Christfried Böttrich und Sabine Fahl; unter Mitarbeit von Dieter Fahl:
Leiter Jakobs.
(Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, NF Bd. 1: Apokalypsen und Testamente, Lfg. 6)
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015.
VIII, 280 Seiten.
Die jetzt aufsteigen, werden bald abstürzen:
Die Leiter Jakobsunter den apokryphen Texten
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: ein slawischer Text deutet den Traum Jakobs von der Himmelsleiter: Der Aufstieg der Könige wird bald mit ihrem Fall enden und die Rettung von Gottes Volk einläuten.
Ausführlich: Als Jakob, der später den Namen Israel erhält und damit der Stammvater der „Kinder Israel“ oder des Volkes Israel wird, vor seinem Bruder Esau flieht, muss er sich auf dem bloßen Boden Schlaf suchen. Da sieht er im Traum eine Leiter von seinem Schlafplatz bis in den Himmel reichen und Engel steigen darauf hinauf und hinunter. (Genesis 28, 10-22).[1] Als er erwacht, nennt er den Ort Beth-El (Haus Gottes),[2] eines der wichtigen frühen Heiligtümer, bevor Jerusalem von David erobert und zur Heiligen Stadt schlechthin wird. Dann wird auch das Bild der Himmelsleiter auf Jerusalem übertragen. Um 650 n.Chr. übernehmen die Muslime das Bild: Nach Jerusalem habe Gott den Propheten gerufen, dort sei er die Himmelsleiter mirağ emporgestiegen und Gott habe ihm ganz oben die Geheimnisse des Kosmos gezeigt.[3]
An diese biblische Erzählung knüpft die slawische Apokryphe „Lestvica Iakova“ (Abkürzung: KlimJak) an.[4] Sie ist als Teil des Buchs slawischer Erzählungen aus der Hebräischen Bibel Tolkovaja Paleja überliefert. Ein älteres einzelnes Apokryphon in einer anderen Sprache ist nicht bekannt (wie das etwa bei dem slawischen Henoch der Fall ist).[5] Ab dem 14. Jh. wird der Titel in den Verzeichnissen der slawischen Apokryphen geführt. Nur dank der ersten deutschen Präsentation[6] ist der Text auch in die Kenntnis der westlichen Forschung gekommen, aber blieb bislang wenig erforscht. Wichtig war die Entdeckung, dass das Gebet in KlimJak 2 übereinstimmt mit dem hebräischen Gebet, das in der Kairoer Geniza gefunden wurde (S. 248f übersetzt). Als ursprüngliches Publikum denken sich CB und SF Juden, die aus Jerusalem 135 n.Chr. vertrieben, auf den Untergang Esaus (Edom=Rom) warten. Diese Apokalypse, die an die vier Weltreiche von Daniel 7 anschließt, wurde christlich überarbeitet und schließlich über Byzanz ins slawische Christentum mit Erklärungen eingeführt (S. 90f). Der Islam spielt – anders als in der apokalyptischen Literatur des 7. Jahrhunderts,[7] also des Schocks der Christen über den Erfolg der islamischen Expansion – keine Rolle. Dagegen wird aus der Verheißung, die zunächst Juden ausgesprochen war, in slawischer Zeit eine judenfeindliche Zukunft, in der die Juden die Leiter absteigen, die Christen aufsteigen. Noch im Anschluss an Daniel 7 wird der Knabe als Christus interpretiert: Kapitel 4. Der Engel (angelus interpres) entfaltet den Traum ganz in Sinne der (apokalyptischen) Kapitel 2 und 7 des Danielbuches als Abfolge der Geschichte (Einleitung S. 81-84; Text S. 144-186). Zunächst leidet das Volk Gottes (4,1-18) unter der Unterdrückung fremder Völker, unter denen vier Reiche in „Abstiegen“ den Tempel verwüsten. Mit Abstiege sind nicht Bewegungen auf den Sprossen der Leiter gemeint, so dass CB das Wort mit „Überfall“ erklärt (S. 61; S. 83 A. 332). Das höchste Gesicht ist der Usurpatorkönig, der religiösen Zwang ausübt (Damit sei Rom und seine Kaiser gemeint. Dies ist m.E. noch nicht ausreichend diskutiert: Byzanz, von wo aus die slawische Welt christianisiert wurde, versteht sich als Fortsetzung Roms). Dann aber folgt Israels Errettung (4,19-36) wie seinerzeit der Exodus aus der Sklaverei in Ägypten. Der Kult wird wieder hergestellt und Edom geht unter.
Das Buch enthält eine ausführliche Einleitung 1-104, abgeschlossen mit einer Bibliographie. Dort ist auch der Vorweis auf die kritische Edition des kirchenslawischen Textes von Sabine und Dieter Fahl, die 2016 erscheinen wird. Dann die Übersetzung S. 105-248 jeweils links ein Stück des Textes, rechts Erklärungen. Es folgen Kontexte, die davor, parallel oder rezeptiv zu der KlimJak 248-263. Am Schluss ein Register der Namen und der zitierten Bibel-, der Kirchenväter- und liturgischen Quellen.
Der Text ist durch seine vielen Überarbeitungen nicht mehr stringent. Konkrete Fixierungen auf Zeitereignisse und Orte sind mittlerweile so ungenau, dass sie nicht mehr für die Datierung helfen. Die kommentierte Ausgabe kann zum ersten Mal die Textgeschichte erklären, besonders die Kommentierung des 14. Jh.s und ihre Verweise auf die mönchischen Gottesdienste und Heiligenverehrung werden jetzt klar. Wieweit es eine ältere jüdische Apokalypse gegeben hat, ist jetzt relativ wahrscheinlich geworden durch die Parallele des Gebetes, aber viel weiter wird man nicht kommen. Der Text der Leiter Jakobs ist mit dieser Ausgabe in das Interesse der christlichen Heiligen Schriften jenseits des Kanons getreten, der „Apokryphen“, die den biblischen Text fortschreiben oder umschreiben (zur re-written bible s. S. 95 Anm. 383),[8] hier eher auslegen.
- März 2016 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität BremenE-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Zum biblischen Text und seinen altorientalischen Vergleichen (Treppe/Rampe zu einem Turm, auf dessen Spitze die Nähe zu Gott direkt möglich ist) Jörg Lanckau: Himmelsleiter. Im wissenschaftlichen on-line-Lexikon WiBiLex : http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/21230/ (erstellt: Okt. 2009; Permanenter Link zum Artikel, abgerufen 28. März 2016).
[2] Der Ort liegt 17 km nördlich von Jerusalem; archäologisch kaum erkennbar. Melanie Köhlmoos: Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der alttestamentlichen Bet-El-Überlieferung. Tübingen 2006.
[3] In Sure 17 nur angedeutet, machen die Biographen Mohammeds (etwa Ibn Ishaq: Das Leben des Propheten) eine Geschichte daraus mit dem Wunder-Reittier Buraq, das in sieben Sprüngen die vierwöchige Reise von Mekka nach Jerusalem in einer Nacht hin und zurück ermöglicht; die Himmelsleiter steht auf dem Felsen des späteren Felsendoms in Jerusalem.
[4] Die Abkürzung KlimJak gibt wieder einen griechischen, aber so gar nicht überlieferten Titel wieder Klimax Iakobou κλῖμαξ Ἰακώβου.
[5] Den hat Christfried Böttrich herausgegeben in der ersten Reihe der JSHRZ 5,7. Gütersloh 1996.
[6] Gottlieb Nathanael Bonwetsch (1848-1925) Die apokryphe „Leiter Jakobs“. (Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse 1900,1) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1900, 76-87. [12 S.] Die neue Ausgabe stützt sich auf eine andere Handschrift s.S. 20)
[7] Besonders die Apokalypse des [Pseudo-]Methodios. Dazu Christoph Auffarth: Irdische Wege und himmlischer Lohn. Göttingen 2002, 86-92. Die Auseinandersetzung mit dem Islam wird an der Rivalität Isaak – Ismael festgemacht, nicht an Jakob und Esau. Der Abschnitt der Einleitung (S. 57f) nimmt das nicht ernsthaft in Betracht.
[8] Sehr gut für die ganzen Genesis-Erzählungen Emanouela Grypeou; Helen Spurling: The Book of Genesis. Leiden: Brill 2013.