Albrecht Dihle: Ausgewählte kleine Schriften zu Antike und Christentum.
Hrsg. Georg Schöllgen. (Jahrbuch für Antike und Christentum-Ergänzungsband 38) Münster: Aschendorff 2013 [VI, 430 S.]
‚Heidnische‘ Antike und Christen: Gegensätze?
Zusammengefasst: Wichtige und differenzierte Studien eines Altmeisters über das Verhältnis von Antike und Christentum.
Im Einzelnen: Albrecht Dihle[1] ist ein wichtiger Vermittler unter den Altertumswissenschaftlern. Für die klassische Antike hat er große Übersichtswerke erarbeitet, v.a. die Griechische Literaturgeschichte[2] und noch einmal detaillierter, die griechische Literatur in der römischen Kaiserzeit.[3] Dabei hat er die Grenze „klassisch“ weit ausgedehnt räumlich in die Randbereiche, bis zu den Kenntnissen der Griechen über Indien[4] und Arabien.[5] Zeitlich bis in die Spätantike: Bedeutend war dafür, dass er in Heidelberg gemeinsam mit anderen Klassischen Philologen und den Theologen der Alten Kirchengeschichte religiöse Texte der Kaiserzeit und der Spätantike als Gespräch und Bezugnahme für zur klassischen (‚heidnischen‘) Literatur und Religion, weniger als Abgrenzung und Polemik verstand.[6] Darin spiegelt sich eine sich verändernde Perspektive in dem Forschungsfeld: Ging es lange um die Frage, wie setzte sich das Christentum gegen die ‚heidnische‘ Antike durch,[7] so wird zunehmend die Vielfalt der religiösen Stimmen bewusst, die sich in gemeinsamen Strömungen der verschiedenen Religionen in der Religion der römischen Kaiserzeit und der Spätantike beschreiben lässt, so etwa der alexandrinischen Allegorese, gnostischer Enthistorisierung, neuplatonischer Matrix, Dualismen und die zunehmende Bedeutung einer anderen Welt jenseits der mehr und mehr als unsicher und chaotisch empfundenen Welt im Diesseits.[8]
Zu seinem 90. Geburtstag hat nun der Herausgeber des Reallexikon für Antike und Christentum, Georg Schöllgen, seinem langjährigen Mitherausgeber einschlägige Aufsätze gesammelt herausgegeben. Sie sind nach dem Erscheinungsdatum geordnet von 1952 bis 2011 (Ich zitiere die Erscheinungsdaten), nicht nach systematischer Zusammengehörigkeit; keine biographisch-systematische Würdigung der Aufsätze in einem Vorwort.
Für seine kleinen Schriften ist bezeichnend, dass AD weniger in kleinen Detailstudien etwas für größere Fragestellung beschreibt, solche gibt es auch, aber meist sind es Reden, die große Themen in kompakten, umfassenden Thesen umreißen. Das kann man nur aus einer großen Könnerschaft, die AD in seinen Handbüchern erarbeitet hat. Dabei entwickelt er gerne aus Wörtern und Etymologien große Fragen: Antike Höflichkeit gegen Christliche Demut, ein Aufsatz sechzig Jahre alt. Herrschaft und Staat. Was zeichnet die antike Biographie aus im Unterschied zu den Evangelien als ‚Biographie‘ Jesu? (1980) Sakralsprache (1984). Was ist „heilig“?[9] Die berühmte These ADs über den Willen und das unabänderliche Schicksal (Astrologie) ist mehrfach angesprochen (1980. 1986. 1987. 1987. 1989. 1997).[10]
Eine Thematik betrifft den Kanon (1999; 1999; 2009): AD zeigt, dass die Einengung auf eine schmale, gleichzeitig verbindliche Regel nicht nur bei den Heiligen Schriften stattfand. AD zeigt, wie in der (literarischen) Sprache eine Vereinheitlichung stattfand. Das ist eine wichtige, ergänzende Perspektive zu den üblichen Fragen nach dem Kanon.[11]
Dennoch legt AD Wert darauf, dass bei aller Ähnlichkeit der Argumente die christlichen und die klassischen Argumente mit unterschiedlichen Zielen angewendet werden. Ein Muster bildet der Aufsatz „Zur spätantiken Kultfrömmigkeit“ (1980. 1992) in der lebendigen Darstellung eines Volksfestes,[12] von Mönchen ausgerichtet und Bewertung durch die Intellektuellen, dem Christen Origenes und seinem platonischen Gegenspieler Celsus. Oder Augustins Aufnahme und Widerspruch zur Theologia tripartita (drei Typen vom Reden über Gott) des Varro: der theologia mythica, in der die Dichter erzählend über die Götter reden, die theologia naturalis der Philosophen und die für den staatlichen Zusammenhalt wichtigen Rituale (theologia civilis). So sehr die Intellektuellen untereinander die gleichen Argumente nutzten, um sich gegenseitig abzugrenzen, so sehr gilt auch: „Daß Kultstätten und Kultbräuche oft unverändert aus heidnischen in christliche Hände übergingen, ist wohlbekannt, ebenso die hartnäckigen Fortdauer heidnischer Kulte im christianisierten Imperium, an denen nicht selten die christliche Bevölkerung zum Leidwesen ihrer Seelsorger und der christlichen Obrigkeit teilnahm“ (309). Und was die Frömmigkeit der Intellektuellen angeht, so ist das Gebet der Philosophen (1999) ein gutes Beispiel für eine Intellektuellenreligion.
Ein Buch, in dem man viel lernt über das Verhältnis von antiken Christen unterschiedlichen Bildungsgrades, vom einfachen Volk bis zum Intellektuellen, zur antiken Religion und zur klassischen Bildung auch an Orten weit außerhalb des Zentrums. Jedenfalls gehört das Buch in jede gute Bibliothek.
- November 2014 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen
[1] Den Verfassernamen kürze ich im Folgenden mit den Initialen AD ab.
[2] Albrecht Dihle: Griechische Literaturgeschichte. [Von Homer bis zum Hellenismus] Stuttgart: Kröner 1967. München: Beck ³1998.
[3] Albrecht Dihle: Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit. Von Augustus bis Justinian. München: Beck 1989.
[4] Albrecht Dihle: Indien. In: Reallexikon für Antike und Christentum 18 (1998), 1-56. Hier ein Aufsatz 1998.
[5] Zusammenfassend ADs Göttinger Julius-Wellhausen-Vorlesung 2: Hellas und der Orient. Phasen wechselseitiger Rezeption. Mit einer Einführung von Reinhard Feldmeier. Berlin: de Gruyter 2009.
[6] Andrea Jördens u.a. (Hrsg.): Quaerite faciem eius semper. Studien zu den geistesgeschichtlichen Beziehungen zwischen Antike und Christentum. Dankesgabe für Albrecht Dihle zum 85. Geburtstag aus dem Heidelberger „Kirchenväterkolloquium“. Hamburg: Kovač 2008.
[7] Das bedeutende Unternehmen des Reallexikon für Antike und Christentum, geplant in den Dreißiger Jahren; der erste Band erschien 1950. Der bislang letzte erschienene Band 25(2013) behandelt Mosaik – Nymphaeum. Die wichtigsten Daten finden sich unter http://de.wikipedia.org/wiki/Reallexikon_für_Antike_und_Christentum .
[8] Dafür die von Rainer Hirsch-Luipold herausgegebene Reihe Ratio Religionis. Tübingen: Mohr Siebeck 2009-.
[9] Im Zusammenhang mit seinen RAC-Artikel „heilig“. Reallexikon für Antike und Christentum 14(1988), 1-63. Dazu Auffarth: Antike Konzepte von Heilig und Heiligkeit. Eine religionswissenschaftliche Perspektive. In: Peter Gemeinhardt; Katharina Heyden (Hrsg.): Communio Sanctorum: Heilige, Heiliges und Heiligkeit in spätantiken Religionskulturen. (RGVV 61) Berlin; New York 2012, 1-33.
[10] Albrecht Dihle: Die Vorstellung vom Willen in der Antike. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1985.
[11] Zum christlichen Kanon die umfassende und magistrale Studie von Christoph Markschies, s. http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2013/06/06/markschiesantike-christliche-apokryphen/
[12] Sehr lesenswert in der Biographie des Porphyrios von seinem Diakon Marcus, c. 92, jetzt in der zweisprachigen Ausgabe in den Fontes Christiani (53, ed. Adelheid Hübner, 2013).