Vogler: Täuferherrschaft in Münster

cover-voglerGünter Vogler:
Die Täuferherrschaft in Münster und die Reichsstände. Die politische, religiöse und militärische Dimension eines Konflikts in den Jahren 1534 bis 1536.

(Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 88) Gütersloh: GVH 2014
[517 S. 78 € – ISBN 978-3-579-05379-0]

 

Das Neue Jerusalem darf es nicht geben.
Die Niederschlagung der radikalen Reformation in Münster 1534/35

Zusammengefasst: In Münster versuchten die Täufer 1534/35 das Neue Jerusalem zu realisieren, eine Stadtgemeinde nach den Regeln der Religion. Diese Revolution wurde grausam niedergeschlagen. Das Buch von Günter Vogler beleuchtet – mit vielen erstmals verwendeten Quellen – die Frage: Waren alle Bischöfe, Fürsten und Räte der Städte damit einverstanden und an welche Bedingungen knüpften sie ihre Unterstützung?

Im Einzelnen: Das Neue Jerusalem ist ein drittes Modell der Reformation: die reli­gi­ös-politische Revolution, eine heilige Gemeinde hier und heute entsprechend der Prophezeiung des Millenniums und des Neuen Jerusalem (Apokalypse 20-21) zu ver­wirklichen. Historisch realisierten die Bürger von Münster diese radikale Form 16 Mo­nate lang (28.1.1534 bis 25.6. 1535). Für die militärische Aktion der Belagerung (die letztlich nur durch einen Verrat gelang) und der Hinrichtung der Aufständi­schen mobili­sierte der Verlierer, der Bischof Franz von Waldeck, die Unterstützung der Reichsstän­de. Warum nicht heute, wann dann? Während die Altgläubigen[1] mit der Erlösungstat Christi und der Beauftra­gung an Petrus, „Auf Dich, den Felsen, werde ich meine Kirche bauen“ (Matthäus 16,18) in der Kirche das Millennium schon realisiert glaubten, hielt Luther es nicht für möglich, dass Menschen heilig handeln können, sondern erst allein durch die Gnade Gottes nach dem Tod in einer anderen Welt, dem „Himmelreich“ wahre Heiligkeit Wirklich­keit werden könnte,[2] also nicht jetzt und hier, so entschieden sich die radikalen Re­for­matoren für eine Gemeinde, die Gottes Gebote verbindlich auch für die politische Ordnung durchsetzte. Das geschah in der Umgestaltung von Münster zum Neuen Jerusalem.

Achtzigjährig vollendet der Historiker Günter Vogler[3] (geboren 1933) ein Buch zu einem Thema, das in den vielen Büchern[4] zu dem dramatischen Ereignis der Refor­mation ausgespart wird: Wie wurde die Realisierung einer Utopie, die voll­kommene Um­gestaltung einer Stadt zur Gottesherrschaft[5] von außen gesehen und warum ga­ben andere Städte und Fürstentümer Geld für die Belagerung und die Hinrichtung der Täufer durch den Bischof? Viele Jahre hat Vogler daran gearbeitet – unter den Bedingungen der DDR-Wissenschaft mit sehr einge­schränk­ten Möglich­keiten, die zahlreichen ungedruckten Quellen in Archiven zu finden und zu lesen (beeindruck­endes Verzeichnis S. 477-480); jetzt ist es in bester Form veröffentlicht. Die Quellen dazu gesondert zu veröffentlichen ließ sich nicht realisieren, dafür sind Quellen aus­führlich (in Hochdeutsch mit niederdeutschen Zitaten paraphrasiert) im Text zitiert.

So heißt es etwa (S. 242), die Täufer unter ihrem vermeintlichen König, des Schnei­ders Jan von Leiden, planten alle Obrigkeit, die sich ihrer Sekte nicht anschließen wollten, zu vernichten und die ganze Welt der Bischof unter ihres „vpgeworpen konynges regiment“ [aufständischen Königs Herrschaft] zu bringen. Ihre seltsamen Artikel, wonach Jan van Leiden der vornehmste Prädikant und Prophet sei, auch ihre Bücher, Schriften und Ordnungen zeigten indes, dass das alles in keinen Historien zu finden und von keinen Ketzern, Heiden, Türken oder Tyrannen von Beginn an der Welt gehört worden sei. – Aus einem lokalen Ereignis, das einen einzelnen Bischof seiner Macht beraubt, wird rhetorisch aufgebläht eine weltgeschichtlich einzigartige Bedrohung jeder Herrschaft (Vogler nennt das 212; 464 „Wortkrieg“). So ist zu recht­ferti­gen, dass trotz der enormen Ausgaben von 700.000 Gulden, die bis dato ausgege­ben wurden, die Verteidigung der Utopie nicht gebrochen ist, aber weiter verfolgt werden müsse. Die Reichsstände in Koblenz beschließen Dezember 1534 statt einer „eilenden“ nun eine „beharrliche“ Hilfe zur Wiedereinsetzung der bischöflichen Herrschaft. Die Idee, das ganze Unter­nehmen und die Ziele auf einem Reichstag zu beraten und zu beschließen, scheitert. Landgraf Philipp von Hessen u.a. hätten gerne ihre Unterstützung daran gebunden, der Bischof schulde ihnen für die Gelder die freie Predigt des Evangeliums (364), der Bischof von Münster aber kam nicht zum Treffen. In seinem Abschlusskapitel (449-470) fasst Vogler vorzüglich zusammen, wie sein Grundlagenwerk neue Ergebnisse gegenüber älteren Hypothe­sen auf sicheren Grund gestellt hat. Und er stellt der ge­hässigen, auf den Berichten des Verlierers beruhenden Außensicht die Innensicht der Gemeinde entgegen, die sich unabhängig erklärt von der Willkür einer auf Machter­halt taktierenden Bischofs­herrschaft: Warum dieser Hass auf die Täufer, von altgläu­biger wie von protestan­tischer Seite? Eine genaue Chronologie 471-475, die mit den Rechtsgrundlagen der Niederschla­gung der Revolution von 1525 („Bauernkrieg“) einsetzt, der Erlaubnis der evange­lischen Predigt in Münster, des Bürgeraufstands, nachdem der Bischof seine Erlaubnis widerrufen hatte, der radikalen Stadt-Verfassung auf der Grundlage des prophezeiten Millenniums (Apokalypse 20, 1-7) statt eines ‚Himmelreiches nach dem Tod‘. Der Vor­schlag zu einer friedlichen Mediation scheitert am Veto des Münsteraner Bischofs (212-215 u.ö.). Die Eroberung 25. Juni 1535 ändert schlagartig die Situation. Der Bischof schafft Tatsachen, die Rekatholisierung der Stadt, verwendet die übrig gebliebenen Gelder für den Ausbau der Stadt zur Festung, stellt seine Herrschaft über die Stadt wieder her. Die Reichsstände funktionierten nach hundert Jahren Unfähigkeit, sich zu einigen, in diesen Jahren in vielen Sitzungen, aber der Bischof von Münster taktierte hinhaltend, während er neue Tatsachen schuf.

Ein wichtiges Buch, das viele alte und neue Quellen zusammenführt. Es zeigt die intensive Kommunikation zwischen den Städten und Landesfürsten, die trotz der Differenz über die Religion die Angst einigte, ihre Herrschaft zu erhalten. An Münster wurde letztlich ein Exempel statuiert, dass die Regeln der Politik über die Religion wichtiger seien, als eine Politik nach den Regeln der Religion. Ein großarti­ger Fundamentstein aus einem reichen Gelehrtenleben, vorzüglich dokumentiert aus ungedruckten Quellen, sorgfältig redigiert und durch Indices erschlossen. Ein meister­haftes Werk zu dem prekären Verhältnis von Religion, Herrschaft, Politik, Medienöffentlichkeit, Schwerfälligkeit der intensiven Verhandlungen und einem schlitzohrigen Bischof, der durch Tatsachen Schaffen seine Interessen skrupellos durchsetzt gegen die berechtigten, aber ohnmächtigen Anliegen der Reformation.

 

  1. Januar 2015Christoph Auffarth
    Religionswissenschaft
    Universität Bremen
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[1] Vor der Neuaufstellung der Kirchen um die Mitte des Jahrhunderts Protest von Speyer 1529, Con­fessio Augustana 1530, Augsburger Religionsfriede 1555, Konzil von Trient 1545-1563.

[2] Statt ‚heilig‘ verwendet Luther den Begriff des Paulus iustus – gerecht, den er aber nur passiv iusti­ficatus gerecht gemacht, gerechtfertigt für möglich hält, nie als aktives Handeln.

[3] Im Folgenden meist der Kürze halber mit den Initialen GV genannt.

[4] Sehr detailliert in vielen Veröffentlichungen Karl-Heinz Kirchhoff: Die Täufer in Münster 1534/35. Untersuchungen zum Umfang und zur Sozialstruktur der Bewegung. Münster: Aschendorff 1973. Eher versteckt die hervorragende Arbeit von Kirchhoff: Das Phänomen des Täuferreichs in: Der Raum West­falen, Band 6,1 Ergebnisse. Hrsg. von Franz Petri [u.a.] Münster: Aschendorff 1989, 277-422. Darauf aufbauend Hubertus Lutterbach: Der Weg in das Täuferreich von Münster. (Geschichte des Bistums Münster 3) Münster: Dialogverlag 2007. Ders. Das Täuferreich von Münster: Wurzeln und Eigenarten eines religiösen Aufbruchs (1530-1535). Münster 2008. Dazu die Rezension CA in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 106(2008), 222-224.

[5] Theokratie s. CA: Theokratie. In: Martin Hartmann; Claus Offe (Hrsg.): Politische Theorie und Politische Philosophie. Ein Handbuch. München: Beck 2011, 112-113. Jacob Taubes (Hrsg.): Theokratie. (Religionstheorie und politische Theologie 3) München: Fink 1987.

 

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