Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen.
Band 2: Die Wunder der Apostel.
Hrsg. von Ruben Zimmermann in Zusammenarbeit mit István Czachesz;
Bernd Kollmann, Susanne Luther, Annette Merz, Tobias Nicklas.
(Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen 1)
Gütersloh: Gütersloher Verlags-Haus 2017.
[XV, 1157 S., Ill., graph. Darst.]
ISBN 3-978-579-08121-2.
Antike Erzählungen von Wundern, die die Apostel gewirkt hätten
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Zusammenfassend: „Die Wunder der Apostel“ setzen den ersten Band über die Wunder Jesu fort. Einige der Neutestamentler betreten erstmals das Gebiet, das nicht nur philologisches Können verlangt, sondern komplexe religionsgeschichtliche Veränderungen durchlaufen hat. Dennoch ein großes Handbuch, das das Interesse auch an der Spätantike und an Wundererzählungen befördern wird.
Im Einzelnen:
Ruben Zimmermann[1] hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zum dritten Mal ein Kompendium organisiert und herausgegeben, als Handbuch nach dem Kompendium der Gleichnisse Jesu,[2] die Wunder Jesu[3] und nun die Wunder der Apostel. Dabei ist das Corpus der Texte gegenüber dem neutestamentlichen Kanon (dort im Wesentlichen die Apostelgeschichte, die ungefähr nur ein Fünftel des Handbuchs einnimmt) enorm erweitert um die sog. Apokryphen, und darunter den Acta Apostolorum im Einzelnen die Acta Johannis, Acta Petri, Acta Andreae, Acta Pauli et Theclae etc.[4] Die Abgrenzung nach Wundern der Apostel von Wundern von Märtyrer u.a. wäre schwierig zu ziehen. Wunder gehören zu den in Antike und Mittelalter von heiligen Menschen erwarteten Autorisierungen ihrer Heiligkeit, enthalten aber als literarische Form der Wundererzählung Elemente des Zweifels, der Kritik, manchmal auch Selbstkritik/Ironie und vor allem Adynata oder Paradoxa.[5] Durch den Heiligsprechungsprozess in der katholischen Kirche müssen für Menschen, die ‚heilig‘ gesprochen werden sollen, mindestens zwei Wunder als Tatsache bewiesen werden, die contra natura geschehen seien, also nach menschlichem Ermessen (untersucht nach medizinischem und naturwissenschaftlichem Wissen) die Naturgesetze außer Kraft setzen.[6] Das ist die eine Ebene, auf der bis in die Gegenwart die Faktizität von Wundern (in diesem sehr eingeschränkten Begriff) diskutiert werden – und dafür die erzählten Wunder als historische Grundlage benötigt werden. Eine zweite Ebene betrifft die Wahrnehmung individueller Wundererfahrung, die die Heilung auch nach einer Operation oder Chemotherapie als ‚Wunder für mich‘ begreift. RZ wendet sich etwas vorschnell der dritten Ebene der Wundererzählung zu. Diese kulturwissenschaftliche Begrenzung mit dem linguistic turn[7] ist für ihn wissenschaftlich das Analysierbare. Die vorgestellten Wunder-Erzählungen umfassen Texte aus einem Zeitraum vom 1. bis zum 5. Jahrhundert.
Als Einleitungen zu Gesamtband erläutert RZ zunächst eine Hinführung die Themenstellung: Von den Jesuswundern zu den Apostelwundern. Besonders die Frage der exousía ἐξουσία, der von Gott her übertragene Kraft zum Wundertun ist im Evangelium noch ganz begrenzt, mit Jesu Tod aber als Beglaubigung der Wahrheit des Evangeliums erforderlich gedacht.[8] Die Wunder der Apostel jetzt aber in den Apostelakten zu untersuchen, ist für viele Beiträger ein weitgehend neues Terrain (14). In der Einleitung begründet RZ das Unternehmen damit, dass die Behandlung der Texte nicht nach ihrer Glaubwürdigkeit ausgewählt oder verworfen werden können, die Phantastischen Tatsachenberichte seien mehr Phantastik als Tatsachen (32). Ob sie eine eigene literarische Gattung bilden, sei umstritten, dazu klaffen die Texte zu weit auseinander. Aber RZ entscheidet sich, die Wunder des Petrus in den Pseudoklementinen nicht aufzunehmen. Dort sind zwar reichlich Wunder und Gegenwunder erzählt, aber in Dialogform. – Detlev Dormeyer diskutiert das Verhältnis der Apostelgeschichte zum antiken Roman. Er unterscheidet die Apostelgeschichte im NT von den Apostelakten: Die Apg des Lukas sei ein Werk der Historiographie (der sog. Pathetischen Historie), während die Apostelakten einen neuen Typus fiktionaler Prosaerzählung schufen. „Zur Gattung des antiken Romans wird man ihn freilich nicht mehr zählen“ (Mit dem Altphilologen Niklas Holzberg 1986). – Die Einführung von Richard Pervo zu Humor in den Wundererzählungen (54-65) arbeitet gegen den angeblich humorlosen Dauerernst von Religion, den frühere Autoren behaupteten, indem sie Anweisungen folgten, Humor möglichst zu vermeiden oder gar zu verbieten, in den Handbüchern öffentlicher Rhetorik und christlichen Regeln.[9] Doch die gelten allenfalls für diese heiklen Situationen. In erzählenden Texten ist Humor ein wichtiges Mittel, wollen sie doch unterhalten. Da sind doch eindeutig witzige Szenen in der Apostelgeschichte. – Tobias Nicklas erklärt den Unterschied von Wunder und Magie/Zauberei (66-75). Ältere Definitionen kontrastierten Magie mit entweder Religion (so schon die Reformatoren und dann in der protestantischen Tradition) oder Magie und Wissenschaft (Bronislaw Malinowski verstand das differenzierter als sein Lehrer James George Frazer).[10] Eine Definition lässt sich in der Antike nicht finden, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen könnte. Im Grunde muss man aus dem jeweiligen Text die dort gemeinte Bedeutung erschließen. In den christlichen Texten ist jedoch meist Magie als eine funktionierende Kraft beschrieben, die nur dem Magier Aufmerksamkeit und Prestige bringt, während Wunder den Betroffenen aus einer Not helfen und Gott oder Christus die Ehre als dem eigentlichen Retter geben. Dass umgekehrt auch gegen Jesus der Vorwurf geäußert werden konnte, er sei ein Zauberer, sieht man bei Kelsos (überliefert in den Antworten, die Origenes diesem gibt). – Meghan Henning behandelt die gerade für die Apostelwunder wichtige Kategorie Strafwunder (76-81). Der Tod des Tyrannen wie Apg 12,33 lässt sich allerdings nicht aus innerbiblischer Tradition erklären, sondern Lukas bezieht sich hier auf ein häufiges Motiv antiker Historiographie. – Livia Neureiter und Janet Spittler erläutern die Rolle von Tieren in den Apostelakten (82-91). – Susanne Luther stellt bildliche Darstellungen der Wunder der Apostel vor (92-112) mit überraschenden Beispielen auf allen möglichen Stoffen, nicht auf die Antike beschränkt. Gerade die Bilder und andere Medien wie etwa Liturgie und Pilgerzeichen greifen die apokryph überlieferten Erzählungen auf, allerdings, wie SL behauptet, erst seit dem Hochmittelalter. Die Beispiele zeigen aber, dass schon in der Antike die Ikonographie sich aus Apokryphen speist.
Je nach einer Einführung in die Gesamtschrift und einer Tabelle aller Wunder in der Schrift, folgen die Auslegung der einzelnen Erzählungen in drei Abschnitten unter einer kreativen Überschrift: (1) Eine eigene Übersetzung, (2) die sprachlich-narratologische Analyse, (3) sozial- und realgeschichtlicher Kontext. (4) Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund. (5) Verstehensangebote und Deutungshorizonte, (6) Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte. (7) Am Ende Literaturangaben. So setzt der Band denn mit der kanonischen Apostelgeschichte des Lukas ein (113-295), eingeführt von Bernd Kollmann. Zu den Wundererzählungen in den Johannesakten (299-) führt Tobias Nicklas hin. Es folgen die Akten des Paulus und der Thekla, die Annette Merz beschreibt (403-506). Es folgen die Wunder aus dem Leben der Heiligen Thekla, wieder von Bernd Kollmann vorgestellt (509-56) Dann die Petrusakten (569-681), in denen der Kampf gegen den aus der Apostelgeschichte (Apg 8,9-25) bekannten Simon Magus/den Magier im Vordergrund steht, wer denn die besseren Wunder vollbringt. Am Ende verspricht Simon in den Himmel aufzufahren „zu seinem Vater“, weil seine anderen Wunder als Zauberstückchen entlarvt werden. (Hier wäre an Lukians Peregrinus zu erinnern, der so lange seine Apotheose/Gottwerdung verspricht, bis er nicht mehr anders kann als sich ins Feuer zu stürzen. Eine kleine Strecke gelingt ihm auch das Fliegen, aber dann stürzt er ab. Ohne Schadenfreude kümmert sich Petrus dann um den Zerschmetterten. Die Thomasakten (685-770) sind wieder eingeleitet von Tobias Nicklas. István Czachesz führt zu den Akten des Andreas ein (773-916) Die Rekonstruktion der sehr unterschiedlichen Texte, die unter dem Namen des Andreas überliefert sind, ist schwierig, u.a. hat sie Gregor von Tours gesammelt in seinem liber de miraculis. Es folgen die Wundererzählungen in den Philppusakten (919-965) und Barnabasakten (969-992) Am Schluss steht die Wundererzählung in der Abgarlegende (995-1006). Es folgen die Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen, ein Verzeichnis der 54 Autorinnen und Autoren, dann die Gesamtbibliographie (72 Seiten), ein Abkürzungsverzeichnis, das Stellenregister (allerdings ohne die nicht-christliche Literatur) und ein Sachregister.
Die Tendenz der neutestamentlichen Wissenschaft, sich wieder mit apokryphen Texten zu beschäftigen und – begrenzt – auch die nicht-christlichen griechischen und römischen Texte der Kaiserzeit einzubeziehen (das sog. Corpus hellenisticum Novi Testamenti)[11] erhält durch dieses Handbuch eine kräftige Unterstützung. Die Apokryphen sind wieder ein Forschungsgegenstand.[12] Freilich ist die Kenntnis der nicht-christlichen Texte bei den AutorInnen sehr unterschiedlich.[13]
22 April 2019
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
…………………………………………………………………………………………………………
[1] Im Folgenden meist abgekürzt mit den Initialen RZ (wobei öfter das Team der Herausgeber gemeint ist, das das Konzept erarbeitet hat).
[2] Meine Rezension hier im RPI-Virtuell: Vgl. http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2008/06/29/kompendium-der-gleichnisse-jesu-herausgegeben-von-ruben-zimmermann/.
[3] Wunder sind ein alter Hut? Antike Wundererzählungen: Die Wunder Jesu. Hrsg. von Ruben Zimmermann. 2013. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2014/03/19/die-wunder-jesu/ (19.3.2014). Sehr gründlich auch die Besprechungen von Andreas Lindemann: Theologische Rundschau 82 (2017), 238-250 [zu Band 1] und 83 (2018), 1-24 [zu Band 2].
[4] Die Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, hrsg. Edgar Hennecke; von Wilhelm Schneemelcher wird neu und vollständiger hrsg. von Christoph Markschies und Schröter. Davon ist aber erst der erste Teil, die Evangelien erschienen, der dritte (Apokalypsen) und der zweite (Apostelgeschichten und Briefe) stehen noch aus. Meine Rezension auf dieser Seite (6.3.2013): „Der Eisberg, dessen Spitze das Neue Testament darstellt.“ Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Hrsg. Christoph Markschies und Jens Schröter, 2012. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2013/06/06/markschiesantike-christliche-apokryphen/
[5] Adynaton (ἀδύνατον Singular) ‚das Unmögliche‘ und Paradoxon (παράδοξον = παρὰ τὴν δόξαν Singular) ‚wider Erwarten‘, ‚unglaublich‘ sind in der antiken Literatur gern verwendete Motive, um Leser in eine phantastische Welt zu entführen.
[6] Der regelrechte Prozess vor einem Kirchengericht mit Zeugen, Sachverständigen und einem advocatus diaboli, einem Rechtsanwalt des Teufels: Marcus Sieger: Die Heiligsprechung. Geschichte und heutige Rechtslage. Würzburg: Echter 1995. Christian Krötzl: Miracles in medieval canonization processes: structures, functions, and methodologies. Turnhout: Brepols 2018. Jacalyn Duffin: Medical miracles: doctors, saints, and healing in the modern world. Oxford: Oxford University Press 2009.
[7] Der linguistic turn in vielen Geistes-Wissenschaften als Kulturwissenschaften hält nur das der Analyse zugänglich, was Menschen auf der sprachlichen Ebene äußern. Im Fall der Wunder also nicht das Wunder als Ereignis, das die Wissenschaftler glauben müssen oder für unglaublich verwerfen [als Voraussetzung (a priori) jeder wissenschaftlichen Beschäftigung, die dann naturwissenschaftlich nachzuweisen wäre – im Einzelfall oder durch ähnliche Analogien]. Arnold Angenendt hat das in seinem Buch Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München: Beck 1994; ²1997 als „Aufklärung von der Aufklärung“ gefordert. – Nach der Methode des linguistic turn sind aber nur Erzählungen oder Glaubensbekenntnisse der Analyse zugänglich.
[8] Interessant wäre ein Beitrag zu der in afrikanischen Kirchen aktuellen Kontroverse: Die Heiler spielen in der afrikanischen Religion eine zentrale Rolle und treten in Konkurrenz zu den Priestern als Hauptperson in der Leitung der Gemeinden. Ist ihre Macht von den Ahnen abgeleitet oder verleiht Gott die Kraft zur Heilung?
[9] Dazu Christoph Auffarth: Glaubensstreit und Gelächter: Religion – Kultur – Kunst. Eine Einführung. In CA; Sonja Kerth (Hrsg.): Glaubensstreit und Gelächter. Reformation und Lachkultur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. (Religionen in der pluralen Welt 6) Münster 2008, 1-18.
[10] Christoph Auffarth: Magie: Ein Schlüsselbegriff der Religionsgeschichte. [anlässlich der Monographie Bernd-Christian Otto: Magie 2011] Zeitschrift für Religionswissenschaft 21 (2013), 114-123.
[11] Nach der herausragenden Dissertation von Hans Dieter Betz zu Lukian und das Neue Testament, 1961 blieb es lange still, bis zum Neuen Wettstein (die ursprüngliche Sammlung von Johann Jakob Wettstein erschien 1751/52) hrsg. von Udo Schnelle u.a. Berlin: De Gruyter 1996-, bislang 4 Bände.
[12] Eine eigene Zeitschrift Apocrypha. Revue internationale des littératures apocryphes, Band 1(1990). Turnhout: Brepols. Textausgaben m gleichen Verlag. Wichtig war die Serie der ungarisch-niederländischen Konferenzen, die Jan Bremmer tatkräftig voran trieb. Einige seiner Beiträge sind nun im ersten Band seiner Collected Essays wieder gedruckt: Jan Bremmer: Maidens, Magic, and Martyrs. (WUNT 379) Tübingen: Mohr 2018.
[13] Dazu meine Hinweise in der Rezension zum ersten Band.