Religion im Kriegszustand

Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches.
Hrsg. von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Band 6 (in 2 Bänden):

Gertraud Grünzinger:  1938-1945: Die Kirchenpolitik in den ein- und angegliederten Gebieten (März 1938-März 1945)

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus [2017] – XXXII, 1336 Seiten. ISBN 978-3-579-08177-9 Paperback.

 

Religion im Kriegszustand

Eine Rezension von Christoph Auffarth

 

Kurz: Grundlegende Dokumente zur Kirchenpolitik des Nationalsozialismus in Österreich nach dem Anschluss 1938 und den im Angriffskrieg eroberten Gebieten im Westen und im Osten Europas. 

Ausführlich: Die Edition der Dokumente zur Kirchenpolitik seitens der nationalsozialis­ti­schen Regierung und der Reaktionen darauf bei den Kirchen schließt dieser 6. Band ab. Die Dokumente dieses Doppelbandes sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil in den Gebie­ten, um die es hier geht, Kriegsrecht herrscht: Die Eroberer nehmen sich heraus, neues Recht zu schaffen. So auch im Bereich der Religion. Dazu gehört die völkische Trennung, dass etwa in Warschau die gut 6 000 deutschstämmigen Evangelischen, die teils schon Generatio­nen dort (zweisprachig) leben, mit den neu zugezogenen Beamten nicht nur deutschsprachi­ge Gottesdienste feiern, sondern auch nicht mehr zusammen mit den zahlen­mäßig ebenso vielen polnischen Evangelischen singen und beten. Die Gemeinden sollen ‚völkisch getrennt‘ werden, nicht zuletzt das Eigentum, wobei die Deutschstämmigen die Kirchen und wert­vollen Geräte in Besitz nehmen, die polnischen Glaubensgeschwister nur noch Gäste sein durften. Zwei Elemente stellen die Kirchen in den eroberten Gebieten außer­halb des im Reich gülti­gen und durch Staats-Kirchenverträge geschützten Kirchenrechts: Die Kirchen sind nicht mehr öffentlichen Rechts, sondern private Vereine. Und neu kommende Bürger aus dem Reich bleiben beim Umzug vor dem Standesamt nicht in ihrer staatsrecht­lichen Kon­fessions­zugehörigkeit, sondern können entweder dem Verein evangelische oder katholische Kirche beitreten, wobei sie keine vom Staat eingezogene Kirchensteuer zahlen, oder sie können „konfessionslos“ bzw. „gottgläubig“ eintragen lassen.

Ist das Religionsrecht in den besetzten Gebieten nun der Präzedenzfall, wie die NS-Diktatur nach einem gewonnenen Krieg mit den Kirchen auch im Reich verfahren wäre? Dies be­haup­­tet auch die Bearbeiterin, Gertraud Grünzinger,[1] in der Einleitung (xxxv-lxxx): „Für das grundsätzliche Ziel, einer einheitlichen nationalsozialistischen Kirchenpolitik, wie sie Bormann forcierte, war es nicht nur notwendig, geeignete, bereits im Altreich geltende Regelungen auf die neuen Ge­biete auszudehnen, sondern auch Maßnahmen, die in den neuen Gebieten eingeführt wur­den, sukzessive für das Altreich zu übernehmen. Dieser umfassende Austausch, durch den ein lückenloses nationalsozialistisches Machtgefüge entstehen sollte, ließ sich in der Praxis aber nicht ohne weiteres realisieren.“ (lxxviii) Am Ende sollte stehen „die Ablösung der christlichen Religion durch die nationalsozialistische Weltanschauung“ (lxxix).[2] Das muss man differenziert beantworten, und um mein Ergebnis vorweg zu nehmen: Nein. In einigen neu unter deutscher Herrschaft stehenden Gebieten hielten sich die neuen Herren an die bestehenden Konkordate. In den Gebieten hingegen, die dann im „Generalplan Ost“ als deutsche Kolo­nien neu geplant wurden, behandelte man die Kirchgemeinden wie Aus­lands­gemeinden: wie etwa die Kirchen in Athen oder Barcelona. Die Gemeinden sind dort Ver­eine, bezahlt wird ein Vereinsbeitrag, keine Steuer; betreut und visitiert wird die Pfarrstelle durch eine der deutschen Landes­kirchen und ihren Bischof. Für die Katholiken wurden die Konkordate in Polen und Österreich aufgehoben, das Reichskon­kordat nicht eingeführt.

Gleich das erste Dokument benötigt einen widerspenstigen Kommentar, der die harmonisie­rende Darstellung der (1952, also Nachkriegs-) Erinnerungen Franz von Papens geraderückt: Hitler empfängt nach dem ‚Anschluss‘ (1938) den obersten Vertreter der österreichischen Katholiken. Anstatt die ständigen Verletzungen des Konkordats anzusprechen, begrüßt Kar­di­nal Innitzer Hitler als Befreier. Pius XI. bestellt den Kardinal daraufhin nach Rom und lässt ihn dort einen Forderungskatalog unterzeichnen.[3] Dazu müsste allerdings die sehr spezielle, sehr katholische Staatsform und das Konkordat im Alpenstaat erläutert werden.

Interessant ist eine Frage, die anzeigt, was die NS unter ‚positivem Christentum‘ verstanden. Im Parteiprogramm von 24.2.1920 hatte die NSdAP im Artikel 24 sich zum positiven Chris­ten­tum bekannt.[4] Als das Elsaß ab 2. August 1940 von Baden aus verwaltet wurde, kam die Idee auf, das Straßburger Münster „als positiv christliche Andachtsstätte ohne konfessionelle Bindung“ zu verwenden oder als „Nationalheiligtum des deutschen Volkes“.[5] Der Reichs­innenminister lehnte das ab, obwohl er das „für durchaus berechtigt“ ansieht. Man solle nicht die kirchlich gesinnte mehrheitlich katholische Bevölkerung aufregen und wider­ständig gegen die neuen Herren stimmen. (S. 1007-09, Nr. 437)

Die Sammlung der Dokumente zur Kirchenpolitik ist das langjährige Werk einer histori­schen Kommission der evangelischen Kirche. „Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirch­liche Zeitgeschichte“ heißt sie zeitgleich 1971 seit dem ersten Band der Dokumente, umbe­nannt aus der 1955 gegründeten „Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der national­sozialisti­schen Zeit“.[6]

Band 1: Das Jahr 1933 (1971). Band 2:  1934/35: vom Beginn des Jahres 1934 bis zur Errichtung des Reichs­ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten am 16. Juli 1935. (1975). Band 3: 1935 – 1937 : von der Errichtung des Reichsministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten bis zum Rücktritt des Reichskirchenau­s­schusses (Juli 1935 – Februar 1937) (1994). Band 4: 1937 – 1939 : Vom Wahlerlaß Hitlers bis zur Bildung des Geistlichen Vertrauensrates (Februar 1937-August 1939) (2000). Band 5: 1939-1945: Die Zeit des Zweiten Weltkriegs (September 1939 – Mai 1945), (2008).

Die hier ausgewählten offiziellen Anordnungen und Eingaben lassen die Auswir­kun­gen auf das religiöse Leben nur ahnen, sind aber wichtige Grundsätze für die Kirchen und ihre wirtschaftlich-organisatorischen Grundlagen. Erkennbar wird die Polykratie der Partei, Ministerien, Regierungsstellen, Statthalter und Chefs der Zivil­verwaltung: d.h. mehrere Funktionäre verstanden es als ihre Aufgabe, die Bereiche der institutionalisierten Religion neu zu regeln, ohne dass das zu einer einheitlichen Diktatur führte. Das als Versuch einer einheitlichen Weltanschauungspolitik in [allen] neuen Gebieten zu verstehen (GG in der Einleitung xlvii mit Bezug auf Do­ku­ment 397, S. 942, das sich nur auf das Wartheland bezieht), geben die Dokumente nicht her.

 

 

[1] Im Folgenden abgekürzt mit den Initialen GG. Sie hat auch schon die früheren Bände bearbeitet. – Ihre These hat schon der Gesamtherausgeber, Carsten Nicolaisen, in dem unten Anm. 6 genannten RGG-Artikel 2003, 82 zugespitzt.

[2] Wie sehr die NS (besonders Hitler, Goebbels) an der christlichen Religion (in zweiter Linie an den Kirchen) als Akzeptanz des NS festhielten, freilich antiklerikal eingestellt waren, habe ich in meinem Handbuchartikel herausgearbeitet: Vgl. Christoph Auffarth: [Religionsgeschichte] Drittes Reich. In: In: Handbuch Religions­geschichte des 20. Jahrhunderts im deutsch­sprachigen Raum, hrsg. von Lucian Hölscher, Volkhard Krech. (Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, hrsg. von Peter Dinzelbacher, Band 6/1) Paderborn: Schöningh 2015, 113-134; 435-449; Farbtafel I nach S. 320; Litera­turverzeichnis 542-553. Hier ist konsequent die Gleichsetzung Kirche=Religion vermieden.

[3] Vorzüglich dargestellt bei David I. Kertzer: Der erste Stellvertreter. Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus. [2014] Darmstadt: Theiss 2016, 286-290. Nach Pius‘ XI. Tod, nicht einmal ein Jahr später, folgte mit Pius XII. ein Papst, der dem (deutschen) NS weit weniger kritisch, in vielem sogar zustim­mend gegenüberstand.

[4] „Wir fordern die Freiheit aller religiöser Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand ge­fährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein be­stimm­tes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauerhafte Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz.“

[5] Goethe hatte das Straßburger Münster gesehen und enthusiastisch die Gotik als den „deutschen“ Baustil behauptet mit dem deutschen Architekten Erwin von Steinbach (Von deutscher Baukunst 1773).

[6] Dass ‚Kirchenkampf‘ ein innerkirchlicher Kampf war und kein Kampf der Kirche gegen den NS hat dazu bewogen, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Stattdessen haben die großen Lexika Theologische RealEnzyklopädie (Joachim Mehlhausen: Nationalsozialismus und Kirchen. Band 24 [1994], 43-78) und Religion in Geschichte und Gegenwart (Carsten Nicolaisen; Friedrich Wilhelm Graf: Nationalsozialismus. Band 6 [2003], 79-95) als Lemma [Stichwort] gewählt „Nationalsozialismus, die Kirchen“. Von GG noch im alten Sinn gebraucht (XLVIII).

 

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  1. Januar 2018 Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

 

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