, das Entschlüsseln von Zahlen. Über Philo wäre sicher mehr zu sagen. – Das Ende der jüdischen Gemeinde im Kontext eines Aufstandes in der jüdischen Diaspora (in den Jahren 115–117 n. Chr. – vor dem Bar Kochba-Krieg) beschreibt Anna-Maria Schwemer (381-399).
Der 4. Teil enthält die Aufsätze zum Christlichen Alexandria. Jürgen Wehnert zeigt mögliche Verbindungen des Konkurrenten des Paulus, Apollos, zu weisheitlichen Traditionen in Alexandria (403-412). – Winrich Löhr behandelt die Schulen der christliche ,Gnostiker‘ in Alexandria des zweiten Jahrhunderts (413-433), die Nag Hammadi-Schriften, Basilides, Julius Cassianus, Karpokrates. Ralf Sedlak stellt Clemens als christlichen Autor in Alexandria vor. – Den Teil beschließt, krönt Peter Gemeinhardt mit seinem umfassenden Beitrag: Glaube, Bildung, Theologie: Ein Spannungsfeld im frühchristlichen Alexandria (445-473).[5] Sein Schwerpunkt bildet die christliche Wissenschaft des klassisch Gebildeten Origenes.
Am Schluss (und öffnend zum Mittelalter) zum Islamischen Alexandria steht der Beitrag von Hinrich Biesterfeld : „Von Alexandria nach Bagdad“ (477-490). Die älteste islamische Quelle erkennt stolz an, dass der Philosophieunterricht in Bagdad in der Tradition alexandrinischer Bildungseinrichtungen stehe und sie nun weiterführe, während die christlichen Bischöfe das Studium nur eingeschränkt zugelassen hätten: al-Farabi (gest. 950) spricht vom ganzen Aristoteles und den medizinischen Lehrbüchern. Die Tradition bleibt lebendig bis Avicenna und Al-Gazali im 12. Jahrhundert.[6]
Das Buch ist bestens erschlossen durch Indices, im Stellenregister sind auch die Abkürzungen der antiken Quellen aufgeschlüsselt (nicht allerdings die Ausgaben); eine gemeinsame Bibliographie sammelt auf 52 Seiten die Forschungsliteratur. Den Abbildungen ist wenig Sorgfalt gewidmet, Karten fehlen gänzlich. Im Vergleich zu anderen Büchern zur antiken Stadt behandelt dieser Band umfassend alle Aspekte der religiösen Traditionen und wechselseitige Übernahmen und Abgrenzungen.[7] Er wird für lange das Referenz-Handbuch sein, auf dem künftige Forschung aufbauen kann.
Die Fragestellung und Ziele der Reihe sind nicht eigens eingeführt. Zweifellos handelt es sich um ein Desiderat, die verschiedenen Disziplinen der Religionswissenschaft, der Altertumswissenschaften und der Theologie aus ihrer jeweiligen Kompetenz durch die Fokussierung auf eine Stadt unter überlokalen Fragestellungen zusammen zu bringen. Ein hervorragender Auftakt!
- Juni 2014 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen
[1] Die Ausgrabungen geleitet von Franck Goddio sind in einer Ausstellung präsentiert worden. Ägyptens versunkene Schätze. Katalog zur Ausstellung Berlin; Bonn. München: Prestel 2006, ²2007. 464 Seiten mit 600 farbigen Abbildungen und 10 Karten.
[2] Zu Serapis außerhalb Ägyptens Auffarth: Mit dem Getreide kamen die Götter aus dem Osten nach Rom: Das Beispiel des Serapis und eine systematische Modellierung. in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 20(2012), 7-34.
[3] Die aktuell intensive Forschung auf dem Gebiet ist mit guten Beispielen präsent. Dazu auf dieser Seite meine Rezensionen zu den drei Bänden Septuaginta Deutsch: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2009/06/30/septuaginta-deutsch-herausgegeben-von-wolfgang-kraus-und-martin-karrer/ Und http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2009/06/30/aristeas-der-konig-und-die-bibel-von-kai-brodersen/
[4] Spolien sind in der archäologischen Sprache Bauteile aus einem alten Gebäude, die in ein neues Gebäude auffällig eingefügt werden. D meint damit Großzitate, die in einem neuen Text aufgenommen werden, so sein Beispiel 1 Kor 2,9 und Eph 5,17 S. 308f.
[5] Christoph Markschies: Hellenisierung des Christentums: Sinn und Unsinn einer historischen Deutungskategorie. Leipzig: EVA 2012 reduziert die Kategorie auf Bildung. Siehe meine Rezension http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2013/09/16/christoph-markschies-hellenisierung-des-christentums/.
[6] Zum Ende s. meine Rezension http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2011/09/25/shihab-al-din-al-suhrawardi-philosophie-der-erleuchtung-hikmat-al-ishraq-herausgegeben-von-nicolai-sinai/
[7] Manfred Clauss: Alexandria. Schicksale einer antiken Weltstadt. Stuttgart: Klett-Cotta 2003. Zur Kulturmischung und –abgrenzung: Rogério Sousa (Hrsg.): Alexandrea ad Aegyptum. The legacy of multiculturalism in antiquity. Porto: Afrontamento 2013. Gregor Weber (Hrsg.): Alexandreia und das ptolemäische Ägypten: Kulturbegegnungen in hellenistischer Zeit. Berlin: Verlag Antike 2010. George Hinge (Hrsg.): Alexandria. A cultural and religious melting pot. Aarhus: UP 2009. Grundlagenwerk bleiben Peter M. Fraser: Ptolemaic Alexandria. 3 Bände. Oxford: Clarendon Press 1972. Christopher Haas: Alexandria in late antiquity: topography and social conflict. Baltimore: Johns Hopkins UP 1997.