Bernd Schröder: Religionspädagogik – Auffarth

cover-schroederBernd Schröder: Religionspädagogik

(Neue theologische Grundrisse)
Tübingen: Mohr Siebeck 2012. (XVI, 733 S.
ISBN 978-3-16-150979-7
fadengeheftete Broschur € 49.00

ISBN 978-3-16-151710-5
Leinen € 99.00

 

 

Der Teil 2 des Bandes, R e l i g i o n s d i d a k t i k,  wurde h i e r von M. Spiess rezensiert.

Religion lernen und lehren:
ein umfassendes, aktuelles Lehrbuch von Bernd Schröder

Kurz: Der Göttinger Professor für Religionspädagogik hat ein umfassendes Hand- und Lehrbuch erarbeitet aus einem Guss.

Ausführlicher: Nach vielen Jahren und intensiver Forschung mit vielen praxis­be­zogenen Werken und schwerpunktmäßig eher pädagogischen Büchern schreibt Bernd Schröder[1] ein ebenso inhaltsreiches wie umfassendes Lehrbuch, das program­matisch ein theolo­gisches Werk sein will. Während, wenn sonst auf theologische Systematik Bezug genommen wird, in der Regel liberale Theologie und insbesondere Schleier­macher und Herder die Autoritäten bilden, erstaunt es, hier Karl Barth als Bezugs­größe zu finden (S. 220 „Innerhalb der Theologie lässt sich der Spannungs­reichtum [!] exem­pla­risch an Aurelius Augustinus, Philipp Melanchthon und Fried­rich Schleiermacher einerseits und Karl Barth andererseits vergegenwärtigen“). Diese Auseinanderset­zung und Begründung führt BS – nach einer kleinen Disziplin­ge­schichte 167-179 und Berufstheorie (179-196) – im § 12 „Religion und ihre Lern­bar­keit“ ein (196-213), gefolgt von Bildung als regulativem Gegenstück zur Religi­ons­pädagogik (213-231).

Gegenstand der Religionspädagogik ist die Kommuni­kation des Evangeliums im Medi­um von Lernprozessen; „Lernen“ vollzieht sich im Modus der Sozialisation unabsicht­lich, im Modus der Erziehung absichtsvoll auf Andere gerichtet und im Modus der Bildung selbstbezüglich. (214)

Um nun mit Barth argumentieren zu können, legt BS (wie viele andere Theologen auch) der Bildung eine theologisch-theonome Bedeutung zugrunde – die sich fun­damental unterscheidet („spannungsreich“ S. 220) von der Bedeutung bei anderen Bildungstheoretikern. Die Ableitung von „Bildung“ aus Meister Eckart und der Zusammenhang mit der Gotteben“bild“lichkeit ist m.E. falsch (215-217; 222 f).[2] Bildung sei – mit Karl Barth – als Aufgabe eine Gabe Christi – die „widersteht allen in Selbstgenügsamkeit und Grenzenlosigkeit vom Menschen her unternommenen Bildungsversuchen“. Auch wenn diese Unterscheidung von theologisch legitimer und illegitimer Bildung schwer anwendbar erscheint, kommt BS zu der These

Christliche Religion bedarf der Bildung und Bildung bedarf des Bezugs auf Religion im Sinne bestimmter Religionen: in unserem Kontext: auf Christentum, Judentum oder Islam. (221)

Der zweite Satz steht explizit im Widerspruch zu den nicht-theologischen Bildungs­theoretikern. BS erörtert nun, seine Annahme, dass Religion die Grundlage von Bildung sei. Gedanken wie Anerkennung der Personwürde und unabschließbare Subjektwerdung lassen sich christlich beschreiben und begründen, aber auch antik und aufklärerisch. (Der Ethikunterricht ist, wie BS behauptet, anscheinend dazu nicht in der Lage, s. S. 550!) BS hält dem entgegen, die in den (nichttheologischen) Bildungs­theorien genannten Akzente wiesen einen „bemerkenswert stabilen Bestand an Konnotaten auf, die von einem Menschen- und Weltbild zehrten, das folglich mit dem Begriff ‚aufgerufen‘ und geltend gemacht wird.“ (230). Aber beruht das grund­legende Welt­bild auf seinem Gottesbezug? Die Akzente werden in den folgenden Paragraphen durchgearbeitet: „Subjektwerdung“ (232-) Barth finde ich da nicht mehr genannt. Dort ist auch ein Modell von einer entwicklungsgemäßer Elementarisierung vorge­stellt (247 f). In §15 fragt BS nach der Relation zwischen RelPäd und Kirche 249-264, wie der zur Theologie als eine wissenschaftstheoretische Ortsbestimmung (264-279).

Voraus geht diesem Kernstück das Kapitel 1, die historische Perspektive (17-165), ausgehend von biblischen Impulsen (17-33), die Alte Kirche (zwischen der Lehre vor der Taufe und der weiter nachgefragten klassisch-‚paganen‘ Bildung, schwerpunkt­mäßig Augustin, 33-51; Zitate in der Originalsprache und Übersetzung), der knappe Paragraph zum Mittelalter berücksichtigt – wie auch die folgenden Kapitel je sogar Judentum und Islam (51-64). Dank der Kindertaufe verschwindet der Unterricht vor der Taufe. Klosterschulen dienen der Vorbereitung auf den Klerikerberuf. Erst die entstehenden Städte verlangen nach breiterer Bildung in den Lateinschulen und Universitäten. Die Bedeutung der islamischen Medresen für das Konzept der sieben freien Künste wäre zu betonen und die Rezeption der Antike über islamische Mittler. Mit § 5 beginnt die konfessionelle Differenzierung im Bildungskonzept der Reforma­tion und der katholischen Reform (64-84). Die Konfirmation führt die Unterrichtung in der Theologie wieder ein als bewusste Bestärkung der Säuglingstaufe, dafür schreibt Luther seinen kleinen Katechismus. Er drängt dazu, Elementarbildung flächen­­deckend zu verpflichten. Die humanistisch gebildeten Bildungsexperten aber sind Philipp Melanchthon und Johannes Calvin. Auf der Gegenseite dient jesuitische Bildung der Elitenförderung. Vor der Reformation bis zur Französischen Revolution (§ 6, S. 84-101) sind hervorzuheben neben Comenius und August Hermann Francke Christian Gotthilf Salzmann. Das lange 19. Jahrhundert behandelt BS 101-126, wo auch Schleiermacher seinen Platz findet, mit dem Fazit eines Plädoyers für die Zusammengehörigkeit von Bildung und christlichem Glauben. Das gehöre bis heute zu den grundlegenden Herausforderungen (116). Religionspädagogik als Konzept kommt erst eigentlich in den Zwanziger Jahren auf, die den Streit der Paradigmen von Weimar bis zum Ausgang der Reformdekade 1965-75 nachzeichnet (S. 126-150). Dabei betont BS die Ernsthaftigkeit (statt Beliebigkeit) der tiefgreifenden Umbrüche (die in der Biographie Helmuth Kittels 140 f frappant sind). Schließlich hat BS die Neuvermessung und Etablierung der Religionspädagogik seit den 1980er Jahren (150-165) aufge­nommen: Die enormen Veränderungen in Kommunikations- und Sozialformen durch die neuen Medien berücksichtigt er.

Kapitel 3 nimmt die empirischen Forschungen zur Religionspädagogik auf, darunter die Forschungen zur Religiosität Jugendlicher, entwicklungspsychologische Aspek­te, Medien 281-361. Kapitel 4 vergleicht das deutsche Konzept Religionspädagogik mit RU[3] in anderen Ländern und Kulturen, Judentum, Islam. RU in Frankreich 388-404. RE in England 404-423. Gerade am Modell England, aber auch zu schwedischen und norwegischen Konzepten in ehemaligen Staatskirchen hat Wanda Alberts eine wich­tige Untersuchung angestellt, die für den Religionsunter­richt in Europa mit vielen Religionen und Kulturen, die in der gleichen Schule zu­sam­men kommen, Richtung weisend sein können. Ihre Arbeit ist nicht berück­sichtigt, wohl aber Karlo Meyers Arbeit, die sich auf die gleichen englischen Religionsphänomenologen beziehen.[4] Kapitel 5 fragt danach, wo Religion gelernt wird: A die Familie, B Gemeinde, Kinder­garten, Kindergottesdienst, Konfirmandenunterricht, Jugendarbeit, Erwachs­enen- und Seniorenbildung. C Schule, jetzt auf Deutschland bezogen mit seinen Privilegien in Artikel 7 des Grundgesetzes: I. Theorie. Den Abschnitt II. Religionsdidaktik (554-704) bespricht erfahrungsgesättigt Dr. Manfred Spieß, mein Bremer Kollege.
Religion sei lehr- und lernbar, und auch der Glaubensakt sei nicht davon grund­legend getrennt. Ja, das ist religionswissenschaftlich akzeptabel. Aber Karl Barths fundamentale Ablehnung von „Religion“ lässt sich in einer multireligiösen Gesell­schaft nicht rechtfertigen. Damit bleibt das Lehrbuch trotz seines Umfangs einseitig. Der Rezensent ist Religionswissenschaftler an einer Universität, die als Ausbildungs­fach für Religionslehrer die Religionswissenschaft vorsieht. Das heißt nicht nur eine, die eigene Religion wird betrachtet und eingeübt, sondern Orientie­rungswissen wird benötigt für die Pluralität in vergleichender Perspektive und systematisch-analy­tisch: sich und die eigene Identität bewähren, erklären, aushandeln. Wenn in der christlichen Tradition der Theologie die Religionslehrer eine wissenschaftliche Distanz und eine rationale Rechenschaft der Aussagen wenigstens einmal eingeübt haben, dann ist das auch für die anderen Religionen nötig in einer staatlichen Schule. Hier liegt die Zukunft! Religionspädagogen lernen in der konfessionellen Ausbil­dung die Methoden und Theorien der Religions­wissenschaft kaum. Es überrascht, dass bei BS Religionspädagogik außerhalb des konfessionellen RU so gut wie keine Rolle spielt, weder LER, das Hamburger Modell „RU für Alle in evangelischer Verantwortung“ noch die europäischen Modelle.

Das Buch ist übersichtlich gedruckt in 52 Paragraphen, die einheitlich aufgebaut sind: Knappe Literaturübersicht, zwei Gliederungsebenen in Abschnitte, Absätze durch Marginalien angezeigt. Petitdruck für Zusatzinformation. Anmerkungen er­läutern eher Begriffe und historische Zusammenhänge; Zitate werden in Klammern nachgewiesen. Der Leinenband ist in langlebigem Doppelleinen gebunden, die für Studierende wesentlich preiswertere Broschur ist fadengeheftet, d.h. man kann sie voll aufschlagen, auch nach häufigem Gebrauch zerfällt sie nicht. Richtig gute Druck- und Bindekunst für einen lernenswerten Inhalt.

Bremen, am 23.Juli 2014

Christoph Auffarth
Religionswissenschaft

Universität Bremen

[1] Im Folgenden oft mit seinen Initialen abgekürzt genannt: BS.

[2] Er gehört zu humanitas Menschlichkeit und nicht zu formatio Formung. Argumentiert in meinem Beitrag: Talente muss man entwickeln! – Aufklärung, Erziehung und Gehorsam in der Pädagogik um 1800. In: Tobias Georges; Ilinca Tanaseanu-Döbler (Hrsg.): Bedeutende Lehrer in der Tradi­tion der Antike und der monotheisti­schen Religionen. Göttin­gen 2014.

[3] RU für Religionsunterricht, RE für Religious education.

[4] Wanda Alberts: Integrative religious education in Europe. A study-of-religions approach. (Religion and reason 47) Berlin: de Gruyter 2007.

 

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