Die Geburtskirche in Bethlehem

Bianca Kühnel und Gustav Kühnel:
Die Geburtskirche in Bethlehem.
Die kreuzfahrerzeitliche Auskleidung einer frühchristlichen Basilika.

Mit einer neuen Edition der Mosaikinschriften von Erich Lamberz.
Deutsch von Andreas Fliedner.

Regensburg: Schnell + Steiner, 2019.
39,95 €. ISBN 978-3-7954-3332-1

 

Die Geburtskirche in Bethlehem als Ziel der Kreuzfahrer

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Wunderbar ausgestattet mit farbigen Bildern erklärt Gustav Kühnel, wie die Kreuz­fahrer Mitte des 12. Jahrhunderts die alte Kirche der Geburt Christi neu ausstatteten.

Ausführlich: Die beiden Kunsthistoriker Bianca Kühnel[1] und der 2009 verstorbene Gustav Kühnel[2] haben ihr Leben lang die Kunstgeschichte Palästinas in der Kreuzfahrerzeit (also 1099-1292) erforscht und die grundlegenden Handbücher dazu geschrieben. Die Geburts­kirche in Bethlehem war – neben der Grabeskirche in Jerusalem – der wichtigste ‚Heilige Ort‘, deretwegen die Pilger die lebensgefährliche Reise ins ‚Heilige Land‘ unternahmen.[3] Seit Mitte des 11. Jahrhunderts betrieben die Päpste, um sich von der Abhängigkeit vom Deut­schen Kaiser zu befreien, eigene Pläne, das ‚Heilige Land‘ „zurück“ zu erobern, das die Muslime sich zu Unrecht angeeignet hätten: die Kreuzzüge. Die lateinischen Christen trafen in Konstantinopel auf eine hoch entwickelte Kultur und in Syrien-Palästina auf Orthodoxe Christen, auf Muslime, auf Juden und erlebten zunächst einen Kulturschock. Schon der Kaplan des Königs von Jerusalem, Fulcher von Chartres kann aber nach einer Generation schreiben (3,37):

“Denn wir, die wir Abendländer waren, sind nun Orientalen geworden. Einer, der Römer oder ein Franke war, wurde in diesem Land zu einem Galiläer oder Palästi­nenser. Einer, der aus Reims oder Chartres stammte, ist nun ein Bürger von Tyrus oder Antiochien geworden. Wir haben unseren Geburtsort bereits vergessen; schon kennen ihn viele von uns nicht mehr oder er wird nicht mehr erwähnt.”

Sie seien also nun selbst Orientalen geworden und kennen das neue Land besser als das, welches sie verlassen hatten. Die Kreuzfahrer sind nun heimisch geworden. Dazu gehört auch, dass sie neue Kirche bauen, vor allem aber vorhandene Kirchen in Besitz nehmen, indem sie sie bemalen, neu ausstatten lassen.[4] Die Grabeskirche in Jerusalem und die Geburtskirche in Bethlehem sind Bauprojekte von Konstantin dem Großen, Anfang des 4. Jahrhunderts, nachdem seine Mutter Helena dorthin gepilgert war. Die Geburtskirche ließ Kaiser Konstantin über einer Grotte errichten, in die die Hirten bei Nacht die Schafe trieben (der ‚Stall‘ von Bethlehem). Den Altarabschluss in drei Konchen[5] fügte Iustinian hinzu. Die Geburts­kirche ist auch des­halb bemerkenswert, weil sie auch von den Muslimen als Gebetsort ver­wen­det wurde.[6] Sie wählten die Süd-Konche der Apsis als Gebetsrichtung (Mihrab) gen Mekka. Die Muslime verehren ja den Propheten Jesus (Isa) und seine Mutter Maria (Mery­am), die ihn ohne Zutun eines Mannes zur Welt brachte.[7] Als gemeinsames Heiligtum von Muslimen und Christen überlebte es die Zerstörungswut des radikalen Kalifen El-Hakim:[8] “Thus the church is the only pre-Muslim church building to have survived intact in Palestine up to the present day.”[9]

GK hat Jahrzehnte sich um die Geburtskirche gekümmert, unter schwierigsten Bedingungen, bevor sie zu Weltkulturerbe erhoben und dann Gelder flossen zur Restauration. Einen Ver­gleich vor und nach der Restaurierung zeigt Abb. 57 (S. 143).  Davon zeugen nun die hervor­ragenden Aufnahmen der Mosaiken. Und die Forschungen GKs krönt nun dieser Band als ein Schlussstein, der ein Gelehrtenleben vollendet. Die Inschriften, die die regierenden Könige und Bischöfe sowie den Künstler nennen, hat GK von befreundeten Spezialisten bearbeiten lassen (19-29. Erich Lamberz im Anhang 159-180; für die verlorenen Teile hilft eine detaillierte Beschreibung von Francisco Quaresmius 1639). Die Ausstattung wurde demnach in einer Zeit vorgenommen, als die Könige von Jerusalem ein gutes Auskommen mit den Kaisern von Konstantinopel pflegten, 1168/69 ist als Datum angegeben. Der Künst­ler arbeitete in enger Anlehnung an die lokale byzantinische Formensprache und Ikono­graphie. Die mittlere Konche, die beim Eintreten sofort die Blicke auf sich zieht, zeigt Maria als Platytera, zwischen Abraham und David, dargestellt. Die Südkonche stellt die Geburt Christi dar, die Nordkonche vielleicht, da sie nicht erhalten ist, die Auferstehung. Über der Ein­gangs­tür ist die Wurzel Jesse dargestellt. Wie GK erkannt hat, wird in den Herkunfts­ländern der Kreuzfahrer um diese Zeit gerade die Herkunft eines Adelsgeschlechts in Form eines agnatischen Baumes dargestellt. Hier also die Herkunft Jesu aus den Patriarchen des Heili­gen Landes. Sie kann mit Jesse/Isai, dem Vater König Davids einsetzen, hier aber mit Abraham. Das Grab der Patriarchen und Matriarchen Abraham und Sarah, Isaak und Rebek­ka, Jakob und Rahel befinden sich in einem ebenfalls spätantiken burgartigen Gebäude im rund 30 km entfernten Hebron. Die Darstellung zieht sich an der linken Seite bis zu Maria und Jesus. Sie entspricht etwa dem Stammbaum im Matthäusevangelium, der die jüdische Herkunft Jesu betont, während Lukas sie sogar bis Adam führt, also einen uni­versellen Anspruch vertritt, während hier die Verwurzelung im Heiligen Land hervorgeho­ben ist. Die Ahnen Jesu und, auf den Säulen dargestellt, 29 Heilige der Kirche wenden sich den Eintre­ten­den zu, während die Engel auf der anderen Seite sich ihrem Herrn am Altar zuwenden. Unter den Heiligen (144-152) sind spezifische westliche, wie die skandinavischen Knut und Olav oder der Hl. Leonhard. Jakobus, der Jünger Jesu und Ziel der spanischen Sant­­iago [Sant‘ Iago]-Pilgerfahrt, die Hl. Fusca aus Venedig. Cataldus ist ein typischer Heili­ger der süditalienischen Normannen, deren König Boemund und Tankred Führer im ersten Kreuzzug war. Daneben sind auch viele Mönchsheilige darge­stellt, die als Gruppen oder Einsiedler in der Gegend von Bethlehem lebten, der berühmteste unter ihnen ist Hierony­mus, der Übersetzer der Bibel ins Lateinische.[10] In der Bildzone darüber sind Konzilien dargestellt, die ökumenischen und die regionalen, je in einer Archi­tektur als Rahmen rund um einen Altar oder Lektionar mit aufgeschlagenem Buch, das Gemmenkreuz – ein seltenes Motiv.[11] – Die Ausstattung des Buches durch den Verlag[12] macht es zu einem Abglanz des Heiligen, das auf die Pilger der Kreuzfahrerzeit wirkte:[13] Feierlicher Einzug, die Liturgie,[14] in der die Heiligen und die Patriarchen des Landes mit beten und knien vor dem Baby, das die Gottesmutter gerade zur Welt gebracht hat und dessen Lehre die universale, in den Konzilien verkörper­ten Kirche begründet hat. Das alles wird in den herrlichen Fotos, den Grund- und Aufrissen gezeigt, aber vor allem durch den (Aufmerk­sam­keit erfordernden) wissenschaftlichen Text gründlich erklärt und von dem besten Kenner der Kunstgeschichte der Zeit in den historischen und lokalen Kontext eingebettet.

Bremen/Much 19. Mai 2019                                                                       Christoph Auffarth

 Religionswissenschaft, Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Bianca Kühnel, die 2019 75 Jahre alt wird, ist Professorin für Kunstgeschichte an der Hebrew University in Jerusalem. Unter ihren Publikationen: (Hrsg.) gemeinsam mit Galit Noga-Banai and Hanna Vorholt:  Visual constructs of Jerusalem. (Cultural encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 18) Turnhout: Brepols 2014. Ihre Hauptwerke: Crusader art of the twelfth century: A geographical, an historical, or an art historical notion? Berlin: Mann 1994. – The end of time in the order of things. Science and eschatology in early Medieval art. Regensburg: Schnell+Steiner 2003. From the earthly to the heavenly Jerusalem. Representations of the Holy City in Christian art of the first millennium. (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte: Supplementheft 42) Rom: Herder 1987.

[2] Gustav Kühnel war am Institut für Kunstgeschichte in Tel Aviv tätig. Er ist 2009 gestorben. Eine Bibliographie seiner Aufsätze (teils auch im Netz zugänglich) findet sich http://opac.regesta-imperii.de/lang_en/autoren.php?name=K%C3%BChnel%2C+Gustav Sein Hauptwerk ist Wall painting in the Latin kingdom of Jerusalem. Berlin: Mann 1988. Im Folgenden verwende ich der Kürze halber seine Initialen GK.

[3] Dazu etwa Christoph Auffarth: Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem, Fegefeuer aus religionswissenschaftlicher Sicht. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2002. Pilgerziele 117-119.

[4] Der vollständige Katalog von Denys Pringle: The Churches of the Crusader Kingdom of Jerusalem. A corpus. Band 1 (1993): A-K; Band 2 (1998): L-Z; Band 3: Jerusalem 2007. Band 4: The cities of Acre and Tyre. Cambridge: CUP 2009. Zur Geburtskirche in Bethlehem: Band 1(1993), 137-157.

[5] Als Konche Griechisch κόγχη  ‚Muschel‘ bezeichnen die Kunsthistoriker die Apsis ἀψίς, das ‚Halb­rund‘ hinter dem Altar, das oben viertel-kugelförmig abschließt.

[6] Zu gemeinsamen Gebetsorten von Christen und Muslimen in Ägypten, Palästina, Syrien: Carsten Colpe: Das samaritanische Pinehas-Grab in Awerta und die Beziehungen zwischen Hadir- und Georgs-Legende.  in: C.C.: Das Siegel der Propheten. Berlin: Institut Kirche und Judentum 1989, 182-226. Christiane M. Thomsen: Burchards Bericht über den Orient. Reise­erfahrungen eines staufischen Gesandten im Reich Saladins 1175/1176. Berlin: De Gruyter 2018, 168-193. Meine Rezension in: https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2018/08/03/burchard-ueber-den-orient/ (3.8.2018). – Die Tempel­ritter erlaubten Muslimen, auf dem Tempelberg in einem Raum der ehemaligen Al-aksa-Moschee zu beten, wie Usama ibn Munqid erinnert. Zur zeitweiligen, aber seltenen Toleranz auch christlicher Herrscher, v.a. die Jerusalemer Königin Melisende und ihre Unterstützung aller in Jerusalem vertretenen christlichen Konfessionen, besonders auch der Flüchtlinge, die nach dem Fall von Edessa nach Jerusalem flüchteten, s. Katalog Museum New York Metropolitan 2016/17: Barbara Drake Boehm; Melanie Holcomb (eds.): Jerusalem 1000-1400. Every People Under Heaven.  New York 2016, 230f.

[7] Koran, Sure 3, 45-47 und 4, 171.

[8] 1009 ließ El-Hakim die Grabeskirche zerstören. Dazu Thomas Pratsch (Hrsg.): Konflikt und Bewälti­gung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009. (Millennium Studien 32) Berlin: de Gruyter 2011. Josef van Ess: Chiliastische Erwartungen und die Versuchung der Göttlichkeit: Der Kalif al-Ḥākim 386 – 411 H. Heidelberg: Winter 1977.

[9] Pringle, Churches 1(1993), 138.

[10] Die lateinische Bibel auf Deutsch übersetzt: Vulgata 5. Berlin: de Gruyter 2018. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2019/03/12/the-eucharist-its-origins-and-contexts/ (12.3.2019)

[11] Die Bezeichnung ‚anikonisch‘ für diese Darstellung folgt nicht dem üblichen Begriff.

[12] Fester Einband, Fadenheftung, farbige Abbildungen, übersichtliches lay-out, Index. Deutsche und englische Parallel-Ausgabe. Noble Ausstattung!

[13] Wiederholt habe ich das Element der Pilgerfahrt hervorgehoben, das parallel und geschützt von den Militärs auf dem Weg ist, aber unterschiedliche Ziele verfolgt (also nicht „die bewaffnete Wallfahrt“): Die Militärs wollen Burgen bauen und den Pilgerweg schützen, die Pilger wollen zu den heiligen Stätten, danach aber wieder nach Hause zurückkehren.

[14] Die Liturgie in Bethlehem ist – anders als die der Grabeskirche in Jerusalem – nicht rekonstruiert (157 mit Anm. 229), abgesehen von dem Hinweis darauf, dass sie Krönungskirche der Könige des Königreiches Jerusalem war (Hans Eberhard Mayer: Das Pontikale von Tyrus. In: Dumbarton Oaks Papers 21(1967), 141-232, hier 150f).

 

 

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