Biblia sacra vulgata – V

Biblia sacra vulgata – lateinisch-deutsch.
Band V: Evangelia – Actus Apostolorum – Epistulae Pauli –
Epistulae Catholicae – Apocalypsis – Appendix.

Berlin: De Gruyter 2018
1401 Seiten. 79,95€. ISBN 978-3-11-048997-2

 

Die lateinische Bibel, auf Deutsch übersetzt

Eine Rezension von Christoph Auffarth

 

Kurz: Die lateinische Bibel in ihrer ‚Standard-Version‘ (Vulgata) war für Europa der maß­gebliche Text, auch als die Urtexte in Hebräisch und Griechisch bekannt waren. Eine sehr sorgfältige Übersetzung von Kennern des spätantiken Latein findet man jetzt direkt  neben dem lateinischen Text des Hieronymus.

Ausführlich:

Vulgata und Vulgata-Übersetzung

In einem großen wissenschaftlichen, international aufgestellten Unternehmen ist die griechi­sche Übersetzung der Hebräischen Bibel,[1] die Septuaginta, aufgearbeitet und ins Deutsche übersetzt und kommentiert worden. Ein Handbuch ist im Erscheinen.[2] Die Septuaginta war lange Zeit die älteste Version des Bibeltextes (3.-1. Jahrhundert vor Christus), da die erste vollständige hebräische Bibel erst aus dem 10. Jahrhundert überliefert ist. Das ist zwar jetzt anders dank der Schriftrollen von Qumran, aber für die Rekonstruktion des hebräischen Textes bleibt die Septuaginta unverzichtbar. – Die Vulgata als die maßgebliche Übersetzung der Bibel ins Lateini­sche jetzt ins Deutsche (direkt neben dem lateinischen Text) zu über­setzen, ist demgegenüber nicht so dringlich, aber da für die Bibel im Westen Europas diese Version die meist benutzte war, ist sie für dieses Grundbuch der Kulturgeschichte von hoher Bedeutung. Im Katholi­schen Bereich war die Vulgata (lat. ‚Die Verbreitete‘) das Gottesdienst­buch, bis mit dem Zweiten Vati­kanischen Konzil (1963-1966) die jeweiligen Landessprachen als Sprache der Liturgie ein­geführt wurden statt des Lateinischen, dementsprechend auch eine Übersetzung der Bibel. Übersetzungen in die Volkssprachen hat es, v.a. im nicht-katho­li­schen Bereich gegeben: so schon die Katharer im 12. Jh. ins Okzitanische. Luther hatte für seine Überset­zung der deutschen Bibel immer auch die Vulgata daneben liegen,[3] veranlasste auch eine verbesserte Ausgabe der Vulgata.[4] Auch die Päpste der ‚Gegenreformation‘ reagierten mit einer Neuausgabe, der Sixtino-Clementina 1592, die nun zur autoritativen Bibel für den katho­lischen Gottesdienst erklärt wurde. Da diese aber „nach philologischen Kriterien fehlerhaft“ (S. 9) ist, bietet diese zweisprachige Ausgabe den Text der Vulgata von Robert Weber und Roger Gryson, die wissenschaftliche Ausga­be, die aus den Handschriften den Text rekonstruiert, den Hieronymus übersetzt hat.[5]

Diesen ursprünglichen Text hat nun ein Team von Übersetzerinnen und Übersetzern ins Deutsche als Zielsprache (d.h. nicht die lateinische Wortstellung etc. nachahmend; dazu steht ja der lateinische Text direkt daneben) aus genauer Kenntnis des spätantiken Latein sorgfältig „dokumentarisch“ übersetzt. Ein umfangreicher Revisionsprozess durch ein Team von sechs Spezialisten zusätzlich zu den Herausgebern (S. 11) prüfte und vereinheitlichte die Sprache der Übersetzung. Sie sollte dem „nicht immer leicht verständlichen und nicht klassischen Latein des Hieronymus“ möglichst nahe bleiben. Das ist alles gut gelungen.

Hieronymus (347-420 n.Chr.)

Sophronius Eusebius Hiero­nymus ist durch Albrecht Dürers Stich „Hieronymus im Gehäu­se“ 1514 bekannt. Dort sieht man den Theologen an seinem Schreibtisch fleißig arbeiten, den Kardinalshut an der Wand, und am Boden warten ein Hund und ein Löwe darauf, dass ihr Herr mit ihnen einen Spaziergang macht. Ein Löwe ist das Zeichen dafür, dass Hierony­mus jetzt nahe der Wüste wohnt, in Bethlehem. Dort sei er bei einem Gang durch die nahe Wüste einem Löwen begegnet. Statt aber über den Menschen herzufallen, habe er ihm die Pfote entgegengestreckt und der heilige Mann habe ihm den Stachel herausgezogen, der den Löwen quälte. – Nach Bethlehem zog Hieronymus von Rom aus, wo Papst Damasius ihm den Auftrag gegeben hatte, die Bibel ins Lateinische zu übersetzen.[6] Während in der Frühzeit der Kirche das Griechische noch die meist gesprochene Sprache war – nur die Nord-Afrika­ner Tertullian und Cyprian schreiben auf Latein, wurde im Lauf des 4. Jahrhun­derts, etwa dank Ambrosius, das Lateinische im Westen die Sprache der Theologie. Wie sein Rivale Augustinus hatte Hieronymus ein exzellentes Latein studiert.[7] Dem entspricht die Vulgata aber keineswegs. Auch wenn Hieronymus sicher nicht allein übersetzt hat, so fehlen doch alle Feinheiten des klassischen Lateins, das er so vorzüglich beherrschte. Hiero­ny­mus wollte dem Urtext so nahe wie möglich bleiben.[8] So werden die Reden der Bibel nicht im AcI oder in Partizipialkonstruktionen wiedergegeben, die doch für das Lateinische so typisch Neben­sätze elegant ersetzen, sondern er verwendet geradezu barbarisch „dass“ und „weil“ und einfache Hauptsätze. Oder Redeeinleitung „Und er sprach und sagte: …“ statt des einge­schobenen inquit. Das begründet Hieronymus in seinem Vorwort (In der Ausgabe S. 14-21 = Weber/ Gryson 3f), er habe Septuaginta und die Übersetzungen verglichen, die Origenes in seiner sechsspaltigen Ausgabe neben den hebrä­ischen Text gestellt hatte, aber das Entschei­dende sei der Wortlaut der hebräischen Bibel: das ist die Hebraica veritas.[9] Denn im Unter­schied zu den normalen Texten enthalte in biblischen Texten sogar die Wortstellung ein gött­liches Geheimnis.

Ego enim non solum fateor, sed libera voce profiteor me in interpretatione Graecorum absque scripturis sanctis, ubi et verborum  ordo mysterium est, non verbum e verbo, sed sensum exprimere de sensu.[10]

 

Aber ich gestehe nicht nur, sondern bekenne mich freimütig, dass ich bei der Übersetzung aus dem Griechischen nicht Wort für Wort, sondern Sinn für Sinn wiedergebe. Davon gibt es eine Ausnahme: In den Heiligen Schriften ist sogar die Ordnung der Worte ein Mysterium.

Die Vaterunser-Bitte: Unser täglich Brot gib uns heute!

Ein Beispiel: Das Vaterunser ist im Neuen Testament zweimal überliefert, einmal als Teil der Bergpredigt in Matthäus 6, 9-13 und das andere Mal Lukas 11,3. Im griechischen Text ist beide mal das gleiche Wort verwendet (τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς ἡμῖν σήμερον [Mt] — τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ ἡμέραν [Lk]): In der Vulgata aber ist es bei der Lukanischen Fassung (die auch im Gottesdienst verwendet wurde) mit panem nostram cotidianum da nobis cotidie während die Matthäischen Fassung mit panem supersubstantialem übersetzt. Die vorlie­gende Übersetzung (2018) bringt den Unterschied nicht heraus: Mt. „unser zum Leben not­wendiges Brot gib uns heute!“ Lukas „unser tägliches Brot gib uns täglich!“ Die Bitte um das Brot spielen die Katharer aus gegen die Römischen Katholiken, indem sie darauf verweisen, dass Christus doch nicht so etwas Materielles wie den leiblichen Hunger gemeint haben könnte, das Wort supersubstantialem also „übermateriell, himmlisch“ meinen müsse.[11] – Und: Gerade ist der Streit für eine Revision der deutschen Fassung des Vaterunsers entbrannt: Führe uns nicht in Versuchung! Gott soll derjenige sein, der die Gläubigen in Versuchung führt? Das erlaubt Gott doch ausnahmsweise dem Satan gegen­über Hiob. Die Vulgata ist der Grund für diese Übersetzung ne nos inducas in temptationem „Und führe uns nicht in Versuchung!“ (μὴ εἰσένηγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμὸν) Lk 11,4 sed libera nos a malo „sondern befreie uns vom Bösen!“ …, ἀλλὰ ρῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ setzt Matthäus hinzu. Die Formulierung solle, so der Vorschlag zur Revision des deutschen Vaterunsers, etwa lauten „Lass uns nicht in Versu­chung geraten“. Das Griechi­sche ist aber mit „Du“ und „hineintragen“ nicht so leicht ohne Aktivität Gottes zu lassen.[12]

Das Gesamtwerk ist mit dem vorliegenden Band 5 abgeschlossen.[13] Herausgeber sind Michael Fieger, Widu-Wolfgang Ehlers und Andreas Beriger. Vol. I Genesis – Exodus – Leviticus – Numeri – Deuteronomium (2018). Vol. II Iosue – Iudices – Ruth – Samuhel – Malachim – Verba dierum – Ezras – Tobias – Iudith – Hester – Iob (2018). Vol. III Psalmi – Proverbia – Ecclesiastes – Canticum canticorum – Sapientia – Iesus Sirach (2018). Vol. IV Isaias – Hieremias – Baruch – Ezechiel – Daniel – XII Prophetae – Maccabeorum (2018). Vol. V Evangelia – Actus Apostolorum – Epistulae Pauli – Epistulae Catholicae – Apocalypsis – Appendix (2018). Die Appendix enthält unter anderem die Apokalypse des dritten und vierten Buch Esra, eine der wichtigen Quellen der Apokalypse im Mittelalter.

Als Übersetzung neben dem wissenschaftlichen, wenn auch ohne den kritischen Apparat gedruckten Text sieht man, welches Können auf dem Gebiet des spätantiken Latein nötig ist, um die Fallen des lateinischen Textes möglichst getreu, aber doch in der Zielsprache Deutsch wiederzugeben. Das ist sehr gut gelungen.

 

 Bremen/Much,  5. März 2019                                                     Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,

Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Da der Begriff „Altes Testament“ (1) nur die christliche Rezeption benennt, während es ja auch eine jüdische Lektüre und Interpretation gibt, und (2) ‚alt‘ leicht als ‚veraltet‘ verstanden werden kann, enthält der Begriff Hebräische Bibel diese Wertung nicht. Die kleine Unschärfe, dass damit auch die wenigen Textstücke mit einbezogen werden, die nur auf Aramäisch oder Griechisch (v.a. im Daniel­buch) überliefert sind, ist demgegenüber vernachlässigbar.

[2] Dazu meine Rezensionen: Septuaginta deutsch. Hrsg. von Wolfgang Kraus; Martin Karrer 2008. – Aristeas: Der König und die Bibel. hrsg. von Kai Brodersen. 2008  Rezension für http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2009/06/30/septuaginta-deutsch-herausgegeben-von-wolfgang-kraus-und-martin-karrer/ (30.6.2009) – Die griechische Bibel der Juden in der Diaspora: die Septua­ginta: Einleitung in die Septuaginta. Herausgeber Siegfried Kreuzer (LXX.H 1) 2016: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2016/06/01/kreuzer-einleitung-in-die-septuaginta/ (1.6.2016) – Mehrsprachigkeit in der Migration: Das Beispiel der griechischen Übersetzung (Septuaginta) der Hebräischen Bibel. Eberhard Bons; Jan Joosten (Hrsg.):  Die Sprache der Septuaginta. (Handbuch zur Septuaginta Band 3) [LXX-H 3] Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus [2016]. Meine Rezension in: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2017/08/24/die-sprache-der-septuaginta/ (24.8.2017). Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare. 2 Bände. Stuttgart: Deutsche Bibel­gesellschaft 2011.

[3] Vor einigen Jahren fand man in der Bibelsammlung des württembergischen Herzogs, später Königs (Württembergische Landesbibliothek) eine Vulgata, die voller Notizen ist, wahrscheinlich Luthers Handexemplar. Eine glossierte Vulgata aus dem Umkreis Martin Luthers: Untersuchungen zu dem 1519 in Lyon gedruckten Exemplar in der Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Hrsg. von Martin Brecht und Eberhard Zwink. (Vestigia Bibliae 21) Bern: Lang 1999.

[4] Luther, Werke (Weimarer Ausgabe) Deutsche Bibel, Band 5: Text der Vulgata-Revision von 1529. WA DB 10. II., 185-289: revidierte Ausgabe des lateinischen Psalters (1529 und 1537).

[5] Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 52007. Ohne den wichtigen kritischen Apparat auch online zugänglich https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/biblia-sacra-vulgata/lesen-im-bibeltext/ (4.3.2019)

[6] Uta Heil: Hieronymus. In: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/21182/

[7] Das zeigen etwa die Briefe, die Augustin und Hieronymus sich schrieben. Eine zweisprachige Ausgabe der epistulae mutuae in den Fontes Christiani von Alfons Fürst 2002.

[8] Dass Hieronymus doch besser Hebräisch konnte, als lange ihm zugeschrieben, zeigt Alfons Fürst: Aktuelle Tendenzen der Hieronymus-Forschung, in: Adamantius 13 (2007), 144-151.

[9] Sebastian Weigert: Hebraica veritas. Übersetzungsprinzipien und Quellen der Deuteronomium­übersetzung des Hieronymus. (BWANT) Stuttgart: Kohlhammer 2016. James Alfred Loader: Die Problematik des Begriffes hebraica veritas. In: HTS Teologiese Studies / Theological Studies 64(2009), 227-251. 

[10] Gerhardus J.M. Bartelink: Hieronymus: Liber de optimo genere interpretandi (Epistula 57). Ein Kom­men­tar. (Mnemosyne Suppl 61) Leiden: Brill 1980, 13.

[11] Dazu Christoph Auffarth: Die Ketzer. München: Beck ³2016, 60.

[12] Der Papst Franziskus forderte, die „schlechte deutsche Übersetzung“ zu ändern. Die Katholiken in Frankreich und der Schweiz haben das getan: Zum Beginn des Kirchenjahrs 2017 sprechen sie nicht mehr „Ne nous soumets pas à la tentation“ („Unterwerfe uns nicht der Versuchung“), sondern „Ne nous laisse pas entrer dans la tentation“ („Lass uns nicht in Versuchung geraten“). Sowohl die katholische Bischofs­kon­ferenz als auch die EKD lehnen den Vorschlag ab.

[13] Die Internet-Seite sagt wenig über die Zielsetzung des Projektes. https://www.projekt-vulgata.ch/Projekt-Vulgata/Startseite.html (4.3.2019).

 

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