Der Hamburger Weg des Religionsunterrichts

cover-hassaneinDiaa Eldin Hassanein
Der Hamburger Weg des Religionsunterrichts.
Eine empirische Analyse zum Dialog im Klassenzimmer
Religionspädagogik in Forschung und Praxis, Band 3
Hamburg 2013, 228 Seiten
Verlag Dr. Kovac
ISBN 978-3-8300-6791-7

 

Da macht sich ein ägyptischer Lehrer auf den Weg nach Deutschland, um den besonderen Religionsunterricht im Stadtstaat Hamburg kennen zu lernen und diesen in einer empirisch gestützten Studie auszuwerten. Dia Eldin Hassanein arbeitete zuvor an der Deutschen Evangelischen Oberschule in Kairo als Lehrer für Arabisch und Religion. Der kooperative Religionsunterricht mit Christen und Muslimen an dieser Schule  faszinierte ihn, denn: „An staatlichen Schulen war es unvorstellbar, dass man gemeinsam etwas über die Religion des Anderen lernt. Muslime waren unter sich und Kopten waren unter sich, wenn es um Religion ging. Warum sollte ein Muslim über das Christentum lernen und umgekehrt“ ? (16). Hassanein erfuhr, dass in Deutschland nur in Hamburg ein Religionsunterricht unter Einbezug anderer Religionen durchgeführt wurde und beschloss, das näher zu erforschen. Sein besonderes Interesse lag darin, das Potential an Dialog und Verständigung zu erkunden, das mit einem solchen Unterricht verknüpft ist.
Im zweiten Kapitel (39-53) wird die islamische Sichtweise zu Dialog und Toleranz erörtert.  Hassanein stellt klar fest: „“Der Islam stimmt der freien Entscheidung des Individuums zu und der toleriert auch die Verschiedenheit von Menschen. Das sollte von vielen Muslimen nicht vergessen werden“ (53). Es folgen grundlegende Erörterungen zu „Dialog“, unter besonderer Berücksichtigung der Hamburger Positionen, die hauptsächlich im Zusammenhang mit Wolfram Weiße entwickelt wurden. Hassanein verwendet für seine Untersuchung folgende Methoden: Leitfadeninterview mit Lehrenden, Videoaufnahmen der Unterrichtsstunden, teilnehmende Beobachtung und Schriftliche Schülerbefragungen. Die empirischen Forschungen wurden in den Jahren 2009 bis 2010 an Gymnasien in Hamburg durchgeführt.
Wesentliche Teile der Gespräche sind in transkribierter Form wiedergegeben. Die Analyse dieser Äußerungen gibt einen guten Einblick in die lebendigen Gespräche dieses Unterrichts. Die Schülerschaft ist kulturell und religiös bunt gemischt. Jugendliche aus verschiedenen Religionen bringen ihre Meinung ein und diskutieren teilweise heftig miteinander. Die Lehrkräfte übernehmen dabei hauptsächlich eine moderierende Rolle; sie sind Impulsgeber, achten auf die Einhaltung der Grundprinzipien des Dialogs und bündeln die Ergebnisse. Lehrer G. sieht sich veranlasst seinen Schülern klar zu sagen: „Kein Lehrer darf im Religionsunterricht für alle sagen: ‚So war das und nicht anders’. Sonst darf er ihn nicht erteilen … Religiöse Menschen müssen ertragen, dass die Frage des Rechts [Rechthabens] und der Richtigkeit nicht geklärt werden kann. Zumindest nicht von uns Menschen“ (102 f). Der Autor wertet die Arbeitsweise der drei Lehrkräfte kritisch aus, benennt Vorzüge und Nachteile des Unterrichts. Kritisch merkt er an, dass es vielen Lehrkräften in Hamburg an guten Grundkenntnissen über den Islam fehle, was auch von Schülerseite beklagt wurde! Als besonders wichtig sieht er zu Recht die Gesprächsführungskompetenz an, diese sei wegweisend für einen gelingenden Dialog: „Das Hamburger Modell ist ein besonderes Modell. Es ist dialogisch entstanden. Deshalb braucht der Lehrer in diesem Modell besondere Fähigkeiten“ (191). Als ein Ergebnis wird festgehalten, „dass das Verständnis der Lehrer für den Dialog entscheidend für die Auswahl der angewendeten Unterrichtsmethoden im Klassenraum ist“ (195). Des weiteren hält der Autor es für unerlässlich, dass auch nichtchristliche Religionslehrer in diesem Modell arbeiten: „Durch den Austausch zwischen verschiedenen Lehrern, die unterschiedliche religiöse Ansichten haben, kann der Unterricht nur gewinnen“ (195).

Dia Eldin Hassanein nimmt seine Erfahrungen mit nach Ägypten und hofft, diese Anregungen an der Deutschen Evangelischen Oberschule in Kairo einsetzen zu können. Für die Diskussionen um den Religionsunterricht in Deutschland hat seine Studie einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Hamburger Weges geleistet. Für die empirische Forschung im Religionsunterricht liegt hier ein bedeutsamer, zukunftsorientierter Beitrag vor.

Dr. Manfred Spieß
Universität Bremen
Religionswissenschaft/Religionspädagogik
24.03.2014

 

 

1 Gedanke zu „Der Hamburger Weg des Religionsunterrichts“

  1. Lieber Herr Dr. Spiess,
    ich bedanke mich so sehr für die ausführliche Vorstellung meiner Studie. Sie haben sehr gut die wichtigste Punkte umgefasst und schön formuliert.
    Ich will aber dazu sagen, ich habe jede Sekunde während meiner Arbeit genossen und will davon gelernt und profitiert. Es ist eine tolle Gelegenheit, wenn man die Situation oder ein Phänomen von Innen studiert, und ich muss gestehen, ich liebe die empirischen Studien.
    Vielen Dank nochmal.
    Diaa Hassanein
    Institut für Islamische Theologie- Uni Osnabrück

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