Paul M. Cobb: Der Kampf ums Paradies.
Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge.
Aus dem Englischen von Michael Sailer. Verlag Philipp von Zabern – WBG 2015. 428 S. mit 13 s/w Abb., 9 Karten, Bibliographie und Register. € 29,95 –
ISBN 978-3-8053-4884-3
Kreuzzüge sind wieder ein Thema. Aber die Welt hat sich verändert und so stellen sich andere Fragen und Perspektiven. Der Islam ist nicht mehr die exotische Religion des Orientalismus, sondern Teil unserer Lebenswelt geworden: Das Aufeinanderprallen der Kulturen und kulturelles Lernen wird in einigen neuen Büchern thematisiert; vor allem in der hervorragenden Einführung von Nikolas Jaspert.[1] Einiges zu sechs neuen Büchern im Vergleich auch zu älteren Werken hat der Autor dieser Rezension besprochen.[2] Jetzt verspricht die Übersetzung eines amerikanischen Buches eine neue Perspektive, nämlich die Sicht der Muslime.[3]
Die Perspektive ist in der Tat einmal konsequent umgesetzt. Dabei begrenzt Cobb[4] die Geschichte nicht auf das Eindringen der Krieger, Siedler und Pilger aus Übersee, sondern weitet den Blick auf Spanien, Sizilien, Ägypten und Syrien/Palästina. Auch zeitlich greift er weit aus von den 1070er Jahren bis weit über die Eroberung von Akkon 1291 hinaus, des letzten Stück Landes, das die Kreuzfahrer beherrschten, bis 1453, als Osmanen Konstantinopel eroberten, bis 1492 als die christlichen Könige Granada eroberten und damit die Nordküste des Mittelmeers christlich, der Süden und Osten muslimisch wurde. Das beginnt mit dem Reisebericht eines Muslim nach Europa und seine Wahrnehmung der „Franken“, wie die Europäer pauschal genannt werden. Das Kapitel 1 über „das Haus der Krieges und das Haus des Islam“ arbeitet heraus die Unterschiede des Herrschaftsverständnisses, was ist Heiliger Krieg, welches ist das Heilige Land? Immer wenn die christlichen Alternativen beschrieben werden, findet man bei PMC recht undifferenzierte Antworten. Kreuzzüge als Militärexpeditionen der Päpste ist ein gerne gebrauchtes, aber falsches Bild. „…, dass sie– wie einige tatkräftigere Päpste – verpflichtet waren, selbst Heere zu führen“. Kein Papst hat je einen Kreuzzug angeführt! Aber auch, was Dschihad bedeutet, ist zu eng auf den ‚kleinen‘, militärischen Dschihad ausgelegt als „Heiliger Krieg“.[5] Erst eigentlich Saladin, der Kurde, dessen Islam nicht so selbstverständlich akzeptiert wurde, hat die Theologen aufgefordert, genau zu definieren, was ein Dschihad im Sinne des Heiligen Krieges sei; das wird bei PMC nicht herausgearbeitet.[6] Ebenso ist die Praxis des Heiligen Krieges im Westen erst spät durch das kirchliche Recht auch theoretisch untermauert worden.[7] Dass Jerusalem den Muslimen als Heilige Stadt gilt, beruht auf einem besonderen Konflikt zwischen dem Kalifen in Mekka und Abdalmalik, der seine Ansprüche gegen Mekka mit der Heiligkeit Jerusalems begründete. PMC geht zu oft von einer Kontinuität aus; stattdessen müsste man von Bruch und Neukonzeption sprechen, verkleidet in einer ‚invention of tradition‘.[8]
Die Idee von einer alten Feindschaft, die von den Franken neu ausgerufen wurde, beschreibt Kapitel 2 Weit über das Meer (51-100). Dass für die Muslime bis heute alle Europäer als „Franken“ bezeichnet werden, darf nicht dazu verleiten, dies undifferenziert für die historische Darstellung zu übernehmen. Es ist weniger der Niedergang der islamischen Macht (hier besonders die Fatimiden) und der Angriff auf deren geschwächte Herrschaft, die die Franken anlockte. Vielmehr bestand eine lange Phase des status quo und eine relativ stabile Grenzzone seit der Mitte des 8. Jahrhunderts bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts. Dann bringen zwei neue Akteure den status quo durcheinander, beide gerade erst zur jeweiligen Religion bekehrt: Die Normannen erobern Süditalien und Sizilien. Das andere sind die Türkvölker der Selçüken, die nach der Schlacht von Mantzikert 1077 den größten Teil des oströmischen (byzantinischen) Reiches erobern und die Machtverhältnisse verändern (Karte S.103), gefolgt von den Mongolen. Deren Eroberung, das Massaker an den Einwohnern, Plünderung und Zerstörung von Bagdad 1258 und Damaskus 1260 ist das herausragende Ereignis dieser Epoche. Die Kreuzzüge sind für PMC nur die Intensivierung einer schon Jahrhunderte währenden Frontstellung zwischen dem Islam und dem Christentum.[9] Mit dem Kreuzzugsaufruf Urbans II. 1095 wurde aber eine Migrationsbewegung ausgelöst, ohne dass sie noch zu kontrollieren gewesen wäre. Die Blöcke sind wenig differenziert dargestellt (trotz der Behauptung 349). PMC erzählt spannend und mitreißend die Geschichte der großen Männer (und den Kampf um Frauen), Streitgespräche, Überrumpelungen, Morde, Rache. Die Memoiren des Ibn Munqid spielen eine wichtige Rolle,[10] vor allem verwendet er aber auch die arabischen Chroniken, wie Ibn al-Athir, Ibn Ğubair.[11], Die Stärke des Buches, viel aus arabischen Quellen zu entnehmen, ist zugleich sein Schwäche: Es übernimmt zugleich die begrenzten Kenntnisse und Perspektive der Autoren. Und er wählt solche Quellen, die einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen thematisieren.[12]
Geschichtswissenschaft ist nicht dazu da, das gleiche zu finden, sondern gerade gegenwärtige Vorurteile und Ansichten durch die Andersheit früherer Epochen zu konfrontieren. So interessant die Geschichte erzählt ist, sie führt am Ende doch nur zu der Einsicht: Also in den Kreuzzügen auch schon!
23.12.2015 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen
[1] Nikolas Jaspert: Die Kreuzzüge. (Geschichte kompakt: Mittelalter) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003; 52010.
[2] http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/wp-content/uploads/sites/31/2012/12/Kreuzzüge-Rezensionen-2012.pdf bespricht sechs wichtige neue Bücher.
[3] Der Werbetext behauptet „erstmals aus muslimischer Sicht“. Cobb jedoch zählt selbst frühere Monographien auf, die für seine Darstellung grundlegend sind (378, A. 9; 373-376). Es gibt hervorragende Bücher zu dem Thema, besonders die drei Bände von Heinz Halm zur Geschichte der Fatimiden im Ägypten dieser Zeit (München: Beck 1991, 2003, 2014) [Sie sind in der Bibliographie genannt, aber offenbar nicht verwendet]. Quellen, Bilder und Karten bietet Caroline Hillerbrand: The Crusades. Islamic Perspectives. London: Routledge 1999.
[4] Im Folgenden zumeist mit den Initialen abgekürzt PMC.
[5] Zur Unterscheidung von großem und kleinem ğiha̅d: Malise Ruthven: Der Islam. Eine kurze Einführung.
[Oxford 1997] Stuttgart: Reclam 2000, 158-192. Auch Cobbs Darstellung S. 268 trifft das nicht.
[6] Arabisch ğ wird konsequent mit ‚dsch‘ wiedergegeben. Nicht in der englischen Schreibweise jihad, nicht in arabischer Umschrift ğiha̅d. In anderen Fällen ist aber die englische Schreibweise übernommen, etwa Yaghisiyan, Ayyubiden. Vgl. zu Namen und Schreibweise 355f.
[7] Christoph Auffarth: Heilsame Gewalt? Darstellung, Notwendigkeit und Kritik an Gewalt in den Kreuzzügen. In: Manuel Braun; Cornelia Herberichs (Hg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. München: Fink 2005, 251-272.
[8] Der Begriff invention of tradition meint, dass, was scheinbar uralt und schon immer so war, oft in einer bestimmten Zeit erfunden wurde und als uralte Tradition hingestellt wurde, wie z.B. das Krönungzeremoniell der britischen Könige nach der Selbstkrönung Napoleons.
[9] Die weiteren Kapitel erzählen 3 Opfer des Schwertes (101-) den ersten Kreuzzug mit der Schlacht um Antiochien und Jerusalem 1099, 4 Gegen die Feinde Gottes (132-) die Landnahme, 5 Sie sollen unsere Macht spüren (157-) Zengi und Nuraddin bis zur Einnahme von Edessa, 6 Saladin (207-), 7 Dritter Kreuzzug und die muslimische Einnahme von Jerusalem (243-), 8 Mongolenstürme (273-), 9 Die Zeit nach der Epoche der im engeren Sinne Kreuzzüge, der Aufstieg der Osmanen bis zum Fall von Konstantinopel 1453 und Granada 1492.
[10] PMC hat diese anekdotenreiche Autobiographie übersetzt: Usāmaẗ ibn Munqid: The book of contemplation : Islam and the Crusades. London: Penguin 2008 und kommentiert in einer Biographie Usama ibn Munqidh : Warrior-Poet of the Age of Crusades. Oxford: Oneworld 2006. Die interessante Quelle gibt es auch in deutschen Übersetzungen.
[11] Quellenverzeichnis 367-371.Die englische Übersetzungsreihe Crusade Texts in Translation Ashgate seit 1997 umfasst auch arabische Quellen.
[12] Mit „der Geschichte der militärischen Konflikte zwischen zwei Widersachern Gottes“ (348) kann nicht gemeint sein, dass Christen und Muslime als Widersacher Gottes auftreten, sondern dass sie als Widersacher gegeneinander kämpfen, sich aber im Auftrag Gottes verstehen.